Die Geister, die mich riefen

Er ist ein Sensibelchen, wehleidig, wirkt schicksalsergeben, lebt in Berlin, ist die ersten Jahre bei seinen Großeltern in Edirne aufgewachsen, war der Lieblingsenkel, hat abwechselnd bei Opa und Oma im Bett geschlafen, aber kuscheliger wars bei Oma.

Er praktiziert die Hygienevorschriften des Islam, er betreibt in Berlin-Neukölln einen Gemüse- und Obststand, er ist über 30 und noch ledig.

Er, das ist Engin Piravusta, der Protagonist dieser Culture-Clash-Road-Movie-Dokumentation von Diana Näcke. Es ist wie das Porträt eines Freundes zu dem ein großes Vertauensverhältnis besteht. Er ist kein Poser. Er scheint immun gegen die Kamera, lässt den Zuschauer ungeniert teilhaben an seinen Gedanken und Überlegungen, lässt ihn Einblick bekommen in sein von zwei Kulturen geprägtes Weltbild.

Der Film wirkt wie ein Antwortversuch auf die Frage, ob der Islam nach Deutschland gehöre, was man nach diesem Film, mit Verlaub, doch eher verneinen möchte oder relativieren im Sinne, dass selbstverständlich jeder hier die Glaubensfreiheit haben und ausüben darf, dass der Islam aber sicher nicht so schnell identitätsstiftend für Deutschland werden dürfte.

Die kleine Story im Film, die auch den Road-Movie-Teil über den Balkan in Gang setzt, ist eine Erbschaftsgeschichte. Auf einem Grundstück, das sein Vater geerbt hat, hat einer ein Haus mit Stromanschluss und Wasser gebaut; dabei sollte er nur vorübergehend dort leben dürfen, bis er selbst ein Haus gefunden hat. Der Zustand dauert jetzt schon über 20 Jahre und ist festgemauert. Zustände in der Türkei wie in der Türkei.

Nun soll Engin in sein Dorf Yldirim bei Edirne zurück und das für seine Mutter erledigen, die ungebetenen Besetzer vom Grundstück vertreiben. Als türkischer Staatsbürger muss er mit der Einberufung rechnen. Deshalb will er sich vom Arzt ein Attest geben lassen wegen seiner Diabetes und dass er untauglich fürs Militär sei.

Einige Geschichten von Veteranen aus dem Krieg gegen die PKK lassen unserein die Haare zu Berge stehen und dürften ihn in seinem Entschluss, nie wieder nach Hause zurückzukehren bestärken.

Diana Häcke hat einen guten Blick auch für Kamera-Beifang in allen Situationen, in denen sie Engin begleitet, im Restaurant oder im Spital, was für ihn ein Ding der Unmöglichkeit ist, dort mehrere Tage zu bleiben, er kann nicht in einem Zimmer mit Fremden schlafen und der Unverträglichkeiten mehr. Beiläufig unaufdringliche Handkamera.

Sie machen sich in ihrem Auto auf den Weg in die Türkei. Da kann er viel erzählen und seine Weltsicht verdeutlichen. Er übernimmt islamische Ondits, dass die Tauben zwar als Ratten gälten, aber wenn sie in einer Moschee sind, nicht kacken würden. Später gibt es Bilder aus einer Mosche, wie er angewidert seine Betposition verlässt, weil Vögel von unter der Kuppel just auf seinen Platz was haben fallen lassen.

So ist dieser Film voll von Beispielen der kuriosesten Widersprüchlichkeiten in der Welt von Engin, der immer noch nicht verheiratet ist, der ein skeptisches Bild von der Liebe zeichnet, die schnell in Hass umschlage, der selbst geschlagen worden ist und überhaupt eine Welt, in der für Menschen das Schlagen und Geschlagenwerden offenbar eine Selbstverständlichkeit ist; während sie andererseits wiederum viel liebevoller und erotischer miteinander umgehen, das zeigt eine Szene beim Coiffeur. Und überhaupt sind die Familienbande enger und nicht hinterfragbar.

Zigeunerprotzsiedlungen, Fotos nicht erlaubt. Die kommen auch bei Glawoggers nachgelassenem Untitled vor. Zigeuner baut sich voll geiles Haus und glaubt, er hat Eier. Und hat nicht gearbeitet für da Haus.

Groteske Szene, wie Engin am Steuer mit den Händen in der Luft betet und den Nachbarn alles Böse wünscht. Er selbst liebt sein ferngesteuertes Spielzeugauto mit den Breitreifen (SUV), mit dem er die Tanten in Edirne jagt.

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