Ein Kollege schickte mir diese kryptische Meldung aus der Screen Daily (mehr bei Yahoo!):
Warner Bros ceases all preview screenings in Canada
Move is intended to combat increased camcording piracy activity in Canada and studio’s frustration that the government has not made camcording a punishable offence.
Wer dort ein Abo hat, kann die Meldung lesen, ich leider nicht.
Ich schließe aus den Zeilen, daß Warner Bros. entschieden hat, keine Sneak Previews ihrer Filme vor Filmstart in Kanada mehr zuzulassen, da es offenbar in Kanada nicht illegal ist, im Kino mitzufilmen.
Ich kann diese Entscheidung nachvollziehen, andererseits aber überhaupt nicht verstehen. Den Verleihern, die so oder ähnlich reagieren, ist offenbar nicht bekannt, daß die Qualität einer Aufzeichnung, die mit einer Videokamera im Kino gemacht wurde, derart beschissen ist, daß kein Mensch sich einen Film auf diese Weise anschauen will:
In den Reihen vor der Kamera sitzen Leute, es wird geredet, gehustet und geraschelt, der Typ, der die Kamera hält, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach keine 90 Minuten ruhig wie ein Stativ halten können und wenn es sich um keine (Halb-)Profi handelt, wird die Schärfe der Aufzeichnung dank Autofocus zwischen Leinwand und Hinterkopf des Vordermanns kontinuierlich hin- und herwandern. Der Ton wird kaum zu verstehen sein, weil die Umgebungsgeräusche zu laut sowie die Qualität des typischen Camcorder-Mikrofons zu schlecht ist. Es wird kein Vergnügen sein, diesen Mitschnitt anzuschauen.
Die meisten illegalen Kopien von Kinofilmen finden ihren Weg jedoch in guter Qualität auf die Bildschirme der Internetgemeinde. Keine Leute, keine wacklige Kamera, kein Ton wie aus der Gießkanne.
Dies kann nur bedeuten, daß diese Kopien nicht im Kino angefertigt wurden, sondern aus anderer Quelle stammen. Und zwar direkt aus einem Computer, komprimiert direkt vom digitalen Originalfilm oder abgetastet mit professionellem Equipment, aber sicher nicht im Kino gefilmt. Auch der Ton ist kristallklar und in bestmöglicher Qualität, nicht eine Störung behindern den Heimgenuß. Das ist Piraterie! Und sie findet nicht im Kino statt, und schon gar nicht mit einer Videokamera.
Üblicherweise stammen Raubkopien wie diese aus Unternehmen, denen der Film vor dem Release in digitaler Form vorliegt oder die über Abtastgerätschaften erster Kajüte verfügen. Das kann das Synchronstudio sein, das Kopierwerk, das Studio selbst, die Chefetage der Verleiher im jeweiligen Land, eine Trickfirma, die noch einen Finishing Touch anbringen soll oder ähnliches. Auch sind angeblich schon Kopien von den DVDs der Academy-Mitglieder, die zur Ansicht für die Oscar-Abstimmung gedacht waren, aufgetaucht. Der oder die Täter sind wahrscheinlich gut organisiert, in der Nachtschicht aktiv und fit in Computerfragen. Die mit Abstand stärkste Filmpiraterie findet meines Wissens nicht in Kanada, den USA oder Europa statt, sondern in Südostasien.
Es sind jedoch sicher nicht Kinobesucher in Previews mit Camcordern. Oder, wo wir schon beim Thema sind, Journalisten.
Denn unsere Zunft leidet nun bereits seit Jahren unter dem Generalverdacht, im Kino mitzufilmen: Metalldetektoren zum Durchlaufen, Metalldetektoren zum Stochern, palpatorische Untersuchung des Journalisten von der Fessel bis zum Scheitel, seiner Wäsche sowie seiner Taschen sind an der Tagesordnung, ebenso die Beobachtung des Publikums mit Hilfe von Nachtsichtgeräten während des Films. Wagt man, während des Films eine SMS zu schreiben, kommt der Wachmann gleich gesprungen, sofern man sein Handy ohnehin nicht schon abgeben mußte am Eingang.
Ich finde das skurril. Meine persönliche Welt unter den Kollegen zeichnet ein ganz anderes Bild als das des kopierenden Filmpiraten: Eine Kollegin kocht gern selbst Marmelade und begeistert damit eine kleine Fangemeinde. Man borgt sich ein Aufnahmegerät für ein Interview oder verleiht eine DVD, wenn einer mal einen Film nicht gesehen hat. Man trinkt Kaffee und redet über Gott und die Welt, nicht immer nur über Filme, Kino, Stars und upcoming blockbusters. Während unsereins also Marmelade dealt, werden wir betrachtet wie Schwerverbrecher.
Es ist ziemlich klar, daß die Verleiher eine gewaltige Panik wegen ihrer Einnahmen schieben. Das ist ja auch verständlich. Aber anstatt jedoch wild und vor allem blind um sich zu schlagen, um mit etwas Glück ein schwarzes Schaf zu erwischen, sollten gezielte Maßnahmen unternommen werden, und zwar unter anderem:
- Die Filmpiraterie dort bekämpfen, wo sie stattfindet, nicht dort, wo Security gut aussieht.
- Nicht das Publikum oder gar die Presse unter Generalverdacht stellen (denn dies ist unser täglich Brot, an diesem Ast sägt doch keiner von uns freiwillig!).
- Langfristig neue Vermarktungskanäle eröffnen, die den geänderten Sehgewohnheiten der Zuschauer entgegenkommen (Stichwort Eintrittspreise, Home Cinema und Video on Demand).
Eine weitere Anmerkung zu diesem Thema: Meines Wissens ist noch kein einziger Journalist in Deutschland beim Abfilmen eines Screenings erwischt worden, und das, obwohl die Anti-Piracy-Maßnahmen, wie sie ja so schön und scheinbar so gut organisiert heißen, schon seit drei? fünf? Jahren mit Nachdruck umgesetzt werden. Entweder wird gefilmt und die Security nutzt nichts (sehr unwahrscheinlich), oder es wird nicht gefilmt und wir können das Theater jetzt reduzieren (wahrscheinlich).
Ich hoffe, daß es in Kanada bald wieder Warner-Previews gibt. Denn Pro-Warner-Volksaufstände wird es in Kanada deswegen sicher nicht geben.
Nachtrag: Mehr Details gibt es mittlerweile bei Yahoo! News.
Noch ein Nachtrag: Laut Blickpunkt Film tauchen 70% der Warner-Filme als abgefilmte Kopien im Internet auf. Das mag ja sein, doch verhindert dies, daß die Kanadier ins Kino gehen, wenn ihnen der Film gefällt? Ich denke nicht, daß der Schaden so gewaltig ist. Dennoch starten die Filme regulär in Kanada – dann werden sie halt eben ein paar Tage oder Wochen später übers Internet verfügbar sein. Dies scheint Warner jedoch nicht zu stören.
Dieses Verhalten läßt darauf schließen, daß Warner genau die Filmfreaks als Kunden ins Kino bringen will, die einerseits so scharf auf einen Film sind, daß sie ihn vor dem Kinostart aus dem Netz ziehen müssen, die aber kein Iota auf Qualität geben. Da drängt sich eine Frage auf: Gibt es diese Fans überhaupt? Kann man so scharf auf den Kinogenuß sein, daß einem die Qualität völlig egal ist? Ich bin da skeptisch.
Und nur, weil die Filme verfügbar sind, heißt das noch lange nicht, daß sie auch geladen werden. Und wenn sie geladen werden, heißt das nicht, daß sie auch geguckt werden. Und wenn sie geguckt werden, heißt das noch lange nicht, daß sie nicht nochmal im Kino geguckt werden…
2 Gedanken zu „Keine Previews von Warner-Filmen mehr in Kanada“