Das Kino und geistige Gehalte. Das Kino und die Dokumentation. Hier scheinen wir es eher mit einem naiven Begriff von beidem zu tun zu haben. Bettina Wilhelm, die Autorin und Regisseurin dieses Filmes, ist die Enkelin des berühmten, von ihr hier vorgestellten Richard Wilhelm, dessen Hauptwerk, die Übersetzung des I Ging auch heute noch gebräuchlich ist. Also machte sie einen Film über den Großvater, machte sich auf, seinen Spuren zu folgen. Herausgekommen ist ein sehr privates, wenn auch nicht unsympathisches Durcheinander auch vom Bild her. Es gibt wie immer in solchen Bildmontagewerken spannendes historisches Material, hier aus China, denn Wilhelm lebte lange Zeit in Shanghai. Das war um die vorletzte Jahrundertwende, Zeit des Boxeraufstandes und Zeit des Ersten Weltkrieges. Er sollte dort Missionar sein. Er stammte aus dem Schwäbischen. Ihn interessierte aber nicht so sehr die Taufe oder Bekehrung von Chinesen. Vor allem interessierte ihn das Studium des Chinesischen und von chinesischen Schriften.
Der Film fängt damit an, dass die Regisseurin erst mal sich selber zeigt, im Flugzeug nach China sitzend und auf die Wolken hinunter schauend. Sie erzählt, dass sie im Rahmen der Vorbereitung für den Film auch Kontakt zu einem Experten für das I Ging aufgenommen habe, einem Professor Smith in England. Und auch zu einem Experten für das I-Ging-Orakel. Den sieht man dann immer mal, oft ohne Kopf, mit Schafgarben und Münzenwerfen die Vorbereitungen für die schicksalshafte Seite des I Ging treffend. Der Hauptteil der Lehre sei aber, was der Mensch dann mit dieser schicksalshaften Ausgangslage, die der Spezialist anschließend mit komplizierten Zahlenreihen, Hexgrammen und Trigrammen, die ein Bild ergeben, ablesen kann, was der Mensch also daraus mache; das scheint, dem Film zu entnehmen, die Essenz dieser chinesischen Lehre zu sein. Sie sei bei uns im Westen vor allem in den 70er Jahren bei der Jugend sehr In gewesen; schließlich kannte Richard Wilhelm auch Hermann Hesse (der auch die 70er Jahre Jugend weltweit angesprochen hat), Albert Schweizer und C. G. Jung (um dieses zu illustrieren gibt es ein Insert mit dem Blick auf das Jung-Haus in Küsnacht am Zürichsee; kürzlich auch bei Cronenberg zu sehen).
Es ist wie eine Fernsehdokumentation mit einem eher ermüdend auf „schön“ und auf schmeichelhaft von Sylvester Groth gesprochenen Kommentar.
Dann hupft die Erzählung von China wieder nach Deutschland, nach Stuttgart, wo Wilhelm in der Blumenstraße geboren worden sei, und das wird auch mal schnell hoppla-di-hopp ins Bild genommen. Dann der Schlosspark mit merkwürdigen Aufnahmen von einer Venus, die Wilhelm als Junge mal geküsst habe. Privates Material mit sehr wenig Bezug zum im Titel versprochenen Thema. Das kommt dann erst gegen Schluss wieder, nach einem wilden Bilderrodeo mit vielem x-beliebigem Straßenmaterial aus dem heutigen China, Wald-, Wiesen- und Teichmaterial sowie Aufnahmen von einem Kloster, einer Kirche, Hochhäusern; offenbar alles schnell und ohne großes Konzept geschossen (so zufällig wie der Wurf der Münzen für das I-Ging-Orakel).
Über dem Bilderwust Zitate vom alten Wilhelm, Berichte, wie er beim Boxeraufstand – da gibt’s grausliche alte Fotos von Leichen, neben denen die abgeschlagenen Köpfe liegen – und wie er, da die Chinesen die Deutschen nicht verstanden und die immer gleich geschossen haben, es schaffte, da er des Chinesischen mächtig war, zu vermitteln und dem Blutbad ein Ende zu bereiten. Dann ist wieder die Rede von Konfuzius, davon dass es bei ihm um ein liebevolles und vorurteilsloses Verstehen gehe; Wilhelm habe die Gespräche des Konfuzius übersetzt. Eins erzeugt Zwei. Zwei erzeugt Drei. Das Drei erzeugt alle Dinge. Alle Dinge haben im Rücken das Dritte und stehen im Schatten. Das Strömen der Kraft gibt Harmonie.
1911 kam in China das Ende einer zweitausendjährigen Herrschaft. Dazu gibt es einem schönen historischen Ausschnitt zu sehen, wie einer Frau der Zopf abgeschnitten wird. Zusammenbruch des alten China.
Die besten Fotos stammen vom Fotografen Ren Xiha, der ein heutiger Fotograf ist und ein sehr gutes Auge für die Verhältnisse hat – im Gegensatz zu unserem touristischen Kameramann. Dazwischen wieder Familiäres, Papa Wilhelm und seine vier Söhne. Der jüngste war der Vater der Dokumentaristin. Sie selbst sei auch in China aufgewachsen. Aber der Film erzählt nicht, wie sie dorthin gekommen ist, denn 1920 kehrte Wilhelm zurück nach Deutschland.
Es ist wirklich nicht leicht, so ein Durcheinander, das sich in etwa an der Historie, also der privaten von Wilhelm orientiert, zu referieren, mit all den Zwischenbemerkungen zu den Übersetzungen. Der Film ist nicht dem Titel gerecht und ausgehend vom wichtigsten Werk Wilhelms strukturiert worden. Keine kinokundenfreundliche Gestaltung. Und was dann in China weiter war mit dem, was nach dem Zusammenbruch der alten Herrschaft passiert ist, kein Wort davon. Nur dass Wilhelm danach wieder zurückkehrte als wissenschaftlicher Berater der deutschen Botschaft in Peking. Und 1924 wieder nach Deutschland fuhr. Denn die Familie, die hatte er dort gelassen. Er habe dann Vorträge gehalten. Und einen Lehrstuhl für China in Frankfurt am Main innegehabt, sei aber angefeindet worden, wegen seiner angeblich nicht ganz wissenschaftlichen Methoden.
Dabei war früher im Film erzählt worden, wie sorgfältig er sein Übersetzungsgeschäft betrieben habe. Erst hat er eine Übersetzung aus dem Chinesischen angefertigt. Dann ohne das Original eine Rückübersetzung ins Chinesische vorgenommen. Diese dann ganz genau mit einem Chinesen durchgegangen und so weiter. Und die Vision einer neuen Kultur von Ost und West zusammen. Da fällt mir gerade auf, das ist eigentlich höchst aktuell. Auf diesen Aktualitätshinweis verzichtet der Film ganz. Frau Wilhelm Enkelin war nur überrascht, mit wieviel Hochachtung sie überall empfangen wurde. Es gibt auch noch die Schule, die ihr Großvater gegründet hat.
Vielleicht ist das Kalkül hinter diesem Film, es handle sich ja um eine bekannte Persönlichkeit und ein heute noch bekanntes Buch und so werden die Leute schon ins Kino strömen, denn es kommt im Film ja vieles vor, was mit Wilhelm und dem I Ging zu tun hat.
Das alte Missverständnis, dass ein spannender Stoff Grund und Anlass genug seien, einen Dokumentarfim zu finanzieren und zu drehen, erst recht, wenn die Dokumentaristin als augenfälligstes Merkmal vor allem die Verwandtschaft mit der Berühmtheit aufzuweisen hat. Es macht aber schon einen Unterschied, ob man so einen Film für die eigene Familie und Bekannte dreht, so wie es hier aussieht, oder ob man mit öffentlichen Geldern diese Geschichte der Öffentlichkeit nahe bringen möchte.