Kommentar zu den Reviews vom 16. Januar 2025

Das Kino schöpft aus dem Vollen! Es begibt sich in die Migrationsgemengelage mitten in New York, das in einer Küche! Es begleitet zwei Freunde auf einer Reise in eine berüchtigte Vergangenheit. Es lässt sich in den Move versetzen von einer greisen DJane. Es schmeißt sich mitten in ein endliches Leben. Es taucht unverfroren ein in das Diamantenraubgenre. Es schleicht sich in die Gewissenssphäre eines Geschworenen. Es beobachtet Gespräche von lauter Nichtwissern. Es erlebt urmenschliche Abenteuer mit Tieren. Es begibt sich hochkorrekt in literarische Fußstapfen. Es wagt sich auf dünnes wissenschaftliches Geäst. Es belauscht und beobachtet zwei Buben aus der Schlagerglückswelt bei zarten Gefühlen. Es verkalkuliert sich katastrophal bei einem Musical-Versuch mit Kinderspielklötzchen.

Kino
LA COCINA – DER GESCHMACK DES LEBENS
Eine Prise 50er-Jahre mitten im aktuellen Immigrantenstrudel des heutigen New York

A REAL PAIN
Zwei Freunde auf den Spuren einer Ohrfeige und auf denen ihrer Vorfahren, Opfern des Holocaust.

VIKA!
Ob 18 oder 81, was solls, auflegen kann sie immer noch.

LEBEN IST JETZT – DIE REAL LIFE GUYS
Eine Jugend, die diesen Namen verdient – und wie!

CRIMINAL SQUAD 2
Diamantenraubfilm wie nach Lehrbuch und in Europa

JUROR 2
Hier strampelt ein Geschworener in eine Zwickmühle des Gewissens.

ARMAND
Alle reden davon, doch keiner war dabei.

DIE ABENTEUER VON KINA & YUK
Tiere erleben ein urmenschliche, kinderfreundliche Geschichte.

TRAUMNOVELLE
Werktreue als Maxime.

TRACING LIGHT – MAGIE DES LICHTS
Extrem vielschichtiges, komplexes, hochspezialisiertes Thema

YOUNG HEARTS
Schlagerwelthomobubenglück

PIECE BY PIECE
Legoklötze können nicht singen – schade.

Criminal Squad 2

Gut gemachter Diamantenraubfilm,

mehr aber auch nicht, doch so lange die Gangster im Porsche oder Audi auf engen Mittelmeerküstenstraßen rumkurven, so lange ist das Genre noch mit sich im Reinen, egal, was drum herum auf der Welt passiert.

Das ist vielleicht nicht ganz so kinobrisant wie ein Luc Besson Film. Weekend in Taipei, der nicht nur vor weltpolitisch brisantem Hintergrund auf Taiwan spielt, sondern in den auch das Rauschen der illegalen Industriefischerei auf den Ozeanen hineintönt.

Diamanten allerdings sind ein zeitlos Ding, wahrscheinlich so haltbar und zeitlos wie das Gangster- und Thriller-, das Heistmovie. Sie sind seit eh im Kino ein beliebtes Genre.

Und wenn ein Gerard Butler als Big Nick von der L. A. Polizei mitspielt, dort aber kaltgestellt wird, und stattdessen bei einer Panthergruppierung in Europa einsteigt, so ist für eine überzeugende Identifikationsfigur gesorgt, die noch krümeliger und verwitterter wirkt, indem ihr der noch fast milchbubenhafte Donnie Wilson (O’Shea Jackson Jr.) gegenübergestellt wird.

Donnie ist gefährlicher als er aussieht, er ist keck und erfolgreich, hat eben einem etablierten italienischen Mafiaboss einen extrem wertvollen Diamanten abgejagt. Das erzählt die action- und temporeiche Exposition auf dem Flughafen von Antwerpen. Dieser Coup allerdings soll nur der Türöffner sein für einen viel größeren im Wert von Hunderten von Millionen im strengstens abgeriegelten Diamantenzentrum.

Wie nach Lehrbuch erzählt der Film von Christian Gudegast nun Planung und Durchführung des Raubes, garantiert standardgut. Besonders spannend sind die Szenen, in denen das Einbruchsteam in aller Lautlosigkeit handelt, während das Wachpersonal am Fernsehen ein Sportereignis verfolgt und die kooperierende Chava (Nazmiye Oral) über Funk die Zeiten durchgibt, in denen die Überwachungskameras Lücken haben.

Genreimmanent ist, dass nach dem Coup die Jagd auf die Beute erst richtig losgeht …

Young Hearts

Coming of Age im Schlagermilieu

Luk Montero (Geert Van Rampelberg) tingelt als Schlagersänger durch die belgischen und luxemburgischen Lande und besingt die Kostbarkeit der ersten Liebe. So möchte sie denn wohl auch sein Sohn Elias (Lou Goossens) erleben, die erste große Liebe und die fürs Leben. Dafür ist er womöglich noch etwas jung, 12 oder 13, die Zeit zart erwachender Gefühle.

Das hat der holländische Film Close aus atemberaubender Nähe erzählt. Auch dort eine Liebe zwischen zwei Knaben. Und wie dort fahren auch hier die beiden Jungs, der andere, neu ins Dorf zugezogene ist Alexander (Marius De Saeger), mit ihren Fahrrädern gemeinsam übers flache Land.

Der Junge aus Brüssel wohnt plötzlich gegenüber. Elias sieht ihn vom Fenster aus. Es ist für ihn Verliebtheit auf den ersten Blick. Formal ist er noch mit der viel weiter entwickelten Valerie (Saar Rogiers) zusammen. Aber auch die Liebe ist noch rein.

Vater versucht zwar, Alex aufzuklären, schwammig und dass das mit den ersten Barthaaren beim einen früher kommt und beim anderen später.

Der Film von Anthony Schatteman schildert die Entwicklung dieser Liebe im anekdotischen Sinne. Es scheint, als gebe es dafür Vorbilder im realen Leben. An denen scheint der Film auch ein bisschen kleben zu bleiben, ohne die erzählerische Distanz, die Close bei aller Nähe auszeichnet, je zu erreichen. Dadurch bleibt es eine wunderschöne, aber irgendwie auch einmalige Geschichte, eine Geschichte, wie sie aber auch hundertfach in Varianten passieren kann.

Eine Geschichte aber auch, die nach Enttäuschungen und Zweifeln wie das Glück im Schlager zu einem glücklichen Ende geführt werden muss. Wobei nie eruiert wird, wie ernst es denn dem Geliebten, Alexander sei. Für ihn ist es nicht die erste Liebe. Er sei schon in Brüssel mit einem Jungen gegangen. Und wie weit?

Liebe ist eine Angelegenheit von zwei Personen, die der Erwiderung und nicht nur des Geschehenlassens bedarf. Ein keuscher Kuss von Bub zu Bub ist dafür noch lange kein Beweis. Immerhin wird in der heilen Schlagerwelt das Coming-out des Buben einhellig begrüßt, als Schlagerweltglück gleich von allen Beteiligten; denn die Schlagerwelt muss heil bleiben, so oder so.

Vika!

Bei diesem Film kann man über unser Verhältnis zum Alter nachdenken.

Müssen Alte unbedingt in Rente? Sind sie ausrangiert? Warum soll eine 80-jährige Oma, die ihr Leben als Sozialpädagogin und schließlich in leitender Position im Gefängnis im Strafvollzug verbracht hat, im Alter nicht auflegen für die partyfreudige Jugend?

Der Film von Agnieszka Zwiefka hat eine klare Antwort: Warum nicht? So ein Topos ist selbstverständlich im Dokumentarfilmkuchen eine wahre Rosine, ein Hingucker, erst recht im Moment, wie Vika bei der Christopher Street Parade auf einem Musikwagen auflegt.

Dass dem so ist, dass das so außergewöhnlich ist, ist aber auch ein Zeichen dafür, wie schwer sich unsere Gesellschaft mit der Banalität des Alterns, letztlich des Sterbens tut.

Anhand seiner wundervollen Protagonistin beschäftigt sich der Film dezidiert mit dem Thema Alter und lässt sich gleichzeitig faszinieren von alten Gesichtern, besonders von Frauen. Es gibt großartige Tanznummern mit prima geschminkten, frisierten und angezogenen Damen, die sich mit ganzer Seele dem Rhythmus hingeben.

Das artet fast in einer Art Video-Werbeclip fürs Alter aus. Entspannung, Spa, Massage gehören dazu, Swimming Pool, Sonnenbad, Meer. Der Film ist auch eine fröhliche Hommage an die schönen Seiten des Alters mit Tanznummern wie in einem Musical auf öffentlichen Plätzen, im Kurpark, im Spa.

Es ist eine Adabei-Doku, die dabei ist, wie Vika lebt, mit ihrer Katze schmust, in ihrer Wohnung in einem Wohnhochhaus werkelt, den blumengeschmückten Balkon genießt; wie sie Gymnastik macht, sich schminkt, man will ja schön und gepflegt sein. Wie sie mit einer Freundin ausgeht und sich über das Alter und das Altern unterhält. Zwischendurch dringen dunklere Töne aus einer fernen Kindheit auf. Sie musste sich in Vilnius verstecken, alle ihre Verwandten sind im Krieg umgekommen.

Es gibt enorme Defizite in der Kindheit, die vielleicht als Erklärung dafür herhalten können, dass sie selber keine guten Beziehungen zu ihren Kindern hat, dass sie andererseits das Leben, was noch bleibt, leben möchte und keine Lust darauf hat, die kranke, bettlägrige Alte zu spielen. Sie ist international unterwegs, organisiert eine Seniorenparade. Und die Zahlenballons zu ihrem 81. werden einfach umgedreht, so wird daraus eine unbeschwerte 18. Vive Vika! Vive la Vie!

Traumnovelle

Dem Autor die Ehre

Beim Theater gibt es gegen Stückzertrümmerer wie Castorf die konservative Gegenposition, die dem Autor oder dem Stück die Ehre geben will. Wütende Leser fordern jeweils gegen die Zertrümmer, sie wollen ihre Klassiker wiedererkennen, so wie sie sie kennen. Diese dürften hier im Film von Florian Frerichs, der mit Martina van Delay auch das Drehbuch nach Arthur Schnitzlers Traumnovelle geschrieben hat, auf ihre Rechnung kommen.

Das Stück ist knapp 100 Jahre alt und das sieht man ihm dank der Werktreue der Filmemacher auch an, obwohl es in ein modernes Ambiente transferiert wurde, in das Berlin von heute.

Der Protagonist Jakob (Nikolai Kinski als Arzt wie er im Bilderbuch nicht schöner kommen könnte) steckt sich immer wieder die Kopfhörer ein und wieder aus, fährt einen eleganten Porsche und Handys ersetzen die klassische Kommunikation über Briefe.

Solche Modernismen werden wohldosiert und beiläufig eingesetzt, ebenso die Ausstattung und Kostüme, im Sinne der Werktreue, damit die volle Konzentration auf das gegeben ist, was zwischen den Figuren abgeht, zwischen Jakob und seiner Gemahlin Amelia (Laurine Price; auch sie wäre eine ideale Partnerin in einer Fotoromanze im Ärztemilieu) und zwischen all den Figuren, die peripher auf dem Radar der beiden erscheinen und was sie mit ihnen anrichten.

Das scheint das zentrale Thema von Schnitzler zu sein, dieser Unschärfebereich von Liebe und Erotik, die Konvention der Ehe im Widerstreit mit dem Begehren, der Verführung, der Sehnsucht nach Erfüllung, der Reiz dessen, was unerreichbar scheint und auch gar nicht erlaubt ist.

Verkleidungen, Masken und topsymbolisch und ebenso topkulturell Der Maskenball von Giuseppe Verdi spielen dabei eine wichtige, aber nicht unbedingt klärende Rolle und unterstützen sogar die Idee eines Repertoire-Kinos in Anlehnung an das Repertoire-Theater.

Jakob wird an einem Abend, den er mit seiner Frau genießen möchte, zu einem Notfall gerufen, dem Vater von Marianna (Nike Martens) geht es schlecht. Wie der Arzt eintrifft, ist der Papa schon tot und der Arzt sieht sich unvermittelt in der Gefühlswelt von Marianne.

Die schwierige Situaton wird erst gelöst, mit dem Erscheinen von Professor Roediger (Rodney Charles). Auf dem Nachhauseweg wird Jakob von Mizzi (Nora Islei) angesprochen. Damit startet ein Reigen voller Verwirrungen, Maskenspielen und Begegnungen durch die Nacht. Reigen ist auch der Titel eines Stückes von Schnitzler, das 1950 von Max Ophüls meisterlich verfilmt worden ist. Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee, die Schauspieler überwiegend englisch sprechen zu lassen, denn das Hochdeutsche ist auf keinen Fall ein adäquater Ersatz für das Wienerisch.

Tracing Light – Magie des Lichts

Interessantes Thema und interessante Protagonisten machen noch keine spannende Doku

Zweifellos verdient das Thema, verdienen die Protagonisten aus diesem Dokumentarfilm von Thomas Riedelsheimer (Leaning into the Wind – hier waren wenigstens ein paar Abenteuerelemente drin) alle Aufmerksamkeit.

Aber es ist auch ein extrem vielfältiges, komplexes, hochspezialisiertes Thema und so sind auch die Wissenschaftler und Künstler, die sich damit beschäftigen. Und nicht minder komplex scheint die Logistik der Produktion zu sein, bei einer ganzen Anzahl von Koproduzenten, Sendern, Filmförderern.

Um so ein Thema im Kino spannend zu behandeln und auch ein weiteres Publikum dafür zu interessieren, bedürfte es also einer klaren Fragestellung. Die gibt es hier nicht. Dazu kommt das Ärgernis, den an sich schwierigen Inhalt noch verhackstückt vorzutragen, immer wieder hin- und herzuspringen zwischen mehreren Wissenschaftsinstituten und Künstlern mit unterschiedlichem Fokus auf das Projekt.

Da helfen die Hunde in Schottlands Landschaft wenig. Und auch die Tonspur, die musikalische Untermalung, trägt grad gar nichts bei zu einer Erhellung.

Einen spannenden Moment gibt es in dem Film. In dem ganz in Weiß gehaltenen Max Planck Institut in Erlangen haben zwei Künstler eine Kugel halb in Weiß und halb in Schwarz in den riesigen Treppenhausraum gehängt. Wie die Kugel sich dreht und die lichtschluckende schwarze Hälfte immer mehr ins Bild kommt, wird spürbar, wie auch das Licht aus dem Zuschauerraum, das normalerweise von der Leinwand gestreut wird, merklich weniger wird, Effekt einer Sonnenfinsternis.

Auch die Künstlerin in Schottland wäre ein Hauptinteresse wert und könnte, allein in den Fokus gestellt, sicher viel mehr zu einem Verständnis des Themas (welches genau?) beitragen. Sie baut runde Mauern, Mauerhütten, und lässt Lichtöffnungen. Oder sie baut einen Turm aus Stein auf dem Meeresboden, zündet ein Feuer an und überlässt die Installation der steigenden Flut. Was ist ihr persönlicher Bezug zum Licht. Wie kommt ein Mensch, ein Künstler, auf so ein abstraktes Thema?

Je komplexer und je weiter gefasst ein Thema, desto klarer muss ein dokumentarfilmischer Zugang sein. Das ist hier nicht gegeben, geht in beliebigen Lichtspielereien unter, die sich, da absolute Finsternis nicht existiert, überall finden lassen. Man könnte genau so gut einen Film machen, der der Zeit beim Verlaufen zusieht oder einen zur Fragestellung, wieviele Filme auf einer Leinwand Platz haben oder sich eine Spielfilmlänge lang die sich ständig verändernden Lichtverhältnisse im Innenhof der City-Kinos vornehmen.

Piece by Piece

Marketing-Pups

Filme über und mit Markenartikeln zu machen ist ein unübersehbarer Trend; im positiven Falle wird daraus eine Win-Win-Situation für Produkthersteller wie für Filmproduzenten, so wie letztes Jahr mit Barbie.

Der Barbie-Film hat seinen Erfolg unter anderem daraus bezogen, dass er die DNA der Barbie-Puppe, das Püppchensein der Frau, schrill durch den Kakao gezogen hat. Es scheint clever darauf geachtet worden zu sein, eine aufregende Beziehung zwischen Film und Produkt herzustellen, so dass beim Zuschauer positive Empfindungen entstehen, die sich später auf das Produkt übertragen. Das hat wohl bestens funktioniert und lasse sich allseitig an Zahlen ablesen.

Bei Lego, um das es sich hier im Film von Morgan Neville handelt, der mit Oscar Vazquez und Aaron Wickenden auch für das Drehbuch zeichnet, dürfte das eher weniger der Fall sein. Ein Marketing-Heini scheint die gloriose Idee zu dem Marketingfilm gehabt zu haben, die das Produkt mit der Karriere eines Musikstars in Verbindung bringt.

Hinter der vermeintlich genialen Idee sind alle Beteiligten blind wie hinter dem Rattenfänger von Hameln hermarschiert, alle müssen es super gefunden haben, niemand hat die Notbremse gezogen.

Der Film funktioniert meiner Ansicht nach überhaupt nicht. Musik und Legoklötze gehen nicht zusammen. Dabei spielt die geringste Rolle, dass sich das Drehbuch noch dazu für die simpelste und uninteressanteste Art von Musiker-Biopic entschieden hat, eine mit lauter Talking Heads – öder geht’s nimmer.

Die Grundsituation ist ein Interview mit dem Protagonisten fürs Fernsehen; der gibt mit seiner Erzählung den Faden der Geschichte vor.

Unverzeihlicher scheint zu sein, dass die Relation von Legoklötzen, Musik und Kino offenbar überhaupt nicht analysiert wurde. Legoklötze haben keinen Vibe, können keinen Vibe erzeugen. Legoklötze mit ihren unstrukturierten Flächen können eher als Leinwand denn als Leinwandstars fungieren. Legoklötze bleiben hart und ohne Charme.

Vollends als Rohrkrepierer könnte sich die Idee erweisen, weil die Figuren Krüppel sind; sie haben keine Hände, keine Finger, nur Stümpfe oder eine Art Zange, da schaudert einen.

Dabei gibt es möglicherweise einen verbindenden Faktor zwischen Musik und dem Denken mit Legoklötzen: das mathematische Denken. Erfolg und Faszination durch die Legoklötze besteht ja darin, dass der Spielende sein Gehirn anstrengen muss, um aus Klötzen Dinge zu konstruieren, dabei kann mathematisches Denken so hilfreich sein wie in der Musik.

Dieser Effekt entfällt im Film allerdings, da die Figuren schon konstruiert sind. Und sie sind nicht besonders leinwandaffin, grade die Musiker nicht. Das, was Musiker so attraktiv macht, ist ihre Persönlichkeit. Die kommt hier allenfalls durch den Sprecher zustande – Gott bewahre uns vor der deutschen Synchro.

In den Legofigurengesichtern zeichnet sich kein Leben, kein Schmerz, kein Glück ab. Sie wirken wie Zinnsoldaten, wie eine Armee, wie die Massen in einer Diktatur. Nordkorea als Publikum. Wie schockgefroren wirkt ein Meer, das aus Legoklötzen dargestellt wird.

Leben ist jetzt – Die Real Life Guys

Landjugend Millenials

Jeder Generation ihren Coming-of-Age-Film. Und wenn dieser noch anekdotisch untermauert ist „nach einer wahren Geschichte“, kann er möglicherweise zum Statement einer Generation werden wie hier im Film von Stefan Westerwelle (Kannawoniwasein, Matti & Sami und die drei größten Fehler des Universums) und Maria-Anna Westholzer nach dem Drehbuch von Sven Fockner, Toks Körner und Lynda Bartnik.

Es geht um „The Real Life Guys“, die Geschwister Mickenbecker, die auf einem Bauernhof in Hessen im Mittelgebirge aufwachsen.

Sie sind Tüftler, haben in Scheunen und ähnlichem des Anwesens Platz genug, Fahrgeräte jeglicher Art und mit unterschiedlichster Art von Antrieb zu entwickeln. Sie sind 1997 geboren und wachsen mit den Social Media heran, in denen sie ihre Erfindungen und Experimente präsentieren. Eine Badewanne, die fliegt, ein Fahrrad mit Raketenantrieb, eine Achterbahn oder eine U-Boot-Tauchfahrt.

Es sind kühne Unternehmungen, die Mut oder Leichtsinn erfordern, vielleicht eine totale Art der Lebensbejahung, wie ihr Künstlername, unter dem sie in den Internetvideos auftreten, vermuten lässt.

Sie haben zusätzliche Gründe, das Leben erhaschen zu wollen, es nicht zu verschenken. Bei Philipp wird ein Tumor am Herzen entdeckt. Jugend und eine bald möglicher Tod erhöhen das Verlangen nach Leben und verleihen diesem zusätzliche Dringlichkeit.

Im Film betont die Musik noch unentwegt diese Sehnsucht nach Leben, ja diese Lebenstrunkenheit.

Mit Richard und Anton Fuchs hat der Film zwei wunderbare Brüder als Darsteller der beiden jungen Männer gefunden, filmaffin wie irgendwas beide mit Silberblick, kinotauglichem Ernst und gleichzeitig einer Verschmitztheit.

Der Vater ist ein knuddeliger Brocken, die Mutter ist aktiv gläubig, christlich, man betet vor dem Essen, aber nicht übertrieben.

Die Jugend scheint zwar nicht viel anders zu sein als andere Jugenden vor ihr auch, sie will Erfolg, sie will reisen, die Liebe klopft an, wenn auch nicht explizit als zentrales Thema. Dieses ist dann doch mehr die Unzertrennlichkeit der Zwillinge, die ohne einander nicht können.

Zu ihnen gehört eine Clique junger Menschen, die nicht minder enthusiastisch auf Minigefährten über die Straße düsen, dabei Selfies aufnehmen, farbigen Rauch und Raketenexplosionen versprühen und aus Gaudi die Schallmauer von 500′ 000 Followern oder 1 Million durchbrechen und die sich vom Geldumsatzzwang einer Internetmanagerin nicht kirre machen lassen und dieser kühl die Tür weisen. Und: kein Lamento über diese Jugend; sie stellt an ihrem Überwald Gymnasium mit elektronischen Manipulationen die herrstlichsten Streiche an.

La Cocina – Der Geschmack des Lebens

Bruchstelle der Gesellschaft

Dieser Film von Alonso Ruizpalacios nach dem Theatertück von Arnold Wesker schaut ganz genau hin, so erfrischend wie erschreckend, auf eine elementare Bruchstelle in der amerikanischen Gesellschaft: mitten in New York in der Groß-Küche eines Restaurants.

Hier stößt Legalität auf Illegalität, Immigration auf amerikanische Bürger. Hier wird Spanisch gesprochen, Arabisch, Französisch und natürlich auch Englisch; aber nicht alle Mitarbeiter verstehen das. Aber hier zeigt sich auch wie in einem Brennglas, wie perfekt Legalität und Illegalität in der amerikanischen Wirtschaft zusammenspielen und ohne einander nicht können. Diese Maschinerie funktioniert auch noch, wenn der Boden der Küche der Systemgastronomie am Times Square in New York mit Cherry Coke geflutet ist.

Sie nennen sich nicht beim Namen, Samira aus Marokko wird als Casablanca tituliert oder die Mexikanerin Estela (Laura Gómez) nach einem Sternelokal, in dem sie in der Küche gearbeitet hat als Sanborns.

Mit Estela fängt der Film, der im Quadratformat und in Schwarz-Weiß (mit wenigen Farbeinsprengseln) gedreht wurde, an und dem einem Zitat von Henry David Thoreau vorangestellt ist, das allerdings viel zu schnell vorbeiläuft, als dass man es überhaupt rezipieren könnte.

Wie um noch eins draufzusetzen, erzählt in diesen bewusst verschlierten Eindrücken eines nicht identifizierbaren New York (Sicht der Immigrantin) ein Obdachloser von der Zeit und den Quadraten und dass an diesem Ort vor Jahrhunderten noch Indianer waren; das ergibt kurz eine Überblendung zu Zemeckis Here.

Im Lokal selber schwimmt die Freiheitsstatue in einem Aquarium. Hier dürfen die Hummer vor ihrem Tod für den Speisenteller noch etwas Freiheit genießen.

Stela ist auf der Suche nach einem Job. Sie kann kein Englisch und kennt sich kaum aus in New York. Das allein erzählt der Film schon gänsehauterregend. Sie ist auf der Suche nach einem Pedro Ruiz (Raúl Briones), an den sie sich in dem Lokal wenden soll.

Auf normalen Wege würde sie wohl kaum je an ihn herankommen, denn nicht nur kennt ihn kaum wer, er ist auch nicht der Chef, er ist einer der Köche. Jeder hat hier seine Spezialität, der eine kocht Spaghetti, der andere bereitet den Hummer vor, der dritte macht Pizza.

Eine hübsche, erzählerisch bewährte kleine Verwechslungsgeschichte beim Verwaltungsmenschen Luis (Eduardo Olmos) öffnet Estela die Türen, Sozialversicherungsnummer hin oder her; man kennt sich aus beim Jonglieren mit der Illegalität.

Schon wird sie als neue Mitarbeiterin in die Garderobe geschickt und durch die langen Reihen der Anrichten geführt. Der Zuschauer lernt auf diese Art einige der Akteure und Akteurinnen kennen. Keiner will sie als Mitarbeiterin, bis sie schließlich Pedro beweisen kann, dass sie aus demselben Dorf kommt und ein Beweisstück seiner Mutter vorlegt.

Pedro wird sich zu einem durch seine Widersprüche reizvollen Protagonisten entwickeln, der Witz hat und Chuzpe, Herzlichkeit aber auch Unbeherrschtheit und der seit drei Jahren versucht, zu einem legalen Aufenthaltstitel zu kommen, für ihn steht einiges auf dem Spiel.

Aber Pedro legt sich gern mit dem Amerikaner Mark (James Waterston) an, völlig klar ist nicht, wieso; eine merkwürdige Männerrivalität. Andererseits hat er ein Verhältnis mit der Bedienung Julia (Rooney Mara), die von ihm schwanger ist und eine Abtreibung erwägt.

Der Film schildert präzise, wie aus exzellenter Beobachtung heraus, auch die Figuren um ihn herum, das Klima der Hektik in so einem Betrieb, aber auch die Momente des Frotzelns, der Albereien, des Übermutes und es gibt Pausen mit Zeit für ernste Themen wie die Träume.

In solch ernsten Momenten wird die Inszenierung gerne etwas theatral, aber wenn eine Geschichte gut erzählt wird wie diejenige von Nonzo (Motell Gyn Foster), was soll‘ s, der Film beruht auf einem Theaterstück und das trägt durchaus bei zur hervorragenden Qualität. Doch das Theaterstück stammt aus den 50er Jahren.

So theatral ein Liebesgespräch im Kühlraum und mit Blaufilter versehen auch sein mag, so wirkungsvoll und konzentriert ist es doch und trägt bei zu dieser nüancierten Betrachtung dieser Bruchstelle durch die Widersprüche und Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft. Allerdings weht durch das Stück spürbar der Geist der 50-er Jahre, der unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges sich wie in einer Käseglocke zu schützen versuchte: Kitchen-Sink-Realismus, Geist der moralischen Aufrüstung.

Die Betrachtung wird eplizit auch als solche begriffen, das zeigen Stilisierungen – bei aller realistischen Glaubwürdigkeit des Tohuwabohus in der Küche bei vollem Betrieb – beim Erzählen der Geschichte, aber auch die Auswahl der Musik ist so, die von der Tendenz her zum Feierlich-Choralhaften (Seemannschoral) neigt und dann auch nicht nur das Format des Filmes, sondern auch die wenigen Anwendungen von Farbfiltern. Dadurch entsteht der Eindruck eines Filmes, der sich durchaus als moralische Instanz sieht und den Finger dezidiert auf einen wunden Punkt der amerikanischen Gesellschaft legt.

Juror 2

Erstklassige Pflicht

Wollte man im Kino wie beim Eiskunstlauf verschiedene Disziplinen unterscheiden, so würde im amerikanischen Kino das Justizdrama mit seiner langen Tradition zweifellos zum Pflichtprogramm gehören.

Und dies liefert Clint Eastwood nach dem Drehbuch von Jonathan A. Abrams tadellos, schnörkellos und klarsichtig – und das im fast schon biblischen Alter von über 93 Jahren.

Das amerikanische Justizdram ist deswegen kinematographisch so ergiebig, weil es das Geschworenengericht kennt. Das meinte einmal ein deutscher Regisseur zu einem Schauspieler, der einen Notar spielen sollte, er könne ihm zur Anwaltsrolle nichts sagen, da solche Figuren im deutschen Kino und Fernsehen langweilig seien. Insofern ist es auch kaum möglich, dem Genre neue Nuancen hinzuzufügen.

Aber der Cineast wird sich erfreuen über die einfühlsame und zielbewusste Inszenierung, die immer den Schauspielern die Ehre lässt und damit die Geschichte bestens nachvollziehbar in den Vordergrund rückt.

Es ist in diesem Fall auch ein Gewissensdrama. In einem Provinzkaff in Georgia wird vor Gericht der Tod einer jungen Frau verhandelt. Ihr Freund James (Gabriel Basso) soll sie nach einem Streit bei einem Wirtshausbesuch allein in die regennasse Nacht hinauslaufen lassen haben, sei ihr dann mit dem Auto gefolgt. Sie wurde tot am Fuße einer Böschung aufgefunden.

Es ist einer der Fälle, wie später eine krimifeste Nachrückgeschworene sagen wird, bei dem alles perfekt zusammenpasst, der Täter ohne nähere Ermittlung eindeutig feststeht und der Fall für das Geschworenengericht in kurzer Zeit verhandelbar ist; und aus ihrer Krimilektüre wisse sie, dass man gerade solchen Fällen besonders misstrauisch begegnen müsse.

Die Bürger sind froh, wenn für diesen Pflichtdienst als Geschworener nicht allzuviel Zeit drauf geht. Allerdings geht es um eine lebenslängliche Strafe bei positivem Befund der Gschworenen.

Bei Eastwood wird die Erzählung andersrum aufgezäumt. Sie fängt mit der Titelfigur, dem Geschworenen Nummer zwei, an. Das ist ein Schauspieler, wie Hollywood ihn nicht besser erfinden könnte, Nicholas Hoult als Justin Kemp, junger Familienvater mit hochschwangerer Frau Allison (Zoey Deutch), Familienglück pur, auch das so schön geschildert, wie Hollywood es nicht schöner und klarer kann.

Und klar ist genauso, dass da Dunkleres heraufziehen wird. Wie zur Verfahrensinformation wird die Auswahl und das Prüfverfahren der Geschworenen geschildert. Justin wird zur Nummer zwei benannt. Die Richterin Thelma Hollub (Amy Aquino) eröffnet das Verfahren. Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) ist sich ihrer Sache sicher. Die Verteidigung tut sich schwer. Rückblenden legen den Hergang offen. Justin ist in die Sache verwickelt. Wie er damit umgeht, das bestimmt Spannung und Dramatik des Dramas.

Go ahead, make my day.