Sperrfristklauseln auf neuem Niveau

Neulich gab es eine Pressevorführung von Wolverine. Es hatte angeblich schon eine deutlich frühere gegeben, doch die war wohl nur für ausgewählte Marketing-Candy-Kollegen. Doch die Existenz dieser mysteriösen früheren PV, einer sogenannten „Pinkie“, die üblicherweise nur für Alpha-Kollegen stattfindet, ist mir nicht gesichert bekannt. Daher zurück zum eigentlichen Thema:

Zur regulären Vorführung wurde ich, immerhin seit bald 12 Jahren als Filmjournalist tätig, auch eingeladen. In der Einladung stand, dass man den Film nur nach Unterzeichnung einer Sperrfristerklärung sehen darf. Dies ist nicht unüblich, und ich halte Sperrfristen grundsätzlich für eine faire Sache. Die Verleiher gestatten den Journalisten, den Film vorab zu sehen, und die Journalisten versprechen im Gegenzug, erst ab einem gewissen Datum über den Film zu berichten.

Hier gab es schon immer gern kleine Probleme und Reibereien (ganz allgemein, nicht speziell bei diesem Verleih), zum Beispiel müssen Printpublikationen ja auch rechtzeitig in den Druck gehen. Oder werden, insbesondere bei Monatsmagazinen, zu früh für den Geschmack des Verleihs und seiner Marketingstrategie veröffentlicht, insbesondere, wenn ein Film am Monatsende startet. Auch passiert es bisweilen, dass die Sperrfrist nur einen oder zwei Tage vor dem regulären Start endet – viel zu spät für ernsthaften Journalismus in allen Kanälen. Wie gesagt, hier kommen Presse und Filmwirtschaft bisweilen ins Gehege.

So eine Sperrfrist ist immer eine Gratwanderung zwischen Goodwill der Verleiher, den Film der organisatorischen Einfachkeit halber etwaas früher zu zeigen (so wie noch vor wenigen Jahren übrigens wäre es schön!), und dem Goodwill der Journalisten, sich trotz Kenntnis des Films und der theoretischen Möglichkeit, sofort und damit als Erster zu publizieren, bis zu einem gewissen Datum zurückzuhalten.

Natürlich sollten Sperrfristen stets für alle Publikationsformen gleich gelten (also für Print, Online, Radio und TV gleichermaßen und nicht getrennt), es sollte beiden Seiten stets klar sein, dass z.B. ein Druck alleine noch keiner Veröffentlichung entspricht (sondern erst der Verkauf), und es sollte ebenso nicht zur Schikane kommen, indem so eine Sperrfrist grundsätzlich gesunde zwei Wochen vor Filmstart endet. (Journalisten sind keine Marketinginstrumente.)

In diesem Falle jedoch will ich jedoch gar nicht eingehen auf die sehr knappe Sperrfrist (Frist: 27.4.09, Filmstart: 29.4.09), und auch nicht auf den Sonderfall, dass der Film bekanntermaßen schon vorab im Netz zu ziehen war, was den Verleih möglicherweise erst zu dieser drastischen Sperrfristentscheidung getrieben hat, sondern auf die bodenlose Frechheit die versuchte Beschneidung meiner Grundrechte die überaus gewagte Entscheidung, uns Journalisten nicht nur das Kritik-Veröffentlichen zu untersagen, sondern auch noch die freie Meinungsäußerung, wie sie uns laut §5 GG zusteht. In der Sperrfristklausel, die es zu unterschreiben galt, heißt es nämlich:

Sperrfristklausel zu WolverineMal ehrlich: Die eigene Meinung nicht an Dritte weitergeben? Ich darf also nichtmal der Pressebetreuung nach dem Film ein Statement geben? Nicht meiner Frau/Freundin/Lebensgefährtin am Abend sagen, wie mein Arbeitstag so war? Meinen Freunden nicht sagen, dass ich Wolverine gesehen habe und er … war? Wäre ich mit Hugh Jackman* befreundet, dürfte ich nichtmal ihm sagen, was ich von seiner Arbeit halte? Das ist ja wohl ein schlechter Witz! Ein noch schlechterer als der von neulich!

Wenn ein Verleih möchte, dass sein Film möglichst jungfräulich auf den Markt kommt, dann ist eine vernünftige Sperrfrist das Mittel der Wahl. Denn keine PV zu machen, führt eher zu negativen Kritiken (und zu massenhaft entsprechenden Meinungen im Vorfeld). Aber selbst die private Meinungsäußerung verbieten zu wollen, das geht eindeutig zu weit, und führt zu noch schlechterer Stimmung, als den Film der Presse vorzuenthalten. Siehe Wortvogel und Heise/Telepolis. Und wer selber nach Meinungen zu Sperrfristen zu Wolverine suchen will, hier die entsprechende Google-Suche.

Ich als Journalist bin ja gern bereit dazu, mich im Zuge des (nun nicht mehr ganz frischen) Aufkommens der neuen Medien, mit der „anderen Seite“ an einen Tisch zu setzen und die Spielregeln (siehe auch mein Manifest) für Produktjournalismus für das 21. Jahrhundert im Filmbereich auszukappeln: Fairness auf beiden Seiten, Presse- und Meinungsfreiheit, aber dafür keine Meinungsmache, wohl aber fundiert recherchierter, wahrer Journalismus. Keine Marketingslogans in den Publikationen (außer bezahlte Werbung natürlich), kein Herding der Journalisten in Alpha, Prime oder Key und Rest und keinerlei Versuche mehr, die Vierte Gewalt zu umgehen. Mit der mag man ja im Kulturjournalismus leichtes Spiel haben, weil unsereins offenbar weitgehend aus Balsaholz geschnitzt ist, aber dennoch sind wir Journalisten. So richtig echte.

Doch die Kollegen haben schon recht: Filmjournalisten sind viel zu lethargisch und individuell, um selbst einen ordentlichen Streik zu organisieren, konkrete Maßnahmen zu bündeln, etwas auf die Beine zu stellen. Schade, dass die Filmverleiher und ihre Marketingstrategen das immer wieder ausnutzen wollen.

*Bin ich jetzt etwa schon dran, weil ich vor Ablauf der Sperrfrist verraten habe, dass Hugh Jackman mitspielt?

4 Gedanken zu „Sperrfristklauseln auf neuem Niveau“

  1. ja, kann nur jedes wort unterschreiben. auch ich fand diese aktion ungeherulich. hatte zunächst überlgt, die PV zu boykottieren, aber darin kann ja irgendwie auch nicht die lösung liegen. habe mich entschieden, das thema dafür in meiner besprechung anzuschneiden (mein text geht morgen online). ich denke, diese entwicklung ist längst aus dem ruder gelaufen. gegen die üblichen sperrfristen habe ich im übrigen auch nichts einzuwenden.

  2. Ich hab das auch in meiner Besprechung angeschnitten, und habe auch die Bewertung des Films an mein Gesamterlebnis angepasst. Ich hab mit dem Verleih selbst überhaupt kein Problem, auch jetzt nicht (das war sicher eine Vorgabe von einem Schlipsträger aus den USA, der noch nie an einem Set gestanden hat), aber es muss echt was unternommen werden gegen die ständigen Versuche von allen Seiten, die Presse als Marketinginstrument zu gebrauchen. Bezahlte Anzeigen sind ein Ding, aber gekaufte Reviews oder erzwungene Reviews eine andere. Derzeit werden zwar meines Wissens keine Reviews gekauft, aber es soll schon vorgekommen sein, dass Kritiker nach negativen Bewertungen auf der Gunst-Skala mancher Verleiher (oder deren Presseagenturen) nach unten gerutscht sind, was einfach nicht sein darf. Das ist wie die Trennung von Kirche und Staat, der Inhalt einer Filmkritik darf mit der Berufsausübung eines Journalisten nichts zu tun haben, niemals, never ever. Ich könnte mich ewig aufregen über diese Machtspielchen.

    Nachtrag zum durchgestrichenen Teil: Ich habe beschlossen, meine Unzufriedenheit mit der Situation nicht auf dem Rücken der Publikation auszutragen und daher die Review doch entsprechend geändert.

  3. „Dritte“ sind alle an der eigentlichen Sache Unbeteiligte. „Erste“= Du selbst, „Zweite“= Pressebetreuung, Hugh Jackman, „Dritte“= Freundin, Freunde, Kassierin beim Discounter, deine Leser.

    Erste und Zweite sind im Sprachgebrauch nicht so alltäglich, die „3“ hat aber schon ihre Bewandnis.

    Abgesehen davon stimme ich deiner Kritik aber zu 😉

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