Notiz am Abend: Ich habe mich gerade frischgemacht und für die große Preisverleihung umgezogen. Der Koffer ist so weit wie möglich gepackt, denn nach der Gala gibt es sicher noch ein Festli und ich will morgen nicht den Zug oder den Flug verpassen, egal wie gut es mir hier in Dänemark gefällt. Daher werde ich aller Wahrscheinlichkeit nach erst morgen nach meiner Heimreise, oder übermorgen, nach meiner ersten Nacht im eigenen Bett berichten können.
Da die Preise schon per Pressemitteilung bekanntgegeben wurden, veröffentliche ich diesen Artikel ferngesteuert um 19 Uhr, wenn die Gala gerade startet. Hoffentlich guckt keiner auf sein iPhone. Ich veröffentliche besser um 20 Uhr. Hier also die Gewinner: [PDF]
Mein letzter voller Tag in Odense fängt gut an: Das moldawische Zimmermädchen lobt meine Sauberkeit. Ich frage, ob andere Hotelgäste sich in ihren Zimmern etwa nicht so reinlich verhalten wie zuhause. Hart trifft mich die Erkenntnis, dass manche Menschen sich offenbar bewusst danebenbenehmen, nur weil sie wissen, dass jemand am Schluss kommt, um das ganze in Ordnung zu bringen. Allerdings wollte das Zimmermädchen nicht weiter ins Detail gehen, daher kann ich hierzu auch nichts weiter sagen.
Das nächste nennenswerte Ereignis war der brennende Toaster beim Frühstück. Auch ich gehörte zu denjenigen, die sekundenlang versonnen beobachteten, wie die Rauchschwaden über die verschiedenen Ecken und Kanten des Frühstücksraums zogen, anstatt aktiv zu werden und wenigstens den Stecker zu ziehen. Obwohl ich selbst jahrelang bei der Freiwilligen Feuerwehr war, kann ich mich im Nachhinein nur darauf herausreden, dass ich von meinem Platz den Toaster selbst gar nicht sehen konnte und eine ganze Weile dachte, es wäre Dampf von dem Würstchen-und-Speck-Behälter, der da so voluminös und irgendwie doch verdächtig schwarz aufstieg. Doch es entstand kein Schaden – zum Glück, denn das Hotel ist wunderschön – und eine resolute Küchenkraft steckte das Gerät einfach ab und nahm es mit.
Ich hatte mir den Vormittag zum Einkaufen von Mitbringseln vorgenommen, auf dem Weg jedoch gab ich die zuerst die ganzen leeren Wasser- und Limoflaschen ab, die sich in meinem Zimmer gesammelt hatten (1 Krone Pfand pro Einwegflasche). Das Geld gab ich einem Bettler, von denen es doch einige gibt in Odense. Zu Anfang der Woche hatte ich sie noch nicht bemerkt, aber nach einigen Tagen fallen einem die vielleicht vier oder fünf stark Hilfebedürftigen (oder zumindest so wirkenden) schon auf. Der Mann bedankte sich freundlich, und ich zog weiter.
Meine Geschenke erstand ich im Kramboden in der Nedergade, einem seit über 400 Jahren bestehenden Krämerladen, dessen Sortiment sich über die Jahrhunderte auch nur geringfügig gewandelt hat. Ein dermaßen beeindruckendes Erlebnis, dass ich über 100 Fotos allein im Laden geschossen habe – das eine wirklich sympathische Bild mit dem Besitzer und dem alten, pfeiferauchenden Stammkunden ist allerdings unscharf geworden, was mich unglaublich ärgert.
Auf dem Weg zum Hotel (Geschenke ablegen) und weiter zum Festival fallen mir eine Menge junger Leute auf, die in Gruppen durch die Stadt ziehen, wobei die einzelnen Gruppen nach verschiedenen Themen verkleidet sind. So gibt es Schweine, Weihnachtsmänner oder auch den Batman-Joker (nach Ledger-Lesart). Sie liefern sich Gesangsduelle oder rennen wild schreiend durch die Gassen. Ich halte so ein Gespann kurz auf und frage nach: Sie alle sind Studienanfänger der Psychologie, das neue Semester startet am Montag. Die Verkleiderei und das Gerenne durch die Stadt sind eine Tradition, um sich untereinander und auch die Stadt ein wenig kennenzulernen. Find ich ganz lustig! Allerdings dürfte es da schon bereits eine Menge zu anaylsieren geben.
Auf dem Festival gucke ich dann auch noch meine letzte Kurzfilmrolle; diesmal ist es ein Programm aus ultrakurzen Kurzfilmen des Berliner Going Underground-Festivals, das ab 2011 übrigens auch in München Fuß fassen wird. Die Zuschauer sind begeistert, auch wenn einige der Filme ohne Ton sind. (In Berlin sind sie übrigens alle ohne Ton, weil sie auf den Werbemonitoren der U-Bahnen funktionieren müssen, bisweilen gibt es Untertitel) Leider endet das Programm nach gut drei Vierteln mit einem Serverausfall, und ich gehe ins Hotel, mich frischmachen.
Die Abschlussgala mit Preisverleihung ist das Event schlechthin des ganzen Festivals. Birgitte Weinberger und Mikkel Munch-Fals, sie die Leiterin, er der Artistic Director des Festivals, sahen ihren letzten offiziellen Pflichten vor der lange nötigen und hart verdienten Ruhepause gelassen entgegen. Die Gala fand statt im Momentum Theaterhuset, wo bereits Pitch Me Baby am Mittwoch stattgefunden hatte. Diesmal waren die Tische aber aufs Festlichste eingedeckt, mit Kerzen romantisch beleuchtet. Am Platz stand sogar schon die Vorspeise bereit, eine Thunfischcreme mit feiner Zitronennote, mit Lachskaviar und Dill verfeinert, es war eine ziemliche Überwindung, nicht sofort über das leckere Essen herzufallen.
Der Saal füllt sich pünktlich und bis auf den letzten Platz, es gibt Begrüßungen und Dankesreden, natürlich hauptsächlich auf Dänisch und diesmal – wohl am ehesten wegen der Erleichterung über ein gelungenes Festival – eher selten mit vorbereiteten Untertiteln auf Englisch, und streckenweise auch eher aus dem Stegreif. Die erste Viertelstunde der Veranstaltung war zwar mit dirigiertem Applaus und sekundengenauem Ablauf sehr straff organisiert, doch als die Liveübertragung ins Nationale Fernsehen beendet ist, entspannt sich der gesamte Saal sichtlich. Die Preisverleihung (Preise siehe oben in der Einleitung) ist in zwei Teile geteilt, dazwischen liegt der Hauptgang (ein reiches Buffet mit Kalb, Huhn, Gemüsen und Salaten). Der Gewinner des Pitch Me Baby-Preises, Oliver Zahlke, sitzt bei uns am Tisch, und ist sichtlich gerührt, als sein Projekt Elephant gekürt wird. Die Freude über den Preis war ihm den Rest des Abends anzumerken.
Während des Festes entwickelten sich zwei Running Gags: Der eine war die wiederholte Entgegennahme von Preisen durch die Kultur-Assistentin des französischen Botschafters für nicht anwesende französische Filmemacher (unter anderem Logorama war gut angekommen), der andere schien eine Art Wettbewerb zu sein, der sich unter denen, die Dankesreden hielten, zu entspannen begann. Nachdem Jurymitglied Michael Noer sich in einer Rede froh zeigte, nun nach dem Ende der Live-Übertragung ins dänische TV endlich ungestraft Kraftausdrücke verwenden zu können und dies auch gleich in Angriff nahm, sahen es nicht wenige der nachfolgenden Redner als eine Art Ehrensache, ihrerseits auch einige deftigen Ausdrücke in ihre Reden einzuflechten, was das weitgehend volljährige Publikum sehr amüsierte.
Besonders bemerkenswert auch der für Nicht-Muttersprachler anrührende Dank an Ulrich Breuning, „the grand old man of Danish film“, der in einer langen Standing Ovation für ihn mündet.
Die Freude über ein gelungenes Filmfest und die geballten Emotionen des gesamten Abends schlagen auf uns alle über, denn wir alle fühlen uns als Teil eines großen Abenteuers, einer großen Familie sozusagen. Als im Foyer die Bar öffnet und die Reihen der Besucher sich langsam lichten, beginnen DJs im Saal mit dem Auflegen von Partymusik, die Leute verteilen sich, unterhalten sich in Grüppchen und rauchen draußen.
Noch am Montag war ich ein völlig Fremder mit löchrigen Schuhen und nassen Socken in einer mir völlig unbekannten Stadt (die vom Straßenlayout her noch dazu auf den Prinzipien von M. C. Escher zu basieren schien) und schon am Freitag Abend grüßte ich reihum die neugewonnenen Bekannten, tanzte und feierte mit den Volunteers, schwatzte mit Kollegen aus Dänemark, Finnland, Estland und der Schweiz sowie einem Jurymitglied aus San Diego, war nun mit Studiobetreibern, Fotografen und nicht wenigen anderen Medienmenschen aus Odense bekannt, mit der Festivalleitung auf Du und Du und hatte einen Stein im Brett der Küchenbesatzung der Kulturmaskinen. Ich war sogar schon auf der Straße erkannt und gegrüßt worden, und trinken kann man offenbar mit jedem Dänen ganz prächtig. Skål!
Ich denke, mein Besuch des OFF, des Odense Filmfestival 2010, war ein voller Erfolg.