El Bulli: Cooking in Progress

Warum mir der Film prima gefallen hat, obwohl ich nun gar keinen Draht weder zu avantgardistischer Küche noch zu Kochsendungen jeglicher Art habe? Nun, mit Kochsendungen hat der Film schon einmal gar nichts gemeinsam, bis auf einige Bilder vom Pilze-Schneiden oder Fisch-Zerlegen. Natürlich wird auch Kochen gezeigt. Aber das Thema ist nicht primär die avantgardistische Küche von Ferran Adriá. Es ist auch nicht ein Feature über diesen berühmten Koch. Es ist viel mehr ein Laborbericht aus einer der neugierigsten, experimentierfreudigsten Küchen der Welt. Ein Film über das Kochen als Methode.

Das Restaurant „El Bulli“ von Ferran, wie er im Film immer genannt wird, ist in Spanien am Meer, hat nur ein halbes Jahr lang geöffnet, ist weltberühmt.

Ein halbes Jahr lang zieht sich Ferran mit einigen Mitstreitern in ein Anwesen im Inneren des Landes zurück. Dort wird mit wissenschaftlicher Akribie experimentiert, da wird der Kochplan für das zweite Halbjahr entworfen. Der Film erhebt sich auch weit über das Niveau jeglicher Kochsendung, weil er sich immer wieder Zeit lässt, Ferran oder seine Mitforscher ins Bild zu nehmen, während sie hochkonzentriert versuchen Pilze zu vakuumieren oder während sie Versuche mit Ravioli oder Eis anstellen. Portraits von Kochforschern. Der Film bringt viel Info über das Methodische von Ferrans Forschung. „lass uns radikal im Geschmack sein“, „das Problem ist die Intensität“. Er schleckt beim Probieren auch mal gerne genüßlich die Finger ab. Oder fährt seinen Assistenten an „gib mir nichts, was nicht gut ist!“. „Zuerst die Ideen notieren“, “wir müssen wißen, was im September gut ist“, er will „kreative Emotion“ .

Über die Experimente wird genau Buch geführt, es werden Listen angefertigt, Wände hängen voller Entwürfe für Menüfolgen. Alles wird fotografiert und dokumentiert. Über alle Vorgänge müssen genaue Notizen angefertigt werden. Und gegen Ende der Experimentierphase, da rastet Ferran fast aus, wie einer alles nur ausgedruckt hat und behauptet, auf dem Computer befinde sich nichts mehr. Nach der Experimentarbeit erfolgt die Auswertung wie bei einer wissenschaftlichen Besprechung an einem Tisch ohne jedes Nahrungsmittel oder Küchengerät, es dominieren die Laptops und Notizzettel, wie Ferran sie gerne bei sich hat, weshalb er auch oft einen dicken Bleistift sich hinters Ohr steckt (statt wie im Kinderbuch einen Kochlöffel).

Die Hierarchie der Köche ist fast vatikanisch. Wenn Ferran kommt, dann probiert er alles, wissen die Assistenten. Es geht um die Frage, Pilzsaft zu gewinnen, roh oder eben mittels Vakuumieren. Und beim Probieren: es hat schon einen sehr reinen Geschmack. „Beim einen ist die Farbe wichtig, beim anderen der Geschmack.“ Dann muss er die Assistenten wieder anhalten, alles aufzulisten, was sie da rein tun. Auch das Internet wird für Recherche benutzt, aber man findet da auch nicht alles.

Zwischen den Laborszenen, die mehr als die Hälfte des Filmes füllen, gibt es immer mal wieder Einkaufsszenen in einem bildnerisch höchst ergiebigen, leckeren Markt oder in Markthallen. Und etwas spanische Lebenslust und -Qualität en passant.

Einmal taucht der Sommelier auf. Der möchte schon was über die Aromenzusammenstellung wissen, aber Ferran wimmelt ihn ab, darauf komme es jetzt noch nicht an, den Geschmack werde man erst später feststellen können. „Im Moment ist der Geschmack nicht wichtig“. Den testet Ferran beim Ernstfall hochkonzentriert. An einem eigenen Tisch sitzt er und probiert alle 20 bis 30 Gänge durch, die die Gäste innert drei Stunden aufgetischt bekommen. Er kriegt das von seinem Personal extra serviert. Den Notizzettel hat er neben sich und macht zu allem seine Anmerkungen. Allein das Gesicht von ihm bei dieser Aktion. Wie er sowieso immer was sehr Waches und Sprungbereites hat, als ob er hinter jeder Ecke und hinter jedem Vorsprung auf einen kreativen Einfall wartete.

Zwischendrin sieht man auch mal einen Journalisten Notizen machen. Was aber alles wird, das sei eine Überraschung. Oder dann fragt Ferran, ob die Zeitschrift, „Natur“ wichtig sei, denn die würde einen Artikel bringen.

Es scheint so, als interessiere Ferran seine Berühmtheit wenig, als sei er wirklich nur auf das Essen fixiert und als habe er es soweit gebracht, dass er mit einem grossen Mitarbeiterstab, seine fast exzentrisch zu nennenden Forschungen betreiben kann. In einem Moment verzweifelt er auch schier, weil ihm bewusst ist, dass es eigentlich unendlich viele Möglichkeiten gibt „man weiß nie, woher die Ideen kommen“.

In der Experimentierphase ist ein Thema auch die Einführung von Fetten in Cocktails. Die Idee kommt auf, reines Wasser mit einer Oelschicht drüber anzubieten. Bei der Premiere hat dann der Oberkellner statt stillem Wasser Sprudel genommen, aber das war vielleicht sogar eine gute Idee. Beim Publikum kam das allerdings nicht so recht an. Obwohl Ferran fand, das seit gut für den Geschmack im Mund, für die Reinigung.

Bei der Menüplanung gibt es, wie die Köche es nennen, ein Toto, die einzelnen Gänge mit Sternen zu versehen, wirklich sehr lotteriehaft. Lotterie und Wissenschaft.

Die Musik über dem Ganzen ist geschmackvoll. Klänge, leicht spährisch, leicht avantgardistisch dem Sujet angepasst.

Die Kamera von Josef Altmayer ist hervorragend. Sie würde sich auch für Produktphotographie eignen, wie am Schluss noch die ganze Palette der einzelnen Gänge fantastisch fotografiert gezeigt wird. Das war mir dann aber ein Tic zu viel. Da war ich schon übersatt.

Die zweite Phase des Filmes zeigt den Betrieb. Wie der Tross an Personal eingeführt wird. Vorher noch kurz das Aufräumen in der Experimentierküche und das Einräumen im El Bulli. Ganz wohldosiert gibt’s auch ein paar schön gesetzte Aufnahmen vom Meer und dem Anwesen, wirklich meisterkochhaft dosiert!

Der Betrieb wird hochgefahren und an den ersten Abenden gibt es noch einige alte Rezepte, denn den Betrieb mit nur neuen anzufahren, das wäre eine Überforderung, meint Ferran. Die ganze Anlaufhektik, auch die wunderbar fotografiert und geschnitten. Aber wie gesagt, wie der Betrieb dann läuft, gut das war eben die Verkostung von Ferran noch eine gute Nummer, aber da hätte ich dann nicht mehr soviel gebraucht. Das waren mir von 30 vielleicht zwei drei Gänge zuviel.

Ferran unterscheidet in seiner Rede ans Personal auch ganz deutlich zwischen Kreativität und Produktion und dass sie hier in der Produktion seien. Also sie müssen sehr konzentriert arbeiten und sich genau an die Vorgaben halten.

Inzwischen düfte dieser Film bereits ein historisches Dokument sein, denn wie ich gelesen habe, hat Ferran inzwischen das „El Bulli“ endgültig geschlossen und will was Neues versuchen. Insofern hat Gereon Wetzel, der Filmemacher, mit diesem Dokumentarfilm auch ein historische Dokument über einen extravagenten Punkt in der Geschichte des Kochens bereit gestellt.

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