Kommentar zu den Reviews vom 28. November 2024

Im Kino fängt es stark lateinamerikanisch an, wird dann mehr deutschlastig mit Tentakeln in andere Himmelsrichtungen und globalisiert sich nach einem Irrläufer in die Südsee erneut auf der Kunst- und der Triaden-Etage. Der Boss einer der übelsten Gangs Lateinamerikas unternimmt eine Extremverwandlung, um unterzutauchen, ohne die Folgen im Auge zu haben. In Deutschland sind einem Pärchen, das Abwechslung sucht, die Konsequenzen auch nicht ganz klar. Ein albanischer Entmieter aus Frankfurt am Main wird durch den Tod seines Opas zu einer Heimatreise verpflichtet. Ein Berliner Film erinnert an einen offensiven, künstlerischen Schwulen. Ein anderer Deutscher nimmt filmisches Archivmaterial als Guide für eine Afrikareise. Ein deutsches Soziodram vermittelt die Tragik der Geburt eines Kindes, wenn die Mutter im Gefängnis sitzt. Ein amerikanischer Film widmet sich einem noch lebenden amerikanischen Künstler. In einem anderen amerikanischen Film strampeln sich die Zeichner an einem dünnen Plot ab. Die übelsten Gangs Asiens sind Stoff für einen Hongkong-Film. Auf DVD wird lehrhaft das Propagandathema behandelt. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gings schrottig zu und her. Da gab es Möchtegernwitzigkeit auf Amphibienniveau, zwei Folgen einer krampfigen Bemühung, Paar- und Unternehmertum in einen Wettbewerb zu schicken, recht Deftiges kam aus Australien und Sympathien gewinnt eine Frau, die eine schonungslose Kämpferin ist.

Kino

EMILIA PÉREZ
Zipfelchen weg zur Tarnung

DER VIERER
Deutsche Beziehungskomödie mal nicht ganz so oberflächlich wie so oft

DAS MEER IST DER HIMMEL
Deutsch-albanischer Abenteuerweg zum unbekannten Ich

BALDIGA – ENTSICHERTES HERZ
Keine Schwulitäten um das Schwulsein

TOGOLAND PROJEKTIONEN
Den Spuren eines frühen Reisefotografen in der deutschen Musterkolonie folgen

VENA
Sie kam in den Knast und gebar.

JEFF KOONS: A PRIVATE PORTRAIT
Inspiriert von Mamas und Papas Weihnachtsbaumdekoration

VAIANA 2
Am Plotideenhungertuch

CITY OF DARKNESS
Dieser Dreck, der war noch westlich-kapitalistisch.

DVD
FÜHRER UND VERFÜHRTE
Kann sich selbst nicht ganz dem Reiz der Propaganda entziehen.

TV
FIND THE LIAR, MITTERMAIER
Geistiger Schwachstrom auf Gebührenzahlers Kosten

3 PAARE, EIN ZIEL: WIR MACHEN UNS SELBSTÄNDIG, Folge 1
3 PAARE, EIN ZIEL – WIR MACHEN UNS SELBSTÄNDIG, Folge 2
Wir basteln uns aus Abgestandenem ein neues Fernsehformat.

OUTLAWS – DIE WAHRE GESCHICHTE DER KELLY GANG
Das war noch wahrer Anarchismus.

LEBENSLINIEN – TINA SCHÜSSLER – MEIN HÄRTESTER KAMPF
Pfeif auf die Genderei, dann zieh ich mich halt an wie ein Mann.

Vaiana 2

Animationasroutine in der Südsee

Setting und Cast sind in Vaiana etabliert.
Die Südseeinseln Samoa und Tahiti. Hier hat Hauptfigur Vaiana ihr Coming of Age. Dieses ist verbunden mit der Geschichte ihres Stammes, die Oma erzählt. Das Seefahrergen ist verschüttet. Vaiana wird es wiederbeleben, dabei wilde Abenteuer erleben und das Herz zur Rettung des Stammes zurückbringen.

Das war anrührend, aufregend und offenbar kommerziell ein Erfolg, so dass Disney glaubte, nachlegen zu müssen. Aber die Drehubuchautoren Jared Bush, Dana Ledoux Miller und Bek Smith scheinen diesmal ideell am Hungertuch zu nagen, greifen auf abgestandene Plotelemente zurück, die sie für den Südseestamm aus einer Kiste mit ausgeleiertem Versatzstücken hervorzerren.

Die Meervölker sollen verbunden werden, kein Mensch weiß warum; es ist bei den Südseeinsulanern kein besonderes Problem ersichtlich, nicht mal das Steigen des Meeresspiegels wird thematisiert, das wäre doch ein Ansatz, aber das haben die wunderbaren Autoren offenbar verpennt; insofern ein Film neben dem Bewusstsein der Zeit.

Um dieses unerfindliche Ziel zu erreichen, muss auf einer fernen Insel ein Zauber gebrochen werden. Für dieses Unternehmen wählen die Insulaner Vaiana zur Führerin.

Jetzt machen sich die Gag- und Trickanimateure wild ans Werk, grad die Süßabteilung hat viel zu tun mit niedlichen Figürchen wie dem Schweinchen, dem Hähnchen, einem kecken kleinen Mädchen, Müschelchen und bösen Kokosnüssen.

Es folgt unermesslicher Animationsfleiss ohne kreativen Storyinput. So will denn dieser Südseezauber trotz Musicaleinlagen, dem Beiziehen biblischer Elemente wie dem Stern von Bethlehem oder dem Meer, das sich teilt, und der tristen Jahreszeit bei uns nicht so recht zünden; erinnert an die leere Betriebsamkeit in vorweihnachtlichen Spielzeugschaufenstern von Warenhäusern.

Togoland Projektionen

Musterkolonie

Das wissen die in Togo, dass sie einst deutsche Musterkolonie waren und sie feiern den Volkstrauertag der Deutschen heute noch mit. Es gibt deutsche Soldatenfriedhöfe in Togo und die werden zu diesem Anlass feierlich besucht. Von den wegen dem Kolonialismus getöteten Togolesen ist nicht die Rede; auch nicht von Verbrechen der Deutschen wie in Namibia. Von Krieg schon. Trotzdem galt und gilt sie als Musterkolonie.

Hans Schomburgk hat diese deutsche Musterkolonie 1913 besucht und auf einer Reise durch das Land auch gefilmt. Nicht nur dokumentarisch, auch Afrikaspielfilme (‚Tropenschmonzetten‘) hat er gedreht.

Aus diesem Material hat Jürgen Ellinghaus welches selber mit nach Togo genommen, ist der Route von Schomburgks Reise gefolgt und hat an verschiedenen Orten die Filme gezeigt. Daraus wiederum hat er diesen Dokumentarfilm gemacht, der nicht nur reichlich Originalaufnahmen von Schmburgk aus dem Leben in der Deutschen Kolonie zeigt, sondern auch die Reaktionen der Zuschauer bei den Filmvorführungen dokumentiert und ihre Kommentare oder Erklärungen zu den Filmen, einmal auch den Versuch, in einer Gehörlosenschule einen im Stummfilm gesprochenen Text anhand der Mundbewegungen zu entziffern.

Der Film begibt sich an Stätten, an denen vor über 100 Jahren gefilmt worden ist. Es gibt Kommentare der Schauspielerin Meg Gehrts, die Schmoburgk auf seiner Reise begleitet hat und die in seinen Spielfilmen die Hauptrolle spielte, zum Beispiel in ‚Eine Weiße unter Kannibalen“.

Es gibt wilde Kriegsszenen mit der Kavallerie zu sehen oder Eisenerzabbau von damals oder wie ein Flusspferd gefangen wird oder Baumwolle gepflückt. Und es gibt die Reste einer ambitionierten Funkstation zu besichtigen, die die Deutschen gebaut haben.

Es wäre sicher spannend, einmal ein Konzentrat aus den Dokumentarfilmen von Schomburgk zu sehen.

Immerhin gibt es in letzter Zeit immer wieder Filme, die sich mit dem deutschen Kolonialismus beschäftigen: Das leere Grab, Der vermessene Mensch und sogar der Versuch mit einem Horrorfilm: Home Sweet Home – wo das Böse wohnt.

Emilia Perez

Traurig-süßes Mexiko-Poem

Der Film von Jacques Audiard (The Sisters Brothers, Ein Prophet, Der Geschmack von Rost und Knochen, Dämonen und Wunder, der mit Thomas Bidegain und Nicolas Livecchi auch das Drehbuch geschrieben hat, findet Menschlichkeit und Gefühl im von Drogen und Drogenkriegen verunstalteten Mexiko.

Zusammen mit den Protagonisten verwandelt sich das Ensemble immer wieder in einen Chor, einen Operchor oder man kann darin auch den griechischen Tragödienchor sehen, der Grundbefindlichkeiten, Grundbedürfnisse des Menschen musikalisch, rhythmisch-tänzerischen Ausdruck verleiht. Das unterstreicht das Lyrische an dieser ganz spezifischen Geschichte aus dem Drogenmilieu.

Der brutale Drogenboss Gabriel Mendoza (Karla Sofía Gascón) möchte seit seiner Kindheit eine Frau werden und zwar lieber gestern als heute – ein kleines Problem, wenn man ein gesuchter Krimineller ist. Dazu braucht er Diskretion und eine clevere Anwältin, die ihm diese garantiert. Er findet sie in einem Prozess, den Jacques Audiard auf hohem internationalem Niveau als spannendes Filmentrée inszeniert.

Es geht um die Frage Mord oder Selbstmord in einem Beziehungsdelikt. Anwältin Rita (Zoe Saldana) ist das Hirn dieses Prozesses, die Lorbeeren heimst ihr Vorgesetzter ein. Mit solchen Menschen, denen ihre Fähigkeiten im Beruf aberkannt werden, ja für welche andere kassieren, ist ins Geschäft zu kommen. Und wer könnte der Verlockung einer limitlosen Kreditkarte widerstehen, einer Kreditkarte, deren Deckung durch unsaubere Drogengeschäft längst nicht mehr anzusehen ist?

Da Rita auf diese Weise wirtschaftlich abgesichert ist, wendet der Film sein Interesse mehr dem bald schon vom israelischen Doktor Wasserman (Mark Ivanir) in Emilia Perez umgewandelten Gabriel Mendoza zu; dieser wird ganz offiziell sterben müssen.

Jetzt ist der Film eine Hauptlast los, muss sich aber um andere Probleme kümmern, lösbarere; dazu verwandelt er sich selbst in seinem Genre, passt sich mehr der traditionell lateinamerikanischen Telenovela-Erzählweise an; wird langsamer und weniger kompliziert in der Machart.

Dafür umso herzlicher. Denn es muss sich um die Frau Jessi (Selena Gomez) des Verschiedenen gekümmert werden. Eine Unterkunft am Genfer See ist machbar. Aber irgendwann sehnt sich der ehemalige Papa doch nach seinen Kids. Er lässt, sich als Tante ausgebend, seine Frau mit seinem Nachwuchs nach Mexiko bringen.

Emilia wird mit den Folgen seiner Verbrechen konfrontiert. Jetzt macht sie eine Wandlung zur Wohltäterin durch, gründet die NGO Lalaceita, die sich um die ungeklärten Verbrechen der Drogengangs, des Sinoa-Kartells, kümmert.

Hier gibt es einen Berührungspunkt zum Film Was geschah mit Bus 670.

Einen dramatischen Input erhält die Handlung, wie Jessi einen Gustavo (Edgar Ramírez) kennenlernt und mit ihm und den Kindern wegziehen will. Das Fiese an diesem Film ist, dass man die ganze Zeit weiß, aus welch dreckigen Geschäften das Leben der an sich sympathischen Protagonistin kommt und auch dasjenige der Anwältin. Aber man ist ganz auf ihrer Seite. Immerhin machen sie ja eine Wandlung durch. Die Anwältin auch? Nun ja, für sie gilt: es hören, bedeutet ins Geschäft kommen.

Der Vierer

Gegen Beziehungsverdruss

Wenn die Kinder aus dem Haus sind, sind die Eltern wieder sich selbst ausgeliefert. Da kann beim einen oder anderen Paar eine gewisse Leere, eine Routine, ja direkt so etwas wie totgelaufene Liebe festgestellt werden. Das ist ein Problem. Das kann zur Trennung führen.

In so einer Krisensituation befinden sich Sophie (Julia Koschitz) und Paul (Florian David Fitz). Ihr Teen Denis (Diyar Ilhan) ist ausgezogen und die Eltern fragen sich, wo ihre Liebe von einst abgeblieben ist. Sie wollen es mit einem Vierer-Experiment probieren, sie haben sich mit Mia (Lucía Barrado), einer Spanierin, und Lukas (Friedrich Mücke) verabredet.

Der Film von Iván Sáinz Pardo, der mit Florian David Fitz und Torben Struck auch das Drehbuch nach dem spanischen Film „Amor en Polo“ von 2019 geschrieben hat, setzt bei Paul und Sophie in der Wohnung ein, bei den Vorbereitungen auf diesen Viererabend. Paul hat sogar extra ein spanisches Buffet hergerichtet. Zuerst wollen sich die Paare in einer Bar treffen.

Der Film ragt aus dem Gros der deutschen, subventionierten Beziehungskomödien heraus, weil er realen und möglichen Beziehungskonflikten radikal und unerbittlich auf den Grund geht. Es ist also kein typisch deutscher Themenfilm, für welchen zu einem fernsehredaktionell korrekten Thema Pappfiguren erfunden werden, die die themenillustrierenden Sätze ablassen müssen, es ist aber auch nicht die typisch deutsche Erfolgskomödie, die sich aus Geschlechterwitzchen und Zoten nährt.

Es gibt noch Schnittmengen mit den erwähnten typisch deutschen Filmen: die Musik wäre gar nicht nötig, die wirkt wie draufgelegt, weil es sich halt gehört. Die Ausstattung ist oft viel zu gut belichtet, interessant ist, was die Figuren miteinander anstellen. Der Schnitt ist oft hektisch, als ob er und die Kamera der Substanz des Drehbuches nicht trauten. Auch dieses hat möglicherweise Schäden erlitten durch ein Drehbuchbearbeitung durch zwei Frauennamen, die im Abspann zu schnell vorbeiliefen und bei IMDb nicht eruierbar sind. Die Vorlage für das Drehbuch lieferte der spanische Film Amor en Polvo von 2019.

Der Film ist ein happiges „den Dingen auf den Grund gehen“. Dafür sind Iván Sáinz Pardo nur die besten deutschen – oder bei Mia spanischen – Schauspieler gut genug. Sie lassen sich ein nicht nur auf schonungslosen Seelenstrip, sich trauen sich auch körperlich.

Der spanische Input zum Genre der deutschen Beziehungskomödie erweist sich als Gewinn, auch wenn dabei manch Haushaltgegenstand in die Brüche geht oder es auch mal zu einem blauen Auge führt. Dann wird aber auch wieder ruhig und ernsthaft darüber diskutiert, was denn Liebe sei, was Beziehung wertvoll mache oder über die harte Währung Vertrauen; über Lustangst und das Risiko, sich zu öffnen, und es wird auch, was als besondere Kunst in der Schauspielerei gilt, sich zugehört.

Baldiga – Entsichertes Herz

Nix da mit heimlich schwul

So hätten es die Eltern von Jürgen Baldiga wohl gern gehabt, Bergmannsleut aus Essen, dann hätten sie erzählen können, er habe halt keine Frau gefunden oder kein Glück gehabt und wäre weiter nicht aufgefallen. So erzählt es die Schwester.

Aber so waren Jürgen nicht. Er war freie Schnauze, gerade heraus, die Dinge auf den Punkt bringen. Er ging mit 15 in Essen am Bahnhof auf den Strich. Das fiel nicht weiter auf, mit dem Freier ins Auto, er bläst ihm einen, bekommt 50 Mark dafür und ab nach Hause, wo Mama und Papa vor dem Fernseher hocken und rein gar nichts mitbekommen.

Für so einen Jungen, der eine Kochlehre macht und künstlerische Ambitionen hat, ist Essen nichts. Berlin zieht ihn magisch an. Es ist 1979. Hier kann er sich kleiden wie er will, kann als Koch jobben, kann auf den Strich gehen und vor allem kann er sich seinen künstlerischen Ambitionen hingeben, sich selbst ausdrücken, malen, fotografieren und unverblümt Tagebuch führen; Kunst und Ficken sind die Erfüllung im Hier und im Jetzt.

Das Tagebuch ist eine der Quellen, aus denen sich das Drehbuch von Ringo Rösener für den Film von Markus Stein nährt. Diese verfügen auch über Fotos, Kontaktbögen und Super-8-Aufnahmen von Jürgen Baldiga. Es gibt nachgestellte Szenen mit Schauspielern (Franziskus Claus als Baldiga) und es gibt Talking Heads mit Leuten, die den Künstler gut kannten, eine Schwester, ein Lover, Ärzte, Aktivisten.

In Berlin kann Baldiga seine Schwulität voll ausleben bis zum Aufkommen von AIDS, die die ganze Sorglosigkeit der Lust zunichte machte. Er selbst wird infiziert, sein Freund Eros auch. Er macht das öffentlich, pflegt einen offensiven Umgang damit. Gleichzeitig bringt er Fotobücher heraus.

Ihn interessieren und faszinieren „Menschen am Rande der Gesellschaft, die ihre Mitte gefunden haben“. Eines der Bücher, die hier samt ihren Modellen breiteren Raum einnehmen, ist „Tunten“. Und wie er das Leben vorurteilsfrei betrachtet und gelebt hat, so hält er es mit dem plötzlich schweren Verlauf seiner Krankheit. Als Suspens vor dem Ende gibt es noch eine Reihe mit Fotos von einer Reise mit seinem letzten Freund nach New York. Auch dieser kommt zu Wort.

Jeff Koons: A Private Portrait

Kein leidender Künstler,

Geschäftssinn, Dekor, kindische Verspieltheit und Familiensinn, das scheint die Kunst des Jeff Koons auszuzeichnen.

Familiensinn, weil Koons durch und durch ein Familienmensch ist, mit Unmengen von Kindern, mit denen er auf der Familienfarm in Pennsylvania lebt.

Geschäftssinn hat er zuhause gelernt. Sein Vater war ein Geschäftsmann; und als Geschäftsmann, als Makler, hat Jeff Koons in seinen Anfängen Geld verdient, um seine teuren Objekte herstellen zu können. Dies zeigt nebenbei, dass er kein opportunistischer Künstler ist, sondern die Dinge macht, die ihm wichtig scheinen, auf die er Lust hat.

Das Dekor-Element hat er auch von zuhause gelernt. Nicht nur, dass der Vater einen Betrieb für Innenausstattung hatte, auch die Mutter zeigt viel Geschmack im Dekorieren von Wohnung und Weihnachtsbaum. Diese Dekor-Kunst wurde auch vom Vater mit dem wohl an den Sohn übertragenen Perfektionsimus gepflegt. Und spiegelt sich in vielen seiner Kunstwerke wieder, in klassischer Kunst, die er mit Christbaumkugeln versehen hat.

Die kindische Verspieltheit mag die tiefere Ursache für seine Kunst sein, die in seiner hierarchischen Position in der Familie begründet ist. Der Bub hat eine drei Jahre ältere Schwester, die ihm immer in allem überlegen war. Dann zeigte es sich: nicht im Künstlerischen. Das ist wohl eine natürlich menschliche Neigung, sich auf so eine Stärke – und in diesem Fall sicher auch mit extraordinärer Begabung ausgestattet – zu konzentrieren.

Diese Kunst wird eine Reflexion der Verhältnisse seiner Mittelklasseherkunft und deren Liebe zur Innenausstattung und zum Dekor. In der großen Kunst selbstverständlich massiv überhöht oder wie Fachleute sagen: neu gesehen; aber auch: Verbindung unter den Menschen, unter den Betrachtern schaffend; denn jeder sieht darin etwas Bekanntes, aber in neuem Zusammenhang und neuer Umgebung, im Museum of Modern Arts oder in futuristischer Gebäudewelt in Doha.

Peppi Corsicato hält mit seiner Dokumentation, was er im Titel verspricht. Es ist ein privates Porträt mit einer ganz schönen Schnittmenge Gemeinsamkeit mit der Klatschspaltenabteilung. Und mit den üblichen Talking Heads, Family, Friends und Fachleute. Die werden allerdings ungewöhnlich ins Bild gesetzt: als seien sie von Koons gesehene und gemochte Objekte.

Der Film lässt Koons persönlich erzählen, verfügt über privates Super-8-Material bis in die geborgene Kindheit zurück und vergisst nicht ärgerliche Geschichten wie den Sorgerechtsstreit um den einen Sohn oder die Sache mit Ilona Staller, ohne en detail darauf einzugehen; oder die sich mit der Volljährigkeit glücklich entwickelnde Geschichte zur direkt nach der Geburt zur Adoption freigegebenen Tochter. An Koons grundsätzlichem Optimismus und seiner Menschenfreundlichkeit, seiner Objektverspieltheit scheint sich dadurch nichts geändert zu haben.

City of Darkness

The walled City,

die ummauerte, die eingezäunte, die abgeschirmte Stadt, ist der Schandfleck von Hongkong in den 80ern. Hier tobt das Verbrechen, der Schmutz, die Ausbeutung, die Angst.

Die graphische Darstellung dieses Nichtortes erreicht eine eigene Virtuosität in diesem an handwerklicher Brillanz besonders im Actionbereich nicht armen Filmes von Soi Cheang nach dem Drehbuch von Kin-Yee Au, Tai-Lee Chan und Li Jun.

Vielleicht etwas zu deutlich computeranimiert wirkt die Unwirtlichkeit dieses massiven Blocks an Behausungen, engen Gassen und Treppenhäusern, Vordächern, einem Verhau von Leitungen, einem Gewirr an Stangen – ideal um Menschen, die sich verfolgen durchtreiben zu lassen, Stockwerke in die Tiefe zu sausen, um sie dann auf irgend einem Vorsprung oder in einem Geflecht aus Drähten liegen oder hängen zu lassen. Hierbei wird keine Möglichkeit verschenkt.

Es gibt gegnügend Anlässe für Verfolgungsjagden und schlagkräftig-blutige Auseinandersetzungen. Denn diese verfemte City ist in den Händen des Günstlings Tornado (Luis Koo) einer Triade. Hierhin flüchtet sich der Protagonist Chan Lok-kwan (Raymond Lam). Der ist ein Flüchtling, hat keine Papiere und das ist das einzige, was er möchte, um ausreisen zu können. Da Mr. Big (Sammo Kam-Bo Hung) ihn reinlegt, schlägert er sich aus dessen Entourage heraus, nimmt einen Sack voller Kokain-Päckchen mit und will die jetzt in der Walled City verscherbeln. Schon sitzt er in der Patsche, sitzt inmitten der Interessenbereiche der Triaden. Die Keilereien können beginnen.

Die Action wird virtuos und es gibt ein paar gute Helden, die auf Seite des Protagonisten stehen. Die Darsteller schonen sich nicht, die Regie schont sie auch nicht; die Abteilung, die Blessuren schminken muss, bekommt satt zu tun.

Bei aller Meisterlichkeit des Actiongewerbes frage ich mich aber, warum mich der Film so unbeteiligt lässt. Ob das an Einführung und Charakterisierung der Figur Lok liegt, der erst mal keine Vergangenheit, keine Familie, kein erkennbares persönliches Need hat, außer, dass er Papiere will?

Warum hat mich der Film Weekend in Taipei von Beginn an so viel mehr gefesselt? Oder auch die Filme von John Woo?

Am Ende heißt es, dass die Walled City 1993 dem Erdboden gleichgemacht worden sei und eine Folge von Clips zeigt Menschen in Frieden und Freude, die ihrem Handwerk nachgehen, die Welt ist ordentlich geworden, heil, glücklich, die Regale in den Geschäften sind gut gefüllt, Familien schauen fern und der Schuster ist bei seinen Leisten geblieben. Und selbst wer im Kopf hat, dass Hongkong erst 1997 an Festlandchina übergegangen ist, der versteht: dieses neue China sorgt für Frieden, Wohlstand und Glück.

Das Meer ist der Himmel

Leicht verdauliches Roadmovie durch unbekanntes Albanien

Nach Rohbau ist das schon in kurzer Zeit der zweite deutsch-albanische Filme, beide großartig.

Beide Filme fangen im Albaner-Milieu, Halbwelt, in Deutschland an. Beide dislozieren nach Albanien und erzählen dort ihre Geschichte weiter. Beides sind epische Erzählfilme mit schön klassisch einer Hauptfigur.

Hier im Film von Enkelejd Lluca ist es Leon (Blerim Destani). Ein Schelm, wer nicht an „Leon der Profi“ denkt. Er ist in Frankfurt am Main im Entmietungsbereich tätig. Keine besonders feinen Methoden. Er erhält die Nachricht vom Tod seines Opas in Albanien und dass er unbedingt von ihm Abschied nehmen müsse. Leon lässt sich breitschlagen, will aber nach der Beerdigung sofort zurück nach Frankfurt.

Leon hat ein Nicht-Verhältnis zu seiner Familie, jahrelang keinen Kontakt mehr gehabt, was auch immer der Grund dafür sein mag. Selbstverständlich wird im auf die Beerdigung folgenden Road-Movie durch unbekanntes Albanien dies und jenes Geheimnis um ihn und seine Familie gelüftet. Es ist, locker betrachtet, ganz unverkrampft, ein Weg zu sich selber.

Nachdem er verprügelt und beklaut wird in seiner Heimat, findet er sich bereit, wunschgemäß die Asche seines Opas an einem bestimmten Ort im Meer zu verstreuen. Der Weg streift mit Anekdoten, die der Film inszeniert, beiläufig elementare Themen wie Geburt, Hochzeit, Unfall und auch Tod, aber auch Unfreundlichkeit und Halunkereien Fremden gegenüber.

Immer wieder läuft Leon Zoe (Arina Gansuh), einer Japanerin aus Deutschland, über den Weg. Sie ist Reporterin und will über ein geheimnisvolles Kinderdorf in Albanien berichten. Nach Abenteuern und zwischenzeitlichen Trennungen begegnen sie sich dort wieder.

Das Dorf ist nicht weit von der Stelle entfernt, an der der Opa seine Asche ins Meer verstreut wissen möchte.

Der Film erzählt in Rückblenden immer wieder von diesem Opa und von Leon als kleinem Jungen, vom Tod seiner Eltern. Und es gibt einen Grund, warum der Opa unbedingt wollte, dass Leon, der allein und kinderlos lebt, diesen letzten Akt für ihn ausführt.

Vena

Jenny und Bolle

Jenny (Emma Drogunova) und Bolle (Paul Wollib) sind ein drogenabhängiges Paar, das in einer gut bürgerlich eingerichteten Wohnung lebt und einen Buben hat im Alter kurz vor der Einschulung.

Der Umgang des Paares passiert in vernünftelnden, einander zugewandten Dialogen, so wie es sich eine Studentin der Filmakademie Baden Württemberg (Chiara Fleischhacker, Regie und Drehbuch) und Profs und öffentlich-rechtliche Rundfunkunfredakteure vorstellen: weltfremder geht nicht.

Auch der Ton nicht. Aber das lernt man ja an diesen teuren Instituten auch nicht. Vielleicht lernt man da, dass es schick sei, die Schauspieler zu nicht allzu deutlichem Sprechen anzuhalten (oder Schauspieler auszuwählen, die das gar nicht mehr können), damit der Zuschauer seine Fantasie in Gang setzen muss bei all den Belanglossätzen.

Der Film nimmt sich Szenen aus dieser Familie vor, die kurz vorm ersten Schultag des Buben beginnen und mit der Geburt des Schwesterchen aufhören, mit der die Protagonistin schon anfangs des Filmes schwanger ist.

Jeder Szene sieht man den unermüdlichen Fleiß der Gewerke an, ja nichts Unüberlegtes, ja nichts nicht Gesetztes zu tun. Und immer nah an den Protagonisten zu bleiben. So bleibt eine Wandtapete mit grauen Rosen dominant in Erinnerung.

Irgendwann gibt es Knatsch mit dem an sich liebenden Vater. Das verlangt vielleicht die Romantiksehnsucht oder die Kitschsehnsucht der Filmstudentin. So kann sie die junge Frau allein in die Welt hinausschicken.

Es gibt eine Marla (Friederike Becht), die offenbar Malerin ist und eine betreuende Funktion ausübt. Die lässt die obdachlose Schwangere in ihrem Gartenhaus unterkommen. Dann ist da noch irgend eine Straftat in der Vergangenheit, für die Jenny in den Knast muss.

Ja, wir haben es hier mit einem ausgesprochenen Sozialdrama zu tun. Dieses prangert den Fakt an, dass unter Umständen einer inhaftierten Frau, die gerade Mutter geworden ist, das Kind weggenommen werden kann. Es zielt auf das Mitleid des Zuschauers ab. Es will ihn gefühlsmäßig aufrühren, indem es deutlich erkennbar eine echte Geburt zwischen das Gespiele schneidet.

Was will uns der Film erzählen? Das wär eine Preisfrage. Und wie hieß die Familie nochmal, Bollstädt oder Wollstedt? Oder gar Schönfeld? Aber wie gesagt, es scheint hier um das Gefühl zu gehen und nicht um Justizibialität.

Go ahead, make my day.