Play (Filmfest MÜnchen)

Auch einer der Filme, für die man viel Zeit, Festivalstimmung und Neugierde mitbringen sollte.

Einfach mal zuzuschauen bei diesem Spiel, was doch ganz vertrackt inszeniert scheint, sicher mit der Dogma-Idee im Hinterkopf – oder vielleicht habens die Skandinavier inzwischen im Blut – man muss da schon aufpassen. Das haptische Thema heisst Handydiebstahl und die These im übertragenen Sinne dürfte die sein, mit Vorurteilen liegst Du meist falsch.

Die Vorurteile wären zum Beispiel, schwarze Jungs, die in Göteborg im Einkaufszentrum rumlungern sind für gewöhnlich Diebe, und sie sind es, die jüngeren schwedischen Buben Handys klauen und sie bedrohen. Das wird in einer minutenlangen Szene im Atrium einer modernen Shopping-Mall erst mal suggeriert. Die Kamera dürfte im ersten Stock sehr diskret plaziert gewesen sein gegenüber den Rolltreppen, ähnlich einer Überwachungskamera, und als erstes kommen zwei Buben die Rolltreppe runter, bleiben in der grosszügigen Halle stehen und beraten, was sie weiter tun wollen, in welchen Geschäften sie noch vorbeischauen wollen. Zwei junge bürgerliche Schweden aus wohlbehüteten Häusern, so der Eindruck, um die zehn, elf Jahre alt.

Es scheint in einer ruhigen Stunde aber bei laufendem Betrieb gedreht worden zu sein, denn die Passanten, die vorbeikommen sind so natürlich, wie ein Komparse es nie ist. Die Buben dürften mit Mikroports ausgerüstet gewesen sein, man hört ihren Dialog ganz leise und doch verständlich.

Nach langer Zeit schwenkt die Kamera ganz langsam rüber nach links. Da sind einige etwas ältere schwarze Jungs, die rumhängen., vielleicht so 13, 14jährige. Sie entdecken die beiden weißen Jungs, die im Moment noch unentschlossen rumstehen und nach längerer Zeit geht einer von den Schwarzen zu den Kleineren rüber und fragt, ob er mal sein Handy sehen darf. Klar, die Schwarzen sind die Bösen, der wird das Handy dem Jungen gleich entreissen. Aber nichts davon. Die Kamera schwenkt noch einige Male hinüber und herüber. Die Gruppen tun sich wieder zusammen beraten sich, für sich und mit den anderen. Der weiße Junge, zeigt schließlich sein Handy und die behaupten, das sei vom Bruder des einen Schwarzen. Aber noch passiert nichts Kriminelles.

Die Jungs trollen sich von dannen. Zur Erholung von der langen Beobachtung, denn noch weiß der Zuschauer nicht genau, worauf das alles hinauslaufen soll, worauf er acht geben soll, gibt’s jetzt ein kleines Intermezzo am Fusse eines mächtigen Denkmals. Hier hat sich eine Musik-Gruppe bunt kostümierter und mit Federnschmuck versehener Indios aufgestellt und spielt. Passanten bleiben stehen und gaffen. So glaubwürdig, also inszeniert kann das nicht sein.

Wo fängt das Leben an, wo hört die Inszenierung auf? An der Glastür eines schikcen Büros, adact steht auf dem Schild, sind zwei Hostessen mit dem Säubern des Glases beschäftigt, eine putzt, die andere kontrolliert und findet unsaubere Stellen. Vorher ist eine elegant gekleidete Gesellschaft, alle mit kleinen Geschenktütchen am Arm in den Raum neben diesem Eingang gegangen. Vermutlich noch ein Intermezzo, bis Kamera und Regie die Jungs wieder gefunden haben?

Die sind jetzt in einem Musikgeschäft und probieren Gitarren aus. Die Buben sind inwischen zu Dritt, Sebastian, John, der Chinese, und noch einer. In der Zwischenzeit wird ein weitere Szene, die zu einer Serie im Film werden wird, eingeführt.
In einem Vorortszug findet der Schaffner eine herrenlose Holzwiege. Um die werden er und eine Kollegin sich noch oft zu bemühen haben, dann stellen sie sie in den Gang zwischen erster und zweiter Klasse, aber auch dort stört sie. Sie wird später überraschend wieder an völlig anderem Ort auftauchen.

Andererseits kreisen die schwarze und die weiße Bubengurppe immer enger umeinander. Als nächstes sind sie in einem Schuhladen mit Turnschuhen. Dann hängen sich die Schwarzen in der Tram an die Weißen. Bis diese Zuflucht in einem Café suchen. Die Schwarzen geben zu erkennen, dasss sie friedlich sind. Und sie müssen nur den Bruder des einen noch fragen, ob das sein Handy sei. Die beiden Gruppen verlagern sich schließlich in ein Oedland. Dort kommt es zu einem sonderbaren Wettbewerb. Die Schwarzen schlagen vor, alle Wertgegenstände, die sie auf sich tragen auf einen Haufen zu tun, also Portemonnaies, Handys und dann mittels eines Wettlaufes eines Schwarzen gegen einen der weißen Buben zu entscheiden, welcher Gruppe das alles gehören soll. Die Schwarzen gewinnen, dank einer Abkürzung, die ihr Läufer nimmt. Die Weißen nehmen das widerstandslos hin und sind ihre Güter fürs erste los.

Die beiden Gruppen besteigen die Strassenbahn für die Rückfahrt. Jetzt kommen richtige, ausgewachsene inländische Schläger und mischen die Jungs auf. Die inzwischen ihres Geldes und ihrer Handys verlustig gegangenen weißen Jungs geraten später in einer Fahrkartenkontrolle und müssen sich blöd anmachen lassen. Den Eltern werden saftige Bußen aufgebrummt. Die Indios vom Anfang des Filmes nehmen jetzt in einem Schnellimbiss eine Mahlzeit zu sich.

Später entdeckt der Vater von Sebastian einen der Schwarzen, von dem er meint, er habe dem Sohn das Handy abgenommen. Er bedroht ihn und versucht ihn zu schlagen. Der wehrt sich aber und eine Schwedin geht dazwischen, sie werde die Polizei holen, wenn er den schwarzen Jungen nicht in Ruhe lasse; der hatte jetzt plötzlich die Wiege aus dem Pendlerzug dabei.

Der Filmemacher zeigt ein Leben ohne grossen Zusammenhang, ohne grosse Ideen, mit sich wiederholenden Elementen, das Leben ist chaotisch, ungeregelt, voller Gefahren und Willkür. Die kleinen Unordnungen im Leben. Und die Vorurteile treffen meist die Falschen. Die schwarzen Jungs haben jetzt das Handy von Sebastian und wie die besorgte Mutter anruft, verarschen sie sie total.

Ganz am Schluss: ein Clown auf einem Kindergeburtstag.

Vielleicht der Versuch, ein Versuch, dem Leben etwas auf die Pelle zu rücken, Leben auf der Leinwand entstehen zu lassen mit möglichst wenig Regie. Ein Versuch, die scharfe Trennlinie zwischen Inszenierung und Dokumentation aufzuweichen? Oder gar eher eine pädagogische Arbeit, die hier zu besichtigen ist, pädagogische Jugendarbeit? Oder radikale Kinoarbeit in der Nähe des Experimentes, der Kunstaktion?

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