OFF, Tag 2 – Oh, the Atmosphere!

Ich muss gestern wohl fertiger gewesen sein, als ich dachte. Geweckt wurde ich nämlich erst vom Klopfen der Kammermaid, der ich schlaftrunken gegem zehn öffnete. Eine Schrecksekunde später einigten wir uns hektisch darauf, mir noch ein Stündchen Zeit zu geben, und so schlupfte ich erstmal unter die Dusche.

Nachdem ich das angeblich legendäre Dänische Frühstück des Festivals, eine Tradition, ohnehin schon verpasst hatte, suchte ich mir zuerst mal einen Skomanger, der mir meine Sohlen reparieren sollte. Mit nassen Füßen ist es wahrlich kein Vergnügen, an irgendwas teilzunehmen. Der erste Schuster ließ mich eiskalt auflaufen: Obwohl ich ihm gesagt hatte, dass ich nur dieses eine Paar dabei hätte, behauptete er, keine Zeit zu haben, aber ich könne die Schuhe morgen bringen und am Freitag wieder abholen. Außerdem empfahl er mir Jomos-Schuhe aus Deutschland, die wären angeblich großartig. Plan B war der Kauf neuer Schuhe, doch in ganz Dänemark scheint es keine Leute mit Füßen größer als 47 zu geben. Wenigstens wusste eine Verkäuferin eine zweite Schuhmacherei, und so latschte ich mit quietschenden Sohlen zur Albanigade 49, wo mir für 185 DKK endlich geholfen wurde.

Mit trockenen (trocknenden) Füßen begab ich mich sogleich aufs Festival, wo ich den ersten Bissen des Tages zu mir nahm. Ich wählte das Festivaltagesgericht, italienische Meatballs. Interessant, denn scheinbar glaubt die halbe Welt, dass Fleischpflanzerl in Tomatensauce das absolut typisch italienische Gericht schlechthin sind. Meines Wissens handelt es sich um ein regionales Rezept aus Sizilien, das wegen dem verhältnismäßig hohen Anteil an Auswanderern in die Neue Welt dazu geführt hat, dass Spaghetti with Meatballs sich als besagtes Kultgericht etablieren konnte. Das war mir aber völlig egal, denn die OFF-Küche hatte alles gegeben und ein richtig geniales Gericht gezaubert, das sich ganz wunderbar mit dem urigen Vollkorn-Pain Boulot vertrug, das als Beilage gereicht wurde.

Nun wollte ich endlich ein Kurzfilmprogramm sehen. Ich hatte mir The Peculiarities of Being ausgesucht, eine Kurzfilmrolle von 67 Minuten, bestehend aus sechs Filmen, doch war ich wegen der Entfernung vom Schuster und dem Mittagessen zehn Minuten zu spät. Ich wurde nicht mehr eingelassen, denn die Vorstellung sei voll. Schade. Ich unterließ es, mit meiner Akkreditierung zu wedeln (die ich normalerweise nicht um den Hals trage, weil diese Lanyards üblicherweise zu kurz sind, um von Männern meiner Größe bequem getragen werden zu können), und trank stattdessen einen gemütlichen Cappuccino im Café Biografen.

Das Café Biografen liegt direkt im Erdgeschoss des Kulturkomplexes, den Brandts Klædefabrik nun abgibt. Was früher eine Art Halle war, die zum Hof hin offen war, ist nun ein urgemütliches Café-Restaurant mit gläsernen Wintergärten, die es einem Teil der Gäste erlauben, im Freien zu sitzen und doch vor Wind und Wetter geschützt zu sein. Ach ja, heute ist das Wetter schon wesentlich besser, ich brauche keine Jacke, und die vereinzelten Regenschauer zwischen den sonnigen Perioden erinnern mich an Irland. Es windet auch ganz ordentlich, was Odense und seinen Bäumen, Masten und Fahnen das Flair einer atlantischen Schiffspassage gibt.

Nach dem Cappuccino unternahm ich einen weiteren kleinen Spaziergang (da ich mittlerweile die wichtigsten Festivallocations in mein iPhone-TomTom programmiert hatte, würde ich nun im Ernstfall immer wieder zurückfinden können), und entdeckte den Odense River. Ich hatte ihn zwar schon auf dem Weg zum Schuster überquert, doch die Stelle mit der Kahnfahrt am Filosofgangen war viel malerischer als die Brücke zuvor. Hier kann man sogar in großen Schwanbooten fahren, sofern man unter 1,80 und zudem schwer verliebt ist. Wer normale Boote vorzieht, dem kann geholfen werden, rote Tretboote oder hölzerne Ruderboote liegen bereit, ebenso gibt es zwei Ausflugskähne für Gruppen.

Wieder zurück im Café Biografen plante ich nun, an der Kurzfilmrolle Flesh and Blood teilzunehmen (70 Min., 7 Filme), und kam auch einige Minuten vor Beginn zum Kino. Doch wieder nix: Kino voll, nix zu machen. Diesmal hatte ich das Badge um, doch dass wegen mir ein Platz geräumt würde, würde ich nicht im Traum zulassen (außerdem stand das sowieso nicht zur Frage). Stattdessen informierte ich mich im Hauptquartier, wo man mir sagte, dass das Warten eine halbe Stunde vor Programmbeginn schon angemessen sei (der Eintritt für das gesamte Festival ist frei, so dass eine Menge Odenser natürlich gern ins Kino strömen), oder dass ich die Filme in der Videobar des Festivals einzeln anschauen kann, hierfür lägen iPads bereit (die man aber nicht behalten darf, leider).

Nach einer Pause im Hotel klappte es dann doch, ich guckte Sweet Youth (71 Min., 6 Filme) und Dads On The Loose (51 Min., 4 Filme). Dabei bekam das komplette Publikum mit, dass das OFF dieses Jahr zum ersten Mal digital statt auf klassischen Film projiziert wird. Die systemimmanenten Vor- und Nachteile zeigten sich bei diesen beiden Programmen. Sah man bei Sweet Youth noch den Mauszeiger, der zu Beginn der Vorführung eine Playlist auf einem Mediaserver anklickte, funktionierte das bei Dads On The Loose nicht mehr, eine klassische Kinderkrankheit nebst umgekehrtem Vorführeffekt. Also sprang ein OFF-Mitarbeiter eilig ins Archiv und holte die benötigten DVDs, die daraufhin einzeln vorgeführt wurden, so richtig am DVD-Player, wie unschwer am Menü auf der Leinwand zu erkennen war. Die Zuschauer machten sich einen Spaß daraus, die Menüoptionen schneller zu erkennen als der Vorführer und zeigten teilweise an die Stelle, wo er hinzuklicken hätte. Keine Fage, das Filmfest von Odense verfügt über eine besonders charmante Atmosphäre. Keine Spur von Unmut, es wäre ja langweilig, wenn immer alles klappt. Sowas sollte der NASA und den Atomkraftwerken vorbehalten bleiben.

Der zweite Heimweg zum Hotel brachte ein Aha-Erlebnis: Ich folgte auf gut Glück einer Gruppe von Zuschauern durch eine Gasse, die mich an eine Stelle brachte, von der aus ich das China-Restaurant neben dem Hotel sehen konnte. Der Portier (ein netter Kerl, ich grüßte mit „Honey, I’m ho-ome!“, worauf er „I missed you!“ zurückgab, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern) hatte mir zwar genau diesen Weg erklärt, doch hatte ich seine Zählung der Einmündungen wörtlich genommen und war bisher immer zwei Straßen weiter um den Block gelaufen (die Krux war, ob man Fußpassagen mitzählt oder nur Fahrstraßen – er hat nur Fußwege gezählt). Mein Weg zwischen Hotel und Brandts Klædefabrik hat sich nun de facto halbiert. (Für Twitter-User: #facepalm)

Mein Abend endet nun im Hotel, ein bisschen bloggen, ein bisschen Fernsehen, und wenn sich die Aufregung des ersten Tages etwas gelegt hat, fange ich Das Finstere Tal von Thomas Willmann an. Oder hänge im Geiste noch ein wenig der Kapelle nach, die neben dem Dritten Mann auch Indiana Jones und weitere Hollywood-Klassiker drauf hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert