Kommentar zu den Reviews vom 28. September 2023

Im Kino buhlen Filme ganz unterschiedlicher Kaliber um die Publikumsgunst. In Anatolien klaffen plötzlich Löcher im Boden. In Italien will sich unbedingt eine holländische mit einer dänischen Familie anfreunden. In Paris möchte eine Dänin der Zeit vor ihrer Schizophrenie auf die Spur kommen. Ostasien ist das Nistnest für brandgefährliche künstliche Intelligenz. Deutsches Kino und braune Verdrängung – anhand eines vergilbten Fotos. Sozial und ökonomisch fairer Fortschritt in der Landwirtschaft wird in und in der Umgebung von München praktisch erforscht. Verrucht schöner Transgender gedeiht prächtig in Medellin, immer dem Untergang nah. Das amerikanische Kinderkino will den Nachwuchs für Sternenkriegsfilme fit machen. Das deutsche Kino wiederum rutscht wie versehentlich erneut in die Aufarbeitung der braunen Brühe. Und ebenfalls im deutschen Kino verliert sich ein exzellent dargestellter Autist in einem Storyloch. In Frankreich amüsieren die sich über Ordensfrauen wie wir vielleicht vor 50 Jahren. Auf DVD brilliert Frankreich heute mit dem Eintauchen in das Banlieu- und das Immigrantenmilieu. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen will Kinder mit Gehörlosigkeit vertraut machen.

Kino
BURNING DAYS
Löcher in der Landschaft von grotesk politischer Symbolik

SPEAK NO EVIL
Geht das, Anfreunden unter Familien?

ROSE – EIN UNVERGESSLICHE REISE
Der Schizophrenie von Rose auf der Spur?

THE CREATOR
Na ja, zwischen dem Schöpfer und künstlicher Intelligenz dürfte noch eine gewisse Lücke klaffen.

SCHLAMASSEL
Braun gewordenes Foto aus brauner Zeit als Testbild für deren Verdrängung

DAS KOMBINAT – KANN WIRTSCHAFT AUCH SOLIDARISCH SEIN
Wenn verschiedene Visionen in der Praxis aufeinandertreffen

ANHELL 69
Schwul-Schönes aus Medellin

PAW PATROL – THE MIGHTY KINOFILM
Die Kinder für Meteoritenkriege konditionieren

DIE MITTAGSFRAU
Anfangs faszinierender Film mit schöner Liebesgeschichte, der aber schnell auf die abgeschliffenen Gleise des Nazizeitaufarbeitungsfilms gerät.

WOCHENENDREBELLEN
Wenn ein Autist Fußballfan werden will.

DAS NONNENRENNEN
Mehr Lustigkeit als im Titel ist nicht.

DVD
RODEO
Frau mit Benzin im Blut – auf verbotenen Pisten der Vorstädte von Paris

SAINT OMER
Und noch ein spannender Film aus Frankreich aus den sozialen Untiefen, die das Immigrationsland hervorbringt.

TV
JASON UND DIE HAUSTIERE – QUARTER HORSES
Über Pferde Verständnis für Gehörlosigkeit schaffen.

The Creator

Modernes amerikanisches Industriekino auf der Höhe der Zeit

Das amerikanische Kino war schon immer ein eklektisches Kino, nahm sich seine Bestandteile, von wo es interessant und erfolgversprechend schien – genauso wie das Erfolgsrezept des Remakes von erfolgreichen Filmen aus anderen Ländern.

Hier bedient es sich souverän nach dem Buch von Chris Weitz und Gareth Edwards, der auch die Regie geführt hat, in x-fachen Bereichen, um das Thema der künstlichen Intelligenz ins Jahr 2065 in Ostasien hineinzuprojizieren.

Zentral ist ein Kind, Alphie (Madeleine Yubna Voyles), eine Mutter, Maya (Gemma Chan) und eine Beschützer-, Liebehaber- und Vaterfigur, Joshua (John David Washington). – Nennt sich nicht ein großer IT-Konzern Alpha? – Als Bezugsperson zum Staat und zu den Geheimdiensten, die Auftraggeber von Joshua, fungiert Colonel Howell (Allison Janney). Sie will Joshua reaktivieren, der bei einem früheren Einsatz exakt dort in Ostasien, wo es heute brennt, einen Arm verloren hat – und die schwangere Geliebte Maya dazu. Joshua soll wieder ran, weil er sich dort in der Gegend auskennt; der Film übersieht das Malerisch-Pittoreske nicht.

In Zentralasien lässt unverkennbar der Vietnamkireg grüßen, wenn im Dschungel gelandet, gekämpft, gestorben und geflohen wird. Genregemäß gibt es jetzt eine ganz gefährliche Waffe, die in gefährlichen Händen ist.

Es gibt inzwischen in L. A. einen Ground Zero. Der führt zurück auf eine atomare Katastrophe irgendwann zwischen heute und 2065, ein Menetekel.

Der Film fährt den ganzen Maschinenpark moderner Raumfahrzeuge auf, wie sie im Kino atuell denkbar sind. Er verfügt über die Mittel moderner Kommunikation und der holographischen Darstellung und selbstverständlich der Überwachung.

Die KI ist inzwischen in den Menschen integriert. Der Vorderkopf dieser Figuren ist ein menschliches Antlitz aus Haut, Haaren, Mimik und mit Stimme, von der Seite und von hinten besehen, eröffnet sich das technische Konstrukt – mit dieser Mischung aus Fleisch, Blut und Technik mich anzufreunden, tue ich mich definitiv schwer. Wie überlegen können solche Figuren sein und wie weit sind sie manipulierbar als reine Maschinen? Oder, was die große Diskussion heute ist: wie selbstständig kann KI handeln?

Das kleine Kind Alphie ist auch so ein Geschöpf. Orientiert sich vielleicht an jungen Dalai Lamas. Es ist umgeben von einem unsichtbaren Heiligenschein. Es scheint über magische Käfte – die der Reinheit des Kindes – zu verfügen, die stärker sind als die Hochtechnologie der künstlichen Intelligenz.

Es gibt viel Hit- and Run. Der Film ist eine bunte Mischung aus High-Tech und Südasiatisch-Ursprünglich und Tradition, Leben in einfachen Hütten. Das zentrale Motiv aber bleibt bei all dem technischen Hokuspokus und all den Schießereien und den apokalyptischen Bildern die Liebe – oder der Glaube an sie und die Hoffnung, sie wiederzuerlangen.

Wochenendrebellen

Nach einer wahren Geschichte

Die wahre Geschichte, die das Leben schrieb oder immer noch schreibt, ist die des autobiographischen Romans „Wir Wochenendrebellen“ von Mirco von Juterczenka.

Es handle sich dabei um ein Groundhopping-Projekt, über das der Vater in seinem Blog „Der Wochenendrebell – Groundhopping mit Asperger“ geschrieben habe. Der Sohn Jason (Cecilio Andresen) ist Autist. Um Anerkennung in seiner Klasse zu finden, soll er Fan eines Fußballvereins werden.

Einem Autisten ist so etwas allerdings nicht in die Wiege gelegt. Der muss das nach einem trickreichen Verfahren und nach Bewertungspunkten eruieren. Er will selber in den Stadien recherchieren, ob in den Fan-Clubs keine Nazis oder ob die Toiletten sauber sind, ob die Schuhfarben der Fußballer nicht zu unterschiedlich sind, was es mit der Nachhaltigkeit auf sich habe und derlei Kriterien mehr.

Das führt zu einem Road-Movie durch die Fußballstadien des Landes von Vater (Florian David Fitz) und Sohn.

Im Abspann des Filmes ist zu lesen, dass die Tour noch nicht zu Ende sei. Insofern fällt für den Film von Marc Rothemund nach dem Drehbuch von Richard Kropf ein elementares, dramaturgisches Spannungselement weg, nämlich die Antwort auf die Frage, für welchen Verein sich der Autist entschieden habe.

Die Ausgangslage wird spannend geschildert und Jason ist eine prima und glaubwürdige Autisten-Besetzung, der wegen kleinster Geräusche irritiert werden kann, der solche Hintergrundgeräusche überlaut wahrnimmt, bei dem auf dem Teller nie die Tomatensauce die Teigwaren berühren darf.

Das Phänomen Autismus wird exzellent geschildert und auch die Texte im Abspann zeigen ein redliches pädagogisches Bemühen. Dieses dürfte ins Leere laufen beim intoleranten Teil des Publikums. Denn just dieser dürfte wenig Toleranz einem Film gegenüber zeigen, der als Drehbuch nicht fundamental durchdacht ist, damit der Film funktioniert.

Irgendwie scheint der Film auszuleiern, träge und ziellos dahinzudümpeln wie immer wieder neue Fußballstadien kommen, immer neue Fankulissen und dazu wie beliebig immer neue Mängel. Es kommt zu keiner Auswertung der Recherchereisen.

Der Film wird zum trägen Strom. Zudem wird mit der Besetzung von Joachim Krol als originalem Fußballfan die Gewichtung in Richtung Fußballfilm, der doch nur ein Vorwand für das Asperger-Thema ist, verschoben, zumindest für denjenigen, der den Film You‘ ll never walk alone mit Krol als Guide durch die faszinierende Geschichte des Fußballsongs begleitet, der auch hier zu hören ist.

Rose – Eine unvergessliche Reise nach Paris

Der Geist skandinavischen Seelendramas

schwebt über dieser wie privat gehaltenen Reminiszenz, die Niels Arden Oplev laut Titeln nach einer wahren Begebenheit erzählt, um so auf der Ebene der Filmkunst zu bleiben und nicht ins Privatistische abzurutschen.

Der Hintergrund ist die unglücklich verlaufene Liebesgeschichte von Inger (Sofie Grábol), die Rose genannt wurde. Als junge Frau lebt sie in Paris und verliebt sich in Jacques (Jean-Pierre Lorit). Vermutlich ist es für sie ein stimmige Liebe nach dem koreanischen Prinzip des Ni-Yung wie in Past Lives. Aber diese Liebe geht auseinander.

In der Folge wird Inger nach ihrer Rückkehr nach Dänemark schizophren. Jahre später erfüllt ihre Schwester Ellen (Lene Maria Chjristensen) mit ihrem Mann Vagn (Anders W. Berthelsen) den Wunsch einer Reise nach Paris.

Diese Busreise der zwei Schwestern samt Familie der einen ist das Topos des Filmes. Bedenkenträgerin ist die Mutter von Ellen und Inger, Gudrun (Karen-Lise Mynster). Niels Arden Oplev führt die Reisegesellschaft so ein, dass schnell klar wird, dass die Mitreisende mit der Schizophrenie zum Problem werden könnten. Daran werden sich Konflikte hochranken.

Speziell geprüft wird Schullehrer Andreas (Soren Malling), der mit Frau Margit (Christiane Gjellerup Koch) samt 12-jährigem Sohn Christian (Luca Reichardt Ben Coker) an der Reise teilnimmt.

Der Zeitpunkt ist einige Wochen nach dem tödlichen Unfall von Lady Di im August 1997 in Paris. Der Unfallort ist zur Pilgerstätte geworden und auch unsere Reisegesellschaft wird dort für eine Anekdote gut sein.

Richtig faszinierend ist der Besuch beim Vorbild-Teich mit den Seerosen für Monets Seerosen-Zyklus, fast möchte man meinen, die Natur überbiete hier noch die Kunst. Weitere Sehenswürdigkeiten wie D-Day-Museum und Versailles reihen sich ein in den Anekdoten-Zyklus. Mitmenschlich ist besonders spannend, was sich zwischen dem Jungen Christian und der Schizophrenen mit den oft sehr direkten und provozierenden Äußerungen abspielt. Offen bleibt, wie weit die Schizophrenie wirklich mit der Trennung von Jacques zu tun hat. Das wäre eine ziemlich heftige Kausalität oder ein Hinweis auf die Wucht dieser Beziehung von Inger.

Speak no Evil

Der Mann, das wilde Tier und die Familie
Im Ungewissen über den Horror

Das ist das Prickelnde an diesem Film von Christian Tafdrup, dass man lange Zeit nicht weiß, ist man jetzt in einem Familien- oder in einem Horrorfilm.

Die Musik spielt eine eindeutige Sprache, die kündigt den Horror gleich in der ersten Sequenz an, ganz fürchterlichen Horror sogar.

Aber die Bilder und Szenen erzählen von ungetrübtem Familienglück. Von unbeschwertem Familienurlaub in Italien. Und später die Möglichkeit, ob der Horror vielleicht selber erzeugt sei.

Fest steht, Holländer und Dänen haben viele Gemeinsamkeiten. So wundert es nicht, wenn eine holländische Familie sich mit einer dänischen Familie anfreunden will. Sie lernen sich beim Familienurlaub in einem Hotel in Italien kennen, in dem die Gäste gemeinsam an einem Tisch essen.

Aus Dänemark sind es Björn (Morten Burian) und Louise (Sidsel Siem Koch) mit ihrem entzückenden Töchterchen Agnes (Liva Forsberg) und aus Holland sind es Patrick (Fedja von Huêt) und Karin (Karina Smulders) mit dem etwas eigenartigen Sohn Abel (Marius Damslev). Die Holländer entschuldigen sich für ihre verspätete nächtliche Ankunft.

Patrick ist die treibende Kraft in der Annäherung der beiden Familien. Auf der dänischen Seite ist Björn der Verführbare, der Offene. Ihn packt Patrick, ihm macht Patrick seine Gefühle von Gefangenschaft innerhalb der Familie bewusst. Er lockt in Björn das Wilde Tier hervor, das wohl eingeschlafen ist. Dieser Storystrang ist die stärkste Ablenkung vom Horror, der im Hintergrund dräut.

Skeptischer ist Louise, sie hat wohl den stärkeren Instinkt für Gefahr. Trotzdem nehmen sie die Einladung des holländischen Paares an, sie in Holland zu besuchen, sind ja nur ein paar Stunden Fahrt mit Auto und Fähre.

Jetzt fängt auch die Bildsprache an, an Horroroptik zu erinnern, wenn auch höchst subtil, aber das großzügige Holzhaus umgeben von Bäumen, diese vielen Baumstämme, erwecken schon sehr die Assoziation an ein Horrorhaus.

Der Zuschauer ist aber trotzdem vielleicht mehr damit beschäftigt, sich zu fragen, wie leicht denn so eine oder wie schwierig Anfreundung von zwei Familien sei, weil sie ja ein komplexes Gebilde von Abhängigkeiten und Beziehungen bereits ist und wie weit zwei solche Organismen zusammenkommen können.

Ein paar Antworten darauf liefert der Film, auch diese als Ablenkungsmanöver von der Horrorintention. Es kommt zu Missverständnissen, die an Flucht denken lassen, die aber auch noch geklärt werden, wodurch sich die Situation noch mehr vom Horror in eine Normalität hin entfernt.

Es heißt ja, wenn man etwas genau anschauen wolle, so könne es hilfreich sei, nicht exakt dorthin zu starren, sondern leicht daneben. Genau das scheint diesem Film meisterlich zu gelingen, mit der Alarmlampe „Achtung Horror“ die Konzentration auf das nicht immer unproblematische Konstrukt Familie zu lenken.

Paw Patrol – the Mighty Kinofilm

Meteoritenkrieg
Kinderfilm?

Nachdem im ersten Paw Patrol der Kinofilm die Katastrophen menschengemacht und irdisch waren (Herr Bürgermeister Besserwisser sorgt für Chaos-Feuerwerk), expandiert die neue Ausgabe in den Weltraum, will die Kinder wohl mit Sternenkrieg- und Superheldendimensionen sozialisieren. Wenn das mal nicht zu viel ist, was sich da Regisseur Cal Brunner, der mit Bob Barden und Shane Morris auch das Drehbuch geschrieben hat, ausdenkt.

Da ballert es ganz schön, wenn der Meteorit auf die Erde zustürzt und die Paw Patrol, diese niedlichen Hundehelden, die Abenteuerstadt davor retten müssen. Das geht nicht ohne Kristalle, die Superkräfte eines Superhelden verleihen.

Um die Kristalle geht vorher der Kampf. Sie sind begehrt wegen der Kräfte, die sie ihrem Träger verleihen. Victoria, die verrückte Wissenschaftlerin, die behauptet gar nicht so verrückt zu sein, schafft es, in den Besitz der Kristalle zu gelangen. Vorher hat sie in der initiierenden Szene auf einem Schrottplatz einen Magnetkran dreist geklaut. Mit diesem will sie einen Meteoriten einfangen.

Aber Victoria hat nicht mit der Paw Patrol gerechnet. Die nehmen ihre Aufgabe nach wie vor ernst. Sie sind einsatzbereit, wenn es brennt oder wenn ein Unglück passiert. Und sie bekommen, das ist schon niedlich, Nachwuchshunde die auch mitmischen wollen, in dem Rettergeschäft.

Herr Besserwisser ist wieder mit von der Partie, aber so recht bürgermeisterlich agiert er nicht mehr. Er ist jetzt Ex-Bürgermeister. Dafür hat er drei Kätzchen. Und zu einem Kristall kommt er zwischenzeitig auch; hat aber bei ihm nicht unbedingt die gewünschte Wirkung; eher Katastrophenfilmpotential, auch mit den Aktionen mit den Learjets von Air-Besserwisser. Der Grundgedanke der Paw Patrol, dieser Gemeinwohl-Einsatz für die Stadt, der kommt als solcher hier vielleicht etwas zu kurz.

Die Mittagsfrau

Dramaturgie-Slalom

Der Film fängt mit einer irritierenden Geste in der einführenden Szene an. Es dürften geschätzt die 50er Jahre auf einem deutschen Bauernhof sein. Eine städtisch anmutende Dame taucht auf. Der alte Bauer schreit nach einem Peter.

Die Dame betritt die Stube und jetzt folgt die irritierende Geste des alten Bauern, er weist ihr stumm mit der Hand einen Platz an. Das wirkt total befremdlich, als wolle die Filmemachrin uns sagen, verlasst euch nicht auf die Genres, die wir hier vorgeblich behaupten.

Die Filmemacherin, das ist Barbara Albert, die mit Meike Hauck auch das Drehbuch nach dem Roman von Julia Franck geschrieben hat. In der exponierenden Szene wird das Thema der Mittagsfrau direkt angesprochen. Es handelt sich dabei um eine slawische Sagengestalt.

Der Film springt jetzt ein undefinierbare Anzahl von Jahren zurück. Er macht Station bei einer Familie mit drei aufblühenden Töchtern auf dem Land, wunderbare Dastellerinnen, – nicht diese oft harten Deutschen – Male Emde als Helen, Liliane Amuat als Martha und Laura Louisa Garde als Leontine.

Der Film erweckt vorerst den Eindruck, eine Familiengeschichte erzählen zu wollen und blendet vor allem mit superb besetzten Gewerken, wie die Kamera abeitet, der Schnitt, die Regie, die Ausstattung das fast quadratische Filmformat, die Körnung, die herrlich einen auf alt macht. Verführerisch.

Die jungen Mädels sind im verführerischsten Alter. Sie machen Doktorspiele, immer am Rande des Erotischen. Eine möchte Medizin studieren. Sie träumen von der Stadt. Leontine schafft es als erste; die beiden anderen ziehen nach.

Der Film arabeitet gerne mit Vergeheimnissung. So wird erst allmählich klar, dass mit der Stadt das Berlin der Roaring Twenties gemeint ist (einmal wird auch die Inflation angesprochen).

Die Location ist ein Stadthaus konsequent im Jugendstil eingerichtet und die sorglose Jugend darin ebenso angezogen. Helene rückt jetzt in den Mittelpunkt. Sie will studieren und kann sich in einer Apotheke ein Geld verdienen.

Hier lernt sie den Kunden Karl (Thoas Prenn) kennen. Der Film wandelt sich zur klassischen Liebesgeschichte. Man ist als Zuschauer glücklich, dass die Deutschen sich sowas trauen, bemerkt aber gleichzeitig, dass diese Liebesgeschichte irgendwie recht altbacken wirkt.

Das braune Zeitcolorit fängt an, in den Film hineinzufärben und er gibt auch preis, was er uns bis jetzt vorenthalten hat, dass die jungen Frauen Jüdinnen sind.

Ab dem Zeitpunkt nach etwa einer Stunde Spieldauer macht der Film dramaturgisch den nächsten Schlenker, schwenkt voll ein in die Kurve der Massen an Holocaust-Aufarbeitungs-Subventionsfilmen.

Es schleicht sich eine gewisse Enttäuschung ein, so sehr Wilhelm (Max von der Groeben) als deutscher Wehrmachtsoffizier Helene ins Visier nimmt. Sie heißt jetzt Alice in dieser weiteren Liebesgeschichte, die sich kaum von jedem Melodram unterscheidet; es sind die Zeitumstände, die Widrigkeiten mit sich bringen und diese Liebesgeschichte nicht glücklich ausgehen lassen können.

Der letzte dramaturgische Schwenk erfolgt am Schluss, da muss das Bündel mit Rückgriff auf die Anfangsszene geschnürt werden. Immerhin, großes Plus, der Film kommt ohne Propagandabilder vom Führer, seiner Clique und seinen Aufmärschen aus und auch ohne das übliche Kostümfundusgrau.

Meine Enttäuschung mit diesem Film rührt vermutlich daher, dass ein deutscher Film sich einmal mehr nicht traut, eine Hauptfigur wirklich ins Zentrum zu stellen, als solche – ein Defizit, was mir der Nazizeit geschuldet scheint: seither hat Deutschland die Nase voll von Superstars. Und das soll auch nie wieder passieren, auch wenn das deutsche Kino damit ein ums andere Mal auf die Nase fällt und sich dann verwundert Augen reibt, warum ein Film nicht so richtig läuft im Kino, wo doch alles so korrekt gedacht war.

Das Nonnenrennen

Edelweiß oder Gänseblümchen
Klamotte mit ungeschickten Nonnen

Hier wird so übetrieben gespielt, wie Hamlet in seiner Rede an die Schauspieler meint, dass sie nicht spielen sollten („Ich habe Schauspieler spielen sehen, die so stolzierten und blökten…“). Eher die billige Art der Veräppelung von Ordensschwestern.

Man wundert sich, dass so ein Film heute überhaupt gemacht wird, ok, in Frankreich – hm, noch verwunderlicher, also am meisten verwundert, was ein Verleiher sich von diesem Film in Deutschland verspricht, wo die katholische Kirche mit einer Fülle von Skandalen und mit grassierendem Mitgliederschwund konfrontiert ist. Wer sollte also noch das Bedürfnis haben, sich so billig über die Kirche lustig zu machen.

Nonnen, die früher sündige Mädchen waren oder uralt sind, die nach der Regel des Benedikt leben, wollen das „Altenheim zu den drei Pappeln“ renovieren. Es ist in einem erbärmlichen Zustand – unglauwürdig übertrieben dargestellt.

Um Geld aufzutreiben, wollen sie an einem Radbergrennen teilnehmen, bei dem es 25′ 000 Euro zu gewinnen gibt. Sie fangen an zu trainieren, stoßen aber auf eine Gruppe von Radprofis, gegen die sie keine Chance habe. Also spielen sie denen übel mit, schaffen es, diese von der Teilnahme am Bergrennen abzuhalten. Sie selbst erleben daraufhin Ähnliches mit einer anderen Nonnengruppe, die sich nicht um Bingo im Altenheim, sondern um entlassene Strafgefangene kümmert und die außerdem der Benediktinerinnen Gastrecht in Anspruch nehmen und die ebenfalls aus barmherzigen Gründen den Gewinn des Radrennens anpeilen.

Es ist schon erstaunlich, da setzen sich Menschen hin, es sind dies Dominique Abel, Fiona Gordon und Cécile Larripa, investieren Zeit und Energie darin, ein Drehbuch zu schreiben. Dann gibt es Produzenten, die Geld auftreiben, gewiss nicht so wenig, die eine Produktion auf die Beine stellen und die Laurent Tirard (Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich) mit der Regie beauftragen.

Es werden Locations gebucht, Eric Blanckaert als Kameramann engagiert, Darsteller erhalten Verträge, Kostüme, ein Mathieu Lamboley schustert eine möglichst leicht wirken sollende Musik zusammen.

Anne-Sophie Bion und Sahra Mekii versuchen nach dem Dreh, die Ausbeute der Bilder in einer plausiblen Reihenfolge zusammenzustellen.

Kurz. Es wird enorm viel Energie, Zeit und Geld in so eine Filmproduktion reingesteckt, die die Mitarbeiter teils über Wochen beschäftigt, die da und dort öffentlichen Raum requiriert, die sich dann in den Medienapparat begibt und das Resultat vermarkten will und schließlich sollen die 87 Filmminuten im Kino landen und Zuschauer anziehen, man will Geld damit verdienen, auch in Deutschland, mit einem Produkt, von dem zu fragen ist, wo da die Zuschauer herkommen sollen, weil es so bescheidenen Geistes ist, von dermaßen plumper Machart, von so billiger Belustigung über das Nonnentum, wie man es heutzutage nicht mehr für möglich hält in einem aufgeklärten Europa.

Allerdings, wenn man bedenkt mit wieviel Einsatz und Aufwand die Menschen die Natur zerstören, dagegen ist so ein kleines Nonnen-Malheur in der kleinen Kinowelt also wirklich nur eine lässliche Sünde, die immerhin versucht, eine Message von Versöhnlichkeit, wenn auch linkisch verpackt, auf die Leinwand zu bringen.

Das Kombinat – Kann Wirtschaft auch solidarisch sein?

Traum einer Gesellschaft, die sich am Bedarf und nicht am Profit orientiert und die auf gemeinschaftlichem Eigentum basiert

Selbstausbeutung statt Ausbeutung?

Zu der Frage spitzen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Konflikte zu zwischen den Initiatoren oder „Gründern“, wie der kapitalistische Neusprech sagen würde, Daniel Überall und Simon Scholl. Sie sind die Ideengeber, haben das Projekt Kartoffelkombinat 2014 bei München ins Leben gerufen und Moritz Springer hat es dokumentiert – unter redaktioneller Betreuung durch Katya Mader vom ZDF.

Es war die Idee einer Genossenschaft, die ihre Mitglieder selbst versorgt. Sie bezahlen einen Genossenschaftsbeitrag und erhalten dafür wöchentlich eine Lieferung aus dem Ertrag der Landwirtschaft. Diese wiederum beschäftigt Menschen zu einem fairen Lohn, also deutlich besser bezahlt als vergleichbare Jobs in der biologischen Landwirtschaft.

Die Grundkonfliktlinie zwischen den beiden Gründern zeichnet sich früh ab: Daniel Überall kennt in seiner Fantasie keine Größengrenzen, er möchte der industriellen Landwirtschaft als Zielpunkt mit seiner besseren Landwirtschaft Konkurrenz machen, während Simon Scholl von flachen Hierarchien und Netzwerken übersichtlicher Betriebe träumt. Dieser Konflikt wird sich zuspitzen in die Formulierung von den Lohnarbeitern auf der einen Seite und dem Aufsichtsrat auf der anderen und mehreren Hierarchieebenen dazwischen.

Das Projekt muss aber auch andere Probleme bewältigen. Der erste Versuch war in Zusammenarbeit mit einem konventionellen Gärtner, mit Sigi, der dem Kombinat zusehends Boden zur Bewirtschaftung überlässt. Aber dann scheitern die Verhandlungen über eine Übernahme des ganzen Betriebes und das Kombinat muss woanders von vorne anfangen.

Oder Dinge wie der Mehltau führen zu Ernteminderungen. Über eine genossenschaftliche Organisation in der Landwirtschaft – auch im Sinne einer Agrarwende berichtete der Dokumentarfilm Und es geht doch, Agrarwende jetzt!

Im Vordergrund dieses Filmes hier steht allerdings weniger das Thema der Agrarwende sondern mehr das der genossenschaftlichen Organisation und des ihr vielleicht gar immanenten Widerspruches zwischen Lohnarbeit und Führung; einer muss die Bohnen ja ernten, einer muss den Boden lockern. Und der Aufsichtsrat kommt plötzlich im feinen Hemd daher.

Florian Burkmayr sorgt auf der Tonspur für die nötige Leichtigkeit bei dem doch ernsten Thema.

Burning Days

Subversiver Thriller

in anatolisch trockner Steppenlandschaft. Überall tun sich urplötzlich Löcher im Boden auf, die ganze Häuser verschwinden lassen.

Eine Gegend von problematischem Untergrund; nicht anders schaut es bei den Menschen aus, die in oft verstörender Nähe zu einander leben, schwierig wird es da mit der staatlichen Gewaltenteilung und hinter jedem Gesicht kann was anderes sein, als was es aussagt oder was die Person an Texten sagt.

Hier wird jeder und alles beobachtet und hier wird genau bedacht, was für sich behalten, weiter getragen oder gar an die Öffentlichkeit, gar vors Gericht soll.

Die Löcher sind so schön von bezirzender Symbolik, weil sie so unangekündigt sich auftun. Sie haben mit dem Wasserhaushalt zu tun, im weiteren Sinne mit dem globalen Problem der Wasserversorgung.

Hierher verschlägt es den jungen Staatswanwalt Emre (Selahattin Pasali). Man könnte nicht sagen, dass sein Gesicht vom Leben gezeichnet sei. Er wirkt smart, ja direkt liebevoll, er ist Single und skypt mit seiner Mutter, er scheint seine ganzen Kräfte auf den neuen Job konzentrieren zu wollen.

Die erste, mit der er es zu tun bekommt, ist die Richterin (Selin Yeninci). Sie begutachten zusammen eines dieser riesigen Löcher, die sich in der Ebene vor der Stadt auftun.

Es gibt Beispiele, die zeigen, dass der neue Staatsanwalt mit Geschenken begrüßt wird. Bald schon machen ihm der Sohn des Bürgermeisters, Sahin (Erol Babaoglu), mit dem Zahnarzt Kemal (Erdem Senocak) die Aufwartung. Es geht ganz klar um Vereinnahmung; aber Emre hält tapfer stand, blutjung sozusagen und eifrig in seinem Job, will er sich informieren, will die Verhältnisse kennenlernen, lässt sich einladen; ist verwundert, dass Sahin der Sohn des Bürgermeisters ist, über den Gerüchte zirkulieren und Geschichten.

Das Wasser-Thema durchzieht den Film wie ein Rinnsal. Mal hat Emre in seiner Wohnung Wasser, mal tröpfelt die Dusche kaum. Also bietet Sahin ihm an, er könne sich bei ihm waschen und duschen; das sind Angebote von verstörender Nähe. Aber nicht nur von dieser Seite. Immer wieder und wie zufällig taucht Murat (Ekin Koc) auf. Er ist Verleger und Chefredakteur der „Stimme von Yaniklar“; auch hier wird bald von verstörender Nähe die Rede sein.

Emre begeht nämlich einen kapitalen Fehler mit dem Akzeptieren der Einladung zum Raki-Trinken bei Sahin. Dort geraten nach dem Auftritt von Pekmez (Eylül Ersöz) die Dinge aus dem Ruder. Am Tag drauf setzt es eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Vergewaltigung. Zuständiger Staatsanwalt: Emre. Bei dem ist interessant zu beobachten, dass sein Wahrheitstrieb identisch scheint mit seinem Verdrängungstrieb. Die dramatische Grundsituation erinnert an jene von Dorfrichter Adam in Kleists Zerbrochenem Krug. Allerdings hat Emin Alper (Eine Geschichte von drei Schwestern, Abluka) nicht eine Komödie, sondern einen leisen, hintergründigen Thriller im Sinn, der sich zum Ende hin hochdramatisch entwickelt mit unerwarteten Zuspitzungen.

Go ahead, make my day.