Giulia geht abends nie aus

Das ist Kino, Kino, Kino. Es umfängt einen, es umgarnt einen, es nebelt einen ein, es macht einen leicht, wie das Wasser im Schwimmbad (einer der Spielorte in diesem Film). Es betört einen, es raubt einem die Sinne. Kino pur. Am liebsten möchte man das Geheimnis der Zubereitung dieses Kinos von Giuseppe Piccioni erfahren. Die IMDb gibt nur bekannt, dass seit seinem letzten Film 5 Jahre vergangen sind und in derselben Internet Movie Data base taucht auch nicht eine Fernsehproduktion von ihm auf. Um es mal von außen zu betrachten.

Aber was erzählt uns dieses Kino? Doch gar nichts so Ungewöhnliches. Eine Dichter-, besser eine Autorenstory. Die Figuren, die dem Autor im Kopf rumtanzen, die seinen Realitätssinn leicht verwischen, so wie dieses Kino den Zuschauer bezaubert, und die sich selbständig machen.

Der Autor Giulio Montani, gespielt von Valerio Mastandrea, ist auf dem Wege des Erfolges. Die Gerüchte verdichten sich, dass er nah dran sei, einen wichtigen Literaturpreis zu gewinnen, den Premio Letterario MALASPINA. Das ist der ganz lockere äußere Handlungsfaden, um den sich die verschiedenen Deskriptionen seiner Befindlicheiten und Fantasien ranken.

Ein Dichter kann ganz schön viel Fantasie entwickeln. So viel, dass er manchmal zwischen Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden kann, soviel, dass seine erfunden Figuren – man kann vielleicht Ähnlichkeit mit der einen oder anderen Figur aus seinem Umkreis feststellen – sich selbständig machen und in einer Szene sogar sich zum Gruppenbild um sein Manuskript aufstellen und verwundert oder grinsend oder wie auch immer kommentierend darin lesen.

Da dürfte dem Dichter der Zugriff dann vollends abhanden gekommen sein. Um diesen ganz dünnen und nie penetranten Handlungsfaden, der so unscheinbar wie ein Untertext mitgeliefert wird, weil so einer zum gekonnten Geschichtenerzählen nun mal gehört, arrangiert Piccioni das Portrait, eines Mannes, der Schreiben durchaus als Handwerk versteht, der vielleicht auch gar nicht zu originell ist, der andauernd die Erfahrung macht, dass Leute, die sein Buch loben, es gar nicht zu Ende gelesen haben. Bis vielleicht auf den altklugen Filippo, den Sohn von Giulia, der Schwimmlehrerin, der Titelfigur, die er im Schwimmbad kennenlernt, der Schwimmlehrerin seiner Tochter, die nur dem Vater zuliebe den Schwimmunterricht nimmt.

Bei einem Gespräch mit seiner Tochter Constanza wird klar, dass sie keine Lust aufs Schwimmen hat. Allein wie dieses Schwimmbecken, die Bahnen, das Wasser, die Lehrerin und ihre Besprechung vom Beckenrand aus mit der Tochter vom beobachtenden Vater aus gesehen und inszeniert ist, ist geheimnisvoll schön und ungewöhnlich. Jedenfalls findet der Vater, wenn die Stunden schon bezahlt sind, so könne er ja den Schwimmunterricht nehmen, den seine Tochter nicht mag. Schon eine verrückte Vater- oder Dichterfigur. Denn er kann nicht mal schwimmen. Und ich glaube nicht dass ihm gleich bewusst ist, dass ihn die Schwimmlehrerin, das ist Giulia, die abends nie ausgeht, fasziniert. Oder er tapst einfach so, vollkommen ohne dazwischengeschaltete Reflexe der Begründung in die Beziehung rein. Wie Autoren möglicherweise sind, gar sein müssen.

Die dichterischen Fantasien des Autors Montani sind eher bescheidener Natur, aber auch wie dieses Bescheidene hier geschildert wird, ist umwerfend. Eine wirklich saudoofe Geschichte einer Gogo-Tänzerin und Nutte, die dem Pater beichtet, dass sie es für Geld mache. Und die ihn verlockt. Er solle doch auch mal kommen. Dieses Holzgesicht von Pater macht sich dann tatsächlich auf ins Rotlichtmilieu.

Etwas 80 – 90 Prozent des Filmes hält Piccioni den Zuschauer in dieser faszinierenden Schwebe zwischen Kino, Realität, Literatur, Erfindung, packt den Zuschauer in eine traumhafte Watte und nur damit dieser nicht abhebt, muss die Geschichte zum Ende hin ziemlich nüchtern geerdet werden. Dagegen aber fährt Piccioni dick Pralinen auf, die der Autor im Film mit seiner schwimmunlustigen Tochter ziemlich gierig verschlingt. Da muss ich noch mehr drüber lachen, wenn ich mir das jetzt vergegenwärtige.

Fast eher belustigt, wie Piccioni die Machenschaften und spießigen Geschäftigkeiten und Geschäftspraktiken um einen eminent wichtigen Literaturpreis herum schildert. Zum Beispiel die Privatlesung in einer Villa voller alter, selbstredend reicher, weißhaariger Erbinnen, Damen, Witwen, die alle vor der Lesung noch beim Coiffeur waren. Der Regisseur und das Publikum im Kino können amused sein. Auch die Begründung für die Lesung, die die Literaturagentin gibt, die Lesung bei dem Damenkränzchen, die sei halt wichtig, entbehrt jeglicher Rationalität. Liebenswert bösartig, wie Piccioni diese Dame von Literatur-Agentin schildert, die schamlos mit den Hoffnungen ihrer Klienten spielt und schachert.

Ein älteres Ehepaar verkörpert die Literaturfans. Meist sind sie im Lift anzutreffen und ihre Funktion ist einzig die, die Hoffnung unsseres Autors auf den Preis anzuheizen. Grandios und kostbar, weil so einfach und treffend. Man könnte sagen: das richtige Maß zwischen Kunst und Realität, zwischen Ernst und Satire getroffen. Wie bei einem Bassin, das genau so randvoll ist, dass immer wieder ein bisschen was drüberschwappt, aber nie wird der Zuschauer nass dabei, steht aber kurz vor dem köstlichen Schock, es könnte ihn gleich selbst erwischen.

Vielleicht ein Film für Menschen, die Literatur und Kunst zugetan sind, die diesen aber nicht bedingungslos verfallen sind, die sie als das nehmen, was sie im besten Fall sein können, eine Bereicherung, eine Würze für das Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

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