Zwei Herren im Anzug

Josef Bierbichler, Schauspieler, Autor und Regisseur in einem, wirft hier seinem Publikum schwere Brocken, Knochen vor, an denen er nagt und schwer nagt. Und das Publikum soll mitnagen, friss oder stirb.

Es sind Knochen des letzten Jahrhunderts, von denen er nicht loskommt, von denen er möchte, dass auch wir davon erfahren, dass es sie gibt und dass sie ihn nicht loslassen. Die Knochen sind – es handelt sich um autobiographisch familiengeschichtliche Elemente vom Starnbergersee – der Erste Weltkrieg, die aufkommende Nazizeit, der Zweite Weltkrieg, das Wirtschaftswunder, der Missbrauch in einem katholischen Internat und – irgendwie auch – das unausweichliche Brauchtum.

Der heftigste Knochen ist Bierbichler selbst als selbstmitleidiger Materialist angesichts eines heftigen Sturmes, der in seiner Wirtschaft am Starnbergersee das Dach abdeckt. Es ist gerade Faschingsball und Maskenprämierung. Die muss abgebrochen werden. Nach dem lauten Knall, mit welchem das Dach abgedeckt wurde, interessiert ihn zuerst das Schadensregelungsproblem.

Es sind heftige Knochen (ob nahrhaft oder nicht, ist eine andere Frage) und zwar nicht kulinarisch serviert, sondern so, dass der Zuschauer mitleiden soll an den Sachverhalten als auch am Leiden des Protagonisten. So dass der Schluss, Bierbichler habe sich mit diesem Film befreit von seiner Geschichte, nicht zwingend ist; es wirkt eher so, als könne er nicht loslassen von seinen Knochen.

Es sind Dinge passiert, die fassungslos machen – oder ist das ein bayerischer Fatalismus, sie so zu präsentieren, müssen sie wirklich fassungslos machen, oder sind das weltfremde Träumer, die die Menschen für so gut halten, dass die hier geschilderten Dinge fassungslos machen? Ist es für einen Künstler, der doch die Abgründe der Menschen kennen sollte, nicht etwas naiv, so zu tun, als entdecke er diese Abgreünde im Menschen eben, als sei er schockiert und ihm falle weiter nichts dazu ein, als seine Schockiertheit uns mitzuteilen?

Der sinnlose Tod von Soldaten im ersten Weltkrieg, die noch aufgebrochen sind, als ginge es um eine 6-wöchige Sommerfrische. Dann kommt der ältere Bruder, der erst als verschollen gilt, nicht körperlich, sondern auch seelisch versehrt zurück.

Der jüngere Bruder, Pankraz, der kann nicht in der Stadt Gesang studieren, obwohl er begabt ist.

Zur Musikkultur: von der wird nicht klar, ob sie Heilung gegen die vorgetragenen Schauderhaftigkeiten geben könne. Ein Knabenchor bietet eine der Musikeinlagen, die das kulturmusikalische Umfeld charakterisiern. Dazu kriegsbegeisterte Soldatenlieder der Burschen, die in den Krieg ziehen, als ob es eine Gaudi wäre, tradtionelle Musik, Kirchenmusik und auch die Oper darf nicht fehlen, die Begeisterung für Richard Wagner.

Leicht macht es sich der Bierbichler nicht. Er will der Herr über seinen Film sein, weshalb dieser eine eingenwillige Mischung wird, die sich an keinem Mainstream orientiert, die Elemente des Bauerntheaters nicht fürchtet, die dem Dialekt frönt, die Szenen wie die Missbrauchsszene durch den Priester oder eine Kindervergasungsszene in der Nazizeit dreht und wendet und nicht für den schnellen Konsum oder die wohlfeile Empörung herrichtet.

Ein Kino, was versucht ein ehrlich-bodenständig(archaisch?) bayerisches Kino zu sein, jedem Volkstümeln abhold, aber die Figuren und die Musik und die Trachten und die Bräuche, das Brauchtum, das ist auch so ein Knochen, die sind nun mal da und Bierbichler möchte und kann auf sie nicht verzichten.

Bierbichler will allen zeigen, wie sehr er an der Arschigkeit der Menschen leidet, als überrasche ihn die Erkenntnis, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei und zu immer neuen Untaten fähig. Er zeigt sich ratlos anhand dieser Erkenntnis. So verbreitet der Film die Atmosphäre eines Bedröppelungskinos, wenn auch eigenwillig-maunzig. Die Idee, dass Kultur das Mittel sei, um mit diesen abgründigen Eigenschaften der Menschen umzugehen, wird nicht virulent.

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