Blue Valentine (Filmfest München)

Wenn Film Begegnung ist, dann handelt es sich hier um die Begegnung mit einem hoffnunglosen Fall von Romantiker, mit einem, der eine romantische Vorstellung von Beziehung hat – und daran scheitert, mit einem, der ein Spieler ist, kein Rationalist.

Das Scheitern der Beziehung eines Romantikers nacherzählt aus der Position desselben, des Protagonisten Dean. Eher ein fassungsloses vor dem Scherbenhaufen-Stehen und sich fragen, wie ist das möglich geworden.

Der Protagonist selbst will Klärungsinput in das schon nach wenigen Jahren ausgehöhlte Verhältnis bringen. Er ist zusammen mit Cindy, sie haben ein vierjähriges Mädchen, Frankie. Cindy ist überfordert mit ihren sie auslaugenden Aufgaben von Job in einer Klinik, Kind versorgen und Haushalt managen. Während ihr Mann lieber mit Frankie spielt, die Melodica oder die Gitarre hervorholt oder mit dem Hund rumlümmelt.

Der Film fängt mit den verzweifelten Rufen nach Mega, dem Hund an. Der ist entlaufen. Erst viel später erfahren wir, dass er tot ist. Irgendwo wird Dean ihn begraben. Kaum ist der Hund verschwunden, setzt es gleich Vorwürfe an Cindy, sie hätte das Tor offen gelassen.

Dass die Ehe sich auseinandergelebt hat, wird schnell klar. Das spürt auch Dean. Er möchte die Beziehung nicht verlieren. Er schlägt einen Kurztrip mit Übernachtung in einem Motel vor, damit sie über sich und ihre Lage und ihre Liebe sich unterhalten können, Paartherapie ohne Therapeuten.

Der Film wird in drei Bewusstseins- oder Zeitebenen von Dean erzählt. Eimal die Geschichte von ihm und Cindy, vom Kennenlernen bis zur Hochzeit und Schwangerschaft. Dann in der Heute-Phase mit dem zentralen Punkt des Therapieausfluges und schließlich noch aus der Perspektive von Deans Job als Umzugshelfer bei Steinway Moving & Storage, wo sich Gelegenheit gibt, mit dem Kollegen sich über Frauen zu unterhalten.

Die Erzählweise ist extensiv. Es wird kein Zuschauer überfordert. Der Film möchte so den Eindruck von Lebensnähe und Realismus erwecken. Er tut es ausserdem durch die Besetzung mit den zwei fabelhaften Protagonisten Ryan Gosling als Dean und Michelle Williams als Cindy.

Die Erzählweise ist weder besonders skeptisch noch aufdringlich analytisch. Sie nimmt die Menschen wie sie sind und kann sehr bestürzt sein, dass sie so sind, wie sie sind und kann auch dem Zuschauer weh tun, wie eine Bebilderung des Songs, ich zerstöre immer, was ich liebe, zeigt. Der Zuschauer muss zuschauen, keine Chance einzugreifen. Dieses Gefühl von Irreparabilität einer Beziehung, die wird dem Zuschauer mit auf den Heimweg gegeben.

Dean gewinnt Sympathie mit seinem Charme, seiner Spontaneität, seiner Musikalität, mit seinem Wesen eines kumpelhaften Vaters, der zu seinem Töchterchen sagt, wir sind Tiger und dabei selbst wieder Kind wird, lieber das als strenger Vater zu sein. Mit den Haferflocken auf dem Frühstückstisch kann man auch ganz kindische Sachen machen. Das missfällt der verantwortungsbewussten Mutter. Da hat sie zu schlucken, mit so einem Mann. Das äussert sich in ihrem Satz, sie möchte nicht zwei Kinder sauber machen müssen. Der Romantiker will Kind bleiben. Er will keine Verantwortung übernehmen.

Die Anbandelung fand am Arbeitsplatz von Cindy statt. Ein Job von Dean, er arbeitete bei einer Umzugsfirma, ein Umzug führte ihn aus der Bronx ins zwei Stunden entfernte Pennsylvenia. Walter, ein Greis, ist dorthin ins Altenheim gezogen. Liebevoll hat Dean versucht, ihm das neue Zimmer mit dem Umzugsgut wieder einzurichten, das ist der nicht profitorientierte Romantiker, die Dinge müssen schön sein, aber merkwürdigerweise macht er sie sich damit auf der grossen Linie kaputt, denn die Kollegen und der Chef drängen, man müsse zurück. Das stört den Romantiker wenig, trotz diesem Druck hat er noch Zeit zum Anbandeln und Adressen tauschen. Der Film lässt sich sehr viel Zeit für solche Dinge, die dann jeweils nur ein Argument, nur einer Illustrierung des Charakters dienen

Mama ist also immer am Haushalten und Papa hat Ideen. Das kann nicht gut gehen.

Die Auseinandersetzung im Motel, wobei dort die Frage war, das Zimemr „Amor-Bucht“ oder das Zimmer „Zukunft“ zu mieten und sich Dean und Cindy für letzteres, also nicht für das Romantische entscheiden sondern für das Zimmer „Zukunft“, aber das hilft nichts. Kommentar zur futuristichen Einrichtung von Dean: roboter vagina, there is no window.

Je stärker im Heutestrang klar wird, dass die Beziehung tot ist, dass auch ein Selbsttherapiewochendende nichts bringt, umso mehr beschäftigt sich die Rückblende mit den schönen, romantischen Zeiten der Beziehung. Der erste Besuch von Dean bei den Eltern von Cindy. Wie betont wird, das sei ja ganz selten, dass sie einen Mann mit nach Hause bringe. Am Tisch kommen auch die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Dean und Cindy zur Sprache. Die ganze Familie ist stolz, dass Cindy studiert, sie will Ärztin werden. Sie studiert beim netten Professor Comstock: über den Namen amüsiert sich Dean, er findet, Professoren haben immer so lustige Namen, teachers always have these names. Während Dean ambitionslos ist. Sein Vater war Hausmeister und ein begeisterter Musiker. Das macht schon Spass, so ein Musikinstrument in die Hand zu nehmen. – Es sind also zwei konträre Lebensentwürfe und es ist besonders schmerzhaft mitanzuschauen, wie das von Cindy und ihrer Familie erträumte Puppenhaus so brutal zusammenbricht, dass Cindy nur noch weg will und die Scheidung. Er fährt ihr dann noch nach. Dringt ins Haus ihrer Eltern ein, sperrt den oxygenabhängigen Papa ohne Schlauch aus und erinnert an das Eheversprechen, in guten wie in schlechten Zeiten, das evoziert die Bilder vom Standesamt.

In einer früheren gruppendynamischen Auseinandersetzung sagt sie, er lege ihr Worte in den Mund, die sie nie gesagt habe, er rede Blabla. Sie kämpfen sogar, sie ringen.

Später dringt Dean an ihrem Arbeitsplatz ein, der Romantiker kann den Verlust seines Paradieses nicht verschmerzen, es kommt zur tätlichen Auseinandersetzung, er verletzt den Arzt im Gesicht.

Dean weist als letztes Mittel, Cindy zurückzubekommen, auf das Kind hin. Cindy will aber nur noch divorce. Dean trägt jetzt einen Pullover mit einem aufgedruckten Adler. Tja, so löst man keine Probleme.

Auch der Filmerzähler sieht keine Lösung für das Eheproblem. Er schildert es eher fassungslos, nicht analytisch, eher im Sinne, sich die Dinge nochmal zu vergegenwärtigen mit der vagen Hoffnung, es könnte einem etwas einfallen, was vielleicht hiflreich wäre. Aber Dean ist nun mal der Schlawiner-Typ, dem der Moment wichtig ist, der nicht kapiert, dass er für eine ferneres, für ein dauerhaftes Glück kurzfristig auf Dinge verzichten sollte.

Vielleicht bezieht der Film seine Qualität gerde aus dieser ausladenden, relativ ereignisarmen Erzählweise; denn es handelt sich keineswegs um eine ungewöhnliche Geschichte, die scheint mir eher allzu häufig.

Feuerwerk.
Dean geht Frankie nach und schickt sie zurück zur Mutter.

Dann ein intensiver Bildcollagenmix zwischen dem Feuerwerk und ein traurig-romantisches Lied über die Liebe. IS THIS YOU? Kenn ich mich noch aus?

Der Regisseur dieses wunderbaren Filmes heißt übrigens Derek Cianfrance.

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