Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, gibt es in der nächsten Zeit ein Sonderscreening des noch nicht fertiggestellten Baader Meinhof Komplex für einige auserwählte Journalisten, direkt beim Filmverleih. So eine „inhouse“-Vorführung (in einem Screeningraum des Filmverleihs, nicht in einem öffentlichen Kino) ist üblich, wenn ein Verleih die absolute Kontrolle darüber haben will, welche Journalisten zu Beginn der Vorführung tatsächlich im Saal sitzen. Dies ist auch das gute Recht des Filmverleihs, der sein Produkt ja zeigen kann, wem er will.
Nun stößt sich die SZ aber an einigen Bedingungen, die der Filmverleih an den Besuch der hochexklusiven Vorführung knüpft. Verboten ist beispielsweise, Filminhalt oder Besprechnungen des Films vor dem 17. September zu veröffentlichen (Filmstart: 25. September); Interviews mit offenbar beim Vorführtermin zu erwartenden Mitwirkenden des Films dürfen nicht vor dem 12. September veröffentlicht werden. Im Falle einer Zuwiderhandlung sollen sowohl die Publikation (in diesem Falle eben die SZ) als auch der Journalist persönlich eine Konventionalstrafe von jeweils 50.000 Euro an den Filmverleih zahlen.
In direkter Konseuqenz sieht die SZ Auffälligkeiten im Umgang mit der freien Presse:
Die Sache hat überhand genommen. Der Münchner Filmkonzern Constantin ist nun mit einer aktuellen Regulierungsmaßmahme im Umgang mit der freien Presse auffällig geworden – so auffällig, dass der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sogleich Journalistinnen und Journalisten davor warnt, die Bedingungen zur Sondervorführung des Films „Der Baader Meinhof Komplex“ zu akzeptieren. (SZ)
Der Deutsche Journalistenverband warnt auf seiner Webseite davor, die Bedingungen zu akzeptieren:
„Diese Strafandrohung ist völlig inakzeptabel“, erklärte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Er ermunterte die Journalisten, dem Beispiel der Süddeutschen Zeitung zu folgen, die als Antwort auf den Vertragstext die Teilnahme an der Vorführung sowie jegliche Berichterstattung über den Film abgelehnt habe. „Journalisten sollten unter solchen Bedingungen auf Berichterstattung verzichten.“ (DJV)
Natürlich hat dieses Ereignis für ordentlich Wind unter den Münchner Filmjournalisten gesorgt. Wohl nicht nur vor und nach der heutigen PV von Pineapple Express (übrigens ein überraschend lustiger Kifferfilm für verplante Kerle) standen die Kollegen in Grüppchen beisammen und diskutierten die Frage, ob ein Verleih sich so verhalten darf (rechtlich, aber viel eher noch moralisch), und ob ein Journalist dem Boykottaufruf folgen sollte.
Als Reaktion auf den selbstverursachten Wirbel liest sich später am Tag eine Stellungnahme des Verleihs, so zum Beispiel auf den Webseiten der Media Business Academy (nicht aber offenbar auf den Seiten des Verleihs):
Die Constantin Film gewährt in Ausnahmefällen mit Sondervorführungen bestimmten Medien den Vorzug, noch in der Fertigstellung befindliche Filme zu sichten. Konkret z.B. bei ‚Der Baader Meinhof Komplex‘ auf Anfrage des „SZ-Magazins“, das ein umfassendes Portrait über Martina Gedeck in Vorbereitung hatte und dazu dringend den Film sehen wollte. Sondervorführungen wurden auch jenen Magazinen mit langen Vorlaufzeiten gewährt, die ansonsten überhaupt nicht in der Lage wären zu berichten. Die Einhaltung gegenseitig vereinbarter Erscheinungsdaten wird in diesen Fällen durch einen Vertrag versichert. Alles andere wäre unfair anderen Journalisten und Medien gegenüber, die den Film erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Fertigstellung sehen können. (MBA)
Seht Ihr es auch?
Es gibt im Grunde überhaupt keinen Konflikt! Zumindest nicht an dieser Stelle.
Für mich stellt sich das Problem wie folgt dar: Zum einen will der Verleih netterweise der SZ das erwähnte Portrait über Martina Gedeck erleichtern, indem er der Redaktion exklusiv einen Blick auf den unfertigen Film werfen lässt – damit diese das Portrait besser hinbekommt, über den Film sprechen kann und so natürlich einen Werbeeffekt für den Verleih bewirkt. Vollkommen legitim.
Weiterhin denkt sich der Verleih wahrscheinlich, dass es ja blöd wäre, nur für eine Person eine Vorführung auf die Beine zu stellen, also kann man ein paar andere Langplaner einladen (Journalisten, die ihre Texte überdurchschnittlich früh abgeben müssen, damit sie rechtzeitig zum Filmstart gedruckt werden, üblicherweise Monatsmagazine) und diesen so die Berichterstattung ermöglichen – ebenfalls in gesundem Eigeninteresse. Auch vollkommen legitim.
Folgerichtig ist es nur fair gegenüber den anderen Journalisten, wenn die wenigen Auserwählten (für deren Auswahl es nicht in jedem Fall ausschließlich objektive Gründe zu geben scheint, das ist aber ein Verdacht, den die Branche bei den allermeisten Verleihern und Presseagenturen hegt), nicht übermäßig früh über den Film berichten dürfen. Also legt man eine Strafe fest, die so hoch ist, dass sie auch kein noch so solide budgetierter Kulturteil einer Publikation zahlen würde – und der Journalist schon gar nicht. Der fällt übrigens die Entscheidung der zeitlichen Platzierung seines Artikels meist gar nicht selber, wäre aber im Falle eines Falles dennoch zahlungspflichtig. Im Grunde also eine Abschreckungstaktik. Nicht gerade schön, aber vollkommen legitim.
Nur: Journalisten empfinden anders als Filmverleiher. Journalisten sind meist – und das meine ich nur positiv – altruistische Philantropen mit einem gewissen Sendungsbewusstsein, Bücherwürmer, Schreiber, Diskutierer. Journalisten gucken meist nicht so aufs Geld, ihnen geht es um die Botschaft, die Nachricht, die Menschen, die Welt. Echten Journalisten ist die absolute, unbeeinflusste, ungebogene und ungetrübte Pressefreiheit heilig, unantastbar. Journalisten reagieren höchst allergisch auf alles, was auch nur den Anschein hat, die Pressefreiheit in irgendeiner Form zu untergraben. Auch, wenn sie manchmal von den wirtschaftlichen Aspekten ihrer Exiszenz in dieser Ansicht „begradigt“ werden, in jedem von uns steckt so ein Körnchen, und sei es noch so klein. (Paparazzi u.ä. sind oft nur konvergent zu Journalisten)
Aber: Filmverleiher und Filmproduzenten sind (meist) Erzkapitalisten. Wirtschafter, Geldmacher. Sie kalkulieren das Humormaximum für ein Drehbuch, optimieren das Marketing, drücken offen, subtil oder sogar sublim all die Knöpfe, die möglichst viele Leute ins Kino treiben sollen, spielen gekonnt mit (nicht auf!) der Klaviatur unserer Emotionen. Die von ihnen beauftragten Presseagenturen sind ebenfalls eher weniger vo einem künstlerischen Freidenker-Ideal angetrieben, sondern erledigen einfach einen Marketing-Job für harte Kohle. (Die könnten sich vielleicht 50.000 Euro Strafe leisten, ich könnte das auf keinen Fall.) Und das ist ebenfalls noch immer vollkommen legitim.
Nun treffen gerade im Bereich der Pressevorführungen von Kinofilmen diese beiden Welten ungebremst aufeinander. Die Verleiher sähen es wahrscheinlich am liebsten, wenn nur die „lieben“ (sprich: positiv berichtenden) Journalisten den Film sehen, die anderen gar nicht (also wenn die Journalisten de facto Marketing machen würden), die Journalisten wiederum pochen auf das subjektiv empfundene Recht, den Film ebenfalls sehen zu dürfen, wenn Kollege X oder Y ihn doch auch sehen darf, warum denn bitteschön nicht.
Der Verleih hat hierbeit – es ist ja sein Produkt und seine Party – selbstverständlich das letzte Wort, doch darf der (abgelehnte oder eben auch anderweitig enttäuschte) Journalist natürlich seinem Standpunkt und seinem Unmut öffentlich (in seiner Publikation) Luft machen. Das ist für beide Seiten immer noch vollkommen legitim und genau das, was hier gerade passiert ist.
Dabei wäre es doch so viel einfacher für alle Seiten, ich verstehe nicht, wieso das nicht schon längst so gehandhabt wird, wie ich hier in einem kleinen Gedankenspiel postulieren werde. Meiner Meinung nach gibt es ein ernstes Definitionsproblem von Journalismus, Pressearbeit und Marketing zwischen allen Beteiligten, was hier im Blog übrigens ja auch schon mehrfach Thema war. Ich finde, die Grenzen und Zuständigkeiten sollten klar gezogen werden, dann könnte eine friedliche Zusammenarbeit unabhängig von der Qualität eines Filmes dauerhaft möglich sein:
§1 Sobald ein Filmverleih akzeptiert und bestätigt hat, dass ein Journalist bzw. eine Publikation die Filme dieses Verleihs für seine journalistische Arbeit sehen muss (und das dessen Urteil über den Film unter Presse- und Meinungsfreiheit fällt und konsequenzfrei zu bleiben hat), und sobald der Journalist bzw. eine Publikation akzeptiert hat, dass der Verleih ihm / ihr seine Produkte vor dem Start als reine Goodwill-Leistung zu zeigen bereit ist, ist die „gegenseitige Akkreditierung“ abgeschlossen. Nun erfolgt die Kommunikation zwischen Verleih und Journalist auf Augenhöhe.
§2 Von da an ist der Journalist der einzige, der (redaktionell) entscheidet, wann er welchen Film zu sehen pflegt. Verleih und Presseagentur machen ihm und seiner Publikation ihm das zu mehreren Terminen möglich, der Journalist wählt sich die ihm genehme aus. Der Verleih ist also der Anbieter eines Produktes, die Presseagentur der Dienstleister, der sich lediglich um die logistische Abwicklung zu kümmern hat, und der Journalist berichtet im Sinne des Filmes (oder dagegen) über diesen, im Auftrag der Öffentlichkeit.
§3 Der Verleih setzt seine Pressevorführungen weiterhin zu den ihm genehmen Zeiten und Abständen an, auch die Sprachversionen der Filme sind Entscheidung des Verleihs. Doch die Entscheidung, welcher Journalist zu welchem Termin kommt, fällt nur der Journalist, niemand sonst. Die Presseagenturen sollten allein wegen der Verwaltung der Auslastung eines Saales über die Zu- und Absagen informiert werden und wegen der Zahl der Pressefhefte zum Auslegen.
§4 Wünscht der Verleih eine Sperrfrist, dann muss er diese allen Journalisten mitteilen und ggf. vor der Vorführung gegenzeichnen lassen. So eine Sperrfrist muss einheitlich für alle gelten und darf weder personen-, publikations- noch genrebezogen (z.B. „nicht für online“) sein. Selbiges gilt auch für die Verwendung von Pressematerial.
Sprich: Der Verleih kümmert sich um alle Aspekte des Films, der Journalist um alle Aspekte der Berichterstattung. Eine Beeinflussung der Berichterstattung durch gezieltes Ein- oder gar Ausladen ist nicht möglich, allerdings kann der Verleih einen Film der Presse früher oder auch erst später (oder auch gar nicht, was aber bei der Presse nicht gut ankommt) zeigen. Das ist immer noch genug Kontrolle für den Verleih drin, aber keine potentielle Bevormundung der Presse mehr.
Denn wenn der Verleih, wie in diesem Beispiel, argumentiert:
Alles andere wäre unfair anderen Journalisten und Medien gegenüber, die den Film erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Fertigstellung sehen können. (MBA)
muss man sich natürlich dessen bewußt sein, dass niemand anders als ebender Verleih entscheidet, wann die „anderen Journalisten“ den Film sehen können, und auch, wer diese „anderen Journalisten“ sind.
Man könnte es zum Beispiel so halten wie ein anderer Verleih, der neulich kurzerhand mal eben die ersten beiden Akte (40 Minuten) aus Eagle Eye gezeigt hat, weil die volle Version eben noch nicht verfügbar war. Auf diesen Film bin ich nun angefixt und besonders gespannt auf die Pressevorführung der vollen Version, und berichten kann ich dennoch schon jetzt, wenn auch nicht besonders ausführlich.
Ich persönlich sehe in dieser Sache um den Baader Meinhof Komplex also keinen besonders großen Konflikt, eher ein kommunikatives Mißverständnis, wie es zwischen – stark vereinfacht – Bankern und Künstlern ja nicht unbeding unwahrscheinlich ist.
Daher werde ich den Film auch nicht boykottieren. Denn zum einen dürften sich Journalisten und Filmemacher, beides hauptsächlich Künstler, untereinander ganz gut verstehen – Verleiher und Presseagenturen sind ja quasi nur das finanziell orientierte Nadelöhr, durch das der Film kommen muss – und zum anderen sehe ich keinen Sinn darin, wenn der Film darunter leiden muss, weil eine vielleicht etwas unglückliche Strafandrohung im Vorfeld zwischen Verleih und Presse für Wirbel gesorgt hat. Da es sich hierbei meines Erachtens um keinen echten Skandal handelt, sondern in meinen Augen lediglich um den Versuch des Verleihs, „Snoops“ im Vorfeld einzudämmen (warum überhaupt die Besorgnis, frage ich mich jedoch), denke ich, werde ich über den Film berichten, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Bitte versteht mich nicht falsch: Ich finde die Strafandrohung ebenfalls völlig inakzeptabel, die Sperrfrist viel zu knapp. (Zumal der Film auf einem Buch basiert, und dieses auf einem historischen Ereignis, viel Überraschungen dürften da nicht drin sein – ich hab nie verstanden, wieso die Leute Apollo 13 damals so spannend fanden in der Sneak.) Aber ich meine nur einen gröberen Fauxpas zu sehen, und nicht eine himmelsschreiende Ungerechtigkeit, die die Pressefreiheit in ihren Grundfesten erschüttert.
Und wenn ich nun, sei es durch diesen Blogpost oder durch meinen Besuch der Pressevorfühung für Normalos in einigen Wochen, irgendeine Klausel verletze, die ich nie unterschrieben habe, schicke ich die Gläubiger einfach zu Johann Baptist Schneider, der hat ohnehin mein ganzes Geld auf dem Gewissen.
Dass sich überhaupt irgendjemand (jobbedingt) so einen Scheiss angucken muss, ist schon Strafe genug…
Hab gerade zufällig (naja, bei einer Vanity Search) ein Zitat von mir gefunden. Hier! (Und wo gäbe es einen besseren Ort, dies zu notieren, als hier?)