Wenn Ärzte töten

Das Kino als Ort höchster Konzentration auf abgründigste Abgründe menschlichen Handelns, wenn der Heiler zum Töter wird.

Für so ein heikles Thema wählt man am Besten einen angenehmen Ort aus. Man besucht den namhaften amerikanischen Psychiater und Autor Robert Jay Lifton in seinem Haus auf der Nobelhalbinsel Cape Cod vor der US-Ostküste.

Ausserdem verzichte man vollständig auf jegliches Anschauungsmaterial, denn das würde von den Handlungen nur ablenken. Ausser beim Vorspann, bei dem sich die Musik von Jan Tilman Schade bereits als auffangender Begleiter diskret und non-aggressiv anbietet, hier werden anfangs einige Familienfotos gezeigt, von jungen Menschen, von Studenten und Studentinnen, von Paaren, glücklichen, hoffnungsvollen, sorglosen Paaren … es bleibt völlig offen, ob aus ihnen später Täter oder Opfer geworden sind.

Dann zum Professor in sein Arbeitszimmer auf Cape Cod, der Tisch soll nach Arbeitstisch aussehen. Zwischendrin kann auf den Atlantik geschwenkt werden, auf Bäume, oder auf eine Metallfigur, wie sie von Max Ernst sein könnte (genau so wohlig sollen sich übrigens die Ärzte eingerichtet haben in ihren Nachkriegskarrieren).

Und, keine Bange, am Ende des Interviews wird Lifton uns verraten, mittels einer Zeichnung, wie er sie zur Entspannung zu machen pflegt, leicht ironisch, leicht humorvoll, das gehört zum Menschen, dass er nach 30 Jahren Beschäftigung mit diesen seelischen Abgründen sich leicht besser fühlt.

Die Lage ist zwar nicht hoffnungslos aber auch nicht sehr hoffnungsvoll. Zuerst einige Erklärungen zur Methode. Lifton hat Dutzende von 3.-Reichs-Ärzten, die in Menschenversuche und KZ-Tötungen involviert waren, besucht, gleichzeitig aber auch Dutzende von Opfern, ohne welch letztere er kaum Zugang zu den Tätern gefunden hätte.

Sie fühlen sich heute allesamt nicht als Täter. Wenn in den Interviews der Punkt kam, wo sie zur Gasspritze griffen, dann stockte das Interview. Keiner hatte gesagt „und dann tötete ich den Menschen“.

Einer versuchte, es sich schön zu reden, bei kleinen Kindern sei man ja stufenweise vorgegangen, man hätte ihnen Schlafmittel gegeben und die Dosis immer mehr erhöht. Das sei also mehr wie in einen Schlaf fallen gewesen.

Wobei es sowieso was anderes ist, einem Kleinkind oder einem Erwachsenen Aug in Auge gegenüberzustehen (die KZ-Maschinerie hat durch ihr Verfahren wieder genügend Distanz zwischen verantwortlichem Arzt, den Underlingen, den Untergebenen und den Opfern geschaffen – hier kommen einem die Drohnen der Amerikaner unter Obama in den Sinn).

Auch der Umschwung vom Heiler zum Töter, der passierte eher graduell. Oder Lifton ist an solche, die das dann ganz bewusst getan haben, nicht rangekommen, nicht an dieses Bewusstsein jedenfalls.

Es fing an mit den Sterilisationen. Da waren die Amerikaner und die Engländer viel weiter als die Nazis. Erst ging es also darum, diesen Rückstand aufzuholen. Der nächste Schritt war dann der Ausbau der Euthansie. Und erst dann, das wird im Interview aber sehr kurz geschlossen, kam der Schritt zu den Gaskammern.

Es fing an mit einem Versuch der Perfektionierung der biologischen Auslese. Gegen die Perfektionierung setzt Lifton, dass der Mensch Mensch sei und also nicht nur beruflich arbeiten könne, wo auch immer, dass er am Wochenende zuhause sein möchte, dass er ein Liebesleben haben möchte, dass er Humor braucht.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Eid des Hippokrates und vielfältig mögliche Solidaritäten von Ärzten. Die sich eben nicht nur auf die Gesundheit des Menschen, auf die Rettung von Leben beschränken, sondern immer auch politische Loyalitäten sind, der Universität gegenüber, dem Professor gegenüber oder eben wie in Deutschland exzessiv geschehen, die Loyalität der SS und den Nazis gegenüber.

Wie Lifton Mitscherlich zitiert, dass in den Forschungen nur die Spitze des Eisberges betrachtet werde, so empfindet man diese im Interview und möchte noch viel mehr über die Abgründe im Menschen, der nicht als Monster geboren ist und es offenbar auch nicht per freier Willensentscheidung wird, erfahren.

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