Alles außer Kartoffeln Menschen Küche Heimat – Die geheimen Rezepte der Familie Ting (BR, Dienstag, 17. September 2024, 23.30 Uhr)

Perfekte Werbeerzählung.
Man könnte solche Erfolgsgeschichten bestimmt auch anders erzählen.

Aber Laura Beck frisiert alles auf den maximalen Werbeeffekt hin. Dazu gehört eine hübsche Einwanderergeschichte, oberflächliches Streifen des politischen Hintergrundes von Taiwan und Festlandchina, etwas Brauchtum (Gang in den Tempel zur Schicksalsbefragung), Familiengeschichte (inklusive Generationenübergabe), das Geheimrezpt, Karaoke-Gesang, eine hippelige Musik auf der Tonspur, die so tut, als gäbe es keine Probleme auf der Welt, die leckere Präsentation der Gerichte und vor allem ein Promi, der direkt die Werbekeule schwingt.

Schaumschlägerischer kann Werbung gar nicht gehen. Vermutlich ein totales Missverständnis oder Ahnungsloiskgeit dessen, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk soll. Missbrauch des öffentlich-rechtlichen Rundfunkes für individualgeschäftliche Interessen.

Wir würden, wenn es ihn denn gäbe, der Filmemacherin Laura Beck, die dieses Werbewerk zusammengeschustert hat, den Titel Noodle-Liesl verleihen und den zuständigen Redakteuren Ronja Mira Dittrich und Lars Friedrich den der Noodle-Onkelz oder alternativ: Suppen-Liesl und Suppen-Kasper.

Frank am Freitag (BR, Freitag, 13. September 2024, 22.05 Uhr)

Florierende Witzkultur auf dem abgestandenen Misthaufen von Geschlechter- und Seniorenklischees

Kabarett hat prinzipiell in einem zu Lasten einkommensschwacher Haushalte zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen.

Kabarett ist, so hat es Django Asyl in seinen Anfangszeiten in einem Interview formuliert, reinster Manchesterkapitalismus; also antidemokratisch von seiner ökonomischen Natur her. Kabarettisten brauchen keine Querfinanzierung durch öffentlich-rechtliche Gebührengelder, erst recht nicht zu einer Zeit, in der die Institution akut gefährdet ist, um ihren Ruf kämpft und allein mit überrissenen Pensionszahlungen so behindert ist, wie die beiden Darsteller in der Show im Geschicklichkeitsspiel, die an sich jung und beweglich sind, aber durch Altersanzüge ausgebremst werden.

Nervtötend ist zudem der übersteuerte, unspontane Applaus ständig. Wenn einer so lustig wär, wie der Applaus behauptet, dann wäre er wirklich super. Aber das Publikum ist doof, es applaudiert, wenn es dazu aufgefordert wird. Allein damit leistet das Öffentlich-Rechtliche einen ganz üblen Dienst an der Ehrlichkeit der Aufzeichnung.

Und wenn die Leute das ernst nehmen würden, was der Witzeerzähler behauptet, nämlich, dass sie die zwei Cent (in Wahrheit ist es deutlich etwa 2000 Prozent mehr!), die der öffentlich-rechtliche Rundfunk pro Tag und Haushalt koste, von ihm zurückfordern können, so dürfte das den BR teuer zu stehen kommen.

Aber das ist ja der Trick solcher Vereinsunterhaltung, dass keiner was richtig ernst meint. Und auch das glaubt keiner, was die Sendung von sich behauptet, witzig und intelligent zu sein.

Immerhin hat die Gästin Eva Faltermeier eine gewissen Schlagfertigkeit, so scheint es zumindest, so lange man die Mechanik ihres Denkens nicht durchschaut. Abgesehen davon, sei ihr das unbenommen, davon wird sie gut leben können, wie gesagt, Kabarett ist eine rein kapitalistische Angelegenheit und ein Kindermädchen wird sie sich schon lange leisten können. Darüber kann man ja in der losen Plauderei hinwegsehen.

Die Wahrheit sieht immer ganz anders aus, als sie im Witzeuniversum dargestellt wird. Es gibt mehr oder weniger öde Einspieler in der Sendung, die die Gespräche über Allerweltsthemen wie Frau-Familie-Beruf und Alter-Pflege unterbrechen. Ein Blick auf eine Pflegemesse in Stuttgart. Eine Familienszene, eine Funklochbeerdigung von einer Qualität, die selbst auf dem Marktplatz der Witze auf Anhieb Ladenhüterqualitäten beweisen dürfte.

Kommentar zu den Reviews vom 12. September 2024

Eine enorme Masse an Neustarts schwappt heute über die Kinoleinwände. Einige davon hat stefe vorab gesehen und berichtet darüber. Es geht ans Eingemachte! Aus Deutschland kommt eine Aktivistin, die auch noch 30 Jahre nach ihrem Tod Strahlkraft beweist. In Polen wird die Landbevölkerung in elementarem Tun offengelegt. In Amerika muss sich ein Vater aus der Deckung wagen und klar machen, ob ihm sein Sohn wichtig ist. Gleich zwei Filme aus den USA stehen mit einem Fuß im Jenseits, ventilieren das schwierige Thema Tod. Verzwickter ist eine Familienangelegenheit in Skandinavien: Wiederauferstehung einer gestorben geglaubten Schwester? Bei iranischen Filmemachern geht es immer um alles, um die Identität, um die Heimat. Nicht ganz so tief gerät eine skandinavische Seitensprunggeschichte. In Deutschland bleibt ein Holocaustaufarbeitungsfilm zahnlos in der Gremienkompatibilität hängen und missglückt ein Komödienversuch mit Witzen. Auf DVD geht es mit unverminderter Härte weiter. Radikal mit dem Sterben – und auch mit dem Leben davor – beschäftigt sich ein deutscher Film. In Amerika wollen sich Alte nicht lumpen lassen. Und in Italien gibt es das Leben einer berühmten Pädagogin zu besichtigen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen macht einen Ausflug zu deutschen Schülern, die im Norden die Natur erkunden und im Lande selbst macht es auf Zwangsgebührenzahlers Kosten direkt und unverschämt Werbung für einen Asiaten.

Kino
PETRA KELLY – ACT NOW!
Biopic als Handlungsaufforderung

DAS FLÜSTERN DER FELDER
Eine starke Geschichte visuell stark bearbeitet

EZRA – EINE FAMILIENGESCHICHTE
Autismus in einer Feelgood-Comedy erstklassig präsentiert

BEETLEJUICE BEETLEJUICE
Sage den Namen nicht ein drittes Mal!

THE CROW
Rache aus dem Jenseits üben

DAS GULLSPANG GEHEIMNIS
Die Angst vorm Doktor Mengele und die Folgen

MY STOLEN PLANET
Der Mullahplanet und der Privatplanet

HAUSNUMMER NULL
Romantisches Junkietum

IMMER WIEDER DIENSTAG
Hier schnauft eine skandinaivische Komödie der französischen Komödienkultur hinterher.

TREASURE
Damit bleiben die fördernden Gremien in ihrer Holocaustaufarbeitungs-Komfortzone.

SAD JOKES
Wirklich traurig, diese Witze

DVD
STERBEN
Dieses relativiert alles, auch die Ansprüche ans Kino.

A GREAT PLACE TO BE CALLED HOME
Wenn Alte sich nicht für blöd verkaufen lassen.

MARIA MONTERSSORI
Liebevoll der berühmten Pädagogin zugeneigt

TV
DAS CAMP IN DER WILDNIS
Schule, Abenteuer und fremdes Land!

ALLES AUSSER KARTOFFELN: MENSCHEN. KÜCHE. HEIMAT. MADAM CHUTNEY UND DER GESCHMACK VON FREIHEIT
Direkt-Werbesendung für diesen Asiaten

Treasure

Gremienkompatible Holocaustaufarbeitung

So fassungslos der Holocaust einen nach wie vor und stets aufs Neue macht, so vielfältig sind die immer wieder erneuten Verarbeitungsversuche auch im Kino. Das muss so sein, die Verbrechen dürfen nicht vergessen werden.

Jetzt reiht sich Julia von Heinz, die mit John Quester auch das Drehbuch geschrieben hat nach der Erinnerung von Lily Brett, in diese Endlosreihe von Holocaustverarbeitungsfilmemachern ein.

Julia von Heinz muss dem Vergleich standhalten mit The Zone of Interest oder Die Ermittlung, zwei neuen und sehr frischen, sehr pointierten filmischen Zugriffen auf das Thema. Beide Filme haben ebenfalls direkt mit Auschwitz zu tun. Beiden Filmen ist gemeinsam, dass das Grauen des KZ sich nur indirekt – und damit umso stärker – im Kopf des Zuschauers abspielt, in The Zone of Interest ist es der Hintergrund des Spießerlebens von Lagerkommandant Hoess und in Die Ermittlung werden die Verbrechen in einem Prozess nach der literarischen Vorlage von Peter Weiss abgehandelt wie in einem Röntgenbild. Das sind Filme, die die Historie der Holocaustverarbeitungsfilme modern fortschreiben, das Thema lebendig und frisch halten.

Frau Heinz dagegen bewegt sich auf eingefahrenen Gleisen mit der Behandlung eines Einzelfalles, der touristisch ventiliert wird. Und das 100 Prozent gremienkompatibel; darauf wird noch zurückzukommen sein.

Frau Heinz schickt Ruth (Lena Dunham), New Yorker Klatschreporterin, 1991 nach Polen, um die Spuren ihrer Vorfahren zu erkunden. Ruth ist zu dem Zeitpunkt 38, muss also nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit des Holocaustes zur Welt gekommen sein.

Ruths aufdringlicher Edek (Stephen Fry, der sich die Rolle als alternder, penetranter Bonvivant sehr einfach macht) reist überraschend mit, weil er die Tochter nicht allein den bösen Polen (dieses Klische wird hartnäckig und offenbar unreflektiert verwendet) aussetzen möchte.

Julia Heinz baut in ihr Drehbuch pausenlos Pseudokonflikte zwischen den beiden ein. Sie wirken so papieren, als ob die Figuren nicht auf ihre Charaktere hin untersucht worden wären. Ruth, die der Papa chronisch Pumpki oder Ruti nennt, ist die amerikanische Klischeedicke schlechthin und schleppt ihre Frühstückskörner mit sich. Auch das trägt der Film dick auf, als ob es nichts Spannenderes aus dieser Geschichte zu erzählen gäbe, genau so wie die ewigen Bestechungsgeldgeschichten, ohne die in Polen offenbar nichts geht – ziemlich billig.

Der Vater von Ruth war in Auschwitz, die inzwischen verstorbene Mutter auch. Also muss das Museum – auch das wird so oft korrigiert, es handle sich nicht um ein Museum, sondern um Geschichte, dass der Dümmste es kapiert – besucht werden.

Im Museum fährt man im Golfplatz-Caddy durch die Örtlichkeit und Papa kann auf einen Fehler im Geplapper des Touristguide hinweisen, denn er weiß schließlich noch genau, wo sie aus den Bahnwaggons ausgestiegen sind. Das erklärt – auch das rein kopfig – im Nachhinein seine Phobie gegen Zugfahrten, verschafft dem Zuschauer ein verzögertes Aha-Erlebnis.

Es ist gremienkomptaibles Kino der verstaubtesten Sorte, die schlimmsten Befürchtungen beim Anspann werden wahr, wenn man da sieht, wie viele Sender und also Fernsehredaktionen und Institutionen an der Produktion beteiligt sind und denen das Projekt ja zusagen muss. Das läuft auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner von Schuldgefühl und Moralinhaftigkeit (und dann noch mit kitschigem Happy-End, das auf den Titel referiert, der Holocaust als ein zu hebender Schatz?) hinaus, der der guten Sache wohl eher schadet, als beim Zuschauer einen Denkprozess in Gang zu setzen wie The Zone of Interest oder Die Ermittlung.

Petra Kelly – Act Now!

Triptichon

Diese Dokumentation von Doris Metz ist ein Dreiteiler.

In den ersten anderthalb Stunden verschränken sich einerseits ein faszinierendes Porträt der Protagonistin Petra Kelly mit Einblicken in die Entstehung sowohl der Grünen als auch modernen Aktivistentums, die letzte halbe Stunde ist grosso modo ein Requiem, eine Gedenkveranstaltung inklusive Beerdigung und Grablegung.

Der Film setzt sich zusammen aus Archivmaterial, besonders auch private Super-8-Aufnahmen von Petra Kelly und aus den üblichen Talking Heads von heute, Wegbegleiter, Verwandte.

Petra Kelly kommt rüber als eine faszinierende Person, als ein Medienmagnet wie vielleicht nur noch Lady Di einer war, aber als politische Person. Sie denkt schnell, schläft wenig. Sie ist sozialisiert in den USA, inspiririert von Martin Luther King, der Bürgerrechtsbewegung, verstört von den Ermordungen von diesem und von Kennedy, auch von Robert F. Kennedy, für den sie zeitweilig gearbeitet hat.

Kelly erkennt, wie wenig die Menschen den Planeten schützen, wie gefährlich Atom werden kann, wie notwendig Abrüstung ist. Sie lernt die EU in Brüssel bei einem mehrjährigen Job kennen und sieht, dass das nicht ihre Welt ist. Sie erkennt auch, dass, um die Ziele des Schutzes des Planeten zu erreichen, eine Partei gegründet werden muss. Sie ist dabei bei den Grünen im Bundestag.

Sie erlebt andauernd persönliche Angriffe, Bedrohungen, Witzeleien, Attacken; sie muss Boulevard-Dreck von Bunte und Bild verdauen.

Kelly ist eine Alleinkämpferin, groß geworden unter Trümmerfrauen, in einer Welt ohne Männer. Später wird das Verhältnis zu Gert Bastian wichtig, auch wenn der Film dies nicht allzu tief erklären kann.

Otty Schily als mild gewordener Opa erzählt aus der Zeit. Ein prägende Figur der Grünen kommt allerdings so gut wie nicht vor, das ist Joschka Fischer. Mindestens hätte der Film das vielleicht erklären sollen, warum dem so ist.

Was die Entwicklung der Grünen als politische Kraft betrifft, sieht Kelly schnell, dass die Latenz in der Partei, besonders bei den Männern, vorhanden ist, wie bei allen etablierten Parteien, nämlich zu kungeln. Davon distanziert sie sich klar.

Sie ist eine weltweit tätige Aktivistin, sie pflegt unendlich viele Beziehungen, spricht auf riesigen Demos, unterstützt die Bürgerrechtsbewegung in der DDR und erhält keinen Einblick in die Stasiakten, weil Gert Bastian es nicht will. Da lastet ein dunkler Fleck auf der Geschichte.

Kellys Hauptanliegen vielleicht: Feminismus und Gewaltlosigkeit. Der Mauerfall ist das schönste Beispiel dafür. Man sieht in Petra Kelly die Urahnin der heutige Klimabewegungen. Ansteckend wirkt sie bis heute allein aus dem Archivmaterial heraus. Die Welt bräuchte mehr und dringender denn je solche Petra Kellys.

Bettlejuice Beetlejuice

Gegen den Tod anspuken

Der Mensch kommt nicht weiter mit seiner Beschäftigung mit dem Tod, ob er das nun wie Tim Burton 1988 versucht oder erneut jetzt 2024, diesmal nach dem Drehbuch von Alfred Gough, Miles Millar und Seth Grahame-Smith. Das bleibt sich gleich.

Der Tod kann vielleicht hinausgeschoben, vielleicht in eine Zwischenwelt verlagert werden, bis der Soul-Train ihn definitiv ins Jenseits holt. Immerhin ist es bei Tim Burton ein fröhlicher Spuk, ein bunter Spuk, ein fantasievoller Spuk.

Michael Keaton ist die verrückte Figur, malerisch, crazy, Beetlejuice, dessen Name man nicht aussprechen soll. Der spielt später auch mal den Paartherapeuten, auch das eine recht moderne Anspielung.

Monica Bellucci glänzt als Dolores, die sich selbst aus ihren Bestandteilen, die in Versandkisten verpackt sind, wieder zusammentuckert. Ein schräger Effekt, wenn sie anderen Figuren die Seele aus dem Mund saugt und die dann wie ein Schneemann im Frühling in sich zusammensacken. Da wird einem die Wirkkraft von Seele so richtig bewusst.

Willem Dafoe ist Wolf Jackson, eigentlich der Cop, der die Übertretungen gegen Code 699 ahndet. Er besteht darauf, er sei Schauspieler.

Die junge Liebe inklusive Traumhochzeit kommt vor, das ist die Tochter von Lydia, Astrid (Jenna Ortega). Sie trifft im Baumhaus auf Jeremy (Arthur Conti).

Der Film ist voller Anpielungen auf die Heutezeit, Blogger spielen eine Rolle, die Anzahl Follower oder die SMS-Diarrhoe kommt vor. Lässig mit der Zeit gefrotzelt. Das bringt jedoch die spukhafte Auseinandersetzung mit dem Tod auch nicht weiter, macht sie allenfalls heutiger, vielleicht ein Zückerchen für den Nachwuchs, der auf dem Gebiet noch nicht so bewandert ist.

Eine Trauerfreier wird umfunktioniert zu einem Hochzeitsantrag und ist eh am Rande der Zwischenwelt. Es gibt in der Zwischenwelt keinen Benimm, es gibt nur jenen Code 699, was immer der sei. Das Heute und das Jenseits spielt auch in The Crow eine Rolle, auch dort gibt es einen Bahnhof. Auch jener Film erscheint irgendwie stehengeblieben.

Der Rahmen ist eine Geister-TV-Show von Lydia. Sie sieht plötzlich Beetlejuice und kriegt beinah einen Nervenzusammenbruch. Der Tod greift ein. Ihr Mann kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Aber nicht beim Absturz. Erst kann er sich an einen schwimmenden Gegenstand halten, dann kommt ein böser Hai. Das könnte auch das Niveau von Pennäler-Scherzen sein. Ist doch das Alter des Coming-of-Age auch das Alter der beginnenden Liebe, von unsterblichen Lieben, die magnetisch das Thema Tod nach sich ziehen.

Auch wenn es inhaltlich nicht weitergeht, wenn man erkenntnismäßig nicht weiterkommt, so kann man Tim Burton den Elan und die Begeisterung für die aufgewärmte Sache nicht absprechen, denn da sie nie lösbar sein wird, die Angelegenheit mit dem Tod, bleibt sie ja irgendwie auch ewig akut und ewig frisch. Vielleicht so: nicht unbedingt modern, aber quicklebendig, quickvergnügt.

My Stolen Planet

Und wieder Iran!

Das ist auch richtig, dass die keine Ruhe geben, solange dort ein menschenverachtend unterdrückerisches Regime herrscht.

Ja, es scheint, dass diese fortdauernde Repression die Künstlerinnen und Künstler erst recht zu kinematographischer Produktivität anstachelt, sei es underground im Iran selber oder eben im Exil und dann mit iranischen Themen.

Für Farahnaz Sharifi gilt beides. Teile dieses Filmes hat sie selbst im Iran noch aufgenommen, auch auf den Straßen, aber auch privat zuhause, Mutter, Verwandte, Tanzveranstaltungen.

Bei den Protesten von 2022 wegen des Todes von Mahsa Amini ist sie als Artist in Residence in Deutschland. Hier kann sie offensichtlich auch dank deutscher Förderung den Film fertigstellen. Er ist einerseits künstlerische Selbstreflexion, die immer auch die Frage nach der Heimat, nach dem eigenen Planeten stellt, andererseits Autobiographie und zum dritten auch gibt der Film Einblick in eine Sammlung von Found Footage, die sie im Laufe der Jahre angelegt hatte.

Farahnaz Sharifi selbst ist 1979 zur Welt gekommen, also praktisch mit der Revolution. Sie hat ihr Land nicht anders kennengelernt als mit Hidschab-Pflicht für die Frauen. Schon als Schulmädchen hat die gegolten und sie hätten den Schulunterricht mit Verwünschungen auf den Erzfreind Amerika beginnen müssen.

In Sharifis wohl recht bürgerlicher Familie war Filmen nicht unbekannt. So gibt es Aufnahmen von ihr als Säugling. Kaum kamen die Handys auf, gab es für sie kein Halten mehr. Alles musste gefilmt werden. Eines Tages entdeckte sie in einem Laden Filmrollen. Die waren wohl aus Haushalten, die aufgelöst wurden, weil ihre Bewohner sich ins Ausland abgesetzt haben. Das ergibt Footage wie einsten „Deutschland privat“, wobei es spannend zu erfahren wäre, ob iranische Homemovies pornographischen Inhaltes auch existieren. Hier jedenfalls nicht.

Die Filmemacherin nennt diese Privatsphäre ihre eigenen Planeten und unterscheidet ihn von jenem der von der Geistlichkeit propagierten und mit härtesten Bandagen durchgesetzten Religionsplaneten mit eindeutiger Unterdrückung der Frau.

Hausnummer Null

Wohnschaufenster

Chris wohnt wie in einem Schaufenster, ja noch öffentlicher. Er hat seine Lagerstätte an einer Unterführung des S-Bahnhofes Friedenau in Berlin gebaut. Das Bild wird bleiben. Es ist malerisch. An einer mit einem romantischen Eisenbahnwaggon bemalten Betonwand. Mit etwas Fantasie eine Zylle-Idylle. Neben dem Waggon lehnt an ein Gebüsch hingefläzter Bohémien und liest.

Auch beim Verhau aus Betten und Decken von Chris liegt ein Buch, eines über Cranach und seine Zeit. Die Straßen hier heißen Rembrandt- und Dürerstraße. Die Verführung zur Romantisierung ist groß.

Hier tut sich auch immer was. Passanten bringen den Obdachlosen Betten, Schlafsäcke, heißen Kaffe, Leberkäse. Sozialarbeiter schauen vorbei.

Die Nachwuchsdokumentaristin Lilith Kugler hat sich den jungen Chris als Protagonisten für eine Langzeitdokumentation ausgesucht, ausgerechnet in der Covid-Zeit. Man läuft also oft mit Mundschutz herum.

Chris ist ein Junkie. 31 Jahre alt. Der Drogenkonsum regelt sein Leben. Geld, Stoff beschaffen. Es gibt Kontakte zu Sozialbehörden.

Das ist das Risiko einer solchen Doku, die Macher können anfangs nicht wissen, wie es ausgeht. Junkies verschwinden, Junkies sterben, werden auch manchmal getötet. Aber auch: die Dokumentarsituation verändert das Leben von Chris möglicherweise. Sie ist nicht zu leugnen. Zu ausgestellt lebt er, als dass die Dokumentaristin so tun könnte, als sei sie nicht da. Sie fragt ihren Protagonisten auch ab und an dies und das zu seiner Befindlichkeit.

Schwer abzuschätzen ist die Geschichte, die sich mit ihm entwickelt, wie weit die Dokumentarsituation sie in eine bestimmte Richtung verändert hat. Wie weit Hintergrundgespräche mit der Dokumentaristin, die nicht ausbleiben können, die Geschichte in eine positive Richtung gepusht haben. Deshalb wäre es gut, wenn die Dokumentaristin das klargestellt hätte oder gar ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht hätte, wieso ihr Protagonist, dieser Unstete, plötzlich bei einem Resozialisierungsprogramm mitmacht. So etwas kommt nicht über Nacht. Oder schade, wenn sie ausgerechnet bei entscheidenden Gesprächen nicht dabei gewesen wäre. Wenn sie dazu beigetragen hätte, ohne es im Film kundzutun, würde es sich wohl um eine dokumentarische Ursünde handeln: den Dokustoff in Richtung gutes Ende zu beeinflussen versuchen.

Die Angebote der Stadt bestehen; es sind Drogenersatz oder kontrollierter Abgabe, an Wohnplätzen, auch zum Entzug. Einmal formuliert Chris den Unterschied zur bürgerlichen Wohnsituation: es kommt keiner vorbei und labert.

Mit Chris hatte die Dokumentaristin auch das Glück, einen Besuch in seinem Heimatdorf zu machen. Hier gibt es Einblick in seine Jugend. Ob es eine Charaktersache ist, dass er in den Schulen als untragbar galt?

Der Film gibt so oder so einen Einblick in das Leben auf den Straßen Berlins. Und mit Chris hat die Filmemacherin einen kameraaffinen Protagonisten gefunden.

The Crow

Oper, Liebe, Tod und Totschlag

Das Übel sitzt in der Oper, in der bürgerlichen Kunst. Die feinen Herrschaften, das sind Vincent Roeg (Danny Huston) und Marion (Laura Birn). Sie leben vom Verzehr der Jugend, wenn man so will, wenn man es auch wirklich mehr symbolisch sehen mag.

Die Roegs haben es auf das Liebespaar Eric (Bill Skarsgard) und Shelly (FKA Twigs) abgesehen. Die lernen sich in der Entzugsanstalt Serenity Park kennen. Dort werden sie von den feinen Herrschaften aufgespürt. Aber das junge Paar entledigt sich der elektronischen Fußfessel und kann durch Lüftungsschächte entkommen.

Rupert Sanders inszeniert nach dem Drehbuch von Zack Baylind und William Josef Schneider. Es ist ein Remake nach dem Fantasy Comic von James O‘ Barr von 1993, der zum Kultfilm wurde.

Die Geschichte fährt nach dem Tod der Protagonisten zweispurig. Sie entwirft eine Welt jenseits der Lebenden. Das ist ein längst überwucherter Bahnhof. Wenn sich Eric schwarze Farbe ins Gesicht malt, kann er wieder ins Diesseits zurückkehren und versuchen, Rache für den Tod zu üben. Krähen weisen ihm den Weg.

Der Film ist routiniertes, industrielles Handwerk, ohne persönliche Note, ohne mitzuteilen, dass er ein individuelles Need zum Erzählen der Geschichte habe. Das mag mit ein Grund sein, warum er mir so altbacken vorkommt, so schön (und altbekannt) die Zuspitzung der Rache auf eine Opernaufführung ist. Es wäre interessant, die heutige Jugend zu dem Film zu hören, ob und was sie damit anfangen kann.

Go ahead, make my day.