Barfuss auf Nacktschnecken

Gegen die Regel, gegen den Strich, das scheint die Handlungsmaxime der hier portraitierten Lily zu sein. Im Film geht es darum, dass der Tod von Mama durch einen Schlaganfall, den sie beim Autofahren erlitten hat, Lily fast ganz aus der Bahn wirft (der Vater hatte schon früher Selbstmord durch Erhängen begangen) und ihre Schwester versucht, dem gegenzusteuern.

Lily lässt sich von den Ordnungsprinzipien leiten, indem sie sie konsequent durcheinander bringt, missachtet, gegen sie agiert. Lily moniert, dass ihre Schwester verlange, dass sie normal sein müsse. Sie entwickelt eine Normalität des Antinormalen – als Ausdruck eines Aufbäumens gegen den Tod, gegen das Unvermeidliche? Ihrer Schwester, die sozusagen ein ordentliches Leben führt, wirft sie vor, sie verschlafe das Leben.

Auf das Grab der Mutter kommt statt Kranz oder Grabgebinde Firlefanz. Ein auf der Strasse gefundener toter Hase wird wie ein Fundgegenstand in den Beutel gesteckt. Sie legt sich selbst wie tot auf die Strasse. Warum sich normal bewegen, wenn skurril auch geht? Die Regeln des Trauerns stören sie, das sind doch alles nur Leute, die Mutter gar nicht gekannt haben und die nur wegen dem Fressen gekommen sind und dann noch Schwarz tragen. Oder mit dem Truthahn auf dem Sofa hocken. Zum Baden im See hat man pas besoin de maillot. Und der Schwager möge ihr eine Micky-Mouse-Uhr schenken.

Sich gegen Gesetzmäßigkeit sträuben. Das tut auch die Bildnerei in diesem Film. Sie bleibt an Details hängen, die ihr gefallen, sie lässt das rote Auto mit der toten Mutter darin nicht irgendwo in einen Strassengraben fahren, nein, ein Ballen Stroh auf einem abgeernteten Kornfeld und die Stoppeln davor sind viel malerischer und wie das Auto langsam und führerlos hineinsteuert. Die Kamera praktiziert ein Prinzip der Spontaneität, das immer wieder zu traumhaften Sujets und Lichstimmungen aber auch zu abrupten Szenenenden findet.

Lily ist quasi eine Ordnungswidrigkeit per se und sie ist sich dessen bewusst. Sie will die Erwachsenen-Welt nicht wahr haben, wie sie ist, weibliches Aufbegehren gegen die Geschlechterverteilung, gegen die Regeln und gleichzeitig darin einen Sinn finden, Männer zu küssen, denn für irgendwas ist man doch gut. Weltverweigerung, die zugleich eine Art von Weltgewinnung ist, Gewinnung einer wunderbar versponnen-skurrilen, kindlich-naiven Welt, vielleicht speziell einer Frauenwelt. Damit die noch schöner zur Geltung kommt, ist im Film auch die Figur des Rationalisten vertreten in der Person des Schwagers, der auch klar der Meinung ist, dass Lily nicht geisteskrank sei.

Die Antwort auf dieses Aufbegehren gegen die rationalen/wirtschaftlichen Zwänge dieser Welt ist dann aber doch beachtlich rational und irgendwie fast schon wieder banal oder spiessig: mit der Schwester im eigenen Bus durch die Lande fahren und selbst gekochte Confitüre verkaufen. – Aber auch das Windrädchen, das Lily vorn an ihrem Fahrrad hat, nutzt letztlich auch nur die Gesetze der Natur.

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