Nur sich vom Krebs nicht das Leben versauern lassen, das scheint die Maxime von Stijn zu sein, einem modernen Werbefuzzi, der hier portraitiert wird (der holländische Titel des Filmes lautet: kommt een frouw bij de dokter – kommt eine Frau zum Doktor, falls mich mein nichterlerntes Holländisch nicht im Stich lässt). Stijn ist ein vielleicht prototypischer – vielleicht auch nicht – heutiger Allerweltsmann, mit so gut wie keiner Tiefe ausgestattet, mit keinen Problemen, der Erfolg im Beruf stellt sich von selbst ein und der bei den Frauen sowieso.
Die Filmmethode passt sich seiner Typologie an: sie ist fahrig, schnell, wendet ihr Interesse spontan und abrupt neuen Szenen zu, bleibt nie zu lange an einer Stelle. Sie passt sich, bewusst oder intuitiv, das wäre noch zu ergründen, ohne große Mühe dem oberflächlichen, lockeren, gerne auch sexistischen, denn Ficken ist schön, Geschäftsmenschenslang an, in welchem das Buch „Mitten ins Gesicht“ von Kluun geschrieben ist, das dieser Verfilmung zugrunde liegt.
Portrait eines hippen jungen Mannes in der modernen Werbegesellschaft. Bei einem Meeting lernt er Carmen kennen, die Schwarzhaarige. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Carmen und Stijn heiraten. Das Wort von der Liebe, bis dass der Tod euch scheidet, wird hintersinnig eingeführt. Es kommt auch ein Kind zur Welt, Luna heißt das Mädchen. Aber die erwähnte Erzählweise macht daraus keine Staatsaktion, das sind im Leben von Stijn maximal dekorative Anläße und Dinge. Denn Sex ist das, was ihn umtreibt, mit einer allein, das geht nicht.
Bald stellt sich heraus, dass Carmen Krebs hat, bösartigen. Die ersten Szenen, die davon berichten, erwecken die Assoziation eines Aufklärungsfilmes über Krebs. Es werden groß Wörter wie „Chemo“ oder „Bestrahlung“ wie Zwischentitel vor den entsprechenden Aktionen eingeblendet. Es gibt auch eine ärztliche Erläuterung zum Vorgang der Bestrahlung, dass es sich um einen Präzsionsangriff auf den Tumor handle, wie ein Bombenangriff im Irak. Während sie sich bestrahlen läßt – vorher schon wurden die Haare geschnitten und die Perücke angepasst, wobei sie feststellt, dass dieser neue Look tierisch jucke. Tierisch jucken, das ist so ein schöner Ausdruck. Und was unsere Hauptperson tierisch juckt, das ist das männliche Teil an ihm. Während seine Gattin also bestrahlt wird, vergnügt er sich in der Disco. Amüsiert sich. Sie erbricht sich, er bringt Luna zu Bett. Ein weiterer Zwischentitel ist „Amputation“, denn bei Carmen handelt es sich um Brustkrebs. Auch zu diesem Thema gibt es ärztliche Erläuterungen, gerade auch hinsichtlich des erotischen Interesses von Stijn. Aber selbst wenn er sein Töchterchen zu Bett bringt, ist er in keiner Sekunde der liebe- und hingebungsvolle Vater.
Dass Stijn nicht monogam leben kann, führt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm und seiner kranken Frau. Das Thema dieser Auseinandersetzung ist Roos, seine Ersatzkönigin. Üblicher Beziehungs-Heckmeck, er solle aufhören mit Roos. Er kann aber nicht. Und über allem steht das Wort „bis dass der Tod Euch scheidet“, das wird immer mal wieder zitiert. Stijn ist jedoch ein schwacher Typ. Er sieht sich nie in einem Konflikt. Er versucht sich durchzulavieren, versucht mit Lügen sein Doppelleben neben der kranken Frau zu verstecken, das ist alles. Er ist auch gar kein besonders spannender Typ. Eine lose Folge von Impressionen aus dem Leben dieses Menschen, der sich magisch und undwiderstehlich zu den Frauen hingezogen fühlt und sich nichts denkt dabei, der den Frauen verfallen ist und sie ficken muss.
Es gibt das Spiel Wahrheit /Pflicht, was er in einer ruhigen Stunde mit Carmen am Meer spielt, da erzählt er offen. So sind sie denn glücklich bis zu seinem nächsten Rückfall. Zwischendrin rückt der Tod näher. Es gibt Details über den Krebs an der Leber, der praktisch keine Schmerzen verursacht, worauf Carmen meint, das sei wenigstens etwas Humanes. Beispiel eines modernen Menschen in den modernen Konventionen, die ziemlich amoralisch sind? Menschen geprägt und aufgehoben in werbeschicker Welt?
Wie der Tod nicht mehr abwendbar ist, machen sie Urlaub in einem Südseeparadies. 36 Stunden Flug und sie will die Scheidung einreichen. Liebe im Zeichen des Krebses hat ihre eigenen Spielregeln. Nur nicht sich durch so eine Krankheit die Liebeslust verderben lassen. Denn Stijn leidet sowieso schon unter einem unmenschlichen Zeitmanagement. Portrait eines modernen Zerfahrenen, gespalten zwischen Beruf, Krebs und Frauen, eines wie ein Boot auf wogender See hilflos hin und hergerissenen Menschen.
Er flüchtet wieder in die Disco. Hat Halluzinationen oder Visionen, Luna sagt von der Discowand herab, Mama sei böse auf ihn. Das Gewissen rührt sich zur Unzeit. Er fährt wie ein Besessener davon und baut einen Unfall. Endlich hat er die Muße, die Ruhe, Carmen bis zum Exitus zu begleiten, auch eine Sterbehilfe wird aktiviert. Carmen ist zäh. Vorher wurde noch ein Familienfoto am Bett von Carmen gemacht. Carmen ist widerstandsfähig. Der Todestrunk reicht nicht. Der Doktor muss mit einer Spritze nachhelfen.
Dann fährt der Papa mit Tochter Luna in einem Jeep ans Meer, wo Luna endlich die Kiste, die schon früher im Film vorgekommen ist, aufmachen darf. Vorher hatte Stijn noch am Todesbett versucht ein Witzchen zu machen mit einem neuen Anzug, den er gekauft hatte, er führt ihn der Sterbenden vor wie ein Model und behauptet, Shoppen mache glücklich. Carmens letzte Worte, der Trunk schmecke wie Ouzo. Und dann endlich, darauf haben wir schon länger gewartet, wie Carmen tot ist, ruft Stijn als erstes Roos an, wann sie sich treffen können.
Das Sterben, das wurde recht lange und langsam zelebriert, da verlässt der Film den Stil und teilweise sogar die Erzählposition von Stijn, da legt er offen, dass er wohl nur intuitiv versucht hat, das zugrunde liegende Buch zu illustrieren und dessen Atmosphäre zu übernehmen, dass es ihm aber an analytischem Scharfblick fehlt, so einen Typen wie Stijn ganz genau zu zeichnen, auseinanderzunehmen, nachvollziehbar zu gestalten. Andererseits: gewiss ein diskussionswürdiges Thema.
„Nur sich vom Krebs nicht das Leben versauern lassen, das scheint die Maxime von Stijn zu sein, einem modernen Werbefuzzi, der hier portraitiert wird (der holländische Titel des Filmes lautet: kommt een frouw bij de dokter – kommt eine Frau zum Doktor, falls mich mein nichterlerntes Holländisch nicht im Stich lässt).“
Ist bestimmt ein Wortspiel mit dem alten „Kommt ’ne Frau beim Arzt“-Kalauer…
Stimmt wohl, beim Googeln von „Kommt eine Frau zum Artz“ ist der erste Treffer der: „Herr Doktor ich habnen Knoten in der Brust “ Darauf der Arzt: „Wer macht denn sowas?“