Over Your Cities Grass Will Grow

Ein Film für Betrachter und Müßiggänger. Die werden den höchsten Genuss darin haben, Anselm Kiefer dabei zuzuschauen wie er mit der Hingabe eines kleinen Buben und ohne jedes intellektuelle Gehabe Säulenhallen aus der Erde buddelt, eine Turm- und Ruinenstadt baut wozu ihn die Bibel, Lilith, eine Frauenfigur („es wird ein Trümmerhaufen sein“) inspiriert hat und die zu Ruinen werden sollen, wie er Blei in Spalten eines Kunstwerkes gießt, wie er Zähne für ein Kunstwerk bemalt, die an die griechische Mythologie erinnern und aus denen Soldaten wachsen sollen oder wie er nur dasitzt mit der Fernbedienung eines Lastenkranes in der Hand und damit konzentriert ein flaches Schiffsmodell als Aufbau für ein Gemälde manövriert, wie er Teller zerdeppert oder Glasscheiben und sie dann in die Taschen der schönen, wie er findet M. steckt. Den Begriff hat er aus dem Hebräischen, und das meint das bewohnte Haus. Wie ihn die Zahlenspielereien der Kabbala faszinieren, wo es nur noch um Wortzahlen und keineswegs mehr um Inhalte geht. Wie er aber auch froh ist, seinen Bauplatz in Barjac im Süden Frankreichs, auf dem er eine halbe Ruinenstadt erschaffen hat, zu verlassen und in der Nähe von Paris eine neue Halle für sein Schaffen zu benutzen.

Die Dokumentation beschäftigt sich hauptsächlich mit der Ruinenstadt, die Anselm Kiefer in Barjac erschaffen hat. Es ist eine Führung durch diese Anlage, ohne allerdings einem genauen Plan zu folgen, ohne eine Orientierungsskizze, das dürfte auch kaum wichtig sein, so entgeht man dem Trieb zum Abhaken und kann sich wunderbar mitnehmen lassen und Sophie Phiennes, die Dokumentaristin ist sehr sensibel darin, einem genügend Zeit zu lassen, ohne dasss es jemals langweilig wird.

Schon bald stellte ich mir die Frage, worum es hier gehe, um Inszenierung von Ruinen oder um den Aufbau eines Anscheines von Gewordenheit. Mir kamen barocke Gartenlanlagen in den Sinn, bei denen Ruinen eingebaut worden sind, Follies, es gibt welche in Kassel Wilhelmshöhe. Das ist vielleicht für mich das überraschendste, diese Parallelität von Anselm Kiefer zum Barock. Er baut natürlich mit heutiger Technik, das ist also nicht halbfertiges Gemäuer, er arbeitet mit Beton und Betonfertigteilen und mit Betonunfertigteilen oder die als solche hergestellt worden sind. Er gießt eine ganze Mengen sieben Meter hoher Säulen aus Beton in die Erde, ohne Verschalung nur nach Aushub mit einer Bohrmaschine, baut über die Säulenenden eine Decke darüber und lässt dann, er hat mehrere Assistenten, Vincent, Bouleaem, Lior, das Erdreich drunter ausbaggern. Er versieht Wände mit Inschriften, die von einem früheren Leben innerhalb dieser Zeugen sollen, Texte von Ingeborg Bachmann oder „Tausend Blumen blühen“ oder er baut einen Bunker mit abstrakten Betten und dem Titel „die Frauen der Revolution“, über den Betten sind einzelne Namen angeschrieben. Die Kamera schaut sich in solchen Räumen in Ruhe um. Die Dokumentaristin legt mal eher tragische Musik drüber, dann aber auch Ligeti oder einfach nur Vogelgezwitscher.

Eine verzaubernde Zauberruinenstadt. Viele Dinge können Dekor sein oder Nebensächlichkeiten oder auch tiefere Bedeutung haben, das bleibt dem Betrachter überlassen.
Fiennes beobachtet Kiefer beim Pinseln oder beim Schaben, beim Material auf die Bildoberfläche werfen oder wie die Assistenten das mehrere Quadratmeter große Gemälde mit Baumstämmen drauf anheben und dagegen klopfen, so dass eine große Staubwolke entsteht und vieles von dem drauf geworfenen Material runterfällt (die arbeiten ohne Mundschutz). Die Ardèche, die ist voller Jäger. So heißt dieses Bild.

Schönes Bild: die kleinen giftig-grünen Bagger oder Transporter für Aushub und Abraum der Säulenhalle.

Die Assistenten müssen ihm auch helfen, die Schiffsmaquetten, les navettes, vor eine übergroßes Bild zu hieven, es muss waagrecht hängen.

Dann immer die Bücher. Die Bücherverbrennungen, besser die Bücheranbrennungen, einer hält ein Buchbündel mit einer Eisenstange in ein loderndes Feuer, nur kurz, dann nimmt er es raus und löscht das Feuer, ein angekokelter Haufen, nicht mehr als Papier oder Buch zu erkennen. Oder die überdimensionierte Form eines aufgeschlagenen Buches aus Hartmaterial, mit Blättern drin, was auch mit Kranhilfe vor ein Bild mit Meeressaum gehoben werden muss. Vorher müssen die Assistenten noch eine Seite aufschlagen. Aber dann scheint ihm das Buch zu groß. Er hat eine ganze Serienproduktion solcher Bücher bereitliegen; so ist denn bald ein kleineres gefunden: perfekt. Jetzt muss noch Säure drauf, dann ein Spritzer aus dem Wasserschlauch.

Es gibt Ansätze zu einem Interview mit einem Kunstkritiker, der möchte sehr gelehrt über das Licht und was das für eine Rolle spiele reden, und dass doch das der Grund gewesen sein, dass Kiefer deswegen hierhergekommen sei für dieses Projekt. Nein, meint Kiefer, jede Gegend habe ihr Licht und die Tunnels, da ginge es weniger ums Licht, als um dessen Aussperrung, darum haben die nur ganz kleine Lichtschächte.

Es gibt eine Szene, da steht Kiefer oben auf einem Erdabraum, hat ein leeres Becken hängen, die Assistenten kommen mit kochendem Blei, gießen es ins Becken und Kiefer gießt es aus und lässt es den Hügel runter laufen. Aber es fließt nicht, wie er es will, drum muss mit großen Brennern nachgeholfen werden. Ein wunderbarer Effekt. Später kommt eine kleinere, subtilere Gießszene mit dem Bild und den Spalten und den Zähnen drauf, da müssen die Spalten gefüllt werden und Kiefer ist glücklich wie ein kleines Kind, dass alles aufgefüllt wird, wobei er ständig dem Assistenten sagt, mehr oder genug.

Bohrungen mit großen Bohrern wie zum Bau der Spundwände großer Baustellen. Bei den Zähnen gibt es eine lustige Bemerkung über Hollywoodzähne. Solche will er natürlich nicht.
Scheiben zerdeppern.
Der Film ist definitiv nur was für philosophische Betrachter. (Oder auch für passionierte Baustellenbesucher, einfach zu sehen, wie Dinge getan werden, wie Dinge verändert werden oder sich verändern).
Bonjour Tristesse.
Kiefer zelebriert die kindliche Freiheit; die besteht aus großer Konzentration und Hingabe. Diese Freiheit und dass sie passiert, und auch dass sie durch diesen Film festgehalten wird, ist fast die Sache selbst. Er braucht keine Abgrenzungstexte, keine Großmachtexte, ihn interessiert die Sache.

Der Kritiker fragt, man ist jetzt bei der Ansammlung von Türmen, die er aus kleinen Betonvierecken aufbaut, garantiert nicht TÜV-proof, ein bisschen erinnert das auch an Saana, und der Kritiker fragt, ob er eventuell eine Material-Opposition liebe. Kiefer antwortet, das Paradadoxe, das interessiere ihn sehr. Aber man hat nicht den Eindruck, dass Kiefer sehr scharf darauf ist, über seine Dinge zu reden. Er will sie lieber machen. Er will sich auch gar nicht auf eine Auseinandersetzung mit dem Interviewer einlassen, dafür hat er er keine Energie. Er sagt, was in seinem Kopf vorgeht, ohne irgend einen Korrektur-Ton. Er zitiert nach der Lilith-Passage, erstens wie ergiebig doch die Bibel, aber auch die Mythologie sei, und dass eben aus jener Passage der Text stammt, „Das Gras werde wachsen über Eurer Stadt“.

Dann sucht die Kamera von innen einige Installationen von Kiefer in einem Gewächshaus ab, indem sie nicht auf die Dinge zu geht, sondern rundum schauend, sich ganz langsam zurückzieht.
Bücherverbrennungen, Bücherfeuertaufe.
Künstliche Ruinenlandschaft, eines der Gewächshäuser praktisch nur mit kaputten Betonelementen, wo überall die Eisenstäbe rausschauen, angefüllt. Früher gabe es noch Fertigtreppen aus Beton zu sehen, jetzt im Gewächshaus scheinen sie schon ewig zu liegen.
Ligeti-Musik wie Heuschrecken-Musik.

Die Schechina: Einwohnung oder Wohnstatt Gottes: weißkapuzige Jacken, die Taschen mit Glasscherben gefüllt.

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