An einem Samstag

Der Film ist ein Versuch, einen Aspekt der Tschernobyl-Atomkatastrophe von vor 25 Jahren aufzuarbeiten, er thematisiert die Verharmlosung der Katastrophe durch die Verantwortlichen, die anfängliche Verdrängung durch die am nächsten Betroffenen eines Unglücks, das theoretisch nur alle Zehntausend oder Hundertausend Jahre einmal passieren dürfte – gemäss Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Er thematisiert aber nicht die ungeheuren Schlampereien, die zum Unglück geführt haben und die die ganzen Unwahrscheinlichkeitshypothesen vom Eintreten des GAU obsolet gemacht haben.

Er zeigt in einer kurzen Sequenz einen Funktionär, der noch angesichts des brennenden Reaktors behauptet, es gebe kein Unglück.

Der Hauptteil des Filmes schildert wie das Leben in nächster Nähe des brennenden Reaktors dank vorenthaltener Information und der Kunst des Verdrängens weiter geht als ob nichts wäre. Dramaturgischer Kontrapunkt, der allerdings nur anfänglich Dynamik in Gang setzt, ist ein junger Arbeiter des Kraftwerkes, der atomäugige Valerij, der dort war, der den Unfall mit eigenen Augen gesehen hat, der auf Knien durch verseuchtes Graphit gekrochen ist, der sich jedoch sonderbarerweise an das Informationsverbot hält (das mutet für uns twittrige Zeitgenossen tatsächlich sonderbar an, aber es war ja zur Zeit des Eisernen Vorhangs), allerdings versucht er seine und seiner Braut Haut zu retten, indem er mit ihr abhauen will.

Der anfangs sehr hastige und auch hastig gefilmte Versuch, die Freundin von der Dusche weg abzuholen, sie zu packen, mit ihr zum Bahnhof zu laufen endet wegen eines verlorenen Absatzes vom Stöckelschuh (die Freundin hat geglaubt sie gehen zu einer Fete) mit Verpassen des Zuges; stattdessen gehen die beiden in aller Ruhe und wählerisch ein neues Paar Schuhe einkaufen, Atomunglück hin oder her; denn sie sind zu einer Hochzeit eingeladen, auf der die Freundin auch singen soll. Und Valerij wird dann mit seiner ehemaligen Band aufspielen. Die Flucht hat ja noch Zeit.

Je grösser also die radioaktive Wolke, desto weniger interessiert sich der Film und die von ihm ins Visier genommenen Akteure dafür, von Panik keine Spur, die Hochzeit ist im Gange, die Musiker kriegen gut Trinkgeld und Tranksame und wollen noch eine Runde spielen, obwohl sie inzwischen auch über die Gefahr Bescheid wissen, man kommt nicht los von der Stadt, die Kamera kann sich nicht satt sehen am spärlichem Bartwuchs der jungen Männer, sie geht ganz nah ran, das Fest läuft auch Hochtouren.

Dazu eine wunderschön poetische Liebesszene am Rande der Hochzeit: da liegen Valerij neben seinem Freund und dessen Braut nebeneinander im Gras und vor lauter Glück küsst der Bräutigam Valerij, küsst ihn auf den Mund und anschliessend die Braut, die aber sofort unterbricht und findet, der Bräutigam habe so einen metallenen Geschmack im Mund. Ein wunderbar symbolische Szene mit eigener poetischer Kraft.
Die Bilder sind sowieso immer schön und stimmungsvoll und dem jeweiligen Gegenstand angemessen.

Das Pech für diesen schönen Film dürfte einzig sein, dass inzwischen Fukushima passiert ist und sich damit die öffentliche Bewusstseinslage deutlich verschärft und verändert hat. So erzählt er doch eine Geschichte von weit, weit weg.

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