Gremienkompatible Holocaustaufarbeitung
So fassungslos der Holocaust einen nach wie vor und stets aufs Neue macht, so vielfältig sind die immer wieder erneuten Verarbeitungsversuche auch im Kino. Das muss so sein, die Verbrechen dürfen nicht vergessen werden.
Jetzt reiht sich Julia von Heinz, die mit John Quester auch das Drehbuch geschrieben hat nach der Erinnerung von Lily Brett, in diese Endlosreihe von Holocaustverarbeitungsfilmemachern ein.
Julia von Heinz muss dem Vergleich standhalten mit The Zone of Interest oder Die Ermittlung, zwei neuen und sehr frischen, sehr pointierten filmischen Zugriffen auf das Thema. Beide Filme haben ebenfalls direkt mit Auschwitz zu tun. Beiden Filmen ist gemeinsam, dass das Grauen des KZ sich nur indirekt – und damit umso stärker – im Kopf des Zuschauers abspielt, in The Zone of Interest ist es der Hintergrund des Spießerlebens von Lagerkommandant Hoess und in Die Ermittlung werden die Verbrechen in einem Prozess nach der literarischen Vorlage von Peter Weiss abgehandelt wie in einem Röntgenbild. Das sind Filme, die die Historie der Holocaustverarbeitungsfilme modern fortschreiben, das Thema lebendig und frisch halten.
Frau Heinz dagegen bewegt sich auf eingefahrenen Gleisen mit der Behandlung eines Einzelfalles, der touristisch ventiliert wird. Und das 100 Prozent gremienkompatibel; darauf wird noch zurückzukommen sein.
Frau Heinz schickt Ruth (Lena Dunham), New Yorker Klatschreporterin, 1991 nach Polen, um die Spuren ihrer Vorfahren zu erkunden. Ruth ist zu dem Zeitpunkt 38, muss also nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit des Holocaustes zur Welt gekommen sein.
Ruths aufdringlicher Edek (Stephen Fry, der sich die Rolle als alternder, penetranter Bonvivant sehr einfach macht) reist überraschend mit, weil er die Tochter nicht allein den bösen Polen (dieses Klische wird hartnäckig und offenbar unreflektiert verwendet) aussetzen möchte.
Julia Heinz baut in ihr Drehbuch pausenlos Pseudokonflikte zwischen den beiden ein. Sie wirken so papieren, als ob die Figuren nicht auf ihre Charaktere hin untersucht worden wären. Ruth, die der Papa chronisch Pumpki oder Ruti nennt, ist die amerikanische Klischeedicke schlechthin und schleppt ihre Frühstückskörner mit sich. Auch das trägt der Film dick auf, als ob es nichts Spannenderes aus dieser Geschichte zu erzählen gäbe, genau so wie die ewigen Bestechungsgeldgeschichten, ohne die in Polen offenbar nichts geht – ziemlich billig.
Der Vater von Ruth war in Auschwitz, die inzwischen verstorbene Mutter auch. Also muss das Museum – auch das wird so oft korrigiert, es handle sich nicht um ein Museum, sondern um Geschichte, dass der Dümmste es kapiert – besucht werden.
Im Museum fährt man im Golfplatz-Caddy durch die Örtlichkeit und Papa kann auf einen Fehler im Geplapper des Touristguide hinweisen, denn er weiß schließlich noch genau, wo sie aus den Bahnwaggons ausgestiegen sind. Das erklärt – auch das rein kopfig – im Nachhinein seine Phobie gegen Zugfahrten, verschafft dem Zuschauer ein verzögertes Aha-Erlebnis.
Es ist gremienkomptaibles Kino der verstaubtesten Sorte, die schlimmsten Befürchtungen beim Anspann werden wahr, wenn man da sieht, wie viele Sender und also Fernsehredaktionen und Institutionen an der Produktion beteiligt sind und denen das Projekt ja zusagen muss. Das läuft auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner von Schuldgefühl und Moralinhaftigkeit (und dann noch mit kitschigem Happy-End, das auf den Titel referiert, der Holocaust als ein zu hebender Schatz?) hinaus, der der guten Sache wohl eher schadet, als beim Zuschauer einen Denkprozess in Gang zu setzen wie The Zone of Interest oder Die Ermittlung.
Gremienkompatible Holocaustaufarbeitung So fassungslos der Holocaust einen nach wie vor und stets aufs Neue macht, so vielfältig sind die immer wieder erneuten Verarbeitungsversuche auch im Kino. Das muss so sein,...