Was Fantasie alles zu leisten imstande ist, das vermittelt uns Lillebroer, der kleine Bruder. Er ist der jüngste in einer Familie mit Papa, Mama und älterem Bruder, der schon groß ist. Die Familie muss von der Stadt aus einem lebhaften Wohnblock aufs Land ziehen. So ein Umzug aus einer heimatwerdenden Umgebung, in die ein Kind eben am Hineinwachsen ist, ist normalerweise ein großes Problem, das sich leicht zur Katastrophe, Verhaltensstörungen, Lernschwierigkeiten, Identitätsverlust oder gravierenden Entwicklungsstörungen auswachsen kann, wenn die Freunde nicht mehr da sind, wenn das was sich ein Kind an Umgebung angeeignet hat, plötzlich wegfällt. Aber der Mensch ist mit der Gabe der Fantasie ausgerüstet; die kann in so einem Fall die Kraft entwickeln, die der Mensch braucht, um sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Elend zu ziehen. Dazu bedarf es wenig, Es reicht, wie zur Bildung eines Regentropfens ein Staubkorn genügt, ein kleines Astgäbelchen, das vom Baum fällt und wie ein Männlein aussieht. Es ist vom Baum gefallen, weil der Vater sich am Baum zu schaffen gemacht hat. Es springt Lillebroer gleich an. Liebe auf den ersten Blick. Namensgebung auf den ersten Blick. Knerten heisst der neue Freund, der auch gleich selbst spricht und denkt (wie umständlich, schwerfällig und witzlos wurde das gleiche Thema dagegen bei DER BIBER behandelt!).
Knerten begleitet Lillebroer nun auf sämtlichen Abenteuer- und Entdeckungsreisen durch die neue Umgebung. Dank Freund Knerten ist alles viel mehr aufregend und interessant als beängstigend und einengend. Diese Reise mit Lillebroer und Knerten im Kino zu tun, macht umso mehr Spass, als die Geschichte konsequent auf Augenhöhe und aus der Sichtweise des Buben erzählt wird. Einem Erwachsenen mögen dabei so manche Erinnerungen kommen. Und das Kind ums Lillebroer-Alter herum, schätzungsweise bis zur ersten, zweiten Schulklasse, ich bin kein Pädagoge, dürfte sich von so einem Film sowieos voll und ganz verstanden und ernstgenommen fühlen.
Es kommen also vor: ein Vater, der erfolglos Unterwäsche verkauft, ein grosser Bruder, der schon gross ist, aber immer noch zur Schule gehen muss und den man beim ersten Kuss beobachten und in Verlegenheit bringen kann, eine Traumprinzessin im Wald, hoch zu Pferd und begleitet von einem Knecht, zwei böse Mädchen, die Knerten frech stehlen, als den ihren betrachten und in Frauenkleider stecken, ein Sakrileg ist das, ein grosser Autoreifen wird die Situation wieder bereinigen. Es kommt ferner vor ein wunderschöner Kastenwagen aus den 50er Jahren, in dem die Fensterrahmen noch aus Holz gearbeitet sind, ein alter Schreiner, der weiss, dass auch Holzstücke eine Seele haben, ein alter Kramladen, in dem Kindern der Zutritt verboten ist und der von einem skurrilen Junggesellen geführt wird, der in eine Spanierin verliebt ist und bei dem Lillebroers Mutter arbeiten kann; Pfandflaschen, die Lillebroer gleich mehrfach zurückgeben kann, eine Tante Malhierundmalda, die Lillebroer pflegt, wenn er krank ist und gleich noch ein nettes Mädchen mitbringt; ein Kamel, das Cigaretten spendet (deshalb ist Rauchen Kacke) oder ein roter Sportwagen mit einer weiblichen Showgrösse drin, die dem Vater die farbigen Strümpfe, die auf dem Lande keiner will, abkauft und so einen Boom in Gang setzt und am Ende gibt’s noch eine wunderbares Fest.