Kommentar zu den Reviews vom 17. Juli 2025

Erbärmlich ist, wie stiefmütterlich die SZ inzwischen das Kino behandelt, als sei es ihr peinlich, dass es sowas überhaupt noch gibt. Und soll sie nicht behaupten, das Kino stinke ab gegenüber den anderen kulturellen Erscheinungsformen wie Theater, Musik, Literatur, Musealik. Es sind ja nicht nur die Filme, die das Kino ausmachen, es ist doch das Wechselspiel zwischen Film, Publikum und der Kritik, den Reviews; es ist, um ein modisches Attribut aus der Ausstellungsbranche auszuborgen und etwas zu strapazieren, ein immersives Geschehen. Wenn geschrieben wird übers Kino, so kann das die Kinowelt durchaus verbessern, verlebendigen. Das Publikum bringt letztlich die Filme zum Leben. Je mehr es sieht, auch mithilfe der Betrachtung von Filmschreiberlingen, desto spannender doch die Kinolandschaft. So eine wiederum ist anregend für die Filmemacher. Es ist so ähnlich wie mit der nachhaltigen Landwirtschaft: Vielfalt fördert Vielfalt. Zu einer blühenden Kinolandschaft gehört also auch eine Prosperität des Schreibens, die wiederum den Leser und den Filmemacher fordert und umgekehrt und vice-versa und alles interdependent und immersiv sowieso!

Auch diese Woche gibt es im Kino viel Neues zu entdecken, zu ventilieren oder zu genießen. Der Feminismus ist noch nicht am Ende und so sind es auch die Biopics über künstlerisch begabte und ambitionierte Frauen. Eine Trouvaille von vor 30 Jahren spielt erstaunlich leger auf der Klaviatur der Leichtgläubigkeit. Aus Berlin meldet sich ein verkappter Zille im Schafspelz. In Rom begeht ein Skandinavier im Trevibrunnen einen Tabubruch. In Britannien versucht sich ein Paar an einem Camino-Imitat. Der bayerische Subventionsteich probiert sich – im Ansatz erfolgreich – an einer Road-Comedy – aber Kinostars sind nicht in Redaktionsstuben synthetisierbar. Ein Symbolwesen für eine niedlich-lasche Lebenseinstellung versteigt sich in Kinoehrgeiz. Das Cinema Iran meldet sich erneut mit einem Special. Es versucht Urgewalt, Diktatur und Humanismus auf einen Nenner zu bringen. Es zeigt sich erschüttert über die universelle Problematik des modernen Mannes. Und es macht ein beachtliches Extempore nach Kanada. Auf DVD steigt ein hochintelligenter, hochkultureller Vertreter unserer Intelligenzia in die Niederungen der Scherze hinunter. Das Öffentlich-Rechtliche hat in seiner Queer-Reihe einen weiteren, bemerkenswerten Erotik-Beitrag gefunden und für den müden Arbeitnehmer sendet es einen Film, der glaubhaft die Mühsal der Jobroutine schildert.

Kino

LEONORA IM MORGENLICHT
Künstlertmuse, Künstlerin und psychisch angeschlagen

ROCK-A-DOODLE
Wie der Glaube doch beseligen kann.

SCHWARZE SCHAFE
Sie wollen schwärzer sein, als sie es sind.

BELLA ROMA – LIEBE AUF ITALIENISCH
Dass Rom eine alte Geschichte hat, wissen wir; deshalb fahren wir hin, aber das Gerda auch eine hat, davon weiß Kristoffer absolut rein gar nichts.

DER SALZPFAD
An Britanniens Küste unterwegs ohne Camino-Lizenz

KARLI & MARIE
Zwei einsame Seelen, die hochkomödiantisch ineinaderrasseln und sich dann auf ein betulich absehbares Road-Movie begeben.

DIE SCHLÜMPFE: DER GROSSE KINOFILM
Verschlumpft und zugenäht.

Cinema Iran
K 9
Zwischen Sonneneruptionen und Diktatur; die Suche nach der Restmenschlichkeit

RHINOS CONQUERED THE MIDDLE EAST
Und trotzdem gilt: diese Krise ist diejenige des modernen Mannes.

UNIVERSAL LANGUAGE
Wenn das iranische Kino sich Kanadas annimmt.

DVD
DER PRANK – APRIL, APRIL!
Man wird sich ja wohl auch als Hochgebildeter mal auf die Scherzkeksebene begeben dürfen.

TV
SLOW
Wenn der erotische Reiz in der Langsamkeit liegt.

BOILING POINT – KÖCHE AM LIMIT
Spitzengastronomiestressig

Die Schlümpfe: Der große Kinofilm

Mondo Schlumpfico

Das Schlumpfiversum ist ein ganz eigenes Metaversum, in dem alles Schlumpf ist, alles verschlumpft wird. Ein Titelzusatz wie „Der große Kinofilm“ passt nicht dazu, das Schlumpfiversum ist ein Antigroßkinoversum, letztlich ein Schlumpfkino.

Aber es ist auch charakteristisch für das Schlumpftum, dass es sich schamlos, keck all der Versatzstücke des großen Kinos bedient und dies lustig findet, des Actionkinos, des Ganovenkinos, des Musicals, des Kinderkinos, des Familienkinos, es sieht sich als Sci-Fi genau so wie als Fantasy und Zauberei und Magie haben es ihm eh angetan; es nimmt, was es kann, es bedient sich, wo es kann, ganz uneitel und unarrogant, schlumpfig halt, mei so sind sie halt, so klein und nett, die Schlümpfe. Und wer will ihnen da die Schlumpfambition großen Schlumpfkinos verbieten. Bleibt eh alles schlumpfig.

Aber sie kennen die Welt des Bösen auch, die Schlümpfe, ohne geht es nicht.

Dieses Schlumpfkino baut einen doppelten Storyfaden, an dem die Schlumfpereien locker aufgereiht werden.

Dem bösen Zauberer Gargamel fehlt ein Zauberbuch zur Beherrschung der Welt. Dieses ist ausgerechnet in der sauberen und sicheren Welt der Schlümpfe versteckt.

Da visuell ein Schlumpf ausschaut wie der andere, also kaum individuelle Unterschiede bestehen (bis auf eine Haarfarbe oder einen Bart), so müssen sie wenigstens anhand von Namen erkennbar werden. Alle haben einen, der Schnauzschlumpf und ein anderer könnte Kinoschlumpf heißen, auf die Idee sind die Autoren Pam Brady und Peyo, die die Regie Chris Miller anvertraut haben, aber nicht gekommen, zuviel Schlumpf soll denn auch nicht sein, aber einer hat noch keinen Namen, der nennt sich also No-Name-Schlumpf, my Name is Nobody, auch das eine schöne Kinoanleihe.

Das ist die andere Storyline, dass er und seine Mitschlümpfe einen Namen für ihn suchen. Namen, die noch verfügbar wären, sind Schuhmacherschlumpf, aber dieses Handwerk liegt ihm nicht wirklich, und der andere noch freie, wäre Haifängerschlumpf, aber der ist dann doch schon vergeben. Durch einen scheinbaren Zufall versucht er sich als Zauberschlumpf, auch das hat eine Story-Bewandtnis.

Es wird auch in den Themenkorb geworfen, dass es um eine Suche nach Identität gehe. Vor allem aber ist es erst mal die Suche nach Papa-Schlumpf, der entführt worden ist und der droht, von der Eisernen Faust des bösen Zauberers plattgedrückt zu werden, wenn er nicht mit dem Geheimnis des Versteckes des vierten Zauberbuches rausrückt.

Diese Suche wird in bekannten Action-Schemata mit einigen Komplikationen und weiterem Personal drum herum schlumpfig abgehandelt.

Mit diesem Schlumpftext verabschiedet sich der Schlumpfschreiber aus Schlumpfenhausen, denn No-Name Schlumpf hat inzwischen gelernt, dass man einfach an sich glauben müsse. So können wir unbesorgt die Schlumpfwelt wieder den Schlümpfen überlassen.

Karli & Marie

Komödien-Lebensweisheitsambition

Der Film von Christian Lerch nach dem Drehbuch von Ulrich Limmer und redaktionell BR-betreut von Carlos Gerstenhauer will viel. Er will auf der Schiene bayerischer Filme Erfolg einfahren. Er will bekannte Schauspieler (Sigi Zimmerschied als Karli, Luise Kinseher als Marie) zu richtigen Filmstars machen. Er will, so zeigt es die mit Formel-1-Power gestartete Anfangsszene, eine hammerharte Komödie der Gegensätze und des Nichtkorrekten auf die Leinwand bringen. Er will seine Figuren menschlich machen mit ihnen in den Mund gelegten Lebensweisheitsaphorismen. Er möchte ein unterhaltsames Roadmovie und dabei auch noch irgendwie zeitkritisch sein. Und er möchte Werbung machen für die schöne Gegend von Wasserburg am Inn in Bayern bis nach Innsbruck. Für die Innsbruckbilder bedient er sich an einem „Stock“ von offenbar vorgefertigten, abrufbaren Bildern.

Der Anfang des Filmes hat erstklassige Rasanz und Explosivkraft und könnte von Billy Wilder stammen. Während Karli dabei ist, einen Bankoautomaten zu manipulieren, indem er ihn sprengen will, verliert Marie die Kontrolle über ihren kinoherrlichen Oldtimer von Ford Taunus, die Besetzung dieses Gefährts ist ein Bekenntnis zu einem 70er Jahre Filmromantizismus. Sie fährt Karli an. Umstandslos entsteigt sie mit ihren absurd hohen Absätzen dem Wagen, auch dies ein Hinweis auf die große, amerikanische Kinoambition, nimmt ihn umgehend mit nach Hause. Sie versorgt ihn, seine Wunde und sich mit Alkohol, das ist beste Bauerntheatermanier.

Das reicht nicht, Marie baut Karli gleich ein in ihr Leben. Schon am nächsten Morgen muss er, der von einer abenteuerlichen Vita als Sprengstoffspezialist in Afghanistan schwadroniert, Empfangssekretärin spielen. Wie er den Kaffee für ihren ersten Besuch zubereitet, na dann zum Wohl! Er soll sie bei ihrem Ausflug nach Innsbruck begleiten.

Ihre Geschäfte sind so wenig seriös wie seine. Sie hat von ihrem Mann eine Baufirma geerbt, in desolatem wirtschaftlichen Zustand. In Innsbruck will sie für Bestechungsgeld einen Auftrag angeln.

Der Ford Taunus fährt los und die so furios gestartete Komödie gerät ins Stottern, weil sie jetzt Bildung signalisieren will mit einem nicht als solchem kenntlich gemachten Brechtzitat aus der Dreigroschenoper. Und sowieso mit vielen, fürs Fernsehen typischen Erklärsätzen und auch moralische Themen wie Lüge und Wahrheit müssen andekliniert werden.

So verstehen’s halt die weisungsgebundenen öffentlich-rechtlichen Redakteure, die das finanzieren, und so dürfte es kaum einen Zuschauer hinterm Ofen oder aus dem Biergarten hervor ins Kino locken. So versackt der große Kinostart auf dem Staubweg des Regionalen: Aphorismen statt Komödienmechanik. Gift für die Leinwand.

Wie beim dick auftragenden Fernsehen üblich, wird bald schon klar, dass die beiden einsame Seelen sind, glauben, der Weg sei das Ziel, und es müssen also Szenen ins Drehbuch geschrieben und nachher verfilmt werden, in denen sie sich zart annähern, Verständnis gerierend. Das wirkt gerade auch wegen der bewährten Einfälle reichlich absehbar und gewollt, so als versuchten die Darsteller, dem Happy End ja kein Hindernis in den Weg zu legen, ebensowenig wie Regie und Drehbuch. Überraschungen bleiben aus, auch beim übrigen Cast dominiert das solid Handwerkliche, mehr ist nicht. Fürs Kino ist das zuwenig. Und irgendwann, mittemang, taucht Marie mit einer völlig veränderten, buschigen Lockenfrisur auf, ohne jede Erklärung, hier, wo eine nottäte.

Rock-a-Doodle

Vom Hahn, der die Sonne herbeikräht.

Das scheint das kleine Geheimnis des Friedens auf unserer Farm zu sein. Alle glauben, der Hahn Sir Rock locke mit seinem Krähen die Sonne hervor und starte den Tag. Deshalb leben sie alle glücklich und in Frieden.

So fängt das Märchen an, das Don Bluth nach dem Drehbuch von David 1991 so quirlig animiert hat, dass man glauben möchte der frühe Walt Disney sei am Werk gewesen.

Dieses wunderbare Kinowerk erlebt eine verdiente Kinowiederaufführung.

Allerdings missfällt der Friede auf der Farm dem Großfürsten, der finsteren Eule. Sie schickt einen schwarzen Hahn, damit er Sir Rock erledige. Den Kampf gewinnt dieser zwar, aber er vergisst deshalb das Krähen. So fliegt auf, dass die Sonne auch ohne sein Krähen aufgeht. Er verlässt enttäuscht die Farm in Richtung Stadt.

Das bekommt dem Land schlecht, Unwetterkatastrophen, wie wir sie menschengemacht inzwischen ausgiebig kennen, lassen es regnen und regnen und alles wird überschwemmt. Zu allem Unglück wird der kleine junge Edmund in eine Katze verwandelt.

Diese macht sich mit einem Hund, einer Maus und einem Vogel auf in die Stadt. Das könnten die Bremer Stadtmusikanten sein. Sie wollen den Hahn zurückholen, um ihren Frieden wiederherzustellen. Das wird ein aufregendes Abenteuer, bei dem sie zusammenhalten und auch listig sein müssen. Denn Sir Rock ist inzwischen ein großer Rockstar geworden, unnahbar. Ihn aus den Fängen seiner Managers zu befreien, der versucht, sie mit Daisy zu betören, ist eine Herausforderung für das Quartett.

In der Stadt gibt es großartige Shownumnern begleitet von chorischem Gesang. Der Film wirkt so frisch und keck, ja und auch aktuell, als kenne er den Begriff Altern überhaupt nicht, sprüht nur so vor Form- und Farbfreude.

Leonora im Morgenlicht

Verschlossenheit und Kunst

Offenheit und Verschlossenheit gehen in der Kunst mitunter eine eigenartige Symbiose ein. Einerseits will Kunst offenbaren, offenlegen, hineinschauen in die Tiefen des Seins, andererseits können Künstler selber sehr verschlossen sein.

So jedenfalls stellt Olivia Vinall Leonora Carrington dar. Sie muss Furchtbares erlebt haben, schon als Kind. Der Film wirft dazu kurze Blicke zurück auf das englische Schloss, das Personal, den dunklen Park. Eine Hyäne ist ein Angstkapitel, das Leonora in Momenten des Darniederliegens martert.

Leonora gerät in den 30ern des letzten Jahrhunderts in die Surrealisten-Kreise in Paris, hat eine Liaison mit Max Ernst (Alexander Scheer). Er pflegt parallel auch andere Beziehungen. In der Nazizeit wird er in Frankreich verhaftet. Leonora flüchtet mit Freundin Remedios Varo (Cassandra Ciangherotti) nach Spanien.

Später lebt sie mit dem Ungarn Chiki (Istán Téglás) in Mexiko. Hier legt Edward James (Ryan Gage) einen wundersamen Dschungel-Paradiesegarten an, hier scheint sie ab den spätern 40ern ihr Familien-Glück gefunden zu haben.

Es gibt Phasen der Unterbringung in der Psychiatrie. Die Künstlerin ist nicht nur verschlossen, sie ist auch unberechenbar, das zeigt eine Vernissage mit Bildern von ihr in Mexiko.

Der Film von Thor Klein und Lena Vurma nach dem Roman von Elena Poniatowska, Frau des Windes, beschäftigt sich nicht zuerst mit der Kunst der Protagonistin. Ähnlich wie im Film über Niki de Saint Phall steht die Traumatisierung der Künstlerin im Zentrum. Von der Kunst selbst, so wie im Saint-Phalle-Film, ist wenig zu sehen.

Im Gegensatz zum Film über Die Bonnards, der sich über die Banalitäten des Alltags und der Schönheit der Provence seinem Künstler nähert, wird viel, gerade unter den Surrealisten, über Kunst diskutiert. Am Ende wird eine Beziehung zur Urkultur von Mexiko hergestellt. Es wird auch erwähnt, dass es eine Opferkultur war (die Menschenopfer müssen grausam gewesen sein); insofern bleibt ein Erklärungslücke zum Satz im Abspann, dass sie zu einer neuen Form weiblichen Spiritualismus‘ gefunden habe.

Bella Roma – Liebe auf Italienisch

Ehe und andere verschwiegene Vergangenheiten

Im Zeitalter des blühenden Seniorentums blühen die Seniorenfilme und schaufeln so manch Geheimnis an den Tag, das sonst auf Nimmerwiedersehen mit ins Grab genommen worden wäre.

Die Dänen Gerda (Bodil Jorgensen) und Kristoffer (Kristian Halken) feiern ihren 40. Hochzeitstag. Dafür hat ihnen ihre Tochter eine Reise nach Rom geschenkt. Die Tochter ist eine Adoptivtochter, eigene Kinder hat das Paar nicht.

Kristoffer war seiner Lebtag Briefträger und Gerda hat ihre künstlerischen Ambitionen als Malerin nach einem Romaufenthalt nicht weiter verfolgt. Offenbar ein Thema, was in der Ehe nie besprochen worden ist. Gerda spricht passabel Italienisch. Kristoffer hat gesundheitliche Probleme.

In Rom angekommen schläft Kristoffer auf dem Hotelbett sofort ein. Gerda macht sich auf einen Spaziergang auf. Wie es scheint, sucht sie eine ganz bestimmte Wohnung in einer ganz bestimmten Gasse. Das muss etwas mit dem Geheimnis zu tun haben, das sich in ihre Ehe eingenistet hat.

Wie Kristoffer wieder wach ist und Hunger hat, begeben sie sich, von Gerda gezielt geführt, in ein bestimmtes Restaurant. Da hält Kristoffer wie in einem Taumel vor den versammelten Gästen eine Ansprache auf Gerda und das Glück ihrer Ehe.

Da meldet sich ein Gast, Johannes (Rolf Lassgard), ebenfalls ein Däne und Künstler in Rom. Er kennt Gerda aus jener Zeit. Hier fängt es für Kristoffer an, schwierig zu werden. Nach und nach kommen Dinge aus der Vergangenheit an den Tag, aus jener Zeit von Gerda in Rom. Johannes, ein gemütlicher, seebäriger Typ, der gerne einen Schnaps trinkt – mit den anderen – plaudert mehr, als es Gerda genehm ist.

Der Film von Niclas Bendixen, der mit Kristian Halken und Christian Torpe auch das Drehbuch geschrieben hat, bedient sich mitunter deftiger Gags. Was Kristoffer im Trevibrunnen anrichtet, aus elementarer Not, führt zu Kontakt mit der Polizei. Andere knallige Komödiengags hat der Filmemacher auf Lager, um die dramatische Situation, die sich durch das Zusammentreffen mit Johannes und dem Erinnern der Vergangenheit und der künstlerischen Seite von Gerda entwickelt, zuzuspitzen.

Unterhaltsam kann der Zuschauer Fragen der Ehe reflektieren, wieviel Geheimnis darin nötig ist, was sie an Verzicht bedeuten kann. Andererseits auch, was sie wert ist, was eine lebenslange Partnerschaft wert sein kann.

# Schwarze Schafe

Midlife-Crisis 2.0
des Berliner Miliöhs
,

das hat auch eine Stimme, die von Katharina Thalbach, die als Erzählerin fungiert, und in den Eingeweiden von Berlin stochert.

Dieses Berlin ist ein Berlin der Klamotte, das sich über sich selber lustig macht und frisch ist, als ob Oliver Rihs (Affenkönig, Bis wir tot sind sind wir frei) nach dem Drehbuch von Oliver Keidel (Drehbuch zu Curveball), Melanie Möglich, Zirka Riemann (Lollipop Monster, Get Lucky – Sex verändert alles) und seine muntere Mannschaft sich die Kinohörnchen grad erst abstoßen wollen. Es kommt sorglos und munter daher, quasi subventionsbefreit, mit kurz und schnell aneinandermontierten Berlin-Impressionen als Zwischenschnitten, mit einer zillehaften Apotheose am Ende, wo es endlich regnet, als hätte Gott die Klamotte erhört, Regen, der von Tom Tykwers Berlin-Film Das Licht geborgt worden sein könnte.

Die Hitze ist ein Problem. Das spricht sich bis zum Halbweltboss Omar (Yasin El harrouk) durch, weil er ein wokes Töchterchen hat. Konsequenterweise steigt er von seinem Hummer auf die Rikscha um und will dass der Rapper Amir (Amer El-Erwadi) einen Öko-Rap produziert, der auch prompt im Film landet.

Es ist eine fertige Welt, Leute, die einerseits fertig sind mit der Welt, die andererseits nicht aufgeben und voller Lebensenergie in ihrem Milieu strampeln. Da ist Frederik Lau als ein Balkonimker mit ständig zerstochenem Gesicht. Er lebt mit Jella Haase. Die bastelt unförmige Sexualaufklärungspuppen, die die moderne Drei- und Mehrgeschlechtlichkeit anschaulich verkörpern. Sie will sie in einem Spielwarenladen verhökern.

Im Spielwarengschäft kulminieren und explodieren die Erzählstränge und verwickeln sich neu. Eine Frau wird beim Klauen erwischt. Die beschuldigt den Inhaber der physischen Übergriffigkeit. Omar ist gerade im Laden, mischt sich ein. Gerangel, SEK, etc, bewährte Komödien- und Verwechslungssituation. Aus der entspinnt sich die weitere Geschichte.

Die zwei Frauen schnappen sich die Goldene Kreditkarte von Amir, machen sich eine Sause in Berlin, inklusive Callboys im Luxushotel, Anlass für weitere Verwirrsituationen, ist alles nicht wie es ausschaut. Die Diebin ist die Freundin vom Milan Peschel, der ein Krabbenfischer in den trüben Berliner Gewässern ist und einen Stand auf einem Ökomarkt möchte.

Die Storyfäden ver- und entknoten sich. Hauptsache, es kann cineastisch, darstellerisch, ausstattungs- und situationsmäßig auf die Pauke gehauen werden. Berlin ist alleweil eine Umdrehung der Werte wert. Die Armen müssen mal reich sein können und ohne Erpressung geht auch auf dem Ökomarkt im Word Trash Center nichts.

Berlin ist so besehen ein Kaff, bei dem jeder immer wieder jedem über den Weg läuft, weil’s so heimelig ist, weil die gleichen Überlebensstrategien die Menschen verbinden. Weil keiner todernst böse ist und jeder über die eigenen Füße strauchelt und wenn mal einer vor lauter Bienen sich vom Hochausbalkon stürzt, so gibt es noch die Deutschlandfahne eine Etage tiefer … und überhaupt ist Berlin in Flammen. Wer noch nicht genug hat davon, dem wird die Serie zu dieser abgefuckten Berlin-Liebeserklärung aus krassen Miniaturen in Aussicht gestellt, die voraussichtlich weiterhin lustvoll die Freiheit des Nicht-Gelingens und des Nicht-Gelungenen zelebrieren wird. Hatschi statt Hashtag.

(Ein Satz der mir im Nachhinein eingefallen ist, was aber noch zu prüfen wäre: Manchmal entstehen so Gruppendynamik, wo plötzlich alle anfangen, gegen den Wind zu blöken).

Der Salzpfad

Das Narrativ vom Salzpfad

soll wohl dem Narrativ vom Jakobsweg ähneln, seelische Heilung durch Wandern, so zumindest kann man es sich zusammenreimen, wenn man den Film von Marianne Elliott nach dem Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz nach dem Bestseller von Raynor Winn angeschaut hat.

Am Anfang verliert das Protagonistenpaar Moth (Jason Isaacs) und Raynor (Gillian Anderson) ihr Zuhause. Sie stehen vor dem Nichts und entscheiden sich, den Salzpfad zu gehen.

Anlass und Ursache für die Wanderung werden in knappen Rückblenden eingefügt in die ansonsten chronologisch, gelegentlich mit der Anzahl zurückgelegter Kilometer versehene, Vorwärtsstory. Dabei gibt es aufregendes Footage von der britischen Küstenlandschaft zu sehen.

Moth humpelt (meist) und Raynor hat oft einen weinerlichen Ton drauf. Es gibt einen schmerzlichen Unterschied zum Gros der Jakobswegfime, mit ihrem sicheren Narrativ, dass die Menschen sich auf dem Pilgerweg befinden, dass sich aus diesem Grund Gespräche und Begegnungen ergeben und dass auch das Ziel klar ist.

Hier wirkt die Wanderung oft beliebig. Sicher, es gibt auch hier anekdotisch bestimmt belegte Begegnungen, unverhoffte Gastfreundschaft, wildes Campieren, einmal reißt die Flut fast das Zelt weg, kein Geld mehr, der Zwang Geld zu verdienen mittels Anbringen von Badezimmerfliesen oder Mithilfe bei der Schafschur.

Vor allem vermisse ich diesen Gang, der sich bei Menschen ergibt, wenn sie täglich 10, 20, 30 oder mehr Kilometer zu Fuß gehen. Hier wirkt es oft so, als kämen die Darsteller grade aus dem Campingwagen und spielen Wandern.

Das Kalkül der Produzenten ist vermutlich, dass der dem Film zugrundeliegende Bestseller die Leute ins Kino lockt und sie über derlei Schwachstellen hinwegsehen lässt, weil ja jeder bekanntlich das sieht, was er sehen will. So besehen dürfte der Film beim anvisierten Publikum funktionieren, der Referenzpunkte zum Buch dürfte es ausreichend geben.

Rhinos Conquered the Middle East (Cinema Iran 2025)

Die Krise des modernen Mannes

Elias (Vahid Behrozian) ist ein ausgewachsener Mann. Er hat gutes genetisches Material. Er ist haarig, erwachsen, fortpflanzungsfähig. Er möchte frei sein, wild sein wie ein Wildpferd.

Aber etwas stimmt nicht. Elias leidet unter Verstopfung. Unter extremer Verstopfung. Er ist Schauspieler und verheiratet mit Fereshteh (Mahtab Khoshmanesh). Die Frau möchte sich scheiden lassen, weil er ihr zu haarig ist. Das ist nur eine der grotesken Szenen in diesem experimentellen Porträt eines modernen Mannes von Vahid Vakilifar.

Dass Elias in Teheran lebt, also in einer Diktatur, wird mit dem Hinweis auf das Nashorn-Stück von Ionesco abgehandelt. Das absurde Theater im Kontext mit Diktatur dürfte ein Impulsgeber für den Film gewesen sein.

Es gibt eine Beziehungsszene, abstrakt, ein Paar, beide sind mit Seilen oder Schnüren am Rücken an einem Fixpunkt festgebunden, die dehnen sich, die Darsteller können sich ein Stück wegbewegen, aber nicht weiter. Freiheit, das wäre was. Freiheit in der Beziehung des modernen Mannes. Aber die Beziehung läuft nicht.

Auch das mit den Kindern hat nicht funktioniert. Zwei Abtreibungen hat seine Frau hinter sich. Als Schauspieler leben ist schwierig. Elias verdient sich ein Geld als „Nanny“; er unterhält ein Kind, während die Mutter arbeitet. Er sitzt in einem tierischen Stoffkostüm. Aber es gibt es auch hier Probleme, er würde den Kindern Angst machen.

Bei einem Ausflug in einen Tierpark, in dem lauter übergroße, mechanische Gorillas, Löwen, Dinos sind, wird Elias von einer Frau blöd angemacht, er würde sie anstarren. Er landet mit seinem Schützling bei der Polizei. Peinliche Befragung.

Es ist nicht leicht, ein potenter, moderner, fühlender Mann zu sein. Elias arbeitet auch als Samenspender für eine Klinik. Oft lässt Vahid Vakilifar seinen bärigen Protagonisten mit dem Vollbart und dem langen Haar, ganz unähnlich sieht er einem Propheten nicht, im inneren Monlog verharren. Oder aber versuchen, seinen Darm zu entleeren. Wenn das schon mal gelingt, so muss die Kostbarkeit in einem Plastikeimer gesammelt werden. Kann für eine Kunstaktion Verwendung finden. Das Leben als moderner Mann in einer Großstadt, speziell als kultureller Mann dazu, der auch Märchen erzählen kann, ist nicht leicht; nahezu unmöglich, kann zu gravierender und zu thematisierender Verstopfung führen.

K 9 (Cinema Iran 2025)

King Zwerg

Nach ellenlangen Sonneneruptionen lässt Vahid Vakilifar einen einleitenden Text über die Leinwand flimmern: „And the sun left the skies to take refuge in the underworld. So, all light left the earth and the world drenched in perpetual darkness. Thereafter, people carried on with half-open eyes, swinging between dream and reality as madness took them over.“

Es folgt die symbolträchtig aufgeladene, kunstinstallationshafte Schilderung der eingangs erwähnten Madness. Wegen der Lichtgeschichten, wegen dem dominierenden Schlaglicht tragen die Menschen, die Darsteller Sonnenbrillen, die wie 3-D-Brillen mit Kartonrand aussehen. Es ist die Schilderung eines absolutistischen Staates, aus dem es kein Entkommen gibt.

Die uniformierten Gefangenen in oliven Ganzkörperoveralls. Sie müssen exerzieren, Übungen machen, anstehen fürs Essen. Es gibt genügend Symbolik für absolute und selbstverständlich willkürliche Macht, die Hundezwinger, der Gefangene im Käfig, der Fleischerhaken, der Fleischwolf, die sterilen Schergen der Macht mit Feuerwaffen und in weißen Ganzkörperanzügen und in Stiefeln, Brainwashtexte der Gefangenen.

Die Macht selbst ist der hässliche Zwerg Kiumar mit irgendwie weisen Augen, der oft groß im Bild ist und eher wie ein Prophet aussieht, er residiert in einer hell erleuchteten Glaspyramide, deren Wände für Projektionen genutzt werden.

Eine Hauptfigur ist Mitra (Marjan Sadeghi) mit einer großflächigen Brandnarbe auf einer Gesichtshälfte. Ihr Mann ist der Gefangene im Käfig. Er ist impotent. Sie lässt sich, wohl gezwungenermaßen, vom Zwerg ein Kind machen. Aber ihr Mann zieht die Käfigexistenz einem erzwungenen Geständnis vor.

Mitra ist die Kümmerin schlechthin. Da ist auch noch ihre Mutter (Fatemeh Mortazi). Deren Röcheln wird im Film kunstvoll überhöht und in die Länge gezogen. Den anderen Kunstsound erzeugen klassische Streicher mit moderner Musik.

Einmal liest Mitra Kiumar eine Art Schöpfungsgeschichte vor aus einem alten handgeschriebenen, sorgfältig in Tücher eingepackten Buch.

Die Geschichte der Beziehung der vier Hauptfiguren untereinander steht stellvertretend für einen Resthumanismus, der sich bei aller Hoffnungslosigkeit, bei aller Härte des Systems, erhalten hat, auch wenn es aus der Gesamtsituation kein Entrinnen gibt. Da trifft sich Schicksalshaftigkeit mit Schicksalshaftigkeit, die Unumstößlichkeit von Sonne und Macht. Das zu untermalen gibt es ein Feuer- und Fakelritual. An einer Stelle bekommt das Ganze einen Namen: Iran K 9.

Go ahead, make my day.