Zu Fuß nach Santiago de Compostela

Katholizismus ist angesagt im Kino diese Woche. Mit grossem Mediengedöns und in Schuhen, die an altmodische Monumentalfilme erinnern (das zumindest suggerieren der Trailer im Internet und die ersten Reviews) soll die Päpstin auf die Leinwand geklotzt werden, die mit dem schauderlich mittelalterlichen Vorspiel, bei welchem ein Oscarpreisträger von Regisseur von einem kleinen Filmfunktionärsfuzzi in aller Öffentlichkeit wie ein Schuljunge abgewatscht worden ist, weil er sich erlaubt hatte, laut über den Unterschied von Kino und Fernsehen nachzudenken und anschließend auch noch der Regie enthoben wurde. Der Rest war Schweigen.

Dass Katholizismus nicht so laut sein muss, sondern dass man ihn sozusagen an den Graswurzeln aufspüren kann, dass er vielleicht gar nicht so katholisch ist, zeigt ein ganz kleiner Film, der sich – von der ellbögelnd-schreierischen Öffentlichkeit kaum beachtet – seit Wochen im Sonntagsprogramm beispielsweise des Münchner Kinos Rio Filmpalast hält: Zu Fuß nach Santiago de Compostela.

Roman Weishaupt, ein Schweizer aus dem Kanton Chur an der Schwelle zum definitiven Eintritt ins Berufs-Leben, nimmt sich den berühmten Pilgerweg vor. Roman Moll begleitet ihn phasenweise als Dokumentarist.

Roman Weishaupt hat ein Sendungsbewusstsein. Das gibt er uns unterschwellig zu verstehen. Er hat das Gefühl, er muss sich was vornehmen, was ihn fordert, und das dann durchziehen. Er steht zwischen Studium und Leben. Er braucht ein Bild für das Leben als Reise und Ziel. Da er christlichen Hintergrund hat, er war Organist weit hinten in Graubünden, bietet sich Santiago de Compostela als Ziel eines Pilgermarsches an. Wäre er ein gläubiger Christ, hätte er die Pilgerreise ganz ohne Aufsehen erregen zu wollen, demütig gemacht. Davon kann hier keine Rede sein.

Sehr schön kommt das Initiatorische, das Lebensinitiatorische rüber. Ich möchte mir was beweisen. Ich halte das durch. Ich bin ein Mann. Ich habe ein Ziel. Ich fordere meine Kräfte. „Mann auf dem Lebensweg“ berichten viele Bilder mit Wanderstab, der täglich mit einem Schweizer Armeemesser einen weiteren Kringel eingekerbt erhält. Ich lasse mich auf ein Abenteuer ein. Ich buche keine Hotelzimmer, das ist ganz wichtig, diese Offenheit (wie sie vielleicht nie wieder im Leben kommen wird). Lieber riskieren, irgendwo anzukommen und alle Herbergen sind zu.

Bruno Moll folgt Roman oft hautnah. Man hört ihn atmen, man hört die Anstrengung, er zeigt die Blasen. Moll geht wohl dosiert mit den Postkartenbildern um, zu denen eine solche Reise verführen würde. Oft sieht man Roman einfach auf einer langen Strecke, Berg oder Tal, Ebene oder Gletscher, Regen oder Fluss, allein. Teils mit zufälligen Gefährten.

Dadurch, dass Bruno Moll den Wanderer nur punktuell begleitet hat, also selber den Weg nicht mitgegangen ist, hat er sich die nötige Distanz und die nötige Wachheit gewahrt, um immer wieder die Veränderungen im Gesicht zu entdecken, der noch recht spärliche Bartwuchs, die immer gegerbtere Haut, die ausgewascheneren Gesichtszüge.

Genau so wohl dosiert setzt er die Reflexionen des Roman über seine Reise ein. Dass es ihn bis zur Mitte gezogen und gezogen hat, dass er aufgesaugt hat und dass je mehr er die Mitte des 2200 Kilometer Fussmarsches hinter sich hatte, in ihm die Sorge, was er nachher machen wolle, wuchs.

Auch die Sehnsucht nach der Schweiz und trotzdem eine Art Widerstand gegen das Ende der Reise, er wollte irgendwie ewig unterwegs sein. Hier kann der Betrachter mit eigenen Gedanken anknüpfen über eine solche bild- und sinnhafte Reise als Vorwegnahme des Lebensweges, des Karriereweges. Ob er im Leben auch so einen kühnen Weg gehen wird, einen so kühnen Plan realisieren wird, oder ob er sich als simpler Karrierist erweisen wird, das wird erst in Jahrzehnten festzustellen sein, ob die bürgerlich-spiessige Sicherheit mit ihrem Denken sein Leben dann doch bestimmt haben wird.

Roman Weishaupts Ziel war übrigens nicht, in Santiago eine Kerze anzuzünden und Gott zu danken oder zu Maria zu beten, nein, sein Ziel war ein Bad im Ozean. Dafür hat er in seinem knapp zehn Kilo schweren Gepäck immer auch die Badehose mitgetragen, für einen Bündner ein wundervolles Ziel.

Bis jetzt ist noch nicht erwiesen, dass einen „Die Päpstin“ gedankenreicher aus dem Kino entlässt.

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