„Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast“, soll Winston Churchill mal gesagt haben. Nun, in diesem Fall ist zwar nichts gefälscht worden, doch die folgende Pressemeldung entbehrt nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik:
Was machen 18 deutsche Großstadt-Singles an einem Donnerstag Abend? Sie fliegen auf der Überholspur und schlagen Spiderman!
Mit einem höheren Kopienschnitt als SPIDERMAN 3, und damit zugleich dem besten Kopienschnitt des Tages, setzt sich die Erfolgsstory von SHOPPEN eine Woche nach dem bundesweiten Filmstart fort: Mittlerweile rangiert die rasant-witzige Dating-Komödie auf Platz 4 der Kinocharts und beweist damit, dass sich eine intelligent-freche deutsche Komödie durchaus mit der Hollywood-Konkurrenz messen kann!
(…)
Vom Überraschungshit zur kleinen Kinosensation! Wir hoffen, dass Sie uns mit einer redaktionellen Berichterstattung helfen, die Erfolgsstory von SHOPPEN fortzusetzen!
Aber gerne doch. Ich habe zwar Shoppen nicht gesehen, doch eine Meldung wie diese muß natürlich raus. Es ist schön, daß Shoppen einen höheren Besucherschnitt pro Kopie als Spider-Man 3 aufweist, doch das sagt natürlich wenig. Angenommen, Shoppen läuft mit nur einer Kopie (was er sicher nicht tut) und Spider-Man 3 mit 10.000 (was er sicher auch nicht tut), dann ist es natürlich relativ leicht, das Haus vollzubekommen. Spider-Man müßte dann 10.000 Häuser bei jeder Vorführung vollbekommen, um wenigstens gleichauf zu sein. Das ist eben die Crux der Prozentrechnung: Absolute Größen fallen nicht ins Gewicht.
Nun nehme ich nicht an, daß der Verleih ernsthaft annimmt, daß auch nur ein Redakteur oder auch nur ein Leser (die mündigen wenigstens) glaubt, Shoppen liefe insgesamt besser als Spider-Man 3. Pressemeldungen wie diese, mit irgendwelchen Zahlenspielchen und ähnlichen Fun Facts, flattern immer wieder auf die Tische der Filmjournalisten. Es liegt nun an uns, diesen Edutainment-Brocken irgendwo einfließen zu lassen, oder eben nicht. Einen eigenen Artikel rechtfertigt er jedenfalls nicht.
Was mich in diesem Fall angeregt hat, diesen Post zu schreiben, ist die Erfolgsstory, von der hier geredet wird. Es mag ja sein, daß Shoppen recht gut läuft, zu wünschen sei es dieser jungen deutschen Produktion ja, doch 30.004 Shoppen-Besucher unterscheiden sich von den 1.432.370 Spider-Man-Besuchern (jeweils absolut, laut kino.de) dann doch immerhin um den Faktor 47.
Ich würde hier weniger von einer Erfolgsstory reden als von einer gut konzipierten, zielgruppenorientierten Disopsitionentscheidung. Und die verdient bei einem offenbar derart gutem Kopienschnitt wirklich Lob. Die Statistiken rund um den Start von Spider-Man 3 (an einem Dienstag, in manchen Statistiken wird die ganze Woche dann zum nachfolgenden Wochenende aufaddiert) müßte man auch erstmal analysieren, um einen Vergleich mit anderen Filmen wagen zu können. Und dann muß auch noch die Berechnung des Warenkorbes der jeweiligen Zeit zur Inflationsanpassung miteinfließen, bevor man good old Spidey mit einem weißen Hai, dem Krieg der Sterne oder auch Citizen Kane wirklich vergleichen kann.
Schon in meiner Schulzeit ist mir aufgefallen, daß Statistiken für manche Menschen ein Buch mit sieben Siegeln sind. Meine Eltern konnte ich bei den Hausaufgaben herrlich verwirren mit Graphen, die ich bisweilen auf logarithmischem Papier anzufertigen hatte und die dann natürlich ganz anders aussahen als die im Schulbuch. Dabei war und bin ich echt keine Mathe-Leuchte. (Super-faszinierender Lesetipp für Mathe-Nichtleuchten wie mich hier!)
Doch da besondere Meldungen wie obengenannte meist hauptsächlich relative Angaben machen und keine absoluten, ist es doch immer wieder möglich, daß solche Meldungen eine fehlerhafte Berichterstattung zur Folge haben, und dies ist ja wohl auch irgendwie intendiert gewesen: Den Journalisten ein wenig hinters Licht zu führen, damit der etwas positiveres als die Wahrheit druckt. Natürlich war das nicht so gemeint, das ist dann eben passiert.
Dabei ist es im Grunde ganz einfach, hinter die Fassade der auf den ersten Blick augenscheinlichen Bedeutung so einer Nachricht zu steigen, indem man a) jedes Detail hinterfragt und b) sich zwingt, in kleinen Schritten zu denken.
Ebenfalls sinnvoll ist es, so eine Angabe in eine Art Textaufgabe umzuformulieren, und dann den Gehalt nochmal zu hinterfragen. In diesem Fall ist das Verständnis natürlich schon durch das Wörtchen Kopienschnitt gegeben, nichtsdestoweniger lassen sich im Alltag wunderbare Wortspiele anfertigen, die andere schnell auf die Palme treiben können: Die Aussage
„Ich fühle mich so, wie Du aussiehst.“
ist zum Beispiel völlig wertfrei. Dennoch werden sicherlich die meisten Angesprochenen eine Beleidigung wittern, und entsprechend einschnappen. Kernoptimisten und Narzissten dahingegen würden dies als Lob auffassen, und schon steigt die Stimmung. Der Sprecher selbst bleibt schuldfrei, außer er kotzt direkt nach der obigen Aussage spontan hinter den nächsten Paravent oder fängt zu bluten an und beendet so jegliche Spekulation über seine Gefühle.
Diese Sprachspielchen lassen sich nach Belieben verfeinern oder ausarbeiten, bis ein Verständnis kaum noch möglich ist. Ein Versuch aus dem Stand:
„Ich habe mehr gute Filme bei Regen im Kino gesehen als Deiner Großmutter Kanarienvogel hoch fliegen kann, aber weniger schlechte öfter als einmal auf Video als Dein Pullover grün ist.“
Grundsätzlich aufdröseln kann man diese Verrflechtungen natürlich immer noch, doch es wird natürlich schnell klar, daß die ganze Angelegenheit wenig Sinn hat, auch wenn bald klar ist, daß der Sprecher wohl viele Filme gesehen hat, die er mag und denen, die er nicht mochte, ungern eine zweite Chance gibt.
Nun kann man natürlich auch bewußt versuchen, ein Mißverständnis zu lancieren, indem man Informationen vergleicht, die nur bedingt korrelationsfähig sind. Eine Google-Suche nach „Statistik lügt“ ergab 102.000 Ergebnisse, viele davon Bücher über falsch verstandene Statistiken. Daher hier ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:
Einst lebte ich in einer Sechser-WG. Dort wurde der Verbrauch von Strom, Wasser und Heizöl gewissenhaft monatlich abgelesen. Am Ende des Jahres übertug der Verantwortliche die Zahlen in eine Excel-Tabelle und explodierte. Der Wasser- und Stromverbrauch sei viel zu stark angestiegen, bedeutete er mir und fuchtelte mir mit dem Excel-Ausdruck vor der Nase herum, das sei ja unglaublich, was wir da Geld zum Fenster rauswerfen!
Sowohl die Linie für Wasser als auch die für den Strom verband die Meßpunkte übers Jahr hinweg mit einem relativ geraden Strich. Hier, wie der Heizölverbrauch müßte sie aussehen, und nicht in den Himmel schießen. Der Heizölzähler bewegte sich mit einigen großen Aufs und Abs in einer breiten Linie quer durchs Jahr und stieg nämlich nicht an.
Was mein Mitbewohner nicht bedacht hatte: Die Strom- und der Wasserzähler gaben absolute Verbrauchszahlen aus, d.h., nach der Ablesung für Mai waren die Zähler natürlich bis zur Juni-Ablesung weiter angestiegen. Der Heizöl-Zähler, den er in dasselbe Raster eingetragen hatte, gab jedoch einen relativen Verbrauch an, da dieser Zähler natürlich den Ölstand im Tank anzeigte, der kontinuierlich geleert und dann wieder aufgefüllt wurde.
Die Aussage, daß der Wasserverbrauch stärker gesteigen sei als der Ölverbrauch, war also völliger Quatsch. Man hätte den Ölstand natürlich zuerst in den Ölverbrauch umrechnen müssen, anstatt ihn auf derselbsen Skala anzuzeichnen. Man hatte also Äpfel mit Birnen verglichen. Und das, puh, lange Rede, passiert in den besten Familien. Seien dies Redaktionen oder PR-Agenturen.
Wir Journalisten müssen eben fortwährend auf der Hut sein, um keinen Quatsch zu drucken. „Constant Vigilance!“ eben, wie ja schon Alastor Moody stets im vierten Potter schrie (und sich dann als Death Eater herausstellte).
Damit es nun doch noch was zu Lachen gibt, hier ein Beispiel für eine praktische Anwendung von Korrelationen im Sprachgebrauch, aus The Lord of the Rings – The Fellowship of the Ring:
Bilbo Baggins: „I don’t know half of you half as well as I should like, and I like less than half of you half as well as you deserve.“
Nachtrag: Im weitesten Sinne zu diesem Thema paßt auch dieser Post beim Marketing-Blog.
Wenn man einen Film nicht gesehen hat – obwohl allein drei Pressevorführungen in München stattfanden – und sich erkennbar auch nicht über SHOPPEN aus den JournalistInnen leicht zugänglichen Quellen informiert hat, sollte man sich mit Bewertungen besser zurückhalten, dies gebietet schon die journalistische Sorgfaltspflicht.
Sinnvoll wäre im Rahmen einer zumutbaren Recherche vielleicht auch gewesen, einen Blick auf die ARTHOUSE-Charts der AG Kino/Gilde (Stand 1.5.2007) zu werfen, wo SHOPPEN auch nach der absoluten Besucherzahl Platz 1 erreicht hat.
Auch angesichts des Loblieds, das der Autor an anderer Stelle über den Film „24/7 The Passion Of Life“ (der nach einem Jahr – bei 11 Kopien – weniger BesucherInnen hatte als SHOPPEN am ersten Wochenende) singt, drängt sich der Verdacht auf, daß hier – wie auch ein Sprichwort sagt – ‚Äpfel mit Birnen verglichen‘ werden.
Servus Michael,
ich berichte lediglich, wie ich die Sache sehe. Auch verwende ich die Meldung ja nur als Anlaß, um über die immer wieder vorkommenden, möglicherweise irreführenden Zahlenmeldungen zu berichten. Und ich habe offen geschrieben, daß ich Shoppen nicht gesehen habe und keinerlei Meinung über den Film abgegeben – wo also liegt das Problem?
Aber zum Glück ist dies ja nur ein Blog, daher ist Diskussion erwünscht und Meinungen möglich.
Und ja, es werden Äpfel und Birnen verglichen – aber nicht von mir, sondern von demjenigen, der diese Pressemeldung aufgesetzt hat.
Natürlich führt die Pressemeldung ein wenig in die Irre. Trotzdem finde ich solche Zahlen – Besucher in Relation zur Kopienzahl – hochinteressant und auch aussagekräftig. Leider erfährt man ja selten, mit wievielen Kopien ein Film startet.
Aber es ist sicher keine Kunst, einen Film mit hunderten von Kopien auf Platz 1 der Kinocharts zu hieven, die nur absolute Zahlen kennen. Da ist Platz 4 für einen kleinen Film wie „Shoppen“ sicher die größere Überraschung.
Und dass die großen Verleihe das gleiche Spiel spielen, hat man an „Spider-Man 3“ gesehen. Hier verschickte Sony eine Jubelmeldung vom „Besten Dienstags-Start aller Zeiten“.