Marcel Reich-Ranicki lehnt den Deutschen Fernsehpreis ab

Dass Marcel Reich-Ranicki bei der gestrigen Aufzeichnung den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk abgelehnt hat, ging ja heute ganztags durch die Medien. Nach der editierten Ausstrahlung heute Abend (ZDF) findet sich der entsprechende Abschnitt der Show natürlich auch bei YouTube:

Ich möchte meiner Aussage vorausschicken: Ich bin leider bei den Klassikern und ihren Interpretationen nicht belesen genug, um auch nur ansatzweise mit Reich-Ranicki argumentieren zu können. Auch habe ich den Deutschen Fernsehpreis nicht angeschaut, weil er mich schlichtweg nicht interessiert. Und ich bin mir sehr wohl der Tatsache bewusst, dass ich hier populistisch in die Kerbe zu hauen scheine, die Herr Reich-Ranicki freundlicherweise hinterlassen hat.

Also weiß ich auch nicht, was Marcel Reich-Ranicki nun genau so übel aufgestoßen hat, aber da sich seine Kritik auf die deutsche Fernsehwelt bezogen hat, kann ich pauschal sagen: Ich stimme zu.

Was heute so alles in der Glotze läuft, kann man schon lange nicht mehr als gutes Programm bezeichnen. Dass die Eigenproduktionen der Privaten sowieso meist unter aller Kanone sind (Kollege Wortvogel wird mich lynchen, zumal ich die von ihm geschriebenen Filme meist nicht gesehen habe, aber gemeint ist ja das gesamte Programm), ist ja kein großes Geheimnis. Aber endlich sagt mal jemand was.

Oft habe ich mich zum Beispiel über Galileo geärgert. Wo man Sachverhalte volksgerecht erklären könnte, verbringt man seine Zeit oft mit schwachsinnigen Beiträgen oder völlig belanglosen Event-Experimenten. Jede meiner Zuschauermails blieb bisher unbeantwortet. Eine Sendung, die „Atomexplosionen erklären“ will, dann aber maximal von „der Strahlung“ spricht, ohne weiter ins Detail zu gehen, hat bei mir schon verloren. Dass die Sendung mit der Maus mehr erklärt, war mir schon vor fünf Jahren klar. Und Galileo höchstselbst dürfte ob des Missbrauchs seines Namens in seinem Grab in Florenz rotieren.

Auf N24 kommen diverse „Wissenssendungen“, von Kronzuckers Kosmos über Wissen bis Die Reportage. Da werden Schwertransporte gezeigt und Überführungen von großen Schiffen. Oder große Bagger im Tagebau, Schwertransporte und große Schiffe. Ab und zu kommen auch Reportagen über Schwertransporte, Megamaschinen und große Schiffe. Mich wundert die Popularität dieser Themen nicht, wenn ich die Klickzahlen meines völlig belanglosen Videos mit Impressionen der Bauma-Messe anschaue.

Und dann noch diese furchtbaren Reportagen mit dem Ordnungsamt! Eine Nation schaut zu, wie zwei superwichtige Ordnungsbeamte (=Möchtegernpolizisten) einen Schrebergärtner darüber aufklären, dass es erst ab 16 Uhr erlaubt sei, Laub zu verbrennen. Dabei ist es ja erst 15:45! Ob der Mann der gerechten Strafe für dieses unsägliche Verbrechen, das ja nun wirklich jede Minute Sendezeit wert ist, noch entgehen kann?

Und dann die Spielfilme! Oft sind diese Eigenproduktionen ja meist nur nachgedrehte Blockbuster. Das gibt’s natürlich in allen Ländern. Aber wer meint, nach dem weißen Hai nun auch noch das Biest im Bodensee sehen zu müssen, ist natürlich arm dran. Zu jeder Kinovorlage gibt es die verschiedensten TV-Ausprägungen, seien dies Flugzeugthriller oder SciFi, Romanzen oder Horror. Warum? Ich versteh das nicht. Schlimm dürfte sein, dass die Leute die Kinoversion gar nicht kennen und denken, die TV-Variante sei entweder dieser Film oder denken, dass sowas das Nonplusultra der Erzählkunst ist.

Von Soaps und Telenovelas will ich gar nicht erst sprechen.

Solche Sendungen kotzen mich persönlich unglaublich an. Sie sind wirklich nur noch Opium fürs Volk, und ich schäme mich, in einer Gesellschaft, die sowas offenbar sehenswert findet, leben zu müssen. Das armseligste Argument, das Leute bei solchen Aussagen meinerseits bringen, ist: „Aber es kommt doch nichts besseres!“. Ja Mensch, dann lies halt ein Buch! Oder bohr Nase! Irgendwas anderes!

Bei diesen Pseudo-Wissens-Formaten sind praktisch nur Inhalte zu finden, die eigentlich maximal auf Videoportalen zu sehen sein sollten. Programmausschnitt der kommenden Woche:

Die Reportage XXL: Die Hure Trixie
Das einstige Glück hat sie verlassen! Trixie, Mutter von zwei Kindern, Hausfrau und im Hauptberuf Hure, macht der Job Spaß, sie verdiente gut. Zu ihrem Glück kam dann noch die große Liebe: Alles schien perfekt. Trixie wird sogar mit über 40 Jahren noch einmal schwanger. Doch dann verlässt der Vater sie und sie wird auch noch beraubt.
(N24, 14.10.08, 01:45)

Wissen
Top-Thema: Deutsche Meisterschaft Truck Trial. Und: Flughafen bei Nacht / Perfekte Salami / Glassteine.
Beim Truck Trial ist Geschwindigkeit nebensächlich. Auf Geschicklichkeit kommt es an, denn die Stangen im Gelände-Parcours dürfen von den LKW nicht berührt werden. Bei den Läufen um die Deutsche Meisterschaft ist deshalb auch ein altes Ost-Modell Marke Tatra dabei und gar nicht mal so schlecht. Aber vor allem die Sicherheit spielt eine große Rolle. Vor dem Wettkampf werden alle Trucks noch mal geprüft.

(N24, 14.10.08, 03:00)

Galileo
Kuheuterschnitzel
Wie wird aus einem wabbligen Kuheuter ein leckeres „Wiener Schnitzel“? Frisch nach der Schlachtung, befreit von Milch, Zitzen und Haut, sieht es aus wie rosafarbener „Blubber“. „Galileo“ will es wissen: Ist diese Innerei für den menschlichen Gaumen genießbar? In englischen und französischen Spitzenrestaurants gilt sie als ausgefallene Delikatesse.

(ProSieben, 13.10.08, 19:10)

Quelle: tvtv für EyeTV

Doch auch die seriösen Sender sind mir nicht mehr so ganz geheuer:

Vorhin habe ich Anne Will geschaut. Eine Diskussionsrunde zur Frage, ob Verstaatlichung der Banken das Ende des Kapitalismus sei. Abgesehen davon, dass eine Verstaatlichung (im Gegensatz zu einer Teilverstaatlichung) natürlich ein Ende des Kapitalismus wäre, und abgesehen davon, dass das Ende des Kapitalismus ja nicht zwingend etwas schlechtes sein muss, kam mir die Sendung vor wie ein inszenierter Hahnenkampf von Polit-Prominenz. Oskar Lafontaine und Volker Kauder gingen hauptsächlich aufeinander los, und sprachen meist davon, was ihre jeweiligen Parteien ermöglicht oder verhindert haben, die anderen Gäste kamen nur kurz zu Wort, und alle beugten sich Anne Will, die sich wiederum der Sendezeit beugte. Anne Will ist hier jedoch die unwichtigste Person, und die Sendezeit sollte auch egal sein, wenn das Thema „larger than life“ ist.

Für eine absolut notwendige politische Diskussion wie diese hätte ich liebend gern die Folgesendungen Tagesthemen, Titel, Thesen, Temperamente und Brain um Stunden verschoben, nur um die anderen Diskussionteilnehmer mal ordentlich zu Wort kommen zu lassen. Wer von vorneherein für diese Runde eingeladen wurde, ist ja bereits eine redaktionelle Entscheidung, die auf einer Einschätzung des Zuschauerinteresses basiert. Was Anne will, ist ebenfalls vorab festgelegt, und die meisten der Gäste scheinen argumentativ sowieso ihr eigenes Süppchen zu kochen. Hier werden keine möglichen Lösungen erarbeitet, sondern nur Positionen vorgestellt.

Solange Thomas Gottschalk mit Wetten, dass gnadenlos überziehen darf, aber gesellschaftlich relevante Themen in einen (ohnehin zu kurzen) Senderahmen gepresst werden, und das auch noch bei unseren Öffentlich-Rechtlichen, ist tatsächlich etwas nicht in Ordnung in dieser Fernsehlandschaft.

Schlimm ist, dass es einen 88-jährigen Literaten braucht, um das mal auszusprechen. Alle anderen hatten wohl nicht den Mumm dazu.

4 Gedanken zu „Marcel Reich-Ranicki lehnt den Deutschen Fernsehpreis ab“

  1. Wenn ich es richtig verstanden habe war Reich-Ranickis Ablehnung eine Reaktion auf die direkt vor ihm prämierten Sendungen und die Show darum herum, nicht ein lang geplanter Protestschrei gegen das Programm im allgemeinen. Da kam Richterin Barbara Salesch, Atze Schröder und die Köche Lafer und Lichter, die beiden müssen so schlecht gewesen sein dass das ZDF sogar deren Auftritt geschnitten hat.
    Erst die ganzen Reaktionen im Nachhinein zeigen dass sich die Macher durchaus bewusst sind dass es neben einigen Programmperlen viel, viel Mist gibt, der gesendet wird, etwas, das übrigens jedem Zuschauer klar ist, nur die Programmverantwortlichen wollen das nicht so gerne hören. (und an einem netten Abend schon gar nicht mit der Nase drauf gestossen werden)
    Aber jedes Volk hat nun mal das Programm dass es auch verdient, was gesehen wird, wird auch gesendet. Die oben genannte Reportage XXL hat sicher mehr Zuseher als ARTE am ganzen Tag zusammengerechnet..
    Alex

  2. Naja, lang geplant war das sicher nicht, das hat sich ja auch im Nachhinein herausgestellt, aber was er so über arte und 3sat sagt, klingt für mich schon nach genereller Fernsehkritik – die er nur leicht durchblicken lässt.

    Natürlich gibt es gute Sendungen und Produktionen, keine Frage, aber eben auch katastrophale, und die im Übermaß. Und wenn ich höre, dass „Deutschland sucht den Superstar“ die „beste Show“ bzw. „beste Unterhaltungssendung“ sein soll, dann würde mir auch das kalte Grausen kommen. Der Mann hat das Dritte Reich knapp überlebt – wenn ich in seiner Haut steckte, würde ich mich auch ärgern, für was für einen Scheiß sich heute die Leute begeistern.

  3. Nun ja ich bin ebenso der Meinung von MRR, ich kannte diesen Mann ebenso wenig wie den Autor dieses Textes / dieses Diskussionsthemas, jedoch bin ich genau der selben Meinung.

    Meine Reaktion auf den heutzutage im Fernseh laufenden schwachsinn und uninteressanten mist ist komplette Ablehnung gegen dieses Thema. So bin ich auch auf dieses Thema über den deutschen Fernsehpreis nur zufälligerweise gestoßen.
    Ich schaue nun seit geraumer Zeit kein Fernseh mehr und informiere mich nur noch über das Internet über aktuelle wichtige Themen. Ich denke sogar ich würde MRR ebenso zustimmen in dem inhaltlich zusammen gezogenen Satz das es heutzutage keinen ich betone keinen Sender mehr gibt auf dem wirklich wichtige Themen frei diskutiert und angesprochen werden. Da die Zensur mittlerweile überall Einhalt gebietet und Quoten wichtiger sind als die Zuschauer aufzuklären, ist das klare Ende noch lange nicht in Sicht aber vorhersehbar.

    Wenn ich da zum Beispiel ein Interview mit dem aktuell russischem Präsidenten über die Kaukasus Krise, ein wirklich wichtiges Thema wie ich finde, zusammengeschnitten auf 7 Minuten im ARD oder ZDF ( kann mich nicht mehr genau entsinnen auf welchem Sender dieses lief ) anschaue, welches dort ein komplett anderes Bild seiner Meinung und Reaktion wiederspiegelt wie das originale Interview (45min. länge), dann muss ich wirklich gestehen ist dies der absolute Höhepunkt der aktuellen (westlich) orientierten Zensur in dem öffentlich rechtlichem Fernsehn. Das zusammengeschnitte Interview welches übringens kritisiert wurde und auf dem nachdrücklichen Willen vieler wichtiger Personen nachdrücklich in kompletter Länge ausgestrahlt wurde, lief dann um 5 Uhr morgens im ZDF/ARD ungeschnitten, zur natürlich „größten“ Sendezeit dieses öffentlich-rechtlichem Senders.
    Auf die privaten Sender beziehe ich mal erst garnicht, da diese so oder so nur das zeigen was die breite Masse interessiert. Dies ist nun mal leider Gottes heutzutage welcher Typ denn besser singen kann als der andere oder welches Land den heutzutage als Auswandererland für Hartz IV Empfänger am besten geeignet ist. Mit der nun geplanten Zensur des Internets allerdings habe ich sehr große Gewissensbisse, da ich nun fürchte dass mir auch noch die letzte Möglichkeit der Informationsquelle genommen wird.

    Liebe Grüße

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