Mein Kampf

„Kukuruz im Zwielicht“ heißt eines der Werke des jungen Hitlers, der sich in Wien an der Kunstakademie fürs Studium bewirbt und zweimal nicht genommen wird. Er wird unterstützt vom Schlomo Herzl, dem Juden und Bibelhändler. Von dem hat er auch die Idee zum Titel für sein Buch Mein Kampf. Und der ist es, der dem jungen hochfahrenden, ausgemergelten Künstler mit der verletzten Seele empfiehlt, in die Politik zu gehen.

Der Film ist nach einem Theaterstück von George Tabori und umfasst die Zeit von der Ankunft Hitlers in Wien bis zu den ersten politischen Agitationen.

Tom Schilling spielt den jungen Hitler. Solche jungen Künstler gibt es auch heute, die an die Kunstakademie oder an die Filmakademie gehen und gleich berühmt werden wollen. Die hochempfindlich sind, sicher auch leidlich begabt, aber die auffallen wollen um jeden Preis, die groß werden wollen. Künstler, deren Sehnsucht nach Größe ihr Talent übersteigt. Tom Schilling stellt einen solchen jungen Künstler dar, der heißt Adolf Hitler. Wobei ich allerdings, wenn es um Heutigkeit geht, und ich zum Beispiel an moderne Amokläufer denke, sicher auch seelisch sehr verletzte Figuren, die Beachtung suchen und darum an ihren Schulen Blutbäder anrichten, mehr an introvertierte und unauffällige Typen denke, bei denen sich dann der Kessel mittels katastrophaler Aktionen entlädt. Denn nur was ohne Ventil kocht, das kann eines Tages explodieren, der Extrovertierte verschießt sein Pulver dauernd.

Warum Tom Schilling schon für die ersten politischen Reden, die er hält, die Gestik des abgebrühten Hitlers, der sich rhethorisch-gestisch hat schulen lassen, benutzt, diese fast mechanischen Abläufe von ausgestreckter Hand und dann wieder Faust auf die Brust, eröffnet sich mir nicht; ist ja doch eine ziemlich andere Charakterisierung der Figur, als wie es vom Hitler heißt, dass er in seinen Anfängen nur wild gestikuliert habe.

Götz George spielt Schlomo Herzl, den Juden, den Außenseiter.
Er verzichtet ganz auf Anklänge des Jiddischen in seiner Rolle. Er spricht seinen Schlomo in diesem merkwürdigen TV-Hochdeutsch, das sich konsequent einer regionalen Ortung widersetzt. Dadurch wird er zum Außenseiter, denn die meisten im Film sprechen wienerisch. Merkwürdig. Das Stück spielt in Wien. George ist also Außenseiter wegen seiner Sprache und nicht wegen des Jüdischen oder des Jiddischen. Merkwürdig. Und noch auf eine andere Art ist er Außenseiter: im Verhältnis seiner realen Physis (die vom vielen Schwimmen vor Korsika noch recht fit ist) und der Physis, der viel greisiger behaupteten Figur Schlomo. Eher versucht er, einen komödiantischen Alten wie aus dem Lehrbuch – oder aus der Klamotte – zu spielen. Leicht buckelig, tüddelig, fahrig, den täppelnden, unsicheren Gang, das Innehalten mitten im Satz und die großen aufgerissenen Augen voll trauriger Zweifel (aber die scheinen mehr das George-Markenzeichen denn Figur-Charakteristik zu sein). Eine Figurinterpretation, die sich mir nicht erschließt.

Der junge Hitler behandelt den alten Schlomo wie einen Dreckskerl. Aber der lässt sich dadurch nicht aus der Fassung bringen. Wobei nicht ganz klar ist, wieso nicht, wieso er sich das bieten lässt, ob das Weisheit ist, scheint doch Schlomo irgendwie auch sehr nur mit sich und Darstellung der seiner eigenen Person beschäftigt.

Ein bisschen darf sich der junge Hitler von Schlomo auch verarscht vorkommen, denn die pseudofreundliche Hilfe von Schlomo ist nicht unververgiftet. Er gibt das Bild einem Kunsthändler. Dieser hängt „Kukuruz im Zwielicht“ gegen Geld ins Schaufenster. Damit macht der den jungen Hitler glauben, seine Kunst tauge was und sei gefragt. Er gaukelt dem jungen Hitler Hoffnung vor. Diese verkehrt sich in eine große Blamage für Hitler. Der Tochter seiner Vermieterin will er diesen Erfolg vorführen. Aber die Frau des Kunsthändlers lässt den Schwindel auffliegen. Eine ziemliche Kränkung, und das vor den Augen der Angebeteten. So gerät der Kukuruz doppelt ins Zwielicht. (und insofern tuts auch nicht besonder weh, wie Hitler den Schlomo dann ins Gefängnis werfen lässt).

Überhaupt ergibt sich aus Inszenierung und Besetzung nicht, wieso das Stück von George Tabori jetzt verfilmt werden musste.

Zwei mögliche Begründungen für die Herstellung dieses Filmes kann ich mir ausdenken.
1. Odermatt hat das Stück auf der Bühne gesehen, war beeindruckt von einer darin vermuteten Message, wollte diese weiterverbreiten: epigonal.
2. Odermatt hat das Stück auf der Bühne gesehen war beeindruckt von der Atmosphäre und der Geisteshaltung, die Tabori auf der Bühne zu schaffen fähig war, und der Film sollte diesem Eindruck Gestalt verleihen: Hommage an den eigenen Eindruck.
Beide Varianten scheinen mir privatistisch und von der Realisierung her kann ich keinen weiterführenden Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus, des Aufstieges von Hitler, der Judenvernichtung erkennen.

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