Denkanstöße zur Bundestagswahl 2009

Wieder ein artfremder Blogeintrag, doch Moment: Die Politik unseres Landes geht uns alle an, daher kann man durchaus mal die beruflichen Scheuklappen beiseite legen den Fokus vom Beruf nehmen, einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachen.

Ich will auch keinen langen Eintrag schreiben (wer nur 12 Minuten Zeit hat, bitte die beiden Videos unten anschauen), und zur Wahl (nicht vergessen, das ist morgen!) ist schon lange gesagt, was gesagt werden musste. Hier nochmal meine persönlichen Denkanstöße in stichpunktartiger Form:

  • Der Schutz vor Kriminalität im Internet (meine eigenen Erfahrungen mit so einem Früchtchen hier) darf trotz aller ermittlungstechnischen Erleichterungen nicht die Rechtfertigung für ein neues Stasi-System sein. Die Politik, aber auch alle anderen müssen kapieren, dass das Netz nur ein Medium ist, eine Vernetzungstechnologie, aber kein „rechtsfreier Raum“ oder ähnlicher Käse.
  • Meines Erachtens ist der Schutz von Urheberrechten wichtig und notwendig, aber Kleinkopierer zu kriminalisieren (mit drakonischen Strafen, die teilweise schlimmer sind als die für echte Verbrechen), YouTube-Parodien zu unterbinden und ähnliches, ist völlig übertrieben. Ein gewisser Schwund war schon immer, und wird auch immer sein. Faustregel: Je besser der Film, das Album, das Buch, desto mehr Leute werden sich das Original kaufen wollen. Gebrannter Filmfan scheut den DVD-Kauf.
  • Die Piratenpartei ist meines Erachtens der ideale Kandidat für alle Protestwähler (Zweitstimme). Als regierende Partei wären sie durch mangelnde Erfahrung und die Festlegung auf wenige zentrale Themen als eigentlichen Fokus sicherlich ziemlich unfähig, was Außen- und Innenpolitik angeht. Dennoch sollten sie unbedingt in den Bundestag, sozusagen als Plugin-Partei, allein schon um Leuten wie Zensursula und Schäuble Paroli bieten zu können, oder nötigenfalls wenigstens ein paar Technology Basics erklären zu können.
  • Ein für mich persönlich sehr wichtiges Thema ist das bedingungslose Grundeinkommen, das jedem Bürger gewährt werden sollte. Hier, ganz minimal, die Argumentationskette:
    1. Vollbeschäftigung ist weder möglich noch gewünscht, die Gründe hierfür sind verstärkte Automatisierung (Industrialisierung) sowie die panische Angst der Arbeitgeber vor den Lohnforderungen der Arbeitnehmer. Die könnten, wenn man ihnen nicht mehr mit „dann nehmen wir halt jemand günstigeren“ drohen kann, ganz ordentliche Lohnforderungen stellen. Siehe Wirtschaftswunderjahre.
    2. Arbeitslosigkeit eines Teils der Bevölkerung ist somit ganz normal. Sie ist sogar selbsterklärtes Ziel der technischen Entwicklung und gewünschter sozialer Effekt bei Arbeitgebern, um die Löhne drücken zu können. Es wird also immer Arbeitslose geben. Und sie werden langfristig nicht weniger, sondern mehr werden.
    3. Arbeitslosigkeit muss daher entstigmatisiert werden. Arbeitslosigkeit darf kein Mangel mehr sein, der an einem Menschen haftet.
    4. Da es Arbeitslosigkeit immer geben wird, nutzt die Arbeitgeberschaft die Existenz der Arbeitslosigkeit (bzw. die Möglichkeit, ins Ausland zu outsourcen), schamlos, um Menschen zu menschenunwürdigen Löhnen arbeiten zu lassen. Wie kann es angehen, dass jemand eine Vollzeitstelle hat, aber immer noch Hartz IV obendrauf braucht?
    5. Die Wirtschaft kann nur florieren, wenn die Leute ihr Geld auch ausgeben.
    6. Die Leute geben ihr Geld aber nicht oder nur sehr sparsam aus, wenn sie nicht sicher sein können, ob jemals wieder neues Geld hereinkommt.
    7. Die Löhne sind meist schlecht, die so lang vielgepriesene Sicherheit der Festanstellung existiert praktisch nicht mehr. Daher ist die Bereitschaft zum Einkauf von Gütern außer dem absolut Nötigsten (und dies am billigsten) nicht mehr gegeben. Ergo leidet die Wirtschaft unter den niedrigen Löhnen, die sie an ihre meist leicht kündbaren Angestellten auszahlt, selbst am meisten.
    8. Die einfache Lösung: Gebt den Menschen – allen Menschen – ein bedingungsloses Grundeinkommen. Den Arbeitslosen, den Obdachlosen, aber auch den Besserverdienenden und den Superreichen. Gebt es ihnen, damit sie es ausgeben! Denn wenn den Leuten ein monatliches, unpfändbares Einkommen gesichert wäre, würden sie natürlich auch anfangen, es auszugeben. Aus einer Wirtschaft, die knapst und optimiert, würde plötzlich eine Wirtschaft, bei der keiner mehr im Regen stehen muss.
    9. Finanzierbar ist das Grundeinkommen schon heute, und zwar (u.a.) durch das Ersetzen aller Steuern durch eine einheitliche Verbrauchssteuer, die rund 50% eines Endpreises besteht. Klingt kompliziert und fantastisch, aber dazu mehr weiter unten in diesem Blogpost, bei den weiterführenden Leseempfehlungen.
    10. Außerdem wäre es sowieso höchst unmoralisch, das Bedingungslose Grundeinkommen nicht einzuführen: Jeder, der aus irgendwelchen Gründen (von Krankheit bis Überflüssigkeit) den Anschluss an die Gesellschaft verloren hat, muss sich heute mit einem lächerlichen Hartz-IV-Satz durchkämpfen, als ob er der Gesellschaft auf der Tasche läge und sich was schämen sollte. Diesen Zustand kann und sollte man abwählen.
  • Meiner Meinung nach ist die Zeit langsam vorbei, in denen die Menschen dem Geld dienen. Es kann nicht angehen, dass einige Unternehmen schon mehr Macht und Geld haben als manch souveräner Staat. Ist das wirklich die Welt, in der wir leben wollen? Können wir wirklich verantworten, dass z.B. Millionen von Indern oder Afrikanern kein sauberes Trinkwasser haben oder an heilbaren Krankheiten leiden müssen, weil es sich für uns in der Ersten Welt nicht lohnt, ihnen die Technologie und die Medikamente zu geben? Was sind wir nur für Menschen?
  • Wollen wir bei uns wirklich eine Klassengesellschaft einführen und zwischen Leuten, die sich eine notwendige ärztliche Behandlung leisten können und denen, die es nicht können, unterscheiden? Die Bequemlichkeit, mit der wir bisher gelebt haben – wohlgemerkt, auf Kosten der Länder, deren Bevölkerungen wir mit dem selbstbetrügerischen Argument „Arbeit und Geld für Euch“ geködert haben – muss ein Ende haben, allein schon des eigenen Gewissens wegen.
  • Es muss also viel verändert werden, nicht bloß die Frage nach einer Internetzensur oder einer Einwanderungspolitik. Es geht nicht um Merkel oder Steinmeier, es geht um Sein oder Nichtsein. Das ist hier die Frage!

Hier noch ein paar Lese- und Videotipps für heute Abend. Ja, für heute, noch vor der Wahl:

Hier ein Videobeitrag über das Grundeinkommen in zwei Teilen, für alle, die nur 12 Minuten Zeit haben:

PS: Meine ganz wilde Idee wäre ja eine Weltregierung, mit vergleichbaren Löhnen und Sozialleistungen für wirklich alle. Aber das bedarf noch einiger Jahrhunderte und außerdem einer als Bedrohung empfundenen Anwesenheit von außen.

PPS: Der Trailer zu The End of Poverty liefert ebenfalls ein paar Denkanstöße.

6 Gedanken zu „Denkanstöße zur Bundestagswahl 2009“

  1. Gut gemacht, doch warum „Denkanstoß zur Bundestagswahl“?
    Das Thema wird uns darüber hinaus beschäftigen.
    Weiterhin viel Erfolg
    Gruß aus Karlsruhe

    jochen

  2. Ja, das ist ein klassischer Fall von „Schlagzeile, die rückwirkend doof wirkt“. 🙂 Ich freu mich, dass das Grundeinkommen langsam Fuß fasst. In Deutschland sind immerhin über 2 Millionen Stimmen auf Pro-Grundeinkommen-Kandidaten gefallen, und 30 von ihnen sitzen nun im Bundestag. Vielen Dank für die guten Wünsche! Und ebenfalls Grüße!

  3. Ach, so hast Du das gemeint! Ich hatte gedacht, dass Du dachtest, ich hätte den Beitrag nach der Wahl geschrieben und daher wäre die Bezeichnung „Denkanstoß“ unangebracht. Egal, das Thema ist wirklich gewaltig im Kommen. Und ich bleibe aktiv, das hab ich mir geschworen.

  4. Ich würde vorschlagen: Ein Tag Generalstreik. Deutschlandweit. Vielleicht sogar weltweit? Alle Berufe Menschen, bis auf Polizei, Ärzte und Feuerwehr. Aber die auch nur für Notfälle. Also kein Einkaufen, kein Tanken, kein Zugfahren, kein Flugzeug fliegen, kein Radio, kein Fernsehen. Aber auch keine Schule, keine Putzfrau. Und kein Puff. Damit man mal sieht, wieviele Leute eigentlich überall gebraucht werden, und dass sie alle eine Würde haben. Dass sie ein Grundeinkommen gut gebrauchen könnten, und dass die Wirtschaft nicht gleich zusammenbricht, weil angeblich keiner mehr arbeiten wollen würde.

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