Biutiful

Alejandro Gonzáles Inárritu schwelgt cinematographisch grandios in einem jener Bodensätze (konkret in demjenigen von Barcelona), auf welchem Europas Wohlstand nicht schlecht gedeiht. Er durchpflügt dieses Substrat an Kollaboration mit der Polizei, der Beschäftigung Illegaler, der Prostitution und des Drogenhandels dicht an seinem Helden Uxbal, Javier Bardem, der bereits an einer der Zivilisationskrankheiten leidet und zwar schon recht fortgeschritten, an Prostatakrebs.

Wer noch frustriert ist vom deutschen Prostratakrebs-Film, den Bruno Ganz vor kurzem zelebrierte, der kann jetzt cineastisch Luft holen. Auch Bardem ist ein gebrochener Held. Der zwar noch ein Familienleben versucht und zärtlich an diesem hängt mit seinem kleinen Buben Mateo, dem grösseren Mädchen Ana und einer Nutte als Mutter, Marambra, die er zurück haben will.

Zur engeren Familie gehört auch sein Bruder Tito. Ein eher makabres Geschäft zur Geldbeschaffung ist das Auflassen der Sargnische ihres Vaters, welcher in einem Zinksarg von Mexiko nach Spanien transportiert worden ist. Dieser Vater ist auch der Anlass für die ganz kleine, fast poetische Rahmenhandlung, zwei Männer im Wald, der eine dürfte der Großvater sein und Bardem, also surrealistisch sowieso, und die Erzählung von der Eule, die, kurz bevor sie stirbt, noch ein Gewölle fallen lässt und der andere soll doch seinen Pferdeschwanz aufmachen. Ein bisschen rätselhaft bis symbolistisch darf die Geschichte um einen schönen Film sein.

Was den Film vielleicht so eindrücklich und spannend macht ist nebst der Cinematographie sicher auch der simple dramaturgische Trick, dass Inárritu sich auf die Hauptfigur Uxbal konzentriert (fast so erpicht auf sein Objekt und nah dran wie die Brüder Dardennes es mit ihren Protagonisten halten). Uxbal, geht aus der Not heraus allen möglichen Arten der Geldbeschaffung nach, um seine kleine non-intakte Familie am Leben zu erhalten (aus Uxbals pädagogischer Aktivität, seinen Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen, entstammt der Titel, BIUTIFUL, so versteht und schreibt Ana das englische Wort für „schön“); denn der Weg des Geldes kann einen Menschen und den ihn verfolgenden Filmer ganz easy durch einen riesigen barcelonischen Mikrokosmos führen und Dinge aufdecken, die sonst bessser im Dunkeln blieben, zum Beispiel die beiden verliebten Asiaten, die in einem Keller etwa 30 Illegale unterbringen und die daraus sich entwickelnde Horrorgeschichte; oder die Szene mit den drei Särgen mit den toten Kindern, aber der Sarg mit dem Opa muss wieder aufgemacht werden, der ist jedoch mumifiziert wegen dem Transport, da dauert die Verbrennung länger.

Und immer wieder ist Uxbal in den engen Strassen und Gassen von Barcelona unterwegs, er will auch die Mutter seiner Kinder zurück: kurze Ausblicke auf die Gaudí-Kirche oder die Torre Agbar dann Vogelflug zur kurzen Entspannung zwischen den vielen vollgestellten Innenräumen, in denen wir ihn immer wieder finden. In der Unterkunft der Illegalen krabbeln Myriaden von Insekten. Da ist wenig Platz für Freiheit. Wenig Platz zum Atmen. Selbst wenn mal Platz auf einem öffentlichen Platz wäre, dann findet sicher eine Polizeirazzia statt gegen schwarze Straßenhändler. Oder Uxbal prallt selbst auf die Polizei.

Die Krankheit.
Eine der ersten Szenen zeigt ihm beim Arzt. Eine Schwester will ihm Blut abnehmen. Seine Adern sind schwer zu treffen. Da sticht er selber. Woher er das könne. Später sieht man ihn einmal mit Windeln. Dann pisst er Blut. Früh im Film sieht man nur, wie er einige Blutstropfen von der Klobrille wegwischt, später sieht man dann den Blutstrahl. Gegen Ende kann er sich kaum mehr bewegen.

Mit diesem Film legt Inárritu mit einem Kino, das einen nicht kühl lassen kann, den Finger auf eine schwärende Wunde an der Wurzel des Wohlstandes von Europa und liefert zugleich einen hochaktuellen Film in Hinblick auf die zu erwartenden Flüchtlingsströme aus den nordafrikanischen Umbruchs-Ländern.

BIUTIFUL ist ein beispielhaft europäischer Film, der durch den mexikanischen Ursprung seines Autors/Regisseurs nichts an seiner Europizität einbüsst, im Gegenteil: ir a mirar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert