Wer ist Hanna und warum soll ich mich für sie interessieren, das frage ich mich nach dem Film mehr noch als vorher.
Wobei ich mich vor dem Film schon fragte, wieso soll ich mich überhaupt für Hanna interessieren? Der Titel gibt dafür keinen Anhaltspunkt. Das dürfte jedoch eher ein Problem des Marketings sein.
Hanna ist jedenfalls die Hauptfigur dieses Filmes. Sie wird von ihrem Vater in nordischer Abgeschiedenheit und Wildnis härtest auf ein Leben als Überlebenskämpferin und Killerin in der zivilisierten Welt, die sie nicht kennt, vorbereitet. Ihr Vater heisst Erik, sonst ist nichts Besonderes an ihm. (Allein diese Absurdität: in der Wildnis für den Kampf in der Zivilisation ausgebildet werden, deutet darauf hin, dass man die Geschichte wohl nicht sehr ernst nehmen soll, so wenig wie einen Tennisspieler, der sich auf Sand für Rasenspiele präpariert, dass man den Reiz des Filmes wohl anderswo suchen muss, doch davon später mehr).
Diese Ausbildung für einen nicht näher definierten Überlebenskampf umfasst, dass sie verschiedene Sätze in verschiedenen Sprachen lernt, dass sie sich eine deutsche Biographie zulegt, die sie auswendig lernt und die behauptet, sie komme aus Leipzig (hoffen wir mal nicht der Filmförderung wegen).
Die Frage nach dem Wer ist, Who is, kann vielfältig gestellt werden. Die spannendste Variante wäre die nach dem Charakter, nach der Persönlichkeit, nach den Maximen der Weltbewältigung und des Handelns, die Frage nach den Zielen und den Visionen, die jemanden bestimmen, die Frage nach der Identität. Diese Frage wird hier so nicht gestellt.
Hier scheint es eher die Frage nach den Umständen der Zeugung zu sein. Und das wird erst nach längerer Laufzeit des Filmes deutlich. Ist somit kein Spannungsbringer noch ein Erheller.
Stattdessen werden Fäden von Hanna ins UN-Gebäude in New York gelegt. Hanna soll ins Fadenkreuz internationaler, weiter nicht definierter Interessen und des CIA geraten. Denn, das hat ihr ihr sie trainierender Vater eingebläut, wenn sie sich fit für den Kampf fühle, für die Initiation in die Welt, dann muss sie einen geheimen Hebel der ganz nah bei ihrer versteckten Behausung in der Wildnis vergraben ist, umlegen und dann wird sie sozusagen aus dem Planschbecken der Wildnis ins Schwimmbecken der Lebenspraxis geworfen, wobei so formuliert schon viel Interpretation dabei ist.
Diese Lebenspraxis sieht folgendermassen aus: Im UN-Gebäude in New York wird durch das Umlegen besagten Hebels eine gewisse Marissa alarmiert, die offenbar in einer Verbindung zu Hanna steht und ihrem vermeintlichen oder echten Vater Erik ans Leder will und dazu Hanna verfolgt.
Die Frage nach Hanna wird also erst mal über längere Zeit mit einer Verfolgungsjagd nach oft gesehenem Muster beantwortet: Marissa verfügt über ein geheimnisvolles Netz an Beziehungen und Agenten, um Hanna ständig auf den Fersen zu bleiben und sie andauernd in schier aussichtlose Situationen zu bringen. Aus denen Hanna natürlich immer wieder rauskommt. Dabei spielt das Gebrüder-Grimm-Haus in einem geschlossenen Vergnügungspark in Berlin, in dem Katharina Thalbach erst letzte Woche im Kino zu Joschka Fischer ausgesagt hat, eine wichtige Rolle und auch hier hoffen wir doch ums Himmels Willen nicht nur wegen Herrn Kulturstaatsminister Neumanns Filmförderung.
Im Rahmen dieser Verfolgungsjagd von Marokko über Hamburg bis Berlin gibt es eine Szene, die fasziniert, verwundert, irritiert einen Moment lang (vielleicht erfährt man jetzt etwas Persönliches über Hanna, die bisher nur als Kampf- und Selbtbefreiungsmaschine zu besichtigen war?); nachdem sie nämlich aus dem Hochsicherheitstrakt aus Marokko wie mit Zauberkräften fliehen und sich an eine englische Camper-Familie anschliessen konnte, da gibt es einerseits eine merkwürdig abstrakte Anbandelungsszene mit einem Spanier (Erotik scheint für Hanna zu bedeuten, die Anzahl Gesichtsmuskeln zu benennen, die beim Küssen aktiv sind), die wiederum ist überhaupt erst möglich, weil sie sich mit dem Töchterlein der Camper-Familie anfreundet: da spriesst ein kleines Pflänzchen an menschlicher Beziehung. Jedoch bevor man sich die Frage stellen kann, wer Hanna denn nun sei, geht die wilde Jagd nach bewährten Rezepten weiter über Hamburg nach Berlin.
Man könnte die Titelfrage des Filmes umformulieren: Wer sind die Macher dieses Filmes? Sind sie von der Art Schlaumeier, die sich erst erkundigen, wo man wie Förderung kriegt und sich dann den entsprechenden Film zusammenbasteln? (und falls einem der Film nicht sonderlich antörnt, könnte man sagen, ein nicht sonderlich antörnender Film als Produkt auch der Deutschen Filmförderung, ein Film also primär zur Beschaffung von Fördergeldern und nicht primär zum Ergötzen des Publikums). Zum Dank für das deutsche Geld dürfen dann ein paar deutsche Schauspieler auch ein paar Sätze sagen.
Ein Stück expressiven Stilwillens der Filmemacher zeigt sich in der schablonenhaften Stilisierung der britischen Camper-Familie, die an jene Sorte humoristischer Postkarten mit witzigen Situationstexten erinnern. Das gibt Wiedererkennungswerte. Lenkt kurzfristig angenehm ab von der immer drängender sich stellenden Frage, ob denn die Frage nach Hanna noch irgendwie relevant sei oder Substanzielles zu zeitigen imstande sein werde. Der Ansatz zum Stilwillen lässt sich auch positiv im Sound erkennen. Und mit der ungewöhnlichen, gelegentlich aufregenden Fotografie verstehen es die Macher, durchaus zu blenden (dies der anfangs angekündigte Reiz des Filmes).
Ein grosses Problem war in meinen Augen auch Hanna. Sie wurde besetzt mit einer zivilisatorisch gut sportlich Trainierten. Diese Bewegungen unterscheiden sich leider krass von den Bewegungen der Wildtiere in der freien Wildbahn oder eines Menschen, der so aufgewachsen ist, so naturverbunden, Bewegungen wie die Aborigines sie noch haben. Kommt hinzu die ungünstige Kleidung von Hanna, die die Körperlichkeit, die für die Figur elementar wichtig wäre, eher verdeckt und der Sache somit viel Reiz wegnimmt.
Ein weit gravierendes Problem sehe ich allerdings in der Moral der Geschichte. Oder der Substanz. Erik, bekleidet mit Fellen wie Waldmenschen im Film halt von der Kostümabteilung ausgestattet werden, liest Hanna am Lagerfeuer aus den Gebrüdern Grimm vor. Die Märchen haben immer eine Moral. Hanna aber weiss überhaupt nicht, wofür sie kämpft, noch hat sie eine Moral gelernt von Gut und Böse, sie hat nur das Kämpfen und Fliehen gelernt. Sie ist als eine Maschine gross gezogen worden. Was soll so eine Menschen-Maschine nun plötzlich mit Moral. Sie weiss nur, dass sie kämpfen muss und wie. Aber nie wozu, nie, was sie damit erreichen soll. Es gibt keinen Wert, um den sie kämpft. So ein Wert jedoch würde den Menschen definieren, die Frage nach ihm beantworten. Das tut der Film nicht, er erfüllt seinen Titel nicht.
Fazit: Mit den Mitteln blendend gestylter, modischer Filmsprache, supergesoundet und filmförderbewusst konstruierter und entsprechend schief gebauter Story – wird eine Nichtgeschichte, ein Nicht-Märchen ohne weiteren Nährwert erzählt: ein aufgeblähtes Nichts oder der Versuch einer postmodernen Formulierung von Nihilismus?