Lebenslinien: Statistisch bin ich unsterblich (BR, Montag, 19 Mai, 22.00 Uhr)

Glück entsteht nicht durch die Abwesenheit von Problemen.

Glück entsteht durch die Lösung von Problemen, meint Stephan, der Protagonist dieser Lebenslinien von Tanja von Ungern-Sternberg unter redaktioneller Betreuung durch Christiane von Hahn.

Das kann unter Umständen die Solidargemeinschaft der Krankenkassenbeitragszahler teuer zu stehen kommen, wenn eine einzige Tablette für einen Mukoviszidose-Patienten die Beiträge von 70 Zahlern auffrisst. So rechnet es der Protagonist Stephan vor. Das Medikament gibt es noch nicht lange.

Stephan ist jetzt um die 60. Jahrzehntelang musste er täglich mehrere Stunden Therapie machen, allein schon um einschlafen zu können, anderthalb Stunden. Die von den Ärzten vor 40 Jahren vorhergesagte Lebenserwartung hat er längst um ein Vielfaches übetroffen.

Man fragt sich, woher er die Zeit nimmt bei einem Fulltime-Job beim europäischen Patentamt, mit dem Vorsitz bei einer Muskoviszidose-Stiftung, als Familienvater mit einer Familie mit drei inzwischen erwachsenen Söhnen, als Mitglied des deutschen Ethikrates und dann bis vor noch nicht allzu langer Zeit mit den mehreren Stunden Therapie. Die sich jetzt erübrigen.

Diese Lebenslinien wildern vielleicht ein bisschen viel im Gesundheitsressort. Es gibt aber durchaus Themen, die darüber hinausweisen, die unglaubliche Disziplin und Konsequenz in der Lebensführung des Protagonisten oder auch die Äußerung der Mutter, die ausdrücklich auf das Christentum als wichtigem Halt in der schwierigen Zeit mit dem kranken Kind hinweist oder die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung des Protagonisten in der Muskoviszidose-Stiftung oder im Ethikrat.

Bezzel & Schwarz – Die Grenzgänger: In der Münchner Großmarkthalle (BR, Montag, 19. Mai 2025, 20.15 Uhr)

Ausgesprochen passend

Hier kommen die beiden Protagonisten Simon Schwarz und Sebastian Bezzel als Grenzgänger in Serie ausgesprochen passend. Das hat es noch nicht gerade gegeben, dass sich mir beim Schauen des Formates Fantasien aufdrängen, die die beiden molligen Kumpels in einem fiktionalen Format als Mitarbeiter des Milieus, das sie für den BR erkunden sollen, aufdrängt.

Mir im Kopf hat sich drumherum ein Großmarkthallenkrimi abgespielt. Mehr wird nicht verraten, Angst vor Ideenklau. Aber der war super.

Vielleicht hängt diese Punktgenauigkeit der Rollen damit zusammen, dass die beiden Darsteller ungewöhnlich früh aufstehen müssen, zumindest am ersten der drei Drehtage, die sie für die 45-Minuten-Sendung angesetzt bekommen haben. Der Bezzel Sebastian jedenfalls hält den ersten Drehtag nicht zur Gänze durch. Der lässt sich entschuldigen.

Sie haben die nötige Kumpelhaftigkeit. Auch stinkt der TV-Film von Ekki Wetzel nach der Grundidee von Thorsten Berg und Thorsten Berrar unter redaktioneller Betreuung durch Anne Bürger, Ingmar Gundmann, Iris Messow-Ludwig nicht dermaßen nach Produktwerbung wie die Reihe es gerne tut, einzig vielleicht das Münchner Fischrestaurant, das sich bei seinem Großeinkauf selbstverständlich als erstklassig darstellt.

Allerdings besteht beim Großhandel nicht so sehr die Gefahr der Produkt- oder Firmenwerbung, da dieser ja nicht an den Endkunden liefert. So macht also die Runde durch den Großmarkt direkt Spaß mit den eindeutig geforderten Darstellern, wenn sie auch nur für die Kamera so tun, als würden sie arbeiten.

Die Sendung nimmt einen mit in einen Kosmos mit ganz eigenen Regeln, mit Familiendynastien, in die der Normalbürger nicht unbedingt Einblick erhält. Ein etwas merkwürdiges Gefühl beschleicht einen einzig bei der Begegnung der beiden Protagonisten mit Bedürftigen, die auf die Tafel angewiesen sind, wenn man bedenkt, dass die beiden mit Geldern der sozial unfair zu Lasten einkommensschwacher Haushalte erhobenen Rundfunkgebühr großzügig versorgt werden, und mit wie wenig eine alleinerziehende Mutter auskommen muss.

Die beiden in der Großmarkthalle, das hat etwas Unheimliches, irgendwie passen sie dazu, wie ein Ei zum anderen, aber irgendwie spürt man auch eine Differenz; sie vertreten eine andere Welt; es könnte ein düstere Welt sein. Undercover und die so tun, als ob sie arbeiten. Schockfeststellung: Hier ist alles hell und hier wird gearbeitet. … Ist hier Linksverkehr, fahrn doch alle links. Anscheinend. … Auch wenns ein bissl früh ist, eigentlich zu früh für uns. … Dann brauchn ma jetzt einen Sitzplatz zum Verhandeln. Also ich würde mich jetzt gerne hinsetzen und was trinken. … Mich reichts jetzt, ich leg mi jetzt hin und geh schlafen. So früh gibt es konditionelle Probleme. Der Sebastian muss sich mitten im Dreh hinlegen. Er kann die Augen kaum mehr offenhalten. Wieso ist das alles eingerüstet? Weil, äh, das fragen wir die Kira (Die Chefin vom Großmarkt).
Drehort Niederkaltenkirchen. Pater noster.
Wirtshaus.
Ja, wir sind die Metzgernationalmannschaft. Weißwurstherstellung.
Familybusiness.
Ab in den Kapitalistenmagen.

Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für den Bananafisch (ARD, Sonntag, 18. Mai 2025, 20.15 Uhr)

Ausflippen in Neufahrn

In dem nicht bewohnten Safe-House in Neufahrn flippen sie aus, machen Party. Es sind die beiden ermittelnden Kommissare Johanna Wokalek und Stephan Zinner, die prima zusammenharmonieren und die drei Travestie-Künstler Tulip (Patrice Grißmeier), Menora (Bozidar Kocevski) und Peekabou (Meik van Severen).

Sie fühlen sich sicher. Sie sind hier, um vor den zwei albanischen Mördern, die von den drei Künstlern bei der Bluttat beobachtet wurden, geschützt zu sein. So ergeben sich gezwungenermaßen Momente der privaten Unterhaltung. Momente, in denen durch die Begegnung der Kommissare mit der nicht bürgerlichen Lebensweise deren gewohntes Selbstbild sachte in Frage gestellt wird, wenn auch nicht so stark wie dasjenige der beiden Kaminfeger in den Oslo Stories: Sehnsucht.

So ergibt sich elegant die Möglichkeit, ohne den beim Fernsehen gern belehrenden Unterton, einen Einblick in die Transenwelt zu geben.

Der Film von Dror Zahavi nach dem Drehbuch von Günter Schütter verlässt sich ansonsten auf das klassische Krimimuster. Die drei Zeugen beobachten den Mord. Die minutiöse Polizeiarbeit, die hier für Fernsehverhältnisse mindestens als seriös bezeichnet werden darf (im Gegensatz zum jüngsten Tatort aus Bayern: Zugzwang), fieselt die Spuren auf, ermittelt die Täter, muss versuchen, die Zeugen zur Aussage zu bewegen, obwohl sie nicht wollen.

Ganz nebenbei schafft es dieser Reihenkrimi auch noch, ein Münchner Stadtproblem, was in nächster Zeit höchste Aktualität gewinnen könnten, einzubauen: die Pläne für die zwei wenig nachhaltigen, wenig innovativen Hochhaustürme bei der Paketposthalle. Dies im Zusammenhang mit dem Immobilien- und Wohnwahnsinn in der Stadt. Zudem ist der Club, in dem die drei Künstler auftreten, im bunt gemischten und immigrantisch geprägten Bahnhofsviertel angesiedelt.

Die betreuenden Redakteure Claudia Simionescu und Tobias Schultze haben mit dieser menschlichen und auch unterhaltsamen Polizeiruffolge bestimmt keinen schlechten Griff getan. Eine harte Mutter-Sohn-Szene kommt auch noch vor.

Kommentar zu den Reviews vom 15. Mai 2025

Irre Schlenker macht das Kino diese Woche. Die Deutsche Filmakademie hat brav ihre Preise verteilt und der Deutsche Filmpreis verdient das Prädikat „dümmster Filmpreis der Welt“ nicht länger wegen der Entschlackung von den drei Millionen Staatsgeld; aber die gänzliche Abnabelung vom Staat scheint die Deutschen Filmakademie sich nicht getraut zu haben, zu wenig Selbstbewusstsein prägt das Deutsche Kino, das oft abhängig ist von der Weisungsgebundenheit von öffentlich-rechtlichen Rundfunkredakteuren. Während also der Deutsche Filmpreis bravt, tobt im Kino der Bär und sogar deutsche Produktionen wagen sich an die Kinofront. Steven Soderbergh verblüfft mit einem mit geschliffenen Dialogen präparierten Spionagethriller. Ein Ami-Anwalt ist eine echte Südstaaten-Überraschung. Einem Chinesen gelingt es, sein zwiespältiges Vaterland mit Menschlichkeit zu würdigen. In Persien steht eine Frau mit einem Gefängnisurlaub vor einer schwierigen Gewissensentscheidung. Aus Süditalien gibt es einen wunderschönen Bericht über eine weibliche Selbstermächtigung. Eine Deutsche lässt sich auf das Abenteuer ein, einer Musikerin beim Komponieren zuzuschauen. Aus dem hintersten Balkan gibt es Vorbildliches zum Mann-Frau-Thema. Deutschland wagt mit einem Kinderfilm einen Blick ein Vierteljahrhundert zurück. Ungereimtes und Präpotentes kommt aus dem brasilianischen Dschungel. Eine polyeuropäisch-amerikanische Produktion verheddert sich bei einem Politthema. Im Öffentlich-Rechtlichen neugieren ein rundlicher Bayer und ein nicht ganz so rundlicher Österreicher in einer berühmten Sehenswürdigkeit herum.

Kino
BLACK BAG – DOPPELTES SPIEL
führt meisterlich als Dialogstück an der Nase herum

AN HOUR FROM THE MIDDLE OF NOWHERE
Wunder im Niemandsland – oder wissen Sie wo Lumpkin ist?

CAUGHT BY THE TIDES
Chinabild anhand einer Beziehungsgeschichte

SIEBEN TAGE
Wieder einer dieser illegalen Filme aus Persien

MEIN PLATZ IST HIER – IL MIO POSTO È QUI
Frau zwischen Selbständigkeit und lebendigem Vergrabensein

BARBARA MORGENSTERN UND DIE LIEBE ZUR SACHE
Einer Kreativen beim Komponieren zuschauen

WO/MEN
Zur Not kann Frau auch den Mann ersetzen.

SCHWEINESAND – EINE INSEL VOLLER GEHEIMNISSE
Oldtimer-Kinderkrimi aus Hamburg

TRANSAMAZONIA
Der Wunderheiler im Dschungel und die Überlebende eines Flugzeugabsturzes

TANZ DER TITANEN – RUMOURS
Die G7 und das Moorleichen-Phänomen

TV
BEZZEL & SCHWARZ – DIE GRENZGÄNGER AUF SCHLOSS NEUSCHWANSTEIN
Touristische Besichtigungstour

Wo/Men

Geschlechterflexibilität

Das Faszinierende an der Rolle der Burrnesha ist, dass es eine gesellschaftliche Rolleninstitution ist als solche, eine Frau, die ihre Rolle im Leben als Mann spielt, dass das eine Errungenschaft aus den entlegensten, ländlichen Gebieten Albaniens ist.

Das ist in zwei prinzipiellen Fällen eine pragmatische Lösung, wenn ein Mädchen sich schon nie als Mädchen und später als Frau fühlt, oder wenn Not am Mann ist, wenn also in der Familie kein Bub vorhanden oder wenn der ältere Bruder früh gestorben ist und die Familie männlichen Nachwuchs als Familienobehaupt braucht.

In ihrem hell und licht fotografierten Film porträtieren Kristine Nrecaj und Birthe Templin einige Beispiele dieser aussterbenden Spezies.

Überraschend und eindrücklich ist, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Rollenwahl entschieden oder angenommen wird. Vor allem, wie so gar keine Wehleidigkeit aufkommt, die doch öfter in Transgender-Filmen zu verspüren ist, dass jemand im falschen Körper geboren wurde. Wie dieser Rollenentscheid von der Umgebung akzeptiert wird. Das mutet fortschrittlicher an als in unserer hochzivilisierten Gesellschaft. Die könnte sich das direkt als Vorbild nehmen.

Die Frauen holen sich ihre Freiheit, sie genießen sie, sie wissen darum. Sie stellen selbstverständlich ihren Mann als Busfahrer, Mechaniker oder Zöllner. sie haben auch in ihren Familien eine wichtige Funktion, je nachdem, was eben gebraucht wird, als fehlender Elternteil, als mütterliche Freundin, als Vater.

Zu dem Thema gibt es den wunderbaren Spielfilm Luanas Schwur. Faszinierend fürs Auge, für die Fantasie, diese Zwischenwelten, Frauen im Habitus von Männern, mit dem schweren Gang, zigarettenrauchend wie Männer, oft mit tiefer, rauer Stimme.

Transamazonia

Ein Flugzeugabsturz im Amazonasgebiet

von vor Jahren und mit einer einzigen Überlebenden, erweckte das Interesse der Filmemacherin Pia Marais, die mit Willem Droste und Martin Rosefeldt auch das Drehbuch geschrieben hat.

Ein Mädchen hat den Absturz mitten im Dschungel überlebt. Damit fängt der Film an. Sie liegt apathisch im unendlichen Grün halb zwischen, halb auf einem umgekippten Flugzeugsessel. Ein Indigener findet sie und trägt sie sorgfältig zu einem Holzrodungstrupp in der Nähe. Sie wird entdeckt. Lawrence Byrne (Jeremy Xido), ein etwas halbschariger Missionar, gilt als der Vater. Das wird mit Presserummel zelebriert.

Mit diesen einführenden Szene hat die Filmemacherin das Gebiet und das Milieu umrissen, über das sie uns etwas erzählen will. Sie macht einen Zeitsprung über neun Jahre. Rebecca (Helena Zengel) ist jetzt eine junge Frau und ein Medium für Wunderheilungen in der Gemeinde ihres Vaters Lawrence.

Die Topoi im Film sind die Gemeinde von Lawrence, seine Geschäfte und seine Gläubigen; es ist der Indianerstamm der Iruaté, deren Lebensraum von Holzfällern geraubt wird. Diese haben breite Schneisen für Straßen durch den Urwald gelegt; man sieht Baumfällungen, den Maschinenpark.

Silas (Hama Viera) wird angeschossen, wie er versucht, bei den Holzfällern Sabotage zu treiben. Denise kommt mit Artur Alves (Rômulo Brage) zum Heiler. Die Frau von Artur liege im Koma und bräuchte eine Heilung. Bei Jeremy trifft sie auf Silas (Hama Viera). Sie als Krankenschwester gibt ihm fachkundige Wundversorgung. Antibiotika sind manchmal doch besser als Wunderheilungen.

Denise entdeckt ein Geheimnis aus der Vergangenheit von Rebecca und stürzt diese in eine ernsthafte Identitätskrise. Wie die Frau eines der Holzfäller ins Krankenhaus eingeliefert wird, die dort aber auch nichts verbessern können, wendet dieser sich Jeremy zu und verspricht den Rückzug aus dem Indigenenland, wenn Rebecca sie zurückhole aus dem Koma.

Der Film versucht ein Gesamtbild der verwickelten Situation in diesem Landstrich des Amazonas zu entwerfen, wie jeder nur um sein Überleben kämpft und es dabei gezwungenermaßen zu Konflikten kommt. Er tut dies mit der ausgiebigen Zeit, die so ein Urwald hat und mit der Ambition des großen, nahen Kinobildes.

Tanz der Titanen

Zu Recht

interessieren sich die Künste seit jeher für das Phänomen der Macht. So auch das Kino. Und das in allen Genres, von der Satire über die Komödie bis hin zur Tragödie. Gerne auch als Schlüssellochblick, wie The Death of Stalin oder der Tod von Ludwig dem XIV oder wie kürzlich in Abendland.

Jetzt hat sich Guy Maddin, der sich in den Credits Regie und Buch mit Evan und Galen Johnson teilt, mit einer Riege exzellenter Schauspieler die G7 vorgenommen. Er hat sich für die satirische Schlüssellochperspektive der Betrachtung entschieden. Ganz ernsthaft informiert er mit dem Antext über die G7. Wer das ist, seit wann es sie gibt und warum es jetzt nur noch 7 statt 8 sind.

Zentrum des Film ist eine G7-Tagung unbestimmten Jahres auf Schloss Dankerode. Mit dem Aufstellen der sieben Staatschefs zum Gruppenfoto vor dem Schloss lässt Maddin seinen Film anfangen. Am auffallendsten im roten Kostüm und mit blonder Perücke ist die Gastgeberin Hilde Orlmann (Cate Blanchett). Sie wird flankiert vom verführbaren Maxime Leplace (Roy Dupuis) aus Kanada, mit Sylvain (Denis Ménochet) aus Frankreich, dem ständig in Schlaf fallenden Edison (Charles Dance) aus dem Weißen Haus aus Washington, Cardosa (Nikki Amuka-Bird) als Vertreterin Britanniens, Tatsuro (Takehiro Hira) aus Japan und Antonio (Rolando Ravello) aus Italien.

Nach dem Foto geht es zum gemütlichen Teil über, zu einem Essen in einem eigens errichteten Pavillon im Park. Auf dem Weg dahin will die Gastgeberin den Gästen einen sensationellen Fund vorführen.

In einem Loch in der Parkerde ist ein Archäologe (Ralph Berkin) dabei, eine Moorleiche auszubuddeln. Interessante Erklärung dabei, dass durch die Situation im Moor die Knochen sich aufgelöst hätten, aber dass durch die Haut die Leiche zusammengehalten werde. Hier deutet sich die spätere Zombietendenz im Film schon an und wohin die Reise geht. Die Szene erinnert an den deutschen Film Echo.

Beim gemütlichen Zusammensein soll noch die Abschlusserklärung zusammengeschustert werden. Das passiert wie bei einem Workshop, man bildet Gruppen, macht Brainstorming, schreibt Notizen auf Zettel.

Im Folgenden menschelt es liebevoll im Film und man hat den Eindruck, dass Guy Maddin und sein Team nun mit allen Mitteln versuchen, die Situation schwierig, aussichtslos erscheinen zu lassen. Er lässt das Personal und die Sicherheitskräfte verschwinden. Die G 7 allein im deutschen Park.

So wie Maddin seinen Cast nach Formulierungen für die Abschlusserklärung suchen lässt, so scheint er und sein Team nach Einfällen und Ideen gesucht zu haben, wie sie mit dieser Grundsituation einen Film füllen können.

Ein Luftstoß wirbelt die Notizblätter durcheinander, ein G7-Mitglied verirrt sich bei der Suche nach den Blättern und kommt dreckverschmiert zurück, ein Riesengehirn wird gefunden, ein Mädchen meldet sich allein aus dem Schloss und lässt unter den Protagonisten den Gedanken an Pädophilie aufkommen. Es gibt unerwartete Tête-à-Têtes und selbst die Moorleichen stehen plötzlich im Nebel; eine Fähre wie im Orkus kommt ins Spiel. Wenn es sich um einen Studenten-Kurzfilmulk handeln würde, so wäre das super, vor allem wenn dann die Ideen auch noch ein Pendant in der realen Politik finden würden.

Sieben Tage

Escape from Iran

Flucht ist fürs Storytelling ein Spannungsgarant erster Güte. Die Zuschauer werden auf die Folter gespannt, ob die Protagonisten unbehelligt und unbeschadet ans Ziel kommen, ob sie ihren Häschern und Verfolgern entkommen. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Gründe für eine Flucht, ehrenhafte oder unehrenhafte.

Im Film von Ali Samadi Ahadi nach dem Buch von Mohammad Rasoulof (Die Saat des heiligen Feigenbaues) wird der Zuschauer mitgenommen auf die lebensgefährliche Flucht vor dem Regime in Teheran. Es ist eine Menschenrechtsaktivistin und Anwältin, Maryam (Vishka Asayesh), ihr Gesicht ist bekannt, die einen 7-tägigen Urlaub aus dem Knast für die Flucht nutzen will.

Ahadi schildert minutiös, wie konspirativ so eine Flucht abläuft, die Momente der Gefahr, des Misstrauens, des Beinahentdecktwerdens, die enorme Logistik, die dahinter steckt. Aber will Maryam wirklich fliehen? Sie hat so viele Verpflichtungen im Iran. Auch vom Gefängnis aus ist sie aktiv, sie muss die anderen unterstützen.

Zuerst muss sie in Teheran unauffällig zu einem Auto kommen, dann unauffällig und ungesehen durch Teheran fahren. Da kommen einem anderen Filme in den Sinn, eine ganze Reihe, die vor allem in Autos in Teheran spielen, weil sie verbotenerweise gedreht worden sind (exemplarisch: Taxi Teheran).

Maryam hat ihre Kinder (Tanaz Molaei, Sam Vafa), die beim Vater (Majid Bakhtiari) in Hamburg aufwachsen, sechs Jahre nicht gesehen. Mutter und der Rest der Familie leben in krass unterschiedlichen Welten. Wie viel Gemeinsamkeit ist da noch vorhanden, nachdem die Mutter auch wichtige Entwicklungsphasen der Kinder nicht mitbekommen hat und auch nicht begleiten oder gar diskret steuern konnte? Sie erwarten sie im Grenzgebiet.

Es ist ein Film, der mit zwei Pfunden wuchert. Das eine ist die Flucht-, die Abenteuergeschichte, der atemberaubende Thriller, das andere, komplexere, vor dem Hintergrund kultureller Kluft und des Kampfes um Gerechtigkeit, ist die Familiengeschichte.

Schweinesand – Eine Insel voller Geheimnisse

Strandkinder und Töchterchen mit Chauffeur

Elbidylle Blankenese noch in der Zeit vor dem Euro, just an der Schwelle des invasiven Aufkommens der Handys, in der Zeit, als ein jugendlicher Nerd schon mal eine holprige Flugdrohne aus seiner Schulmappe zaubert, eine Zeit, in der ein reicher Hamburger Blankenese-Villenbewohner seiner Frau völlig unbelastet den Satz „Wir schaffen das zusammen“ sagen kann.

1997 hatte Stephanie Grau mit Eckehard Schweppe und den Kindern ihrer Theaterschule die Idee zu einer TV-Krimiparodie vor dem Hintergrund der Klassenunterschiede, die sich am Elbstrand zeigten.

Der charmante Kinderfilm, der nur so vor Begeisterung für das Projekt sprüht, kommt jetzt, 28 Jahre später, als Trouvaille in die Kinos.

Und wenn man nur ins Staunen kommt, wie die Welt sich seither verändert hat; wie einem die Zeit vor der Jahrtausendwende hier wie eine heile Welt vorkommt, eine übersichtliche Welt, bei der das Kind des Kommissars noch ungeniert in Akten rumwühlen kann, oder die Kinder von draußen einer Unterrredung im Kommissariat lauschen können.

Für die Strandkinderwelt steht Figaro (Jörg Pleva). Er ist ein obdachloser Träumer, der sich mit seinem Hund am Elbstrand heimisch gemacht hat mit einer provisorischen Hütte und einem von den Nachbarn bemängelten Lagerfeuer. Die Strandkinder mögen ihn. Er kitztelt ihre Träume mit Ideen zur Seefahrt im Traumschiff.

Auf dem Schulweg überfährt der Chauffeur des feinen Töchterchens Alexa fast die Schulkinder. Alexa wirkt blasiert und ist isoliert; gleichzeitig kümmern sich die Eltern nicht um sie; sie ist wohlstandsverwahrlost.

Eines Tages ist Alexa verschwunden. Aus Zeitungstexten ausgeschnitten und zusammengeklebt liegt eine Geldforderung vor.

Hier kommt der reale Tatort-Kommissar Martin Lüttge als Kinderfilmkommissar ins Spiel mit seinem Assistenten (Kai Helm). Der Film ist voller Anspielungen auf die Fernsehkrimirealität. Musikalisch gibt es Anleihen beim Tatort-Motiv und beim Derrick, von dem es auch ein Bild in den Film geschaffen hat. Tempi passati.

Der Film verlustiert sich am Sujet des falschen Verdachtes, des gestohlenen Ruderbootes und der Strandclique, die die Sache erfolgreich und systematisch in die Hand nimmt und es gleichzeitig schafft, die damals schon merkliche Schere zwischen Arm und Reich herzlich zu überbrücken. Auch das wäre heute so kaum mehr vorstellbar mit so einer zupackenden Herzlichkeit.

Mein Platz ist hier – il mio posto è qui

Doppelportrait

Zwei Außenseiterschicksale bestimmen die Dynamik dieser verführerisch gemäldehaft schön erzählten Geschichte aus einem kalibresischen Dorf kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Marta (Ludovica Martino), die junge Frau mit einem fünfjährigen Buben, hat ihren schlechten Ruf weg. Ihr Freund, mit dem sie die Zukunft planen wollte, ist nicht aus dem Krieg zurückgekehrt.

Lorenzo (Marco Leonardi) wird im Dorf verächtlich Schwuchtel genannt. Er hat nach dem Tod der Haushälterin den Job beim Pfarrer übernommen. Er betätigt sich als Hochzeitsplaner.

Marta soll einen grobschlächtigen, erzreaktionären Bauern, der mit zwei Kindern verwitwet ist, heiraten. Sie sagt sofort ja. Der Pfarrer Don Antonio (Saverio Malara) gibt den angehenden Bräuten des Dorfes Hochzeitsunterricht.

Lorenz berät bei Brautkleid, Schmuck. Er sieht in Marta das, was nicht offensichtlich ist: verborgene Talente. Er führt sie ein in einen schwulen Club. So kommt der Kontakt zustande zur Stadt. Sie fängt heimlich einen Sekretärinnen-, einen Schreibmaschinenkurs an. Lorenzo fährt sie mit seinem Roller hin.

Die Mutter von Marta (Bianca Maria d‘ Amato) kommt dahinter und ihr künftiger Ehemann will schon gar nichts wissen, von einer Frau, die arbeitet. Im Dorf gilt es als Unerhörtheit, dass eine Frau das ihr zustehende Stimmrecht bei Wahlen nutzt, noch schlimmer, dass sie die kommunistische Partei wählen will.

Der Konflikt wird offen und dramatisch, die Situation spitzt sich zu, die Hochzeit soll vorgezogen werden, gleichzeitig nähert sich der Termin des Maschinenschreibwettbewerbes, bei dem schöne Jobs locken.

Marta sieht sich zwischen der Verlockung der Selbständigkeit und dem praktisch Lebendigbegrabensein bei einem Bauern, der sie bei sich einsperren will. Lorenzo wird in den Konflikt hineingezogen, denn sie ist darauf angewiesen, dass er sie zu den Kursen fährt. Er aber wiederum muss sich entscheiden zwischen der Loyalität zu seinem Arbeitgeber, der die emanzipationsfeindliche Haltung vertritt und dem emanzipatorischen Verlangen von Marta.

Es ist die Zeit, in der in Italien das Frauenstimmrecht eingeführt wird. Darüber gab es jüngst den Film Morgen ist auch noch ein Tag. Ein weiterer, wunderschöner, italienischer Emanzipationsfilm ist bereits im Kino gestartet: Prima Donna – Das Mädchen von morgen. Da tut sich was bei den Italienerinnen!

Go ahead, make my day.