Ein Sachthemenfilm, Aufklärung über das Tourette-Syndrom, vermutlich besonders an Kinder gewandt. Der Film kommt in hellen, lichten Farben, in weichen Bildern und mit sanfter Musik begleitet daher und zeigt viele Tourette-Verrücktheiten. Das war jedenfalls der Eindruck, dass der Film selbst versucht, die Weltwahrnehmung eines Menschen zu zeichnen, der unter dem Tourette-Syndrom leidet, sogar extrem darunter leidet, nicht nur unter den heftigen unkontrollierbaren Zuckungen sondern auch aus die Schwelle des Anständigen weit unterschreitenden Wortschwällen, die oft sexistisch und beleidigend für die Empfänger der Worte sind.
Zitat als Erklärung für das Syndrom: ich habe Schluckauf im Gehirn. Eva, so heisst die Hauptfigur, zur Oma: Freche Sau. Oder zu Spaziergängern im Wald: Kinderficker. Auch „Heil Hitler“ und „Tote ficken“ hat sich im Tourette-Syndrom-Hirn in einen nicht zu stoppenden Schluckauf verwandelt.
Dafür will genau dieser Film Aufklärung leisten. Er dürfte vor allem für den Schulunterricht oder für thematisch interessierte Gruppen in Frage kommen. Er ist praktisch ein Monolog der hübschen Hauptdarstellerin, die von dieser Krankheit geplagt wird, sie heisst im Film Eva Strumpf. Sie spricht oft voice-over, dann aber ohne jede Macke, über ihre Krankheit. Sie gibt zuerst sogar einen kurzen historischen Abriss und die Regie bebildert diesen auch. Eine franzöische Adelige war die erste, bei der die Krankheit im 18. Jahrhundert festgestellt worden ist. Sie wurde damit zur Namensgeberin. Eine Einführung, wie es sich für eine ordentliche Schullektion gehört.
Die Spielszenen wirken meist so, als seien die Schauspieler zusammengekommen, um eben diese vorzuspielen und zwar im Zusammenhang mit der Erklärung dieser Krankheit. Sie sind als Charaktere vom Autor und Regisseur praktisch nicht entwickelt. Auch das ein Hinweis darauf, dass wir es hier mit einem Erklärfilm oder einem Aufklärungsfilm zu tun haben.
Es gibt eine ganze Reihe von Szenen, in denen modellhaft vorgeführt wird, wie Eva bei Bewerbungen um eine Stelle Absagen kriegt.
Oder es gibt eine Szene, wo sie im Privathaus des Bankdirektors unter seinem Pult kauert, während er dran sitzt und telefoniert und nicht weiss, dass Eva sich in sein Haus geschlichen hat und sich genau unter seinem Pult versteckt hält, wo sie gegen einen Anfall des Syndroms kämpft und der Filmemacher bebildert ihre ganzen Angstträume, die sie unter dem Pult hat.
Es kommt auch eine kleinkindhafte Banküberfallsgeschichte drin vor. Das hat indirekt mit einer Leiche zu tun, die Eva ganz am Anfang, an ihrem Lieblingsort, einem Teich, wo sie mit Molchen spielt und redet, gefunden hat und wie sie dann Familienmitglieder und Nachbarn alarmieren wollte. Alle haben das für einen Anfall von ihr gehalten und keiner hat ihr geglaubt.
Erst am nächsten Tag haben Pilzsucher die Leiche gefunden. Wichtiger Satz fürs spätere Geschehen und eine Erkenntnis von Eva: die Pilzsucher finden immer die Leichen.
Die Leiche könnte mit Unregelmässigkeiten beim Bankdirektor zu tun haben. Eva hat noch einen Vater und eine Mutter und eine Oma und einen Onkel. Der Vater ist ein erfolgloser Autoverkäufer, sucht erfolglos einen neuen Job, darum möchte der Vater eventuell nach Berlin ziehen und Eva möchte das nicht, sie möchte nicht aus ihrer vertrauten Umgebung heraus. Um den Wegzug zu verhindern sieht sie als einzige Lösung einen Banküberfall. Denn sie bräuchten Geld, um hier zu bleiben.
Auf den Bankdirektor Herrn Kühne, dargestellt von einem Sprecherschauspieler, ist sie eh sauer, weil er den Kredit für den Vater nicht verlängert hat. Mit Hilfe eines abgestürzten Onkels und eines Gitarrenspielers, der sich als Pressemensch verkleidet hat und unter dem Vorwand ein PR-Foto für die Bank mit dem Direktor machen zu wollen, nun ja das kommt schon irgendwie wie hinterm Bügeltisch erfunden daher, schaffen sie den Zutritt zum Tresorraum und erreichen sogar, dass er diesen aus Eitelkeit wegen des PF-Fotos öffnet. Die Kinderbuchfabulierwelt lässt nun den Bankraub gelingen. Denn jede Menge Johnnys, einer heisst Johnny Blaubeermarmelade, einer Johnny Zukunftsangst, einer Johnny Arbeitslos (und in der IMDb fungiert der Film unter dem Titel „Johnny Kühlissen“), also die lenken den Direktor ab und Eva kann einen Koffer klauen, da ist aber nichts Gescheites drin, ausser dem Hinweis auf Ungereimtheiten beim Direktor, darum dringt sie in des Direktors Privathaus ein und entdeckt, dass er im Wald einen Sack mit Geld vergraben hat und dann sucht sie mit Johnny den Geldsack und sie finden ihn nicht und dann – mei das hat jetzt lange gedauert, vielleicht eine der Pointen in der Filmgeschichte mit dem längsten Anlauf, da fällt Eva der Satz vom Anfang des Filmes ein, „Immer die Pilzsucher finden die Leichen“ und also gehen sie am nächsten Tag in besagtem Waldstück Pilze suchen und finden den Sack mit dem Geld.
Der Sack mit dem Geld wird bei der Oma unterm Bett versteckt. Es sind genau 1,7 Millionen Euro. Dann stirbt die Oma, sie wird bei ihrer Beerdigung vom Tourette-Syndrom als auf einem Ast auf dem Baum sitzend wahrgenommen. Das Geld ist in der Wohnung aber nicht zu finden. Es gibt eine Testamentseröffnung und siehe da, die 1, 7 Millionen Euro sind auf ein Sparbuch für Eva einbezahlt worden.
Und wer jetzt noch nicht begriffen hat, was das Tourette-Syndrom ist, der hat auch den Film von Andi Rogenhagen nicht verstanden.