Kommentar zu den Reviews vom 21. Dezember 2017

Wer jetzt noch ins Kino geht, kann eine großartige Geschichte gegen die Schulmedizin aus dem Vereinigten Königreich sehen, eine Art Thomas-Bernhard-Monolog aus Finnland, eine rasante Hollywood-Dschungel-Abenteuer-Geschichte, ein vivace und gekonnt hingelegtes Spiel mit und um die Liebe aus Frankreich, die Acapella-Mädels auf Tour in Europa und aus Deutschland gibt es ein hoffnungsvolles Kinopflänzchen sowie einen amputierten Weltkinostoff. Auf DVD gibt’s die vielleicht großartigste Kinoliebesgeschichte des Jahres. Im TV wurde Künstler-Witwen-Kompott serviert.

Kino
SOLANGE ICH ATME
Die Schulmedizin eines Besseren belehrt.

KAFFEE MIT MILCH UND STRESS
Der Protagonist heißt Mielensäpahoittaja und hat zu allem seine Philosophie.

JUMANJI: WILLKOMEN IM DSCHUNGEL
Nachsitz-Fluchten in den Dschungel.

EINE BRETONISCHE LIEBE – OTEZ MOI D‘ UN DOUTE
Die Liebe ist ein Spiel und das französische Kino beherrscht es.

DREI ZINNEN
Wenn der Sohn den neuen Freund der Mutter nicht akzeptiert, kann es, gerade in den Bergen, gefährlich werden.

PITCH PERFECT 3
Die Bellas auf Ami-Airbase-Tournee in Europa.

DIESES BESCHEUERTE HERZ
Hilfe, wieder hat das deutsche Kino einen Weltkinostoff auf Subventionsformat geschrumpft!

DVD
THE PROMISE
Liebe im Spannungsfeld eines Genozides.

TV
LEBENSLINIEN – UND DANN KAM HELMUT DIETL
Tamara-Mampf.

Kaffee mit Milch und Stress

Drive eines Monologs.

Dieser Film von Dome Karukoski nach dem Roman von Tuomas Kyro aus Finnland (Tom of Finland) wirkt wie einer der Monologe eines Thomas Bernhard, sprachlich nicht so gedrechselt, aber der Tiradenduktus und auch der Schimpfduktus sind ihm nicht fern.

Der über das Leben und die Menschen und die Technik und die Politik schimpft und findet, früher sei alles besser gewesen, ist Mielensäpahoittaja (Antti Litja). Mielensäpahoittaja ist in Finnland der Name einer beliebten literarischen Figur, eines Griesgrams. Litja ist ein großartiger Schauspieler und trägt allein schon den Film. Sein Charakteristikum ist eine Ohrenmütze aus Bärenfell.

Er ist ein Eigenbrödler, aber auch ein Philosoph, der weiß, warum er wie handelt, und der sich zuletzt absurden Vorschriften anpassen würde, der sich nur amüsiert über das alles durchdringende Sicherheitsdenken mit dem Satz, die Kinder würden sogar einen Helm tragen, wenn sie zum Kühlschrank gehen, der sich aber auch ärgert, dass er es nicht schafft, die Welt und die Menschen zu verändern.

Seine Frau ist gestorben. Sein Sohn ist verheiratet, hat drei muntere Kinder, die Frau ist emanzipiert, ist eine Geschäftsfrau und trägt mehr zum Haushalt bei als der Mann.

Mielensäpahoittaja stürzt und kommt kurzzeitig bei Sohn und Schwiegertochter unter. Sie muss russische Geschäftspartner vom Flughafen abholen. Unser Protagonist mischt sich in die Geschäftsbeziehung ein. Seine Schwiegertochter will finnische Häuser verkaufen und ist gerade dabei, sich im Preis massiv runterhandeln zu lassen. Da fängt ihr Schwiegervater an, der auch checkt, dass eine der Russinnen sehr wohl finnisch versteht und also übersetzen kann, den Russen zu erklären, was finnische Qualitätsarbeit sei und warum sie so teuer sei und dass sie nicht beim ersten besten Sturm schon den Hang runtergespült werde.

Mielensäpahoittaja geht mit den Russen auf Hasenjagd mit einer primitiven Kartonfalle und gibt seine Philosophie zum besten, dass man die Menschen gewinnen müssen (man muss Freundschaften entwickeln, wenn man gute Geschäfte machen möchte).

Mielensäpahoittaja macht und sieht vieles richtig. Auch seinen Sohn belehrt er ungeniert. Der steht nicht so wach und anpackend im Leben. Das zeigt die Aktion mit dem Baum, der zu nah an der Garageneinfahrt steht.

Später landet Mielensäpahoittaja im Krankenhaus. Ein Mitpatient jammert über Gicht. Krankenhaus ist nichts für so einen Mann.

Der Film folgt weniger einem Handlungsmuster, bald geht Mielensäpahoittaja wieder raus aus dem Krankenhaus, er folgt seinem inneren Monolog, der immer wieder die Vergangenheit aufruft, der die Gegenwart und die politischen Verhältnisse (die melden sich im Fernsehen) betrachtet und vergleicht. Dann mündet der Monolog in eine melancholische Rückschau auf das eigene, mustergültige Leben in lichten, weichen Farben, Liebe, Heirat, Kind, Haus, Baum, die aus der Heute-Sicht die Damals-Sicht in traumhaft schönen Stimmungen zeigt, ganz milde – und die Frage stellt, warum, wenn alles so mustergültig gelaufen ist, es heute so ist.

Die deutsche Billigsynchron hat ihren hölzernen Charme, so wie man aufs Klo nur noch mit der S-Card kann und wie es den alten Mann traurig macht, dass die Zeiten sich gewandelt haben. Sein roter Ford Escort (obwohl Audi ein Sponsor ist), der ist ihm länger geblieben als seine Frau. Eine Frau lässt man nicht laufen, meint er. Ein Auto wohl auch nicht. Nicht bei Shell tanken, die haben Menschenrechtsverletzungen in Nigeria begangen. Und einen „ausgegrenzten“ Jungen, Tinte, den engagiert er lebenspraktisch zum Dachrinnenputzen.

Rückblendenweisheit: Ein Rosinenbrötchen ist der Beginn vieler schöner Stunden.

Andererseits ist Mielensäpahoittaja einer, der noch mit dem gesunden Menschenverstand denkt – heute ist das ein Anachronismus.

Pitch Perfect 3

Dieser Dritte Teil der Pitch Perfect Reihe, die von Kay Cannon geschrieben wurde (Pitch Perfect, Pitch Perfect 2) fügt sich in der Regie von Trish Sie (Step up all in) in Temperament und Tempo nahtlos an an den Vorgängerfilm an, in welchem die Acappela-Sängerinnen Die Bellas in Dänemark den Weltmeistertitel holten.

Jetzt haben sie das College hinter sich, stehen am Anfang des ernsthaften Teiles ihrer Lebenswege. Die Möglichkeit einer Truppenbetreuungstour in Europa bringt die Bellas wieder zusammen. Das ist sicher auch ein Stück PR für die US-Army. Und es fallen schöne Bildchen von europäischen Städten und Häfen und Luxushotels ab.

Die Bellas steigen mit eben dem Schwung aus dem WM wieder ein, umsomehr als sie jetzt Konkurrenz haben, denn es treten zwei weitere Gruppen auf dieser Tournee auf.

Im Hintergrund wirkt ein berühmter DJ. Die Hoffnung der Gruppen besteht darin, zu seiner Vorgruppe zu avancieren. So herrscht schon beim Sound-Check in einem leergeräumten Flughangar in Spanien gleich voller Temperamentswettbewerb.

Da sind die Amis gut drin, solchen Wettbewerb, solches sich gegenseitig Vorwärtstreiben zu inszenieren. Sie lassen nie eine Gruppe schlecht aussehen. Schon die anderen Bands, die mit Instrumenten verstärkt sind, lancieren einen Megasound und Stimmung, aber die Mädels setzen mit ihren Stimmen und Bewegungen noch eins drauf. Faktisch. Obwohl sie brutal mit dem Zapfenstreich abgebrochen werden.

Etwa im zweiten Drittel verlässt der Film allerdings den Weg des musikalischen Wettbewerbes und des gegenseitigen Hochschraubens, rutsch ab in ein genrefremdes Extempore in eine klischeehafte und nur flüchtig skizzierte Entführungs- und Kampfgeschichte.

Der Vater der dicken Amy ist aufgetaucht, ein stinkreicher Mensch. Der Anfang dieser Nebengeschichte ist noch in der Musik verhaftet, wie er ein Lied für seine Tochter singt. Aber er will seine Tochter zurück, nimmt die Mädels als Geiseln auf seiner Megayacht, der Film wandelt sich zum Routinethriller und erleidet somit einen Einbruch des musikalischen Wirbels, reizt nachahmerhaft das Topos: ‚dicke Frau schlägert dünne Mäner zu Boden‘ aus, um zum Ende hin nochmal die musikalische Kurve zu kriegen.

Die deutsche Synchro ist spritzig. Zwischen gezielten textlichen Abrutschern in den Ordinärbereich gibt es auch schöne Blüten: Das Alter beugt den Körper, Aufgeben beugt die Seele.

Eine bretonische Liebe – Otez-moi d’un Doute

Zwei Musikbeispiele aus diesem Film von Carine Tardieu, die mit Michel Leclerc, Raphaèle Moussafir und Baya Kasmi auch das Drehbuch geschrieben hat, belegen Haltung und Methode, Einstellung und Präsentation des ewigen Themas Liebe: die Papageno-Arie aus der Zauberflöte mit ihren ‚Pa‘ – ‚pa‘ – ‚pa’s oder ‚Chiribim-Chiribom‘ von den Barry-Sisters.

Beide könnten ein Hütchenspiel symbolisieren, in dem ganz schnell und leicht die Hütchen gelüftet werden und immer die bange Frage, ob was drunter sei, im französischen Kino selbstverständlich die Frage ob Liebe, ob Wahrheit.

Immer geht es um die Liebe. Meist. Im französischen oder wie hier im belgisch-französischen Kino, um das Spiel mit der Liebe, und die Spielzüge der Liebe, wer für wen gemacht ist nebst Komplikationen, wer der Vater sei, ob er ausfindig gemacht werden könne.

Und schon ist wieder was Junges unterwegs. Diesmal bei Juliette (Alice de Lencquesaing) ist Didier (Estéban), der die schräge Bohéme-traurige-Clowns-Figur linkisch verkörpert, der Vater. Kann er, der ehemalige Sträfgling, den Juliette betreut, die Vaterrrolle überhaupt ausfüllen und akzeptieren?

Aber schon mit Juliettes Vater Erwan (Francois Damiens) gibt’s ein Problem, ist er wirklich der Sohn von Joseph (André Willms) mit seinem Hund Pinochet oder doch der von Bastien (Guy Marchand). Und was ist mit der Ärztin Anna (Cécile de France), die nachts auf regnerischer Landstraße ein Wildschwein anfährt und ihm gleich die Spritze gibt? Ein vermintes Feld.

Erwan ist beruflich beim Minenräumdienst, da kann, wuff, etwas in die Luft gehen. Dazu einige Infos über Kriegsüberreste – erster oder zweiter Weltkrieg, die Deutschen? – finden so in den Film.

Nebst einer Alten, die überzeugt ist, den Hitler als noch lebend erkannt zu haben. So wie in den Musikstücken rasant hochgesungen wird, so erzählt Carine Tardieu zügig vorwärts, geht mitten in die Szenen rein ohne langes Ähm und Hm. Sie geht nah ran an die Figuren, arbeitet souverän konventionell mit der Schnitt-Gegenschnitt-Methode im Sinne einer smarten und wie leicht in die Tasten gehauenen Geschichte mit ungebremstem Sog.

Der Film spielt in und in der Näher der französischen Ortschaft Etel und auch am Meer, über welches schnittige Windsurfer brausen, so wie die Komödie über die Leinwand. Eine schmunzelnde Komödie. Was die Menschen vor der Liebe doch alles wissen wollen und was nachher!

Drei Zinnen

Die Amis würden wohl nach diesen großartig sicht- und nachempfindbar gemachten Fragilitäten in einer Sekundärfamilie, einer Familie, die nicht mehr die Originaleinheit von leiblichem Vater, Mutter und Kind ist, die Geschichte skrupelloser zu einem annehmbar erträglichen Ende bringen.

Das ist mein einziges Unbehagen bei diesem 2. Langfilm von Jan Zabeil (nach Der Fluss war einst ein Mensch). Er hat seither merklich zugelegt. Beim ersten Film hatte bei stefe einiges Magengrummeln.

Das Fernsehen hat Zabeil die Stange gehalten. Das sei mal löblich erwähnt, obwohl er in der Zwischenzeit nicht irgendwelche Serien- oder andere Fernsehkacke gedreht hat, zumindest ist aus IMDb nichts dergeleichen herauszulesen. Stefanie Groß vom SWR ist dem Filmemacher treu geblieben.

Tristan (Arian Montgomery) ist 8 Jahre alt. Er ist der Sohn von George, der in London getrennt von Mutter Lea (Bérénice Bejo) lebt. Mutter hat seit zwei Jahren einen neuen Freund, Aaron (Alexander Fehling). Tristan tut sich schwer, diesen als Vater zu akzeptieren.

Um die Situation zu verbessern, verbringen die Drei einige Tage in den Dolomiten in einer schlichten, aber gut eingerichteten Hütte mit direktem Blick auf die Berge, auf die titelgebenden Drei Zinnen.

Sie füllen die Tage nicht mit programmhaften Aktivitäten. Sie wollen füreinander dasein, besonders Aaron und Tristan. Aber Tristans Resonanz bleibt verhalten; sie zeigt sich in kleinen, gemeinen Sabotageakten. Und auch sein leiblicher Vater George ruft ständig an. Sie haben Handyempfang da oben.

Lea schaut dem eher stumm und tatenlos zu. Einmal versucht sie eine vermittelnde Aktion, indem sie Aaron sagt, Tristan möchte, dass er ihm vorlese. Daraus wird nichts. Sie hat es erfunden. Das ist nicht direkt eine vertrauendbildende Maßnahme.

Das habe ich schön öfter beobachtet, dass Kinder, die in diesem Alter eine einschneidende Veränderung im Elternhaus erleben, schwer und oft ein Lebenlang darunter leiden. Insofern nimmt sich Jan Zabeil ein heikle Situation vor.

Er schildert den Versuch mit großer Gelassenheit, einer fantastischen Auswahl von Schauspielern und einem ebensolchen Kameramann, der Bergaufnahmen von erhabener Prosa liefert, passend zur brüchigen Situation.

So gestaltet sich auch die Schlafsituation auf dem Dachboden schwierig. Tristan möchte neben der Mutter schlafen. Aber Aaron möchte auch faire l’amour mit Lea. Das illustriert Zabeil mit einer Szene, wie Lea und Aaron den schlafenden Tristan samt Matratze und Decke wie einen sperrigen Gegenstand mit behutsamer Vorsicht und geduckt in eine andere Ecke des Dachbodens tragen.

Aaron aber gibt nicht auf. Eines Morgens steht er ganz früh mit Tristan auf, um in die Höhe zu steigen und den Sonnenaufgang zu erleben, in der Hoffnung, das Verhältnis auf eine bessere Basis zu stellen, denn Tristans Vertrauen hat er immer noch nicht gewonnen.

Der Sonnenuntergang bringt gar nichts. Tristan spielt seine kleinen Gemeinheiten gegenüber dem fremden, starken Mann weiter. Er ist sich allerdings der Gefahren in der Einöde bergiger Geröll- und Schneewüste keineswegs bewusst. So löst denn eine kleine gemeine Handlung von ihm wie ein Schneeball eine Lawine an Eskalation von Ereignissen aus, die existentiell werden.

Der Film ist eine eindringliche Illustration zu den Themen Vertrauen, familiäre Intimität und Bindung, Risse im Vertrauen, Verlässlichkeit.

Ab und an entlockt Aaron einem zutraulichen Harmonium einige schnaufende Töne; Alexander Fehling komponiert und spielt selbst.

Jumanji: Willkommen im Dschungel

Vom Vorteil des Nachsitzens.

Martha, Bethany, Spencer und Fridge gehen auf die Brantford High School. Sie werden vorgestellt als smarte junge Leute, die alles mehr interessiert als die Schule. Deshalb müssen sie nachsitzen.

Der Professor verdonnert sie zu Aufräumarbeiten im Keller. Diese Rahmengeschichte erzählt Jake Kasdan nach dem Drehbuch von Chris McKenna (Spiderman Homecoming) + 4 mit Tempo, knackigen Dialogen, kurz und klar und einem schön kontrastierenden Cast inklusive der gängigen SMS und Jokes.

Im Keller entdecken sie altes Gerät, eine quasi prähistorische Konsole, längst museumsreif, von 1996. Das ist spannender als aus alten Papers die Büroklammern zu entfernen, um reines Altpapier zu erhalten.

Die Jungs stecken das Gerät ein. Es fängt wie bei einem Erdbeben mit gleichzeitigem Gewitter rundherum ein Donnern und ein Blitzen an. Auf dem Bildschirm erscheint das Spiel Jumanji, ein Abenteuerspiel, das vorher als ein Brettspiel eingeführt worden ist.

Den Spielern stehen Figuren zur Verfügung, Avatare, für die sie sich entscheiden müssen. So verteilen sie die Rollen. Und schwupp, sind sie verschwunden. Für solchen Zauber ist das Kino doch immer noch gut. Sie fallen in den Urwald von Jumanji, sind jetzt ihre Avatare Ruby Roundhouse (Karen Gillan), Dr. Smolder Bravestone (Dwayne Johnson), Professor Shelly Oberon (Jack Black), Moose Finbar (Kevin Hart).

Die Kids sind um Jahre gealtert. Sie müssen die Insel von einem Fluch befreien, denn ein Bösewicht hat das smaragdgrüne Juwel aus dem Amulett der Jaguar-Statue, die baumhoch aus dem dichten Dschungel wächst, geklaut. Was er damit genau anrichten will, bleibt geheimnisvoll. Und auch, was der Unterschied in der Dschungelwelt mit oder ohne Fluch ist.

Egal, es geht darum, dass diese Figuren, die sich erst nur mit Mühe wieder als die College-Freunde erkennen, ein Ziel haben und dass sie Feinde haben, die sie verfolgen und daran hindern wollen, ihr Ziel zu erreichen, den Fluch zu besiegen.

Der Vorteil von so einem Spiel ist, dass jede Figur, so wie die Spielregeln es vorgeben, gewisse Eigenschaften hat, zum Beispiel Ruby beherrscht als eine Eigenschaft den Kriegstanz, wobei vorerst niemand weiß, was das ist und wie das geht oder Smolder ist ein Meister im Bumerang-Werfen, wobei auch er nicht weiß, woher erstens einen solchen nehmen und wie ihn wann und wozu werfen. Die Situationen und die Spiellevels werden das klären.

Das ist alles höchst unterhaltsam, erinnert momentweise an Jäger des verlorenen Schatzes, zumindest bis die Eigenschaften der Figuren und wie sie nützlich gemacht werden können, klar sind und bis auch der Gegner und seine Waffen eruiert sind, bis die Karte, der es zu folgen gilt, in einem Basar gefunden und bis noch ein weiterer Mitspieler, Alex, der Pilot, aufgetaucht ist.

Dann entsteht allerdings der Eindruck dass es sich etwas zieht. Dann brechen rasantes Tempo und knallig knappe Dialoge plötzlich ein, wenn das Mädel, das hier eine Männerrolle hat, Ruby das Flirten beibringen soll.

Doch dann bäumt sich der Film allerdings nochmal auf in einen rasanten Heliflug inklusive Flucht vor einer Herde furchterregender Nashörner. Aber es wird deutlich spürbar, dass irgendwie noch Hindernisse eingebaut werden müssen, die dem Spiel keine neuen Nuancen mehr abzugewinnen imstande sind.

Drei Leben hat jeder Spieler. Die sind an drei Tattoo-Strichen am Unterarm ablesbar. Das ist ganz praktisch. So kann einer sich in Todesgefahr begeben, von einem Flusspferd verschluckt werden – und sofort fällt er quicklebendig vom Himmel. Ein nützlicher Mechanismus, den ich mir ab und an auch wünschte.

Solange ich atme

Ein Respeunt
ist ein Mensch, der mit einer Maschine künstlich beatmet wird. In den 70ern sah das in Deutschland fortschrittlich so aus, dass in einem Raum, der eine Pathologie sein könnte, aus den Wänden überall lebendige Köpfe herausschauen, die Körper unsichtbar in die Beatmungsmaschine weggesteckt, wie die Leichen in den Schubladen, aber auch die Assoziation des Gefängnisses bietet sich an.

So lange er atmet, ist der Mensch ein Mensch. Wobei die Szene aus Deutschland in diesem Film von Andy Serkis nach dem Drehbuch von William Nicholson nur ein kurzes, krasses Spotlight auf das Thema des Filmes wirft. Die Briten sind kreativer, menschlicher, humorvoller als die Deutschen, sie sind erfinderisch und die Liebe ist ein entscheidender Motor dazu.

Der Film fängt gekonnt an als eine RomCom mit der Liebe auf den ersten Blick 1958 in England. Robin (Andrew Garfield) ist ein junger, gutaussehender Brite, Soldat. Beim Cricketspielen entdeckt er unter den Zuschauern Diana (Claire Foy), reiner ist jugendliche Schönheit nicht darzustellen, dass einem schon fast langweilig zumute werden könnte. Robins nächster Schuss landet auf dem Porzellan auf dem Tisch vor ihr.

Wenige Szenen später ist Heirat. Flugs sind sie in Südafrika. Hier ergeben sich noch romantischere Bilder einer ungetrübten Liebe, so ungetrübt, dass man für den Rest Oednis und Ereignislosigkeit befürchten möchte. Sie wird schwanger.

Die Hulla Hoop Mode kommt auf. Bei diesem lächerlichen Reifenspiel schwankt Robin plötzlich. Wenige markante Szenen später – wie der Drehbuchautor Nicholson das knackig knappe Erzählen, das sich nie an unnötigen Details aufhält, sowieso aus dem Effeff beherrscht (Everest, Unbroken, Mandela: der lange Weg zur Freiheit, Les Misérables) – steht fest, Robin hat über Tröpfcheninfektion die Kinderlähmung, Polio, bekommen, er muss an eine künstliche Beatmungsmaschine angeschlossen werden, seine Lebenserwartung mit Maschine ist noch die von einigen Monaten – so die Meinung der Schulmedizin.

Robin möchte aufgeben. Seine Frau aber nicht. Das ist der Anfang einer einzigartigen Liebes- und Überlebensgeschichte, die sogar ein Stück Medizingeschichte (vorwärtsgetrieben von einem nicht zu bremsenden Abenteurergeist) wird, indem Robin und Diana sich nicht damit zufrieden geben, dass er fortan wie an einen festgeschraubten Motor fixiert sein soll, sondern dass er Ausflüge machen will, nach Britannien zurückkehren, Spanienurlaub.

Dazu bedarf es bestimmter Erfindungen, die Robin in Zusammenarbeit mit seinem britischen Arzt Teddy Hall (Hugh Bonneville) gedacht und realisiert hatte. Das ergibt einen Fundus an quicklebendigen Szenen, die Serkis vor allem in Nahaufnahmen präsentiert, so dass der Zuschauer nicht loslassen kann, wie der Respeunt von der Maschine. Und geprägt vom britisch-stoischen Humor und Witz von Robin mit seinem breiten Lachen.

La Mélodie – Der Klang von Paris

Mit Klassik helfen.

Kindern aus unterprivilegierten Schichten und Stadtvierteln mit Geigenunterricht zu Konzentration verhelfen und sie an die Klassik heranführen, verborgene Talente aufspüren, das sind löbliche Aktivitäten.

Es gibt Realvorbilder für diesen Début-Film von Rachid Hami, der mit Guy Laurent und Valérie Zenatti auch das Drehbuch geschrieben hat. Es handelt sich um „Démos“, ein soziales, musikalisch-orchestrales Schulprogramm, das von der Pariser Philharmonie initiert wurde.

Davon hat Hami sich inspirieren lassen und seine Geschichte geschrieben. Dabei scheint er allerdings mehr die Message und dass das gut gehe, vor Augen gehabt zu haben, denn reale Figuren und deren Konflikte.

Es gibt Hürden auf dem Weg zum Höhepunkt, dem Auftritt in der Philharmonie der Geigenklassen der Schulen aus der Peripherie, aber sie werden eher zitiert, der Vollständigkeit halber angeführt, denn zu spannungserzeugender Dramatik eingesetzt. Wodurch zum deutlich intendierten Rühreffekt, wenn der Aufrtitt gelingt, das Gefälle fehlt.

Das sollte die Figur des pummeligen Arnold bewältigen. Er ist vorerst außen vor, wenn die Schüler sich für Sport oder Geigenunterricht entscheiden müssen. Da der Andrang zur Geige groß ist, landet er beim Sport. Das behagt ihm nicht. Er guckt gebannt durch das Fenster auf den Unterricht.

Diesen gibt der Berufsgeiger Simon Daud, das ist Kad Merad in einer bemerkenswert ruhigen Glatzenrolle, der bedachte Musiker, der sich dafür blöd anmachen lassen muss von den anfangs höchst undisziplinierten Schülern, wozu denn die sexy Glatze gut sei.

Arnold (Renély Alfred) kommt nicht von den Geigen los. Schleicht sich in den leeren Probenraum. Und wie zu erwarten, entdeckt der Lehrer die Passion und fördert sie.

Zur Erhöhung des Rühreffektes, weiß Arnold nicht mal wer sein Vater ist, wo der sich befindet und wie der aussieht. Einen Konflikt gibt es zwischen Arnold und dem sich zur Seite gedrängt fühlenden Samir (Zakaria-Tayeb Lazab), der immer nur die sexuell-erotische Dimension von Begriffen im Kopf hat. Aber auch die beiden werden sich anfreunden und zusammen ein Konzert des Klassik-Quartetts ihres Lehrers Simon besuchen.

Eine weitere Hürde stellt sich für Simon mit dem Angebot für eine Konzerttournee. Dafür müsste er die Schulklasse im Stich lassen. Schließlich führt ein Kurzschluss zum Brand im Probenraum. Aber auch das meistern die inzwischen enthusiasmierten Eltern gemeinsam.

Der Film erweckt die Illusion, Integration sei einfach und malt sich damit die Welt schön. Vielleicht hat sich Hami auch nur viel zu behutsam seinem Thema genähert, um ja nichts kaputt und ja nichts falsch zu machen; was in der Kunst immer ein Bremsmoment ist. Dadurch kommt die Integrationsmessage viel zu fett rüber. Immerhin wissen die Kids bereits, dass Kolophonium eine Kolonie mit vielen Telefonen sei, wenn das mal keine Ausgangslage für unverbildeten und unvoreingenommenen Geigenunterricht ist.

Dieses bescheuerte Herz

Elyas M’Barek als Lenny und Philip Schwarz als 15-jähriger David sind das Pfund, mit dem dieser Film wuchern kann. Sie bringen den „Mann-schaust-Du-Scheiße-aus-Humor“ des Drehbuches von Maggie Peren und Andi Rogenhagen unbehindert von Marc Rothemunds Regie rüber.

Dem Drehbuch kann man ferner zugute halten, dass es eine gewisse Grundstabilität dadurch hat, dass es „nach einer wahren Geschichte“ ist. Diese hat Lars Amend mit Daniel Meyer selbst erlebt, aufgeschrieben und als Buch veröffentlicht.

Die Geschichte vom verwöhnten Arztsohn, der seinen sauteuren Sportwagen im Pool der Villa seiner Vaters versenkt, nachdem er betrunken aus dem P1 durch das Wohlstandsquartier von München gebrettert ist.

Der Film strotzt nur so von krasser Produktwerbung, dass man ihn umöglich am Fernsehen zeigen darf.

Lenny ist der verwöhnte Sohn, der nichts taugt. Sein Vater (Uwe Preuss, der sicher ein hervorragender Synchronsprecher ist) ist ein erfolgreicher Chefarzt mit 18-Stunden-Tag. Aber Sohnemann bringt nichts zu Ende, macht lieber Party, so dass das deutsche Kino auch diesen Bereich, den es so liebt, weil da am wenigstens auffällt, ob einer was kann oder nicht, abgedeckt bekommt.

Vater hat einen herzkranken Patienten. Das ist David, 15, bald 16, der mit einer molligen Mutter (Nadine Wrietz) in einem Hochhaus zusammenlebt – warum die so mollig sein muss, wissen nur der Herrgott und einige menschliche Klischeefabrikanten. Der Bub hat nicht mehr lange zu leben nach Ansicht der Schulmedizin.

Der Chefarzt verdonnert Sohnemann, sich um diesen Patienten zu kümmern, sonst wird der Geldhahn zugedreht. Hier haperts in der Erzählung allerdings schon gewaltig, denn es läuft sowas von auf Absehbares hinaus, wie es denn auch kommt.

Das Problem scheint mir, dass das Drehbuchautorenpaar es sich zu einfach gemacht hat. Küchentischdrehbuchschreiberei nenne ich das. Man nimmt sich den Roman vor, legt ihn auf den Küchentisch, geht ihn Seite um Seite durch und untersucht diese auf Drehbuchverwertbarkeit, striegelt die Dialoge in der erwähnten „Mann-schaust-du-Scheiße-aus-Humor“-Manier – und fertig ist das Skript.

Dabei wird vollkommen vergessen, den Charakter vor allem der Hauptfigur Lenny zu untersuchen. Der ist nicht aus Jux und Laune so, der ist nicht so geworden, nur um Drehbuchfutter zu werden. Der hat enorme Konflikte mit dem Vater, mit dem Erfolg des Vaters, mit dem vielen Geld, mit der Erwartungshaltung des Vaters und den eigenen, unausgelebten oder nicht geförderten Talenten. Das macht sein Erscheinungsbild, seinen Habitus aus. Sollte ihn ausmachen.

Dazu reicht es allerdings nicht aus, M’Barek im Film mit dem inzwischen aus der Werbung bereits verbrauchten breiten Lachen am Steuer oder in der Disco zu zeigen. Das erzählt gerade gar nichts über die Konfliktdisposition von ihm, über sein Grundproblem.

Diese Angst vor Konflikten (oder die Unfähigkeit, diese zu analysieren und spannungserzeugend in ein Drehbuch einzubauen) und diese Sehnsucht nach Gefühl führen dazu, dass ein Film rauskommt wie in der Käseglocke der 50er Jahre: viel Gefühl und null Konflikt, stattdessen „Mann-wie-schaust-Du-Scheiße-aus“-Humor. Das ist Kitsch. Drücken auf die Gefühlstube.

Das begrenzt den Wirkraum des Filmes auf Deutschland. Das beraubt das Thema jener Größe, die es als Weltkinostoff hergibt. Aber offenbar leben alle gut damit, allein M’Barek ist sicher für mehrere Hunderttausend Besucher gut; viel zum Kichern gibt es auch, vor allem für Frauen. Warum mehr wollen, wenn man mit so einem kleinen Humor-Prinzip auch über die Runden kommt?

Für Elyas M‘ Barek tut es mir allerdings leid. Der sollte dringend gute Drehbücher bekommen mit anspruchsvollen Rollen, mit Rollen mit ernsten Konflikten und mit Regisseuren, die das auch sehen und verlangen. Nur so kann er sein Talent und seine Bekanntheit weiter ausbauen.

Aber wahrscheinlich geht es ihm wie den meisten Subventionsstars des Deutschen Kinos, sein Talent wird sich schnell verspielen. Als Name ist er gut im Geschäft und kann für den Rest des Lebens davon zehren; schlimmstenfalls muss er später auf Theatertournee gehen. Da ist es völlig wurscht, was er spielt.

Hier agiert er in einem Sterbehospiz-Feelgood-Movie. Dabei wendet er just jene Plakat- und U-Bahn-populäre Lache an, die man aus seiner Werbung für eine Limo kennt. Auch die Limo kommt vor im Film. Allerdings ist hier der Name verdeckt. Geschickte Werbestrategie, die das Gehrin des Zuschauers aktivieren soll und noch konform mit den Regeln für Produktwerbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht.

Dadurch, dass auf Konfliktanalyse und deren Ernstnehmen verzichtet wird, die Filmemacher mithin wenig zu erzählen haben, ziehen sich die anderthalb Stunden doch arg, so ergeben sich Tempo- und Rhythmusprobleme, auch die To-do-Liste des Jungen, was er vor seinem Tod noch alles erleben möchte, ist in diesem dramaturgisch schwachen Zusammenhang wenig hilfreich.

Der übrige Cast scheint wieder typisch nach dem One-Click-Prinzip zusammengestellt. Die Filmemacher sollten sich, falls sie noch den Ehrgeiz haben, zu lernen, unbedingt Paddington 2 anschauen. Auch eine recht konventionelle Geschichte, aber sowas von brillant erzählt, dass man alles um sich herum vergisst.

Mangels klarer Rollenanalyse greift M’Barek auf Rikki-Müller aus den Fack-Ju-Göhte-Reihe zurück, speziell mit den unkorrekten Vorschlägen für seinen Schützling, das ist Rollenüberschneidung.

Fette Produktwerbungen: die Limo (ohne Namen), Fleurop, Audi, Charles-Hotel, P1,