Film Socialisme (Filmfest München)

Manuel de Oliveria hat vor einigen Jahren eine philosophische Kreuzfahrt unternommen mit Gedanken zu Europa. Diesmal sticht Godard in See. Er radart auf einem älteren Luxusliner den panmittelmeerisch-europäischen Kultur- und Geschichts-Raum im Zeitfächer vor allem der jüngeren Geschichte ab. Dazu montiert er jede Menge Footage aus der Filmgeschichte, aus Philosophie, Dichtung und Musik. Wie immer liebt Godard Texttafeln dazwischend, diesmal geht es meist um Dinge, Dinge, des Choses, Solche Dinge, Ebensolche Dinge. „No Comment“ ist die letzte Tafel, da schliesst sich schon der Kinovorhang.

Auf einem Kreuzfahrtschiff haben alle einen Grund, ein Motiv für die Fahrt. Alle sind in einen Zusammenhang eingebunden. Der Zusammenhang ist der Weltkrieg, ist Gold aus Spanien, ist Palästina. Eine Kreuzfahrt ist eine zu bewältigende Sache. Darum sind die Leute alle irgendwie angespannt. Das Meer rauscht vorbei. Godard liebt es auch, die Geräusche von Motoren oder Fahrtwind zu montieren, und zwar alles andere als naturalistisch, vielmehr mit Brüchen in der Sound-Continuity und auch mit Bearbeitung, Verstärkung, Verfremdung des Soundmaterials in Richtung weniger angenehmer Effekte als des dumpfen Gleichklangs einer Schiffsmaschine. Es hört sich dann an wie ein Mikor im Wind ohne Schutz.

Die Passagiere haben viel Zeit, sich gemäss Godards Radarsystem über alles zu unterhalten, was vielleicht ein, ja man muss es von ihm geradezu erwarten: ein heutiges Gesamtbewusstsein über dem Mittelmeer- und Europaraum mit seiner Geschichte der letzten Jahrzehnte, ja der letzten Jahrtausende, auch die Kreuzzüge werden erwähnt, herausgebildet hat, heraugebildet haben könnte.

Überraschend, wie stark ihn immer noch der zweite Weltkrieg beschäftigt, für wie virulent er ihn noch hält. Bevor wir alles vergessen. Oder: überraschend vielleicht eher, wie stark wir Zeitgenossen den schon vergessen haben. Er montiert das Material aber alles andere denn als eine Mahnung. Er sichtet und sieht und montiert.

Es gibt geographische Zwischentitel; eine Kreuzfahrt, die braucht Anlaufstellen: Aegypten, Palästina, Odessa, Hell As, war da was mit Griechenland? Napoli. Hat Griechenland nicht gerade gestern Europa vor dem Untergang bewahrt? Baute Europa viel mehr nicht immer schon auf Hellas? Demokratie und Tragödie wird Godard im dritten Teil dieses Filmes in Verbindung bringen.

Und immer wieder die Frage, wieviel vom spanischen Gold auf seiner Reise bis Odessa schon verschwunden sei. Godard beschäftigt aber auch, dass Hollywood von lauter Juden gegründet worden sei. Er zählt ihre Namen auf. QUO VADIS EUROPA fragt sich Godard. Er reflektiert über das mütterliche Blut und den Hass.

Vielleicht ist er dann seekrank geworden Oder sehkrank vor lauter leicht fibrierender Kamera? und ihm ist eine andere Variante seiner Art des Filmemachens in den Sinn gekommen. Er ist immer gerne in Industriebetriebe gegangen. Das Kino sollte ja die Welt verändern, sollte eingreifen in die Ungerechtigkeiten an den Arbeitsplätzen. Sollte diese auf die Leinwand bringen und damit ins Bewusstsein.

Hier ist es eine Garage J. J. Martin. Ein Filmteam ist mit Kamera zugange. Der kleine Sprössling der Garage, der Blondschopf ist ein kommendes europäisches Kulturtalent, er tut zu klassischer europäischer Musik schattendirigieren. Er ist umgeben von einem Lama und einem Esel. Aber zeichnen kann er bereits wie Renoir. Will heißen, er kopiert ihn. Das benutzt Godard in der Postproduktion wiederum für fantastische kulturverzerrende Farbeffekte

Die junge Frau von der Tankstelle steht zwischen den Zapfsäulen und liest Balzac. Sie lässt isch nicht gerne stören. Sie hat ein Programm: sie will 20 Jahre alt sein und sie will immer recht haben. Eine andere Frau, eine Intellektuelle oder Sekretärin?, Autorin vielleicht oder nur Verwalterin und Sammlerin von Texten?, steht an einer Mauer, macht Notizen, hört Anleitungen oder einfach Worte oder Sätze aus dem Off. Auf der Wand hinter ihr dreht sich der Schatten eines Windrades, Schattenwirbel um einen europäischen Kopf, einen Kulturkopf, einen Kulturverwalterkopf.

Wie immer bei Godard geht es auch ums Wirtschaften im Betrieb, dass er allen, die da arbeiten, gehören müsse. Armes Europa, liest Balzac und dann das.

Das Mittelmeer, das Mittelmeer; Godard lässt ab von der Tankstelle; die Seereise ist noch nicht erledigt. Hellas, die Demokratie und die Tragödie stösst ihm auf. Ob sich da je was machen lässt. Eine Uhr kommt ins Spiel, die goldene Uhr, die ein Junge im ersten Teil geklaut hatte und wie er über die Decks hochjagte und der Verfolger dann hinfiel; sie zeigt keine Zeit an,. sie stammt aus den Pharaonen-Gräbern, sie zeigt die graue Vorzeit, die Nacht der Zeiten an.

Auch wenn Godard an der Zeit leiden mag, an den Verhältnissen, mir scheint, er habe sich darin auch ein bisschen eingerichtet. Denn ob seine Message deutlich genug ist, ob sie sich nicht gewaltig versteckt hinter dem Wust an Footage, den er mit unendlichem Fleiss und Geschmack sichtet, auswählt und montiert, ob seine Message nicht immer nur undeutlicher wird und er vielleicht gar nicht versteht, warum das keiner mehr verstehen will oder kann. Würde mich echt mal interessieren, was er glaubt, mit solchen Filmen noch zu verändern. Oder geht er mehr auf einer akademischen Ebene um die Frage des Umganges mit Filmmaterial, der Grob- und Feinsortierung im Kopf? Je ne sais pas.

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