Markus Goller hat letztes Jahr mit „Friendship!“ einen verdienten Kinoerfolg hingelegt. Gründe dafür waren meiner Meinung nach: ein zeithistorischer Hintergrund (junger Mann, der in der DDR aufgewachsen ist, sucht nach der Grenzöffnung seinen Vater in L.A.), in den das Roadmovie eingebettet war, dann sicher die Qualität, dass Goller mit Schauspielern eine Atomosphäre erzeugen kann und schließlich die Leinwandnachhaltigkeit eines Friedrich Mücke, die von mir aus gesehen zu wenig Beachtung gefunden hat.
„Eine ganz heiße Nummer“ nun ist weder ein Roadmovie, noch gibt es einen dedizierten zeitgeschichtlichen Hintergrund noch spielt ein Friedrich Mücke mit. Was also bleibt, das ist die Arbeit mit dem Ensemble, das erzeugt hier, vor allem weil überwiegend ein schönes zumindest angenehmes Bayerisch gesprochen wird, eine durchaus „heimelige“ Atmosphäre, wozu sicher auch die durchgehende Professionalität der Schauspieler beiträgt.
Bloß, wegen einer Atomosphäre allein dürfte noch niemand ins Kino zu bewegen sein. Bleibt also die Geschichte und die Figurenzeichnung. Da fangen für mich die Probleme an. Die Geschichte könnte auf den ersten Blick inspiriert sein von „Die Herbstzeitlosen“, einem beachtlichen Schweizer Kinoerfolg. Dort haben einige Frauen aus einem Provinznest als wirtschaftliche Überlebenschance nur noch den Aufbau eines Geschäftes zur Herstellung und Verkauf und Internetversand von Dessous gesehen. Eine pikante Sache in der kribbelnden Zone am Rande der Schlüpfrigkeit.
Hier wollen drei Frauen auf dem Lande (Gisela Schneeberger, Rosalie Thomass und Bettina Mittendorfer) ihr Lebensmittelgeschäft vor dem Ruin retten, indem sie eine Telefonsexline eröffnen – der erotische Reiz der Dessous fällt also schon mal weg. Auch die Struktur der Gruppe, hiermit komme ich auf die Figuren zu sprechen, scheint mir wenig durchdacht. Es wird nicht spürbar, dass diese Damen den Laden schon lange zusammen geführt haben. Es gibt keine klare Hierarchie. Wer in diesem Trio hätte sich besser für die zentrale Figur angeboten als Gisela Schneeberger! Dem ist aber nicht so. Schade, das hätte, wenn das Buch entsprechend geschrieben worden wäre, der Sache bestimmt einen ganz anderen Drive gegeben.
Die Struktur der Damen-Gruppe bleibt aber unklar. Die Figuren werden nach und nach mit ihren Beziehungen vorgestellt, die selbstverständlich alle freud- und glücklos sind. Die attraktive Thomass, die gerade wieder ein Techtelmechtel mit einem geilen Münchner Bock hat, der sie nach München holen will oder die vollkommen verhärmte Bettina Mittendorfer, mit einer widerborstigen Tochter und einem bis nach dem Tod geilen lustgreisen Vater. Überhaupt scheinen mir die Figuren undeutlich, wenig gearbeitet, so á la Handgelenk mal pi hingespielt.
Zum Beispiel Sigi Zimmerschied als Pfarrer. Der hat zwar ein Wahnsinnsgesicht, erinnert an Louis de Funès, aber unklar ist, warum er, nebst dem Banker als einzigem versucht, Hochdeutsch zu sprechen. Seine Pfarrerfigur ist so harmlos im Rahmen aller gängigen Klischees, dass sich deswegen garantiert kein Fernsehregisseur mehr erhängen wird, wie noch weiland in seinem Film „Schartl“. Entweder das Alter oder das Fernsehgeld machen blind, müde und unempfindlich. Schön fürs Fernsehgeld die Händchen falten, die Beichte abnehmen und dabei die Kollekte zählenl, über Gott und die Kirche bramabarsieren, die Kacke vom Hund Lump aufnehmen und in die Manteltasche stecken und nächtens begehrlich dem Liebesgestöhn von Lena lauschen, wie pikant.
Die Wirtin des Dorfes ist eine ganz Sehnige mit recht penetranter Stimme, voll gegen das Wirtinnen-Klischee besetzt: eine Wirtin als die Moralapostelin, merkwürdig. Und ihr Mann ist der Bürgermeister.
Mir scheint, das ganze Stück ist zu oberflächlich geschrieben, als ob wir tief im letzten Jahrhundert lebten, wo Sex noch ganz was Böses war, wo es noch keine Beate-Uhse-Läden gegeben hat. Es scheint mir ziemlich vorgestrig, das Stück. Das mag ein Grund sein, warum man mit den Figuren – und damit auch mit der Glaubwürdigkeit der Geschichte – ständig in die Bedrouille gerät.
Es gibt eine Probe des Kirchenchores; die singen so grottenfalsch, dass man einfach nur von billigster Daneben-Inszenierung sprechen kann, die zeigen will, wie dumm und ungebildet und unmusikalisch diese Frauen aus dem Bayerischen Wald sind. Oder aus der Nähe von Regensburg. Die Grenze der Lustigkeit überschritten.
Auch wie der Betrieb des Sex-Telefon-Geschäftes geschildert wird, das ist wenig witzig. Das lässt die Frauen als ziemlich doofe Hühner erscheinen, dass die mit Kopfhörer im geöffneten Laden Liebesgespräche führen und dabei Gestelle einräumen; und dann noch zu Dritt den Gockel machen und nicht bemerken wollen, wie die Dorfbewohner und Kundschaft dazu kommen so dumm werden Menschen gerade noch im dümmsten Bauerntheter dargestellt. Erwartbar und insofern wenig überraschend war, dass einer der Kunden der Banker sein wird und einer war dann sogar der Dekan.
Es gibt zugegeben doch einen kleinen wirtschaftlich-historischen Zusammenhang. Im ehemaligen Grenzgebiet ist die Glashüttenindustrie bedroht, die ganze Gegend steht damit am Rande des wirtschaftlichen Niedergangs. Es spielt dabei, der Faden ist sehr dünn gesponnen, die Beschaffung neuer Kirchenfenster eine Rolle, wer den Auftrag kriegt, das könnte einen Impuls für die bedrohte Industrie geben.
Richtig peinlich, dass der katholische Frauenbund Mediationsübungen machen muss mit dem bekannten Om und bescheidenen Witzchen dazu. Dann immer diese Melodien im Anklang an berühmte Roadmovies oder Gaunerstories, umso eklatanter, je mehr die Musik versucht großes Kino zu suggerieren und dabei den bayerischen Heimatabend dieses Fernsehgebühren-Bescheidengeist-Vereins kreuzbieder untermalt.
Die Einleitung ist viel zu lang, viel zu umständlich obwohl von sympathischer Atomosphäre, aber es dauert bis endlich die Kreditkündigung kommt, also der Hauptkonflikt ausbricht, und die drei Frauen am See sitzen und die Idee mit der Sex-Hotline haben, mit der sie viel Geld verdienen wollen. Und nachher geht’s so sonderbar leicht. So unverständlich wie dumm, dass sie die Flugblätter im Dorf verteilen; also da gehört eine gewisse Bescheuertheit dazu, die kennen doch die Männer im Dorf alle. Kaum glaubwürdig, dass diese Flugblätter soviel Kundschaft bringen, wie sie nachher Geld verdienen. Da die Gruppe der drei Frauen dramaturgisch nicht durchdacht ist, werden Nummern gerne zu talentierten Solonummern ohne weitere Wirkung.
Eine ZDF-Lauwarmsuppe auf bescheiden-schlüpfrigem Niveau, Zielpublikum: die über dem ZDF-Zuseher-Durchschnitt von 72 liegende, ältere gepflegte Damenschaft, die sich Sex durchaus noch vorstellen könnte, sich aber nicht traut, sich mit Pornobüchern und –filmen zum eigenen Vergnügen einzudecken.
Einkauf von Sex-Artikeln in der Stadt mit anschließender Polizeikontrolle, dies eine Szene, die an schüler- und anfängerhaftes Kino erinnert vom Denken her. „Los Vollgas, Polizei“, „Die Polizei Dein Freund und Helfer“. Seichtgebiete, cineastische Seichtgebiete.
Zimmerschied, nachdem er Sexgestöhnt in der Gasse gehört hat, zum Hund: „Lumpi, über sowas ist der heilige Vater sehr traurig“ (da hätte Sigi Zimmerschied als jung sich sicher sehr aufgeregt, über eine so bescheidene Gägchen).
Dann gibt’s Gruppengags: wie die drei Frauen alle gleichzeitig die Sonnenbrille aufsetzen und andere schlecht koordinierte Dinge.
Wie sie dem Gekreuzigten eine Krawatte vor die Augen binden, damit er ihre Sexgespräche nicht hören kann. Armselig.
Wie der lustgreisgeile Alte reinplatzt.
Deckt Schlüpfrigkeitsbedarf massiv Verklemmter.
„Logisch bin I geil auf Di wie Nachbars Lumpi. Ich will dass Du mich richtig..
Hier ist Maja, wie die Biene, so heiß.
Zimmerschied zitiert Johannes 2/20 oder 2/17 (akustisch nicht richtig verstanden)
Wie ist das alles hausbacken. Andrea Sixt, die Autorin, scheint älter und ruhiger geworden zu sein, wer sich noch an „Workaholic“ erinnert.
Auch wie sie den Telefonsex lernen ist wenig schlüssig vorgeführt und mit null Witz. Kein Moment ist die Story anrührend.
Reine Fernsehsoße, garantiert nicht im Sinne des Auftrages des öffentlichen Rundunkes und der Verwendung seiner Gelder.
Dann noch die Diashow mit den Vorschlägen für die Kirchenfenster, der pseudokunstkritisch gemeinte Diskurs des Dekans. Witz komm heraus, wir stutzen dir die Flügel.
Bild: der Mob mit Fackeln aus Revolutionsdramen. Passt auch gar nicht mehr zu allem Vorangegangenen. Vielleicht wollten die sich der Bewegung „Empört Euch“ (gegen solche Fernsehware) anschließen.