Bruchstelle der Gesellschaft
Dieser Film von Alonso Ruizpalacios nach dem Theatertück von Arnold Wesker schaut ganz genau hin, so erfrischend wie erschreckend, auf eine elementare Bruchstelle in der amerikanischen Gesellschaft: mitten in New York in der Groß-Küche eines Restaurants.
Hier stößt Legalität auf Illegalität, Immigration auf amerikanische Bürger. Hier wird Spanisch gesprochen, Arabisch, Französisch und natürlich auch Englisch; aber nicht alle Mitarbeiter verstehen das. Aber hier zeigt sich auch wie in einem Brennglas, wie perfekt Legalität und Illegalität in der amerikanischen Wirtschaft zusammenspielen und ohne einander nicht können. Diese Maschinerie funktioniert auch noch, wenn der Boden der Küche der Systemgastronomie am Times Square in New York mit Cherry Coke geflutet ist.
Sie nennen sich nicht beim Namen, Samira aus Marokko wird als Casablanca tituliert oder die Mexikanerin Estela (Laura Gómez) nach einem Sternelokal, in dem sie in der Küche gearbeitet hat als Sanborns.
Mit Estela fängt der Film, der im Quadratformat und in Schwarz-Weiß (mit wenigen Farbeinsprengseln) gedreht wurde, an und dem einem Zitat von Henry David Thoreau vorangestellt ist, das allerdings viel zu schnell vorbeiläuft, als dass man es überhaupt rezipieren könnte.
Wie um noch eins draufzusetzen, erzählt in diesen bewusst verschlierten Eindrücken eines nicht identifizierbaren New York (Sicht der Immigrantin) ein Obdachloser von der Zeit und den Quadraten und dass an diesem Ort vor Jahrhunderten noch Indianer waren; das ergibt kurz eine Überblendung zu Zemeckis Here.
Im Lokal selber schwimmt die Freiheitsstatue in einem Aquarium. Hier dürfen die Hummer vor ihrem Tod für den Speisenteller noch etwas Freiheit genießen.
Stela ist auf der Suche nach einem Job. Sie kann kein Englisch und kennt sich kaum aus in New York. Das allein erzählt der Film schon gänsehauterregend. Sie ist auf der Suche nach einem Pedro Ruiz (Raúl Briones), an den sie sich in dem Lokal wenden soll.
Auf normalen Wege würde sie wohl kaum je an ihn herankommen, denn nicht nur kennt ihn kaum wer, er ist auch nicht der Chef, er ist einer der Köche. Jeder hat hier seine Spezialität, der eine kocht Spaghetti, der andere bereitet den Hummer vor, der dritte macht Pizza.
Eine hübsche, erzählerisch bewährte kleine Verwechslungsgeschichte beim Verwaltungsmenschen Luis (Eduardo Olmos) öffnet Estela die Türen, Sozialversicherungsnummer hin oder her; man kennt sich aus beim Jonglieren mit der Illegalität.
Schon wird sie als neue Mitarbeiterin in die Garderobe geschickt und durch die langen Reihen der Anrichten geführt. Der Zuschauer lernt auf diese Art einige der Akteure und Akteurinnen kennen. Keiner will sie als Mitarbeiterin, bis sie schließlich Pedro beweisen kann, dass sie aus demselben Dorf kommt und ein Beweisstück seiner Mutter vorlegt.
Pedro wird sich zu einem durch seine Widersprüche reizvollen Protagonisten entwickeln, der Witz hat und Chuzpe, Herzlichkeit aber auch Unbeherrschtheit und der seit drei Jahren versucht, zu einem legalen Aufenthaltstitel zu kommen, für ihn steht einiges auf dem Spiel.
Aber Pedro legt sich gern mit dem Amerikaner Mark (James Waterston) an, völlig klar ist nicht, wieso; eine merkwürdige Männerrivalität. Andererseits hat er ein Verhältnis mit der Bedienung Julia (Rooney Mara), die von ihm schwanger ist und eine Abtreibung erwägt.
Der Film schildert präzise, wie aus exzellenter Beobachtung heraus, auch die Figuren um ihn herum, das Klima der Hektik in so einem Betrieb, aber auch die Momente des Frotzelns, der Albereien, des Übermutes und es gibt Pausen mit Zeit für ernste Themen wie die Träume.
In solch ernsten Momenten wird die Inszenierung gerne etwas theatral, aber wenn eine Geschichte gut erzählt wird wie diejenige von Nonzo (Motell Gyn Foster), was soll‘ s, der Film beruht auf einem Theaterstück und das trägt durchaus bei zur hervorragenden Qualität. Doch das Theaterstück stammt aus den 50er Jahren.
So theatral ein Liebesgespräch im Kühlraum und mit Blaufilter versehen auch sein mag, so wirkungsvoll und konzentriert ist es doch und trägt bei zu dieser nüancierten Betrachtung dieser Bruchstelle durch die Widersprüche und Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft. Allerdings weht durch das Stück spürbar der Geist der 50-er Jahre, der unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges sich wie in einer Käseglocke zu schützen versuchte: Kitchen-Sink-Realismus, Geist der moralischen Aufrüstung.
Die Betrachtung wird eplizit auch als solche begriffen, das zeigen Stilisierungen – bei aller realistischen Glaubwürdigkeit des Tohuwabohus in der Küche bei vollem Betrieb – beim Erzählen der Geschichte, aber auch die Auswahl der Musik ist so, die von der Tendenz her zum Feierlich-Choralhaften (Seemannschoral) neigt und dann auch nicht nur das Format des Filmes, sondern auch die wenigen Anwendungen von Farbfiltern. Dadurch entsteht der Eindruck eines Filmes, der sich durchaus als moralische Instanz sieht und den Finger dezidiert auf einen wunden Punkt der amerikanischen Gesellschaft legt.
Bruchstelle der Gesellschaft Dieser Film von Alonso Ruizpalacios nach dem Theatertück von Arnold Wesker schaut ganz genau hin, so erfrischend wie erschreckend, auf eine elementare Bruchstelle in der amerikanischen Gesellschaft:...