Die anonymen Romantiker

Die deutsche Übersetzung krankt – mal wieder. Der Originaltitel heisst „les émotifs anonymes“, was vielleicht besser übesetzt würde mit „die anonymen Fühligen“; bei den Romantikern denkt der Deutsche doch sehr an Novalis, an die Blaue Blume, an tiefe reine Gefühle oder Sehnsüchte; darum geht es hier aber nicht; es geht um Sensibilität, um die leichte Erregbarkeit und den schwierigen Umgang mit ihr.

Es geht zwar auch um Sehnsucht nach Liebe; es sind jedoch die beiden Protagonisten, die eher unter Hemmungen leiden, unter Störungen, ihre Gefühle mitteilen zu können, zu artikulieren.

Die erste der beiden Hauptfigurn, der wir begegnen, ist Angélique Delange. Sie kennt sich aus mit Pralinenherstellung und sucht eine neue Stelle. Gegen ihre Unsicherheiten geht sie in die Gruppe der „anonymen Emotifs“, die sich gruppenthearpiemässsig in Gesprächssitzungen in einer alten Villa über ihr Gefühlsleben austauschen und sich Mut zusprechen. Um Selbstvertrauen aufzubauen. Denn Bitterkeit ist kein Erfolgsrezept. Stärke entsteht durch Herz und Selbstvertrauen.

Die zweite Hauptperson ist Jean-René Van Den Hugde. Jean-René und nicht Jean-Pierre bitte, wie er mechanistisch zu ergänzen pflegt. Er ist Pralinenfabrikant. Sein Betrieb mit zwei etwas älteren Frauen und zwei jüngeren Männern ist am Rande der Pleite. Außerdem haben seine Pralinen keinen guten Ruf. Van den Hugde hat regelmässig Gespräche mit seinem Psychiater, der ihm Aufgaben stellt und ihm das Gefühl vermitteln will, in ihm brodle ein Vulkan.

Zwei Figuren mit Beziehungsschwierigkeiten und mit einem Näschen für Pralinen, die, so verlangt es das gute Geschichtenerzählen, früher oder später aufeinanderstoßen müssen.

Die Story ist so ausgelegt, dass die beiden sich nach Komplikationen finden werden. Denn Pralinen sollen ja süss sein, obwohl es auch eine Diskussion gibt, dass gerade das Bittere in der Schokolade eine Besonderheit sein könne. Van der Hugde hat an sich kein Problem mit den Frauen, wenn er nicht der Meinung wäre, sie terrorisierten ihn.

Angélique bewirbt sich bei der Manufaktur von Van der Hugde und die beiden Mitarbeiterinnen, die sie gleich reinlassen, wundern sich doch sehr, dass ihr Chef die junge Frau sofort engagiert, ohne sie weiter zu testen und ohne weitere Bewerberinnen anzuschauen. Tja, die Fühligkeit der Fühligen eben!

Vom Handlungsablauf her verläuft die Geschichte so, dass Angélique bei Van Den Hugde nicht in die Herstellung kommt, sondern in den Vertrieb, was gar nicht ihr Gebiet ist. Dadurch aber erfährt sie, dass ihr früherer Arbeitgeber Mercie gestorben ist, der mit von den besten Pralinen hergestellt hat. Dabei war sie es, die als geheimnisvoller „Eremit“, den niemand kannte, die Rezepturen bestimmt hat.

Da Van Den Hugde am Rande der Pleite steht und auch niemand mehr diese mindere Qualität bestellen möchte, schlägt sie vor, neue Rezepte auszuprobieren. Sie vollführt einen eher durchsichtigen Trick mit dem Laptop und dem Earphone und behauptet, sie habe eine Verbindung zum Eremiten und könne diesem die Rezepte entlocken. Nach diesen stellen die Mitarbeiter neue herrliche Pralinen her. Die werden auf eine Confiserie-Messe den ersten Preis gewinnen.

Das ist jedoch nur der Vorwand, um Angélique in der Firma zu belassen und die Annäherung zu ihrem Chef in Gang zu halten. Was alles höchst kompliziert geschieht. Die emotionale Hilflosigkeit der beiden wird dabei eher mehr als weniger deutlich ausgestellt, immer am Rande des Satirischen, des Kabarettistischen, es erreicht nicht ganz die Qualität des Tragikomischen.

Das Hotelzimmer bei der Messe treibt diese Annäherung weiter voran.

Bis dahin gab es folgende Aufgabenstellungen des Psychiaters für Van den Hugde: zuerst eine Berührung mit einer Frau zu versuchen. So drückt er Angélique einfach die Hand und dann kommt der Kuss und er kann nicht mehr loslassen. Beide sind von den Socken und selbst überrumpelt und können ihr Glück nicht fassen und glauben, das sei alles ein Irrtum.

Die nächste Aufgabe war, jemanden zum Essen einzuladen. Er lädt Angélique ein. Auch das geht schief. Er glaubt, es sei alles aus, er geht ständig aufs Clo, um Hemden zu wechseln und schliesslich um einfach abzuhauen; während sie ihre Glückformeln repetiert.

Dann die Messe in Rouanne und das Hotel mit dem einen Bett drin. Das endet mit ihrer spontanen Abreise, weil er plötzlich in den Park wegrennt. Bei der Messe gibt’s einen Auftritt von ihm in einer Bar, wo er ein Lied singt: otschi tschornje, noch bevor sie abreist.

Wie er nach der Rückkehr von der Messe seiner versammelten Mannschaft verkündet, dass sie abgereist sei und nicht mehr mitarbeiten werde, da klingelt das Telefon und er erhält die Mitteilung vom Pralinen-Sieg auf der Messe.

Man könnte den Film mit einem einfacheren, gut gemachten Petit-Four vergleichen, das vielleicht etwas schwerer ist als die allerfeinsten, etwas zu viel Kalorien, nicht mit allerhöchster Rafinesse hergestellt, aber zum Genuss in einer etwas altmodischen Konditorei à la 50er Jahre und mit Personal mit weißen Schürzchen alleweil bestens zu empfehlen.

Ein Film, der mit jedem Take klar macht, dass er anrührend sein will, dass er keine Abgründe aufreißen will, dass er seine Zuschauer weder foltern noch auf die Folter spannen möchte. Ein Film, der mit jedem Take zeigt, dass er verständnisvolles Mitleid mit seinen Figuren hat und dass er sie zu einem glücklichen Ende zusammenführen will.

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