Die Höhle der vergessenen Träume

Werner Herzog ist nicht bekannt dafür, es dem Zuschauer leicht machen zu wollen und da er hier eine Weltexklusivität über einen Zeitraum von 30’000 Jahren zu bieten hat, nämlich die erst 1994 entdeckten Chauvet-Höhlenmalereien und damit der Zuschauer nicht in ein allzu leichtes Konsumentenverhalten verfällt, in allzu eingeübten Kulturgenuss und Konsumismus, wird er für diese Reise in die Vergangenheit dadurch bestraft, dass er eine 3D-Brille tragen muss.

Wobei das wirklich beschwerlich ist, denn die Bilder verlieren an Licht, was besonders schmerzlich ist in Höhlen, die sowieso nicht so hell beleuchtet werden dürfen, in diesen maximal gesicherten und geschützten Höhlen, geschützt vor dem Publikum und dem Atem und der Luft und dem Licht der Heute-Zeit. Denn es gilt ein Menschheitserlebnis von vor 30’000 Jahren zu besichtigen. Vielleicht sogar den Beginn der bildnerischen Fähigkeiten des Menschen, Rinder, Panther, Wollnashörner, Hyänen, Höhlenbären, Mammuts und Eiszeitlöwen abzubilden.

Die Malereien sind eindrücklich. Man erstarrt leicht vor der Dimension von soviel Jahrtausenden. Die belegen auch eindrücklich die Tropfsteingebilde oder die glasierte Schicht, die sich über die Jahrtausende über die Skelettknochen und Schädel von offenbar in der Höhle verendeten Tieren gebildet haben.

Diese Höhlen sind der Öffentlichkeit absolut nicht zugänglich. Lediglich Forscher dürfen einige Monate im Jahr und jeweils nur einige Stunden am Tage sich darin aufhalten. Werner Herzog hat hier, allerdings auch mit x Auflagen, eine wirklich einmalige Möglichkeit erhalten, diese Dokumentation anzufertigen. Um kein allzu beengendes Gefühl aufkommen zu lassen gibt es aber auch genügend Außenaufnahmen mit Interviews von Forschern oder vom Weg zur Höhle oder einen Exkurs zur frühen Herstellung von Flöten aus Knochen oder die Unterhaltung mit einem Parfümier, der sich über den Geruch von Höhlen äußert. Ein Forscher meint, zur Betrachtung dieser Bilder müsse man sich sowieso außerhalb der Höhle begeben und vergleichen. Und wenn man australische Aborigines befrage, die bis vor wenigen Jahren noch Höhlen bemalt haben, wie sie auf die Idee kämen, was sie damit bezweckten, dann meinten sie, es seien die Geister, die malten, nicht sie.

Die Spekulation liegt nahe, dass Werner Herzog selbst auch so ein Geistermaler sei, den ein Geist zwingt, ständig Bilder und Bildfolgen herzustellen. Aber er wäre nicht Werner Herzog, wenn er nicht auf eines der größten französischen Kernkraftwerke aufmerksam machen würde, das gerade mal 30 Kilometer von den Höhlen entfernt die Umwelt heizt und dass damit flussabwärts riesige Tropenhäuser aufgeheizt und darin Krokodile gezüchtet werden, zu welchem Behufe verriet Herzog nicht, aber dass da auch viele Albinos seien; zwei solcher filmte er, wie sie sich en face gegenüber befinden und dann philosophierte er über das Bewusstsein der Krokodile, dass die vielleicht auch, hm.

Das Schöne an solch uralten Malereien ist die ganz, ganz dünne Nachrichtenlage, wer was wann aus welchem Grund gemalt haben könnte. Das eröffnet jeglicher Spekulation Tor und Tür. Dass die Menschen gar nicht in dieser Höhle gelebt hätten; dass sie vielleicht ein Kultraum war, man fand einen Schädel auf einem Steinquader genau in Richtung Ausgang schauend und genau in der Mitte platziert, ein Altar vielleicht.

Man könnte aber auch die ganzen Spekulationen lassen und sich schlicht überlegen, ob sich der Mensch wirklich soviel weiter entwickelt hat und ob es nicht vielleicht noch viel ältere, bis heute aber verborgene Spuren, Zeugnisse und Malereien oder gar Gegenstände gebe; oder ob wir Heutigen, wenn wir denn für einen längeren Zeitraum höhlenisoliert und eingesperrt wäre, nicht auch anfingen, Dinge, die uns bewegten zu zeichnen. Sind wir heute mit den ganzen Handykameras und Youtube-Beiträgen nicht auch eine Art Höhlenmalergeneration? Das ist Spekulation, ausgelöst durch Werner Herzog und die Krokodile.

Lustig ist noch die Demonstration eines Wissenschaftlers von einer Art Speer, der mittels eines Haken sehr gezielt und um die 30 Meter weit geworfen werden konnte.
Die Musik ging mir gelegentlich, vor allem zum Ende hin, merklich auf den Geist.
Da kam ich mir in meiner Rezeptionsfreiheit der an sich seit Jahrtausenden tonlosen Bilder doch sehr manipuliert vor.

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