Entschuldigung, aber ich habe selten einen so genialen Film gesehen. Heute war die Münchner PV von Cloverfield, leider auf deutsch, aber das tut dem Film nur einen geringen Abbruch.
Beware: Here be Spoilers!
Man hört bisweilen, Cloverfield wäre Blair Witch meets Godzilla. Das ist exakt richtig. Cloverfield ist ohne Vor- und Abspann ca. 74 Minuten lang, also genau die Länge irgendeiner Art von Videoband. (Ich meine mich zu erinnern, daß Hi8-Bänder, in den USA gekauft und für NTSC ausgelegt, sich auch mit PAL bespielen lassen, dann aber kürzer sind oder so ähnlich. Jedenfalls machen die 74 Minuten Sinn, wie die „One Minute“ beim Leben des Brian.)
Zu Beginn des Films heißt es, dies sei Beweismittel Nummer sowieso von digitaler SD-Karte. (Es ist ein Band, auf jeden Fall, aber das ist jetzt wurscht). Dann folgt einfach nur der Inhalt des Bandes, in voller Länge. Das Band war schon einmal benutzt worden, Rob und Beth haben ihren Tagesausflug nach Coney Island darauf aufgezeichnet. Robs Bruder Jason überspielt es (aus Versehen) bei der Abschiedsparty für Rob, der einen Job in Japan bekommen hat.
Wer schon einmal mit einer handelsüblichen Videokamera gedreht hat, weiß, daß a) Bandausfälle passieren können, z.B. bei starken Erschütterungen und b) daß man nie und nimmer einen nahtlosen Anschluß an die zuletzt gefilmte Szene hinbekommt, wenn man zwischendrin zum Anschauen das Band zurück- und dann wieder vorspult, um weiterzufilmen.
Nun, in dieser Nacht kommt ein Monster nach Manhattan, zunächst hört man es nur brüllen und bekommt den Schaden mit, den es anrichtet. Im Lauf des Films kommt die Gruppe der Hauptpersonen dem Monster aber immer wieder gefährlich nahe. Die Gruppe läßt sich nicht evakuieren, weil Beth, mit der Rob eine Art Affäre hatte (kompliziert, egal), laut ihrer letzten Nachricht auf Robs Handy verletzt in ihrer Wohnung liegt. Da bald kein fernmündliches Durchkommen mehr in New York ist, begeben sich die vier (Rob, Hud, der nun die Kamera hat, Lily und Marlena, auf die Hud steht) auf ihre Heldenreise, um Beths Leben zu retten. Auf dem Weg geraten sie zunächst an die Parasiten, die das Monster eingeschleppt hat (ungefähr wie die Bugs aus Starship Troopers, nur kleiner) und an das Monster selbst. Wie es weitergeht, erzähle ich nun wirklich nicht, ich bin ja schon genug ins Detail gegangen.
Zum Filmischen:
Allem Vorweg: Die deutsche Synchronisation ist armselig. Man hört bei jedem Wort, daß die Sprecher im Studio standen. Man hätte die Aufnahmen im Freien machen sollen, und das mit einem billigen Mikro. Auch sind die Sätze oft wieder mal so geschliffen, wie ein penibler Autor sie geduldig hinziselieren kann, doch im wirklichen Leben redet man eher nicht so. Ich will den Synchro-Leuten nicht unrecht tun, sie haben sicher ihr Bestes getan in den wenigen Tagen, die der Film zur Übersetzung vorgelegen haben dürfte, aber wenigstens Hud, der als hinter der Kamera stehend in puncto Lippensynchronität keine Hürden gehabt haben dürfte, hätte schon deutlich lebensnäher, kerliger, kumpelhafter reden können. Mir würde außerdem auch mal die Stimme überschlagen, wenn ich sowas erleben würde wie er. Und beim Treppensteigen geht mir die Puste spätestens nach dem fünften Stockwerk aus, Hud ist pummelig und schafft 47 ohne hörbare Einschränkung.
Auch ist die Kameraarbeit auf der Party zu Beginn zweifelhaft: Wenn ich eine Videokamera bei mir habe und mir dann ein Herz nehme, die Frau meines Lebens anzusprechen, filme ich ihr nicht ins Gesicht dabei. Wenn die Kamera überhaupt läuft, dann zufällig und filmt auf Hüfthöhe über Kopf nach hinten, weil ich sie dann nämlich einfach in meiner Hand vergessen habe. Und wenn ich unter der Hand Geheimnisse verbreite, dann erzeuge ich mit der Kamera nicht auch noch absichtlich mich belastendes Beweismaterial dabei. Aber egal.
Abgesehen davon (und von anderen Kamera-Unverträglichkeiten) ist der Film ein unglaublicher Ritt, irre spannend und faszinierend. Geschickt gelöst sind Totalen, die ein Hobbyfilmer nie so hinbekommen könnte, man läßt Hud einfach die Kamera auf eine Glotze mit TV-Übertragung aus dem Hubschrauber richten. Auch die Stimmungsschwankung zwischen zwei Szenen, nachdem Hud zufällig ein Stück vom Monster gefilmt hat (das animated Gif aus diesem Blogeintrag) und dann zurückspult, es den Leuten vorführt und dann weiterfilmt. Irre. Die Szene selbst ist natürlich nicht im Film, denn Hud brauchte die Kamera ja zum Vorführen, aber die gedrückte Stimmung im Anschluß ist echt großartig inszeniert. Dieser stämmigere Typ mit dem karierten Hemd läßt alles stehen und liegen und haut sofort schnurstracks ab. Geil.
Auch super finde ich die Nachtsicht-Szene im Tunnel, die Interaktion mit den Militärs (endlich mal ein Monsterfilm, wo die Kamera nicht den Obergeneral und den Präsident verfolgt) und natürlich das Monster. Der Tenor im Internet ist ja, daß man das Monster nicht zur Genüge sieht, ich sehe das aber nicht so. Zum einen sieht man es wirklich gut genug und oft genug, in einer Szene ist sogar sein Anus zu erkennen, zum anderen ist es eben realistisch, daß man es nicht in voller Beleuchtung ruhig und still vorgeführt bekommt wie seinerzeit Godzilla oder andere.
Wir haben nach dem Film eine ganze Weile diskutiert und einige Fragen aufgeworfen, (Spoileralarm, daher mache ich den Text weiß auf weiß, zum Lesen also bitte markieren – die Farbe der Links hab ich nicht rausgekriegt, deswegen hab ich unauffällige Worte markiert). Viele davon finden sich auch im Internet, aber was soll’s. Also:
- Wieso ist das Monster scheinbar stets unverletzt? Ein Kollege klärte mich auf, daß laut dem japanischen Godzilla-Vorbild nur ein Ganji (oder so ähnlich) einen anderen Ganji (oder so ähnlich) töten kann, andere Waffen sind wirkungslos, die Selbstheilungskräfte nahe unendlich. Fände ich etwas komisch, weil es so unrealistisch wird, ungefähr so wie die Münder der Zombies bei I Am Legend, die bei den Befallenen ungefähr so weit aufgerissen werden können wie bei der Mumie. So ein Schmarrn.
- Ist es wirklich nur ein Monster? Da die Figuren ständig auf „das“ Monster treffen, ist es doch auch möglich, daß es mehrere sind. Das Militär weiß das bestimmt, doch die Hauptersonen bekommen diese Info nicht.
- Wieso scheint das Monster mal kleiner, mal größer zu sein? Angeblich ist die Abschlußszene im Central Park perspektivisch falsch gerendert worden, das Monster dort zu klein. (Aber immer noch groß genug…)
- Wie kann ein Monster dieser Größe ein Erdbeben samt Stromausfall auslösen? Selbst wenn zigtausend Tonnen auf Manhattens Felsfundament krachen, dürfte es nicht so schaukeln wie im Film. Andererseits hat ja vielleicht nur die Kamera gewackelt vor Schreck. Dann dürfte aber der Strom nicht ausfallen so ohne weiteres.
- Wieso haben die Parasiten so eine Kraft und Geschwindigkeit? Meerestiere haben, auch die mit Exoskelett, an Land ja tendenziell eher Schwierigkeiten, wegen des fehlenden Auftriebs und der damit verbundenen größeren subjektiven Schwerkraft.
- Wieso kommt im ganzen Film keinerlei Anspielung auf die Elemente der aufwendigen Viralkampagne vor? Nichtmal eine Dose Slusho habe ich gesehen (dafür aber ein peinliches und in Deutschland natürlich peinlich aktuelles Nokia-Product-Placement in einer Szene im U-Bahnhof). Zu Anfang habe ich noch gedacht, das Monster sei vielleicht die wegen Slusho mutierte Tochter des Tagruato-Chefs…
- Huds letzte Szene hätte man zumindest vom sprachlichen her eher so inszenieren können wie eine der ersten Schlüsselszenen bei Jabberwocky, fällt mir gerade ein.
- In der Szene, in der Marlena von den Uniformierten weggeführt wird, hustet sie, und etwas Hartes fällt rechts außerhalb des Bildes auf den Boden. Man hört einen Aufschlag, als hätte sie etwas ausgehustet. Was?
- Nach dem Nachspann folgt eine Flüsterstimme (wohl Rob, der offenbar überlebt hat), die angeblich rückwärts flüstert: „It’s still alive!“ – Wenn mir noch mehr offene Fragen einfallen, reiche ich sie nach.
Auch ist es interessant zu lesen, wie eine mögliche Fortsetzung aussehen könnte. Ähnlich dem Beispiel von Jeepers Creepers kann man ja einfach dieselben Erlebnisse aus der Sicht einer anderen Kamera erzählen. Theoretisch ergibt das tausende von möglichen Fortsetzungen, und jedesmal ist es fraglich, ob der Kameramann überlebt und daher spannend.
Ich jedenfalls, der ich mich bereits bei der Blair Witch gewaltig gegruselt habe, erkläre Cloverfield für meinen Teil als absolut gelungen, auch die Wackelei ist nicht so schlimm (ich saß aber, wie immer, ganz hinten). Die Erzählmethode ist absolut ungewöhnlich und wird daher manchem Standardkinogänger aufstoßen, aber dramaturgisch ist der Film absolut geglückt. Auch wenn er irgendwo, auf einem Multimillionen-Dollar-Level, noch einen Experimentalcharakter hat. Oder auch gerade deswegen.
Ein Gedanke zu „Cloverfield ist nur noch geil!“