Tom Sawyer

Bei Mark Twain, auf dessen Geschichte der Film beruht, kann schon nichts schief gehen, werden sich die Produzenten gedacht haben. Die Kinobearbeitung von Sascha Arango ist durchaus dazu angetan, eine Kinospannung zu erzeugen, sie behält konsequent die Erzählebene von Tom Sawyer und seinem Freund Huckleberry Finn bei. Die Dialoge sind, wenn auch nicht das Non-Plus-Ultra an Sprache fürs Kino, so doch handlungsförderlich. Das dürfte das Solideste an der Geschichte sein, sicher auch die Kostüme und die Ausstattung und die Mississippilandschaft, die Computertechnik an der Havel möglich machte.

Die Geschichte braucht hier nicht referiert zu werden; die dürfte sattsam bekannt sein. Aber dann fängt es vom Kinostandpunkt aus, also vom Anspruch her, werthaltiges Kino zu sehen, doch arg zu hapern an. Die Regie übernahm Frau Hermine Hundgeburth. Sie erledigte ihre Arbeit vom Produzentenstandpunkt aus bestimmt ausgezeichnet, indem sie den Drehplan eingehalten haben dürfte. Leider scheint sie kein Interesse, keine Zeit oder keine Gefühl für Sprachregie zu haben. Oft sprechen die Schauspieler zu laut, zu aufgesetzt; nur ein Beispiel: wenn Tom und Huck sich auf dem Dachboden der Hütte des Indianer Joe verstecken, und sie wissen, dass er ihnen ans Leder will und er ist hier im Film ganz besonders bös dargestellt, aber dazu später, und wie er dann mit seinem Kumpel die Hütte verlassen hat, so lehnen die beiden Buben sich entspannt an die Wand, schnaufen aus und unterhalten sich dann in Normallautstärke, als sei nichts gewesen und als könne der Joe nicht jeden Moment wieder zurückkehren.

Da ist aber noch ein anderes Problem: Mississippi ist tiefer Süden in den USA, da spricht garantiert kein Mensch irgend ein Hochamerikanisch, wie die hier und das ist besonders bei den Buben ärgerlich, ein superglattes, aalglattes TV-Hochdeutsch sprechen; das tut den Figuren gewaltigen Abbruch. Frau Hundegburth scheint aber auch kein Interesse oder keine Zeit oder kein Feeling für die Arbeit an den Figuren der Schauspieler zu haben. Die Buben grinsen viel zu oft, als hätten sie gerade in einer TV-Show was gewonnen; Frau Hundegburth scheint sich überhaupt nicht für Menschenbeobachtung und daraus zu erzielende Impulse für die Figuren und damit den Wert eines Filmes zu interessieren.

Wenn zum Beispiel Heike Makatsch, die auch überrissen böse gezeichnete Tante Polly spielt, in der Kirche weint (das ist da, wo sie glauben, Tom sei gestorben), dann kommt das so übertrieben und gekünstelt rüber, so unglaubwürdig; genauso wie die Figur des Indianer Joe, was krampft sich hier Benno Fürmann ab um diesen unnüanciert bös, bös, bös zu spielen. Mark Twain hat die Figur garantiet nicht so entworfen. Natürlich steht nirgendwo geschrieben, der Regisseur oder die Regisseurin hätte den Schauspielern zu glaubwürdigen Figuren zu verhelfen. Aber, da kommen wir zu einem weiteren Punkt: dem Cast. Der scheint hier in praktisch allen Positionen ein Missgriff zu sein. Angefangen bei den beiden Buben. Man sieht ihnen einfach die guten deutschen Verhältnisse an, aus denen sie stammen (könnte man ja machen, aber dann müsste das im Rahmen deutlich werden, dass Wohlstandsbuben arme Mississippi-Kinder darzustellen versuchen). Vielleicht hätte man da in Asyllagern suchen müssen, in Outsiderverhältnissen. Buben, die andere Dinge erleben, als ein Kid, der heutzutage in geordneten deutschen Verhältnissen mit dem Auto von Spieltermin zu Schultermin zu Sporttermin zu Klaviertermin zu Sprechertermin zu Drehtermin gefahren wird. Warum spielt Peter Lohmeyer, den man doch sonst als Protagonist kennt, die Minirolle des Richters Thatcher und fühlt sich außerdem noch sichtbar unwohl oder gar unsicher darin? Vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass eine solche Charge oft schwieriger zu spielen ist als ein Hauptpart. Was ist der Sheriff für eine merkwürdig unterdrückte Figur? Einzig der Sargschreiner Muff Potter, gespielt von Joachim Krol, zeigt meines Erachtens Qualitäten, die Empathie ermöglichen; spielt die Rolle, als sei es die Rolle seines Lebens. Im Kino sollte man diesen Anspruch von allen Darstellern erwarten (das machen uns doch gerade die so oft gepriesenen Amerikaner immer wieder vor).

Auch der Lehrer ist ein merkwürdig krümelige Figur, nicht Fisch nicht Fleisch, nicht Wissenschaftler, nicht Pädagoge. Er tut so, als ob sein Job und seine Rolle schwierig seien. Nicht zufriedenstellend.

Insgesamt ein Produkt, das lediglich für den deutschen Markt gedacht sein kann. Wenn man an die Südstaaten denkt, so fehlt hier vollkommen das darstellerische Temperament. Auch so eine Fernsehkitschszene, wie die Buben auf dem Floß sich umarmen. Generell: die Darsteller tun mir zu oft so als ob. Aber Tom und Huck haben doch ernsthafte Probleme zu bewältigen; das kommt für mich auch durch das Spiel der Erwachsenen überhaupt nicht raus. Wir machen hier eine Sause. Wir spielen hier Film. Sommerurlaub für die Kids. Das ist so kein Wonnepfropfenkino. Aber für den inländischen Markt offenbar brauchbar. Das dürfte am meisten dem Buch zu verdanken sein, dass wenigstens das funktionieren könnte. Man könnte auch sagen: ein Mark Twain lässt sich nicht so leicht umbringen.
Im übrigen ist der Film mit fast zwei Stunden deutlich zu lang.

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