Eine dunkle Begierde

David Cronenberg hat jetzt den Zustand der Meisterschaft erreicht. Er zwingt die Geschichte, die sich zwischen Carl Gustav Jung, seiner Patientin Sabina Spielrein und Sigmund Freud abspielt nach einem Buch von Christopher Hampton und John Kerr in stilvolle Bilder, an denen nichts auszusetzen ist, außer, dass daran nichts mehr auszusetzen ist. Ein Meisterwerk, wobei heute noch unklar ist, wie anfällig dieses gegen den Staub der Zeit sein wird. Zu vermuten: bald schon ein alter Schinken, über dessen Entstehung und Macher gerätselt werden wird, weniger ein ever-challenging Werk der Filmgeschichte, wobei spätere Entdecker erstaunt und erfreut sein dürften über diese oder jene Lichtsetzung, diese oder jene Figurführung, zum Beispiel die anfänglich doch sehr anfängerhaft und übertrieben wirkende Darstellung der Patientin Sabina Spielrein, gespielt von Keira Knightley, und wie das aber sehr gezielt gesetzt, von ruhiger, unaufgeregter Hand geführt sei.

Ein andere Frage ist, wie weit der Film einen Beitrag leisten kann zur Kenntnis der Entwicklung der Psychoanalyse hinsichtlich des Kontaktes zwischen Freud und Jung und der Erotikspiele von Frau Spielrein dazwischen.

Frau Spielrein kommt als Patientin zu Jung, wird dann zu seiner Mitarbeiterin und Gespielin; die Frau von Jung schluckt das, eine merkwürdige Dreier-Beziehung; dann versucht Frau Spielrein auch Herrn Freud anzumachen.

Den vorzüglichen Boden für dieses Meisterwerk hat Christoper Hampton mit dem Drehbuch nach dem Roman von John Kerr „A most dangerous Method“ gelegt. David Cronenberg führt seine Darsteller Michael Fassbender als Carl Gustav Jung (den Jung habe ich mir persönlich allerdings ziemlich anders vorgestellt), Keira Knightley als Sabina Spielrein und Viggo Mortensen als Sigmund Freud mit meisterlicher Hand.

Es sind Kleinigkeiten in der Schauspielerei, die zu schauen viel Vergnügen bereitet, wenn Jung bei Freud in Wien zu Besuch ist: eine Essenseinladung, Jung schaufelt seinen Teller voll, hat eine Platte schon halb leer geräumt, da öffnet die Kamera zum Rest der großen Tafel, an der noch viele Teller zu füllen sind, und wie Jung mit einem überspringenden Ignorieren sich seinem Teller zuwendet oder noch subtiler der Moment, wo Jung Freud gegenüber erwähnt, dass er eine reiche Frau habe, die kurze, knappe Reaktion von Freud, herrlich; dazu gibt es ein Echo, wenn die beiden nach Amerika reisen und kaum haben sie das Schiff betreten, und Jung sagt, er müsse jetzt da lang, denn seine Frau habe ihm eine Erste-Klasse-Passage besorgt.

Was den Film auch hervorhebt oder zumindest zu einer Augenweide für Tüftler macht, das ist die Ausstattung, diese ganzen motorgetriebenen Gerätschaften, die Jung für ein frühes Modell eines Lügendetektors entwickelt hat oder die Innenausstattung des Freudschen Büros in Wien, sieht alles nie museal aus, sondern so, als ob es gerade modern und frisch und gebraucht wäre. Das trägt durchaus zu einem Eindruck von Frische eines historischen Filmes bei, wie man sie nicht allzu häufig sieht. Meist werden diese Art von Museumsstücken auch als solche präsentiert, bei Cronenberg oder seinem Ausstatter sind sie frisch gebohnert.

Übliche Seitensprunggeschichte: der Seelenarzt, seine Gattin und die Patientin; die verlogen in der Villa am Zürichsee weiter geführte Ehe von Jung. Wobei diese Ehe von Anfang an wie ein begleitendes Möbelstück in Jungs Wissenschaftler-Karriere gezeichnet wird. Kinder müssen her, so lange, bis ein Junge wird. Zu dem Zeitpunkt ist die Beziehung zu Frau Spielrein längst nicht mehr rein.

Netter Hinweis auf die Differenz von Theorie und Praxis: wie Frau Spielrein Jung den ersten Kuss gibt und er verwundert meint, das müsse der Mann doch leisten und sie antwortet, in jeder Frau stecke doch Männliches und in jedem Manne Weibliches.

Schöne Ankündigung, schön symbolhaft auch, wie Jung bei einem Spaziergang mit der Spielrein, wie sie noch Patientin ist und ganz neu, den Mantel mit dem Stock ausschlägt, um Dreck abzuwischen und sie sofort zurück ins Spital will. Später will sie von ihm geschlagen werden.

Das macht die Szenen gut erinnerbar, dass Cronenberg eine sehr ruhige Kamera einsetzt, gerade mal bei einem Spaziergang mit Steadycam arbeitet, aber dass die Bilder immer wie Standfotos aussehen, so dass das, was sich zwischen den Figuren tut, im konzentrierten Mittelpunkt steht, dazu noch in stimmiger Ausstattung. Cronenberg findet schöne Bilder. Wenn Jung mit Spielrein in seiner Yacht liegt, von hoch oben fotografiert, das Segelschiff, das ihm seine Frau geschenkt hat. Das bleibt allerdings im Dunkeln, wie die beiden sich kennengelernt und lieben gelernt haben, und warum Jung anfällig für die Geschichte mit Spielrein wurde. Er wollte die Beziehung aus Gewissengründen an einem bestimmten Punkt beenden. Sie ließ das nicht zu und wandte sich an Freud. Das zeitigt einen schönen kleinen Briefwechsel zwischen Freud und Jung.

2 Gedanken zu „Eine dunkle Begierde“

  1. Solange Cronenberg nicht zu seinen alten Genre-Themen zurückkehrt, wird es keine Meisterwerke mehr von ihm geben. Von dem Mann will ich „Videodrome“, „Scanners“ oder „Die Fliege“ sehen, kein „A History of Violence“ oder irgendwelche Russenmafiafilme…

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