Das Wesen eines Blogs unterscheidet sich grundsätzlich vom Wesen einer redaktionellen Publikation. Dies nicht präsent zu haben, kann schnell zu bitteren Erfahrungen führen:
Ein Blog ist eine weitgehend vereinheitlichte Art und Weise, Beiträge aller Art eines oder mehrerer Autoren auf schnelle und unkomplizierte Weise im Internet zu veröffentlichen. Blogs können privater Natur sein (und waren ursprünglich auch nur als „Online-Tagebücher“ gedacht), ebensogut aber auch einen redaktionellen Anspruch erfüllen. Hierbei erstreckt sich das Spektrum der gebloggten Themen und die Moralvorstellungen des dabei verwendeten Tons über einen weiten Bereich. Blogs sind üblicherweise nicht-journalistischer Natur (es gibt Ausnahmen) und dienen (wie Foren) hauptsächlich zur Veröffentlichung der eigenen Meinung. Ein journalistischer Anspruch in einem Blog kann als eine Art freiwillige Zusatzleistung gesehen werden. (Ich habe diesen Absatz aufgrund eines Kommentars berichtigt.)
Eine redaktionelle Publikation dahingegen, und hier erzähle ich wohl niemandem etwas neues, ist ein Bericht, der in einem vielstufigen Verfahren an ein festgelegtes gewünschtes Gesamtbild der Publikation angepaßt wird und meist Information und Meinung trennt. Hierbei gibt es eine Vielzahl von Stilrichtungen und Abweichungen.
Mit dem in-Mode-kommen der Blogs haben sich bald auch Corporate Blogs entwickelt, eine Marketingstrategie von Unternehmen, die Werbung für eigene Produkte in Form eines Blogs macht. Zum Beispiel der offizielle Spider-Man-Filmblog von hier, aber auch der hier schon erwähnte Frosta-Blog.
Nun gibt es einen handfesten Skandal in der Blogszene, bzw. in der Medienszene. Denn Alan Posener, Kommentarchef der Welt am Sonntag, schrieb in seinem Blog einen bissigen Kommentar über die Aussage von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, ein Buch über den „Selbstbetrug“ des Erbes der 68er zu veröffentlichen.
Da Poseners Blog „Apocalypso“ unter dem Online-Dach der Welt am Sonntag veröffentlicht wird, die wie die Bild zum Springer-Imperium gehört, fühlte sich Poseners Vorgesetzter und Chefredakteur der Welt am Sonntag, Christoph Keese, verpflichtet, den Text offline zu nehmen.
Doch: Darf er das? Ist ein Blog nicht etwas grundsätzlich anderes als der Online-Auftritt einer redaktionellen Publikation? Kann die freie Meinungsäußerung von Alan Posener, wenn auch diese vielleicht in diesem Falle ungeschickt war, verboten werden?
Nun, dies rockt gerade die Medien.
Ich werde nun nicht alles nochmal aufarbeiten, sondern lediglich auf die relevanten Artikel und Blogeinträge verweisen, die es zu lesen wirklich lohnt:
- 9. Mai: Alan Posener veröffentlicht den Blogeintrag des Anstoßes in seinem Welt-Blog Apocalypso. Der Blogeintrag wird daraufhin wieder gelöscht. Die Zensur von Blogs war übrigens zuvor mehrmals Thema bei Posener (1, 2, 3).
- 9. Mai: Praktisch live ist die weitere Entwicklung der Ereignisse beim BILDblog zu verfolgen.
- 9. Mai: Auch Spiegel Online berichtet über den Blogeintrag Poseners.
- 10. Mai: Stefan Niggemeier (Mitgründer des BILDblog) kommentiert das Springer-Verhalten in seinem privaten Medienblog.
- 10. Mai: Am selben Abend veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit Christoph Keese zum Vorfall.
- 15. Mai: Bereits kurz nach Mitternacht veröffentlicht Stefan Niggemeier anläßlich des SZ-Interviews eine Link- und Kommentarsammlung über die Reaktionen auf das Verhalten der Welt.
- 15. Mai: Thorsten Knüwer kommentiert die Ereignisse in einem ausführlichen, informativem Blogeintrag beim Handelsblatt.
- 15. Mai: Alan Posener veröffentlicht den ersten Blogeintrag nach dem Streit und kommentiert diesen mit keinem Wort.
- 16. Mai: Don Dahlman, ebenfalls Blogautor bei der Welt, kommentiert die Ereignisse in seinem privatem Blog „Irgendwas ist ja immer„.
- 16. Mai: Stefan Niggemeier berichtet über einen Beitrag von Welt-Blogger Daniel Fiene, der wiederum in seinem privaten Blog berichtet, wie bei der Welt Blogs gemacht werden.
Ich bin gespannt, wie es weitergehen wird, bzw. was in Zukunft bei solchen Vorkommnissen passieren wird. Denn Blogs lassen sich wirklich nicht so einfach mit klassischem Journalismus vergleichen.
Ein gutes Lehrstück kann jedoch dieser aktuelle Vorfall sein, der dem BBC mit einer Scientology-Reportage passiert ist.
Nachtrag: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Beim Medienblogger habe ich die tolle, alles sagende Montage von Martin Hagen gefunden und oben eingebaut.
Ich finds interessant, dass Du den Vergleich zu der BBC-Reportage ziehst, daran musste ich nämlich auch spontan denken, als ich den Eintrag drüben beim Niggemeier gelesen habe.
Schade, dass man bei der Welt Online das ganze nicht aushalten wollte und sich stattdessen um 180 Grad gedreht hat. Angesichts der strikten Ansage aus der Chefredaktion wird man wohl in Zukunft wenig interessantes bei den Welt Blogs der Mitarbeiter lesen.
Ja, ich hab das Beispiel auch von dort – es hat einfach gut gepaßt in diesem Moment, und das hat Stefan Niggemeier wohl auch gedacht.
Ich weiß nicht, warum die Welt so reagiert hat, ehrlich. Ich kann mir gut vorstellen, daß Poseners Post den Chef in einer gespannten Atmosphäre erreicht hat und als stärkerer Skandal hingestellt wurde als er es eigentlich war. Neider gibt’s ja immer, und Leute, die einem (hier eben Posener) in die Suppe spucken wollen, auch – leider.
„Ein Blog ist stets privater Natur und enthält persönliche Meinungen eines oder mehrerer Autoren. “
Schon da gehe ich nicht konform – ein Blog ist Technik, eine Struktur, eine Plattform. Es bedingt keine spezielle Form von Inhalt, und dein weiterführender Text bestätigt das ja auch am Beispiel von Corporate- und Werbeblogs.
Und man kann es sich einfach machen, und auf der BILD rumhacken – aber der Grundvorwurf, den der Welt-Chefredakteur gemacht hat, steht durchaus solide: Posener hat seine Polemik an einem Buch festgemacht, das er nicht gelesen hat. Als eigene Meinung ist das nur schlechter Stil – als Journalismus ist es handwerklich schlampig. Wenn Posener sich nur mal Luft machen wollte, sollte er das vielleicht nicht im Rahmen des Unternehmens tun, welches
1) seine Miete zahlt, und
2) Ziel seines Angriffs ist
Nur weil man Diekmann nicht mag, ist er nicht vogelfrei – schon gar nicht im eigenen Verlagshaus.
Hi Torsten,
Du hast recht, meine spät nachts aus dem Ärmel geschüttelte Definition eines Blogs ist nicht ganz passend. Ich werde sie im Beitrag ändern. Hier meine ursprüngliche Formulierung für die Akten:
Andererseits mag Posener zwar das Diekmann-Buch nicht gelesen haben, doch ist es seine eigene Entscheidung, was er in seinem Blog schreibt, auch wenn er vielleicht aus ein oder zwei Vorab-Sätzen aus dem Diekmann-Buch gewaltige Schlüsse zieht. Daher sehe ich auch kein Problem in den Äußerungen, und schon gar keinen schlampigen Journalismus, denn ein Blog ist nunmal nicht zwingend Journalismus. Platt gesagt: Jeder kann doch online veröffentlichen, was er will, und auch wenn der Blog bei der Welt liegt, ist der doch ein Blog statt einer redaktionellen Publikation.
Auch wenn es unklug gewesen sein mag, seinem Arbeitgeber gewissermaßen indirekt ans Bein gepinkelt zu haben, sollte dies dennoch erlaubt bleiben. Denn nur weil Springer Poseners Miete zahlt, haben sie damit noch lange nicht das Recht auf Poseners Meinungsbildung. Diese sollte frei bleiben – ob und wie weit Posener an dem Ast sägt, auf dem er sitzt, bleibt ihm allein überlassen.
PS: Ich finde dieses Erlebnis in Deinem Blog wirklich zum Schreien komisch!
Ich glaube trotzdem, dass Posener bewusst provozieren wollte, was im eigenen Haus einfach ein Problem darstellt. Und Springers Reaktion war noch vergleichsweise moderat (ich kann nicht fassen, dass ich den Laden auch noch verteidige). Wie du richtig sagst – es steht Posener zu, an seinem Ast zu sägen. Aber dann darf sich niemand beschweren, wenn der Ast bricht. Beispiel: Ich habe fünf Jahre bei ProSieben gearbeitet. Wenn ich da auf einer hauseigenen Webseite einen Beitrag zum Thema „Warum Stefan Raab ein ganz dummes Arschloch ist, dem man die Sendung wegnehmen sollte“ verfasst hätte, wäre das nicht ohne Konsequenzen abgegangen. Und zu Recht.
Als Profi hätte sich Posener einen Gefallen getan, bis zur Veröffentlichung des Buches zu warten, und dann an konkreten Beispielen die Kritik an Diekmann festzumachen. Die Krakeelerei hätte er locker den ganzen privaten Blogs überlassen können.
Nur meine zwei Cent.
Torsten
P.S.: Ja, die Hasselhoff-Postkarte… das waren noch Zeiten.
Der Fall ist ja nun gewissermaßen eine Präzedenzfall für Kommunikationsfragen dieser Art. Sicher, das Buch hätte er vielleicht lesen sollen, wenn auch nur, um ernster genommen werden zu können. Hier ein passender Cartoon dazu, schön doppeldeutig. Ich könnt mich wegschmeißen, wie Ted guckt!