Es ist schon erstaunlich, was man heute so alles für so gut wie kein Geld machen kann. Musste ich für ein Bewerbungsvideo für die Filmhochschule vor 15 Jahren noch einen Schnittplatz (S-VHS) mieten, hat man an Studioequipment heute alles auf dem Rechner, was früher an analogem Equipment sechsstellige Summen verschlungen hätte. Und das obendrein auch noch in besserer Qualität. Eine typische Long-Tail-Situation für die Hersteller der heutigen Hard- und Software: Mehr Units verkaufen können, dafür aber weniger Geld pro Unit verlangen dürfen. Der Vorteil: Mehr Output in allen Qualitätsstufen. Heute: Kritlover.
Kritlover ist eine kleine Band, die zwei alte Freunde von mir vor ein paar Jahren gegründet haben. Sie spielen schon seit Ewigkeiten zusammen, aber auch in anderen Bands, Gruppen, Projekten. Angefangen hat alles während der Schulzeit im Theaterkeller, dann wurde ein Übungsraum angemietet (unter einem griechischen Restaurant). In den acht oder zehn Räumen kamen natürlich eine Menge Bands zusammen, daher kann man eigentlich auch von einem ordentlichen Kulturbetrieb sprechen. Nicht-Musiker wie ich waren stets willkommen als Gäste zum Reden, Zuhören, Trinken. Stammgäste hatten sogar einen eigenen Platz auf der nimmermüden Bier-Strichliste. Es war grandios, und es gibt eine Unmenge von absurden und skurrilen Geschichten aus dieser Zeit.
Kritlover hießen damals natürlich noch nicht so, wie gesagt, es gab auch eine Menge anderer Konstellationen, in denen die rund zehn oder fünfzehn aktiven Musiker meines Jugend-Dunstkreises spielten; fortwährend lösten sich Bands auf und bildeten sich neu.
Erste Alben wurden mit dem Ghettoblaster auf MC aufgenommen (inklusive Schulhausmeister-Schimpftirade), im Copy Shop wurden unter der Schulbank gemalte Cover vervielfältigt, und die Musiker erreichten Interessierte unter der Adresse der Eltern. Später hörte man erstmals, dass jemand sich den Luxus geleistet hätte, sein Demo als CD herstellen zu lassen und nicht als Kassette (die dank Mehrspur-Bandmaschinen auch recht professionell geworden waren und dann gar nicht mehr so nach Gießkanne klangen), und schließlich hielt der PC und der CD-Brenner Einzug. Ein paar Jahre später kam digitales Video und der Schnitt am Computer hinzu, digitale Effekte sind heute schon lang kein allein für Profis reserviertes Spielfeld mehr.
Die im wahren Wortsinne Kreativen unter den „digital Natives“ von heute, also das Äquivalent unserer Übungsraum-Mieter von vor zwanzig Jahren, können bequem auf ein breites Spektrum günstiger wie qualitativ atemberaubender Technologien zurückgreifen, und haben dabei keinen blassen Schimmer, vor welchen Hürden sie früher gestanden hätten.
Was mir so gut gefällt: A. und O., Sängerin und Gitarrist von Kritlover (den Schlagzeuger kenne ich persönlich jetzt nicht), machen einfach weiter ihr Ding. Sie sind beide über dreißig, das Alter, in dem man von den Medien gepusht werden kann, ist vorbei. Doch sie wollen gar keinen finanziellen Erfolg, sondern einfach nur ihren Spaß haben. Es gibt ab und zu kleine Auftritte, gerade neulich gab es einen privaten auf einer Geburtstagsfeier von A., und die Angelegenheit wird dennoch immer professioneller.
Dank der Technik spielen auch Kritlover heute auf einem Niveau, von dem sie selbst vor zwanzig Jahren noch nicht zu träumen gewagt hätten: Eigenes Studio? Check. Digitale Aufzeichnung ohne Rauschen und ähnliche Sorgen? Check. Musikvideo in Full HD und Mehrkameratechnik? Check. Schnittcomputer mit Profi-Software und einer Menge Effekte von Green Screen bis Compositing? Check. Kostenlose Verbreitung an potentielle 7 Milliarden Zuschauer über ein weltweites Computernetzwerk? Check.
Ich mein‘, wie geil ist das denn?
Und weil Kritlover gerade ein paar Videos online gestellt haben, viel Spaß beim Zuschauen, wie die Band einen Riesenspaß hat: