Wer hat nicht schon von der eigenen Beerdigung geträumt und sich vorgestellt, wie die Leute alle weinen und Kerzen anstecken und dass das womöglich in den Nachrichten kommt und dass die Nachwelt einen als einen wichtigen, vorbildlichen, unersetzlichen Erdenbürger und Zeitgenossen betrauert, dass das ganze Land um einen weint, wer kennt das nicht. Um sich dann noch zur Überraschung aller die eigene Auferstehung vorzustellen. Diese Fantasie malt sich unsere Hauptfigur, Oliver Tate, ein Heranwachsender in einem idyllischen Hafendorf in Wales, Great Britain, aus. Er lebt mit seinen Eltern, dem Vater, einem Meeresbiologen und der Mutter, die gerade mit dem Nachbarn, einem Esoteriker, anbandelt, in einer Einfamilienhausgebäulichkeit. Im Prolog zum Film, der die erwähnte Todesfantasie enthält, geht es des weiteren um die Konstitution des Individuums. Im Zimmer von Oliver, fallen vor allem ein Skelett und ein Fernrohr auf. Damit kann er bei den Nachbarn geistig „fensterln“.
Das erste Kapitel ist überschrieben mit: Jordana Bevan. Das ist ein ziemlich lausiges Mädchen an der Schule. An sich war Oliver in Zoe verliebt, eine dickliche junge Frau und Outsiderin. Die hatte er sogar einmal geküsst. Aber sie ist dann zum Opfer eines Mobbings geworden. Nachdem die Burschen inklusive Jordana sie in den Wald getrieben und ihr die Schultasche entrissen haben und sie beim Versuch, diese wieder zu fangen, rittlings in einen Tümpel gefallen ist, ab diesem Tag ward sie in der Schule nicht mehr gesehen.
Doch die jungen Burschen wollen die Mädels kennen lernen. Eine Freundin ist für das Image auf der Straße, für die sogenannten „Street Credits“ von hervorragender Bedeutung, so raisonniert zumindest unser Oliver. Er macht sich also ausgerechnet an Jordana ran, die sich erst sehr schnöselig benimmt und nach einigen Komplikationen schafft er es, schafft er „das erste Mal“. Die Mutter ist erst geschockt und will schon sagen, sie hätte ja gemeint, er sei …, aber das Wort kommt ihr doch nicht über die Lippen. Mit Jordana als Lebensabschnittspartnerin windet sich Oliver durch die Wirren des Coming of Age, mit einer atavistischen Liebe, die hinten und vorne keine Liebe ist. Man hat den Eindruck, auch das Mädchen macht das mit, um es kennen zu lernen. Doch die beiden haben keine gemeinsamen Interessen. Das zeigt sich, wie er ihr einen Packen Bücher zum Lesen geben will, Nietzsche und dergleichen. Dafür ist sie ein karger Boden. In der Schule gibt es nebst Froschschenkel-Experimenten noch eine Schwulenhatz auf ihn; aber Jordana hatte bei ihrem ersten Kuss Fotos geschossen. Die dienen unverhofft zum Beweis des Gegenteils. Es gibt sogar einen Besuch bei ihren spießigen Eltern. Doch ihre Mutter hat einen Gehirntumor.
Über die kurze heftige Liebes- und Brunftzeit mit Jordana drehten die beiden auch einen Super-8-Film, der in voller Länge eingespielt wird, wie sie nachts auf dem Rummelplatz sind, am Meer, wie sie Wunderkerzen abbrennen lassen, vorgespieltes Liebesglück pur.
Der Film dürfte Mitte der achziger Jahre spielen, denn die Eltern gehen immer donnerstags ins Kino, sie wollten an diesem einen Tag, an dem Oliver Jordana eingeladen hat, einen Rohmer schauen, waren dann aber im Crocodile Dundee. Die Phase mit Jordana ist in dem Moment zu Ende, in dem sie einen anderen nimmt, den mit dem sehr langen Hals. Oliver geht deswegen nicht zugrunde noch bringt er sich um. Jetzt kümmert er sich und das ist das zweite Kapitel, um „Graham Purvis“. Das ist der esoterische Nachbar – und diesem und dessen Frau guckt er in die Fenster. Er nennt sie die Ninas. Dieser Purvis wird sich im zweiten Kapitel von seiner Frau trennen. Ab hier verlässt die Story das übliche Coming-of-Age-Feld, denn Oliver spioniert jetzt seinen Eltern nach, spioniert sie aus; wenn sie nicht zuhause sind, wühlt er in ihren Dingen, er will etwas erfahren über ihr Leben, über ihre erwachsene Liebe und er weiß, dass es sieben Monate her ist, dass die beiden zum letzten Mal Sex gehabt haben. Außerdem hat er herausgefunden, dass dieser Purvis ein merkwüdiger falscher Heiliger ist, der Sessions über die Kraft des Lichtes und die seelische Freiheit abhält. Und Mutter geht plötzlich wieder zu seinen Vorträgen. Wobei zu sagen ist, dass sowohl Mutter als auch der Vater und auch dieser Purvis, sehr reduzierte Figuren sind, mit wenig Ambition zu Persönlichkeit und Individualität, eher wie leicht sterile Serienmodelle des Vater- und Muttertypes, aber in nicht-klischeehafter Besetzung.
Oliver interessiert sich also für die Praxis der Ehe der Eltern oder die vermeintliche Krise; er schreibt einen falschen Brief an die Mutter, unterschrieben mit Lloyd, dem Vornamen des Vaters, dass er doch wieder mit ihr schlafen wolle. Kurz, Oliver will, wenn er mit sich schon nicht zurecht kommt, obwohl er an einem Punkt auch die Erkenntnis hat, dass er sehr gut mit sich allein zurecht kommt, die Ehe der Eltern retten oder wiederbeleben.
Das dritte Kapitel ist überschrieben mit „Show-Down“. Unter anderem muss Oliver in der Schule einen dieser Kassiber vorlesen, die sich die Schüler – immer schön in Uniform – während des Unterrichts gerne zustecken; ausgerechnet der war ein Liebesgeständnis an Jordana. Gebasht werden für die Liebe.
Beim Rekapitulieren des Filmes fällt mir auf, dass das gar nicht so leicht geht. Mitten beim Schauen hatte ich den Eindruck, dass es ein rein privatistischer Film ist. Die Langsamkeit und Unaufgeregtheit der Erzählweise erinnerte mich mehr daran, wie ein Mensch, der Dinge, die er vielleicht schon vergessen hat, wieder versucht an den Tag zu bringen. Das geht nicht immer in der Reihenfolge und das geht auch nicht leicht. Der Eindruck entsteht, dass der Regisseur und Drehbuchtautor Richard Ayoade ein Originalvorbild, was in diesem Falle ein Buch von Joe Dunthorne ist, getreulich nacherzählen will. Und dass ihm mehr um Korrektheit als um einen eleganten Fluss von Geschichte geht. Dieses sehr Individuelle hat aber auch zur Folge, dass es nicht als prototypisch für den Begriff „Coming of Age“ stehen kann, wenn auch viele der Elemente enthalten sind.
Was mich beim Erinnern am meisten verwundert und auch weiter beschäftigt, ist die Parallele der Krisen der Pubertät des Kindes mit der Krise in der Ehe der Eltern. Das kommt zwar oft vor in solchen Filmen, dass die gerade in Scheidung sind, wird aber doch meist mehr informativ als eher zufällige Nebenerscheinung abgehandelt. Was mich hier fasziniert ist, dass dieser Film sozusagen der Verwicklung von Eherkrise der Eltern und Coming-of-Age-Krise der Jungen auf die Spur kommen will. Ein Gebiet, wo es meiner Meinung nach noch so einiges auszuloten gäbe.