Bezaubernde Lügen

Ein Mann, ein einfacher Mann, ein richtiger Mann, der noch dazu Jean heißt (gespielt von Sami Bouajily), der ist in der zentralen Location dieses Filmes, dem Frisörsalon „Les Intondables“ (was locker aus dem Handgelenk übersetzt heißt, „hier ist Frisieren schwierig“!) für die kleinen Reparaturarbeiten zuständig und erledigt diese auch hingebungsvoll. Diese Hingabe interpretieren die Frisösen, wofür gleich mehrere wundervolle französische Schauspielerinnen besetzt worden sind, doch glatt als Hingabe des Mannes an die Frau, und das bringt den Laden allein schon zum Kochen. Wie sich dann noch herausstellt, dass dieser Mann, dieser Jean, auch noch hochgebildet ist (dass er fließend Koreanisch fluchen kann, wird bei einer Beschimpfung zweier Ladendiebinnen offenkundig), dass er literarisch begabt ist und die herzzerreißendsten Liebesbriefe schreiben kann, so sind hier dramaturgische Strukturen ausgelegt, die die liebeshungrigen Damen jeden Alters auf Trab halten und auf die verwirrendsten Wege der Gefühle schicken, die aber hier, so viel sei verraten, denn wir sind nicht bei Alfonse de Musset, gut enden werden. Denn das können die Franzosen, die Liebe und die Spiele um die Liebe herum und sie können es im Film und in der Kunst und sowieso im Leben, soviel zum positiven Vorurteil, was hier seine Bestätigung findet.

Die Deutschen können das wohl weniger. Vielleicht sind sie zu verbiestert, zu ernsthaft. Darum heißt denn die deutsche Übersetzung von „De vraies Mensonges“ eben auch „bezaubernde“ Lügen und nicht „wahrhaftige“, „aufrichtige“, „lebenswahre“, „wirkliche“ , „reine“, „unverfälschte“.

Die Deutschen scheinen auch so sensible Wortspiele nicht besonders zu mögen. So könnte man werweißen, was die Deutschen unter so einem Film erwarten werden, der „bezaubernde Lügen“ heißt. Klar, wenn, Audrey Tautou mitspielt, erwarten sie vielleicht so etwas, wie „die fabelhafte Welt der Amélie“; und eine schöne Prise davon ist in diesem Film von Pierre Salvador, der mit Benoit Graffin auch liebevoll das Drehbuch entwickelt und geschrieben hat, bestimmt erhalten, auf durchaus zauberhafte Weise.

Die deutsche Übersetzung des Titels ist vielleicht mehr als Marketing-Gag gedacht. Hier ist allerdings nicht nur eine fabelhafte Amélie-Welt zu finden, hier sind fabelhafte Frauenwelten, die Franzosen scheinen im Film davon über einen unerschöpflichen Fundus zu verfügen, an filmzauberhaften Frauen; hier angeführt von Nathalie Baye als Maddy Dandrieux. Sie ist die Mutter von Emilie, gespielt von Audrey Tautou.

Der Mutter ist der Mann, ein erfolgreicher Künstler, abhanden gekommen; er hat ein Verhältnis mit einer Jüngeren, das setzt der Mutter sehr zu. Emilie führt den gut gehenden Frisörsalon, Stephanie Lagarde als Sylvia und Judith Chemla als Paulette sind männerherzenbezaubernde weitere Frisösen und immer wieder als Mittlerinnen für die Feigheit des einen oder anderen Protagonisten in Sachen Liebesdingen gefordert.

Emilie ist nämlich in Jean verliebt. Sie kann ihm das aber nicht sagen. Jean wiederum verliebt sich in Emilie und schreibt ihr einen anonymen, höchst literarisch-romantischen Liebesbrief. Sie distanziert sich allerdings immer mehr von ihm, wie sie darauf kommt, dass er ihr sprachlich haushoch überlegen ist und nachdem er sie immer mal wieder korrigiert hat. Sie lässt nur noch ihre Mitarbeiterinnen mit ihm kommunizieren.

Sie weiß allerdings nicht, woher der anonyme, handgeschriebene Brief kommt. Dieser bringt sie auf ganz andere Gedanken. Sie tippt den wunderschönen Text ab, druckt ihn mit dem Computer aus und schickt diese Fälschung an Maddy, ihre Mutter, um sie aufzuheitern, um ihr den Lebenselan wieder zu geben nach der Enttäuschung mit ihrem Mann. Maddy springt voll an auf diesen Brief, es juckt sie überall und die Tochter sieht sich gezwungen, weitere solche Texte zu erfinden, allerdings nicht gerade kongenial, köstlich, wie sie vorm Computer hockt und krampfhaft liebestextet. Als Postillion d’amour setzt sie Jean ein. Die Mutter folgt ihm und hält ihn richtiger- wie irrtümlicherweise für den Schöpfer der Zeilen; so gelangt sie directement in den Frisörsalon. Damit ist die Ausgangslage für diese herrliche, teils skurrile, teils groteske Liebesverwicklungs- und Liebesverwirrungskomödie gegeben, die den Zuschauer heiter aus dem Kino entlassen wird.

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