Die Lebenden Reparieren – Réparer les Vivants

Ausschlachten eines romantischen Jünglings.

Simon (Gabin Verdet) ist ein bildhübscher 17-jähriger Jüngling, romantisch und verliebt in seine gewiss erste Freundin Juliette (Gallatea Bellugi). Fehlt nur, dass er Romeo heißt, ein blonder Romeo. Er darf schon bei ihr übernachten.

Hier fängt der Film an in einem Ruhemoment. Keine Sexaction. Die beiden liegen nur nebeneinander. Die Kamera geht nah ran an die entspannten, glücklichen Gesichter. Träumerisch. Und träumerisch verfolgt die Kamera Simon, wie er durch das Fenster das Zimmer verlässt, wie er sich nach Klettereien und Sprüngen unten auf der Straße das Fahrrad schnappt, die Kamera bleibt oben, weitet die Sicht auf eine Mittelstadt.

Dann ist die Kamera wieder bei ihm, wie er, wie Jungs es so tun, Fahrrad fährt, steile Straßen runter, rasant. Bald gesellt sich auf dem Skateboard ein Freund zu ihm. Der dritte Freund nimmt die beiden mit dem Auto mit. Ein große Bewegung führt in dieses Movie hinein. Sie fahren in die Nähe des Meeres, laufen über Dünen, haben ihre Surfbretter dabei.

Fast will es scheinen, als ob Katell Quillévéré, die auch das Drehbuch nach dem Roman von Maylis de Kerangal verfasst hat, sich jetzt auf einen Surffilm einlassen will mit einer Kamera, die Meer und Wellen und Wellenreiter verschlingt, und sich gar nicht mehr an den Strand zurückbegeben will.

Der Titel des Filmes kündigt aber ganz anderes an: die Lebenden reparieren ist eine Umschreibung für Organtransplantation. Wie findet Quillévéré jetzt nach diesem romantischen Anfang mit jungen Männern voller Gefühle und Einheit mit der Natur im Meer die Kurve zum Themenfilm? – Ok, ein Autounfall, kurz angedeutet. Vorbereitet mit einer Subjektiven der Kamera des Fahrers: wie in einer Fata Morgana fängt die Straße an zu verschwimmen.

Im Film kann jederzeit ein Schnitt oder kurzes Schwarzbild ein neues Kapitel ansagen. Die Literatur macht das nicht anders. Quillévéré kann ins Krankenhaus schneiden. Informationen über Hirntod von Simon den Eltern geben. Sie müssen viel weinen, die Eltern und werden vor eine schwierige Frage gestellt, ob sie die Organe von Simon freigeben wollen. Denn jemand muss die Einwilligung geben dafür.

Neues Kapitel. Anderer Schauplatz. Claire (Anne Dorval) besucht ihre beiden Söhne. Vom einen weiß sie nicht, ob er schwul ist. Sie leidet an einer degenerativen Herzinsuffizienz. Sie braucht ein Spenderherz.

Vergessen wird man so einen Mix aus Herzlichfilm und Herzkrankheitsfilm sicher nicht so schnell. Jetzt wird detailreich von der Herz-OP erzählt, aber wiederum nicht so, dass ein Lehrfilm daraus werden könnte. Es scheint der Filmemacherin um den Leinwandeffekt zu gehen, der stärker sein soll, wie sie vielleicht hofft, wenn der Zuschauer weiß, von wem das Herz stammt und wer der Empfänger oder die Empfängerin ist, um den Kamerablick direkt in das hinein- oder herauszuoperierende Herz hinein. Nicht jedermann erträgt das gut.

Auf jeden Fall ratsam: sich anzuschnallen beim Autofahren!

Von der Attitüde ihres Interesses her, einerseits Glück, Liebe, Leiden von Menschen zu zeichnen, andererseits von ihrem Interessse am Organischen im Hinblick auf Organtransplantation sehe ich die Filmemacherin in der Nähe jener mittelalterlichen Doctores, die bei der Autopsie nach dem Sitz der Seele gesucht haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert