Das Schöne am Internet ist: Man kann mit etwas Geschmack, Geduld und Kunstfertigkeit eine schöne Webseite auf die Beine stellen, der man die tatsächlichen wirtschaftliche Situation des Betreibers nicht ansieht. Das hat nicht nur auf der oberflächlichen Glitter-Ebene des schönen Scheins den Vorteil eines verbesserten Images, nein, auch bei eingehender Betrachtung der Implikationen so einer schönen Fassade kommt man unweigerlich zu dem Schluß, daß das Budget des Betreibers tatsächlich auch egal ist: Solange jemand tatsächlich etwas zu sagen hat, bietet das Internet ihm die Möglichkeit, dies auch zu tun. Die virtuelle Repräsentation ist das alleinige Merkmal, an dem man fürderhin gemessen wird.
Was früher von vielen als Marktplatz der Großmäuler prophezeiht wurde, hat sich nicht bewahrheitet: Substanz ist Trumpf. Nachdem Trolle sich in den allermeisten Fällen praktisch sofort selbst disqualifizieren und somit automatisch wegfallen, zeichnet sich der Rest durch mehr oder weniger Substanz aus. Der Betrag an Substanz in einem Auftritt / Kommentar / Post (…) muß jedoch nicht einmal ein Kriterium für eine Wertung sein. Es handelt sich lediglich um eine Geschmacksfrage: Wem gefällt, was er sieht, der bleibt, wem’s nicht gefällt, zieht halt weiter. No harm done, no harm taken. Nur die Trolle, die erstmal eine Ladung Kot absetzen müssen, um ihr „Ich war hier“ zu markieren, hinterlassen bisweilen einen üblen Nachgeschmack im Netz.
Nun wurde ich von einem alten Bekannten auf die Existenz des Ministeriums für Friedenserziehung hingewiesen. Es handelt sich hierbei um eine Kampagne für den Film Das Verhör, aber um eine gewaltige. Der Film selbst, mit Manfred Möck in der Hauptrolle, ist eine sehr kleine, ambitionierte Produktion, ein Erstlingswerk, zumindest in diesen Dimensionen. So klein, daß der Regisseur noch seine private Mailadresse auf der Filmwebseite hinterlegt, so klein, daß besagte Webseite auf irgendeinem Unterbereich eines kleinen Providers liegt und die Webadresse entsprechend viele Punkte, Slashes und Subdomains enthält. Aber egal, denn die Filmseite ist ansehlich und informativ, und das gefakte Ministerium für Friedenserziehung jagt mir einen kalten Schauer den Rücken hinunter. Warum? Nun, da gibt es mehrere Gründe.
Wer sich nur ein paar Minuten mit dem Ministerium für Friedenserziehung auseinandersetzt, stellt bald fest, daß hinter der Kampagne ein ziemlich gutes Konzept steht. So läßt sich zum Beispiel der Flash-Film der Startseite nicht ohne weiteres in Blogs wie diesen einbinden, was natürlich von der Werbe-Intention der Seite ablenkt. Die Seite selbst besteht nicht nur aus einigen oberflächlichen Einträgen, sondern ist ganz schön tief und vielschichtig, triefend vor bissiger Ironie. Formulare zur Meldung von Straftaten, Stellenangebote (Motivationsprüfer, Erfassungskoordinator und Facharbeiter für Raketentriebwerksmontage werden derzeit gesucht) und Wahl“empfehlungen“ gibt es auch ein Gästebuch mit wundervollen Einträgen, eine Liste indizierter Werke von Mein Kampf bis Kafkas Prozeß, und vieles mehr, eingerahmt von einem fantastisch archaischem Emblem eines sein Volk beschützenden Adlers. Im „Ideologischen Gutachten“ (30 Fragen mit tollen Antworten, was ein Spaß) habe ich einen negativen Wert erreicht und werde wohl morgen um diese Zeit ausgebürgert und spurlos verschwunden sein. Hätte die DDR das Internet noch erlebt, so hätte es sicherlich ausgesehen.
Das Verhör läuft in ausgewählten Kinos.
2 Gedanken zu „Kleiner Film, große Kampagne“