Clair Obscur

Türkische Verhältnisse.

Dein eines Auge ist klar, dein anderes trüb, seltsam, wenn man beide anschaut.“ Dieser Satz der Protagonistin, der Psychiatrin Dr. Sehnaz (Funda Eryigit) an ihren Kollegen beschreibt ganz gut die Haltung des Filmes zum Leben zu den Verhältnissen, die es geduldig unter die Lupe nimmt.

Es gibt eben nicht nur Hell und Dunkel, es gibt nicht nur Gut und Böse. Das heißt: Differenzierung und bei genauerem Hinsehen ergeben sich unerwartete Überraschungen, zum Beispiel auch: so verschieden sind vielleicht die türkischen gar nicht von unseren Verhältnissen. Die Freiheit des Menschen, der Frau.

In meisterlich epischer und doch reduzierter Erzählweise beobachtet Regisseurin und Drehbuchautorin Yesim Ustaoglu helle und dunkle Verhältnisse in der Türkei mit dem Schwerpunkt auf dem Frauenthema.

Für die vorgeblich helle Seite steht die Psychiatrin. Sie wohnt schick am Meer. Hat es, das wirkt wie eine thematische Übersprungs- oder Ablenkungshandlung und nicht weiter ausgeführt, als erstes mit einem Mädchen zu tun, das ein Mann sein möchte.

Die Psychiatrin scheint ein gutes Leben zu haben. Sie hat einen attraktiven Freund, Cem (Mehmet Kurtulus), gut aussehend, ein prima Liebhaber, senisbel. Er ist oft nicht da; dann telefonieren oder skypen sie.

Die dunkle Seit wird vertreten von Elmas (Ecem Uzun), eine Frau, die mit 13 schon verheiratet worden ist mit einem Ladeninhaber (Serkan Keskin). Sie lebt unglücklich in einem Wohnblock, züchtig mit Kopftuch, pflegt die herrische und zuckerkranke Mutter ihres Mannes (Sema Poyraz). Elma meint, ihr Mann und die Schwiegermutter riechen schlecht.

Elmas Sex mit ihrem Mann ist von der groben, unsensiblen Art; für sie ist es eine Tortur. Nach dem Sex fordert er sie auf, als ob nichs gewesen sei, Kohlen im Ofen nachzulegen. Glücklich ist Elmas, wenn sie über das Fenster ihre Nachbarin Esma beobachtet, wie sie tanzt und rumtollt; das Mädchen, das ein Mann werden möchte.

Bei näherem Hinschauen entpuppt sich die helle, klare Welt der Psychiatrin als lange nicht so strahlend, wie sie – in Gegensatz zu Elmas Welt schon aus rein dialektischen Gründen erscheinen müsste. Es kommt zu Rissen in der Beziehung mit Cem. Mit ihrem Arbeitskollegen Umut (Okan Ylabik) ergeben sich mehr Treffen als anständig, wenn man so sagen will, der sieht ja auch nicht schlecht aus. Und am Meer ist der Mensch angesichts heftiger Gischt aufgerührter.

Cem begründet einmal, dass er telefonisch nicht erreichbar war, damit, er habe auf leise gestellt und vergessen wieder auf laut zu stellen. Das kann sich die Psychiatrin nun grad gar nicht vorstellen, er und etwas vergessen.

Wie im epischen Kino gibt es zwischendrin Zeit am Meer, die Naturgewalten spiegeln der Aufruhr der Seele, Zeit, die wenigen signifikanten Informationen, die die Szenen bringen, wirken zu lassen. Im wirklichen Leben werden ja auch nicht pausenlos essentielle Informationen ausgetauscht. Eine große entscheidende Szene ist die Rekonstruktion entscheidender Erlebnisse im Leben von Elmas.

Ein Film, der in die Tiefen des Lebens dieser beiden Frauen hineinschaut. Und bei näherem Hinschauen ist soviel eben doch nicht so klar, wie es auf Anhieb erscheint, da die emanzipierte Frau Doktor und dort die unterdrückte Frau. Oder: so einfach ist es mit der Frauenemanzipation auch wieder nicht. Die Frage nach Glück und Erfüllung, hier von einer hellwachen und entsprechend skeptischen Regisseurin untesucht; die schon gar nicht glaubt, so mindestens ist es aus dem Film abzulesen, ein Patentrezept für Frauenglück zu kennen und verbreiten zu müssen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert