Computerdesigntechnisch ist es heute durchaus möglich, eine Skyline wie die von Manhattan, also des Weltbankenviertels, so darzustellen, dass fallende und sinkende Schatten aussehen, wie fallende und sinkende Börsenkurse, Hochhausfassaden wie Tabellen und Schatten wie Kurse und gegen Ende des ersten Anblicks dieses Häusermeeres kriechen bedrohliche Schatten wie eine Sturmflut die Häuserfronten hoch. Die Katastrophe nagt und steigt.
Die Hauptbühne aber für das uns ins Haus stehende wohlig-gruselige Kammerspiel ist in einer höheren Etage eines solches Geldhochhauses. Durch die Wohligkeit wird jedoch gleich ein hässlicher Strich gemacht. Eine böse Truppe, die sich äußerlich keinen Deut vom Anzugseinheitsbrei der White Collars unterscheidet, stürmt, angemessenen Schrittes zwar, das Haus; fast wie Schnitter Tod wird die kleine Sturm-Mannschaft die Reihen der Angstellten lichten, die Triage scheint nach Zufallsgenerator zu funktionieren. Die Schnitte sind kurze, präzise Worte, leise vor allem, denen auch niemand zu widersprechen vermag, denn Widerspruch ist zwecklos. Die Alternative zur angebotenen Kündigung wäre noch schlechter. Das Entlassungsmassaker dauert wenige Minuten; dann begibt sich die Kamera vor die Haustür und sichtet die Reihen der Menschen, die mit ihren kleinen Kartons privater Habseligkeiten einen traurigen Exodus in Richtung Arbeitslosigkeit bilden.
Einschub: grad dieser Tage war wieder zu lesen, dass die großen Banken alle, weil das Geschäft dank bescheidener gesetzlicher Regulierungen nach dem Lehmann-Crash (um den es sich hier wohl handeln dürfte) nicht mehr ganz so wild laufen darf, wieder eine Großoffensive in Personalabbau starten, weil das einer der Punkte ist, bei dem sie Kosten sparen können, wenn sie schon nicht mehr Gewinne ad libitum nach Freibeuter Art einfahren dürfen. Denn sie glauben, sie müssen das hohe Gewinnniveau halten, 25 Prozent peilte Herr Ackermann bei der Deutschen Bank an. Als seien solch wahnwitzigen Gewinnmargen ein Naturgesetz. Insofern ist der Film hochaktuell.
Dummerweise passiert bei der aktuellen Schnitterei ein kleines, ein klitzekleines Malheur. In Form eines Computer-Sticks. So ein kleines, kaum daumengroßes Teil, eines der wenigen privaten Dinge, die Eric mitnehmen konnte und welches er einem nicht entlassenen Junior-Angestellten noch zwischen Tür und Angel zustecken konnte mit der Bemerkung, er solle sich das mal anschauen, aber es sei Vorsicht geboten. Eric hatte immerhin eine Chef-Position. Ihm sind einige Dinge bei den Geschäften aufgefallen. Dinge, die offenbar werden ließen, dass das tolle Bankhaus kurz vorm Einsturz steht.
Was der Stick nun alles in Gang setzt, nachdem der Junior-Angestellte ihn sich angeschaut hat, die diskrete Panik, die sich wie ein heimlicher Tsunami oder wie ein Herrgott während der Nacht in dem Gebäude ausbreitet, das ist sozusagen der Hauptgang dieses exquisiten, auch exzellent gestylten und besetzten Menüs an wohlig-präapokalyptischer Sauce. Banken-Crash à discretion.
Die Starriege, die diesem Menü Glanz verleiht, wird angeführt von Kevin Spacey und Jeremy Irons. Der Starkoch und Menüentwerfer heißt J.C. Chandor. Er gibt auch gar nicht vor, hier ein Lektion oder tiefere Einsichten über das Banken-(Crash-)Wesen zu verbreiten. Es macht ihm einfach Spaß, der sich auf den Zuschauer überträgt, sich auszumalen, wie es in so einer diskret-feinen Etage kurz vorm Zusammenbruch zugehen könne. Und er macht das sehr plausibel. Dass der Besitzer der ganzen Chose noch dazu von Details keinen Blassen hat, dass er eben nur Geschäftsmann ist und auch noch aus dem Zusammenbruch ein Geschäft machen wird, das ist die Ironie nicht nur in diesem Film. Vielleicht ist das viel eher die Definition des Geschäftsmannes schlechthin, erst recht eines, der aus Geld deutlich mehr Geld machen will.
Chandor versetzt den Zuschauer nicht in die Position des zu Belehrenden oder desjenigen, der aufgeklärt werden muss, er benutzt die Leinwand auch nicht als Bühne, die in den Zuschauerraum sendet, noch will er den Zuschauer einem Thrill aussetzen oder ihn mitfühlen, mitschmachten lassen, noch ihn zu Tränen rühren oder ihm den Atem rauben; er benutzt die Leinwand als eine kleine Öffnung in sein Labor; der Zuschauer darf Zaungast sein und einen genauen Blick in einen aufgescheuchten Ameisenhaufen werfen, er wird also eher naturwissenschaftlicher Beobachter einer herannahenden Katastrophe und wird Zeuge, wie diese im Atomkern einer Bank zu welchen Reaktionen führt. Der Zuschauer wird Teilhaber an einem offenen Geheimnis.
Und da der Zuschauer ganz entfernt über sein Konto und seine Börse und sein Gehalt und die Rechnungen und die Negativ- oder Positivzinsen auch mit der Finanzwelt und der Geldwelt verbandelt ist, darf ihm der eingangs erwähnte wohlige Schauder sicher sein. Denn ein wenig betrifft die Katastrophe auch ihn selbst.
Das ist wie wenn ein Mensch auf der Straße zusammenbricht und sich bereits genügend Helfer um ihn kümmern; es ist ein Instinkt des Menschen, das mitzuerleben, ob das Opfer gerettet werden kann und wie die Schritte dazu sind.
Und wo der Hund begraben liegt, das erfahren wir am Ende auch.
Ein Gedanke zu „Der Große Crash – Margin Call“