Faust

Wer hier großes Drama, großes Welttheater erwartet, wer hier neue Einsichten zu Goethes Faust erwartet, wer hier einen Film erwartet, der uns Zeitgenossen direkt anspricht und aufwühlt, der liegt hier falsch. Selbstverständlich auch wer Action, Thrill, große Liebe, Romantic Comedy erwartet, dürfte enttäuscht werden.

Wer sich aber einen Spass draus machen kann, wie Sokurov das aktuelle Bemühen, die Kinoleinwand immer breiter größer, computeranimierter und 3D-hafter in die Tiefe gehen zu lassen, köstlich konterkariert, der das Kino (sein Film ist in einer Art Super-8-Format gedreht) auf Minitur-Format schrumpfen lässt, wer einen Spass daran haben kann, sich auf eine Reise eher durch eine Gemäldegalerie des Biedermeier, und in dieser Pinakothek noch durch die kleinen Nebenräumlichkeiten, wo die ganz kleinen, winzigen Miniaturen mit Landschaften und Ruinen und den Menschen, wie sie darin wuseln und tun, mitnehmen lassen will, der kann dieser Kunstveranstaltung von Alexander Sokurow bestimmt einiges Lächeln und neckische Amüsements abgewinnen. Hilfe, das Kino und der Faust auf Liliput-Format geschrumpft – das lässt doch den Zuschauer um einiges größer werden!

Oder auch: wer Kino in einem sehr ursprünglichen Sinne erleben will, als eine Art altmodisches, magisches Jahrmarkterlebnis (würde passen zu den Nostalgietendenzen à la „historische Wiesn“ in München) erleben will, hier wie ein Blick durch eine magische Kugel, so wie Wahrsager sie gerne in Kinderfilmen benützen, in eine Welt, in eine wie vom Winde weggeblasene Aufführung des sonderbaren Spieles vom Doktor Faustus, hier dem Anatomen und Arzt, der ist hier richtig. Ich würde dieses Kino aber auf keinen Fall als Arthouse apostrophieren wollen.

Alexander Sokurow und seine Mitautoren Marina Koreneva und Yuri Arabov haben den Fauststoff von Goethe äußerst freizügig ausgeweidet und angewendet. Es gibt viel Erkennbares für den gebildeten deutschen Kulturgänger. Erkennbares durchaus auch in neuen landschaftlichen Zusammenhängen. Die Schlussszene am Geysir, wo über Leben und Tod geredet wird. Szenen in wilden, zerklüfteten Landschaften, ganz romantische Malerei, an reißenden Wildbächen, in Felsspalten, durch die sich Faust und sein Begleiter in groben Leinenhemden, nachdem sie sich der Ritterrüstungen entledigt haben, hindurchzwängen müssen.

Es fängt mit der Sektion einer männlichen Leiche an und der Frage, wo ist die Seele.
Vielleicht gerade weil Sokurow des Deutschen nicht mächtig ist, hat er sich besonders viel Mühe für die Stimm- und Tonkulisse gegeben, der ganze Film ist deutsch gesprochen, aber die Sprachspur für den Film wurde aufwändig im Studio hergestellt, ob deutsche oder österreichische Originaldarsteller oder russische. Vielleicht gerade weil Sokurow des Deutschen nicht mächtig ist, hat er besonders intensiv hingehört.

Was auch auf den starken regiemässigen Zugriff Sokurovs schließen lässt, ist, dass alle Figuren sich voll in den erwähnten malerischen Bildzusammenhang einfügen, so dass es völlig unnötig scheint, irgendwelche Schauspielernamen einzeln zu erwähnen, obwohl Stars wie Hanna Schygulla (und wie wunderbar selbstverständlich!) mit von der Partie sind.

Kino in der Nähe der Mühen und Qualitäten der Kupferstecherei anzusiedeln.
Bilderbuchkino mit ausgefeilter Tonkulisse.
Mit einer unübersehbaren Tendenz zum Kunstgewerblichen, kostbar und ausgetüftelt wie Fabergé-Eier.
Oder, Zitat: ein Prachtstück für die Autopsie. Kann ruhig interpretiert werden, dieser Film ist vielleicht ein Prachtstück für den Kunst- und Literaturforensiker.

Jagdhunde stören die Beerdigung von Valentin (russische Fantasie?)
Der Faust: ein körperlich nicht sehr agiler Darsteller, wohl auch mit Bewusstsein ausgewählt.
Miniturweltkino.
Die Wissenschaft auch nur als Beschäftigung gegen die Leere interpretiert. Vielleicht auch dieser Film. Wie die Stickerei bei den Frauen. Beschäftigungstherapie. Filmherstellung und Fieselei als Sokurows Beschäftigungsthearpie?

Der Erdenkreis ist zu eng. Das vielleicht das Motto des Filmes, die Begründung für das enge Format, für die Orientierung an der Malerei von Romantik und Biedermeier.
Kleiner Seitenhieb auf die Russen: Ist er ein Verrückter? Nein, ein Russe.
Volksnah: Ida sagt immer Unisität statt Universität.

Fast surrealistisches Bild, wenn dem Wagner der Homunculus samt Flasche auf den Boden fällt, die Flasche kaputt geht und das Homunculuschen halb zerquetscht daliegt und atmet wie ein Frosch.
Das Hasenbild von Dürer an einer Stelle zitiert. Kunstgeschichtskino?

Der Mephisto, der hier nicht Mephisto heißt, sondern der Wucherer (eine anatomisch abgrundtief, russisch komische Figur, statt mit Klumpfuß mit keinem Darmausgang vorn und mit einem Geschlechtsteilchen hinten baumelnd und großer Bauchwust).
Wie dieser Wucherer, während Faust in einer Kirche mit Margarete spricht, sich an einer hölzernen Marienstatue erotisch zu schaffen macht, bewusst despektierlich. Russische Fantasie. Dürfte in Deutschland auf nicht allzu fruchtbaren Boden fallen.

Faust im Gespräch mit Margarete, dass er sich den Tod der Mutter gewünscht hatte.
Garantiert kein aufklärerisches, kein analytisches Kino.

Sokurows Anti-3D-Kino auf Schrumpfdimension und gar nicht humorfrei, aber nicht unbedingt unsere Humorlage.

Schon am Anfang das schwer symbolisch aufgeladene Spiegelchen, das aus den Wolken hängt, wie ein Autorückspiegel.
Die Machart macht dieses Kunstwerk. Dieses Künstlichwerk.
In den Rüstungen, Faust, wir sind Leute, Großes zu erreichen.
Heinrich der Mächtige und Maurizius, wie der Wucherer sich in der Rüstung nennt, bevor sie sich auf den Weg zu den Geysiren aufmachen, Maurizius der Dunkle.

Alpenwüstengegendbilder wie in Passolinis Passion in den Armeleutegrobstoffhemden.
Vorm Geysir noch die Diskussion über die ewige Einsamkeit. Das Kino als ein Mittel gegen diese ewige Einsamkeit oder nur Ausdruck derselben?

3 Gedanken zu „Faust“

  1. Ich bin kein Fan davon, wenn ein Journalist versucht, möglichst intellektuell klingen zu wollen. Sie verheddern sich in wirren Relativsatzkonstruktionen, was dazu führt, dass sie schwer leserlich sind.

    Aber genau das sollte einem Schreiberling, welcher eine Öffentlichkeit (!) erreichen will, nicht passieren.

    Ich würde Ihnen empfehlen einmal den guten Herrn Wolf Schneider zu studieren:
    http://www.youtube.com/watch?v=B5yf9iBhNzk

    Dein Gerd

  2. Danke Gerd für das Feedback. Es ist in der Tat ein Thema, was diskutiert werden könnte, wie kompliziert darf Filmfjournalismus sein? Ich nehme für diesen nicht geschützten Begriff eher eine offene Position in Anspruch. Es gibt sicher einfachere Lösungen. Punkte und Sterne, Smileys oder Daumen rauf, Daumen runter, Schubladisierungen nach Genre und Filmhistorie oder vielleicht auch den flankierenden Rückgriff auf André Bazin oder Kracauer. Es gibt komparative Möglichkeiten der Betrachtung, der Beste, der Größte, der Schlechteste, besser als oder schlechter als. Etwas komplizierter kann es werden, wenn einer zu bechreiben versucht, was er gesehen hat, sei es, weil es bei einem Film knirscht und knarzt, sei es dass zu viele Förder- und TV-Redaktionsköche den Filmbrei verdorben haben, oder auch, weil eine nicht gleich ersichtlich sortierte/sortierbare Überfülle von Bildern und Sujets auf einen einprasselt oder auch, wenn man versucht zu beschreiben, warum einem ein Film gefallen hat oder warum nicht, oder wenn ich zu analysieren versuche, warum etwas funktionieren könnte oder auch nicht, dann betrete ich sozusagen formulierungsmäßiges Neuland, muss erforschen und kann nicht unbedingt alles über eine leichten Begriffskamm scheren. Andererseits ertappe ich mich selbst, wenn ich Reviews von anderen überfliege, dass ich schnell ungeduldig werde, vornehmlich allerdings im Fällen von Geschwätzigkeit, Allgemeinplätzigkeit oder Abschweifung auf Nebenschauplätze. Selbst habe ich kein ganz exaktes Bild von der Leserschaft dieses Blogs hier; die Feedbacks lassen jedoch auf ein breites Spektrum verschiedener Interessen am Film schließen; sowieso gilt: allen Lesern recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Im übrigen ist es nicht meine Absicht, „möglichst intellektuell klingen zu wollen“ – was sollte ich mir davon versprechen?

  3. Wer sagt denn, dass Stefe eine Öffentlichkeit erreichen will? Vielleicht will er ja nur was schreiben, und lesen kann das, wer will. Nicht jede Webseite ist nach einem Businessplan getrimmt darauf, möglichst leichte Kost für möglichst viele Leute anzubieten und dabei möglichst viele Klicks zu generieren. Think outside the box…

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