Kommentar zu den Reviews vom 23. November 2017

Harte Einschläge. In das Londoner Leben des ehrlichsten Bärs der Welt. In die Erhabenheit des männlichen Tennissports. In das geruhsame Leben eines türkischen Geschäftsmannes in Hamburg. In das Leben eines trockenen Alkoholikers in Paris. In das Leben vieler, die sexuell nicht mainstreamig sind. In das Leben einer jungen, hoffnungsvollen Band in Detroit. In das Leben eines 17jährigen in Frankreich. Aber zum Film braucht es eine Theorie, das wird gleich in zwei deutschen Filmen klar und aus Amerika gibt es viel Geplapper über die Liebe. Im TV gab es routineächzende Lebenslinien zu einer wunderbaren Schauspielerin.

Kino
PADDINGTON 2
Er sieht nur das Gute im Menschen, ist zu allen freundlich, aber der kleine Bär kommt in den großen Knast.

BATTLE OF THE SEXES
Ein Tennischauvinist bekommt es mit einer mutigen Frau zu tun.

AUS DEM NICHTS
Übersichtlicher Begleitfilm zum NSU-Mammutprozess.

OPERATION DUVAL – DAS GEHEIMPROTOKOLL
Gefährdeter Mann wird von Geheimdienstinteressen requiriert.

ÜBERLEBEN IN NEUKÖLLN
In Neukölln ist möglich, was in Korbach nicht geht.

DETROIT
Exzesse weißer Polizisten gegen Schwarze in Detroit.

DIE LEBENDEN REPARIEREN – REPARER LES VIVANTS
Was, wenn wir mehr über das Spenderherz erfahren?

MANIFESTO
Filmtheoreme in alle Lebenslagen hineinposaunt.

DER LANGE SOMMER DER THEORIE
Männer in Stehlampen zu verwandeln, scheint das weibliche Emanzipations- und Theorieproblem nicht zu lösen.

LIEBE ZU BESUCH
Plappern statt Liebe.

TV
LEBENSLINIEN: ILSE NEUBAUER – VON WEGEN ILSE + HASI
Hier sieht man, was das Fernsehen selbst in einem Poträt mit einer großartigen Schauspielerin anstellt. Es hat keinen Respekt und muss sie arrondieren.

Der lange Sommer der Theorie

Geistige Auseinandersetzung auf die Leinwand!

Einer aus einer ganzen Reiher jüngerer, unabhängig produzierter Filme, vornehmlich aus Berlin, die Ausdruck sind einer neuen Generation von Filmemachern, die sich das Denken und Fragen bewahren will, die nicht nach der nächsten Subvention und dem sie befördernden Zugstar und fördergerechten Themen schielen, sondern die eine Position in dieser Welt suchen, eine Position als Mensch, als Künstler, als denkender Filmkünstler, falls das denn kein Widerspruch ist.

Das sind Leute, die wie hier Irene von Alberti, ihre Auseinandersetzung mit der Theorie und der vor ihnen stehenden Lebenspraxis anregend auf die Leinwand tragen.

Fürs Auge gibt’s attraktive Protagonistinnen: Nola (Julia Zange), sie will eine Dokumentation über Lebens- und Kunstfragen herstellen, fast schon seminargemäß, wenn man das Literaturverzeichnis im Abspann konsultiert. Sie lebt in einer Künstlerinnen-WG in einem zur Sanierung bestimmten Altbau mit Katja (Katja Weilandt) und Martina (Martina Schöne-Radunski).

Fürs Auge auch hübsche Männer. Die werden aber auf der Stelle in Stehlampen verwandelt, wie der DHL-Bote. Es wird sich zeigen, ob ein Leben mit Männern als Stehlampen und mit Theorie als Kompensation einen Film lang durchzuhalten ist.

Die Frauen erweitern durch den geistigen Weg im Film, durch die Recherche und die Interviews mit Autoren, Literaten ihr Weltbild, befestigen es.

Fürs Auge auch die Stadtlandschaft im Widerspruch zwischen Futurismus, Gentrifizierungshochhäusern und zum Abbruch oder zur Modernisierung bestimmten Altbauten und Brachen.

Es formulieren sich in diesem Film Positionen, die an die 68er anknüpfen, die eine Utopie suchen oder wie der Autor des titelgebenden Buches meint, an den Marxismus oder die Geschichtsphilosophie anknüpfen, die aber nicht in die RAF-Falle tappen wollen.

Es geht um breite gesellschaftspolitische Themen und wie die Einzelne dazusteht, zu welchen auch immer wieder Buchautoren befragt werden oder auch der Dramaturg der Volksbühne: Frau, Mutterschaft und Beruf, selbstredend das Filmemachen, Routineberuf im Büro, Theorie und Praxis mit der berühmten Frage „was tun?“, das Recht auf Faulheit, Freiheit, Dominanz der Frauen im Niedriglohnsektor, das selbstoptimierte Individuum, Frauenfeindlichkeit im Kino (Bechdel-Test), Glück als Lebensziel, Staatsfeminismus, Freiheit des Denkens, das Kino und der Held, das Kino und der Wunsch nach Veränderung, Kunst und Kommerz, Freiheit und die ökonomischen Zwänge, Life-Balance, das Glück der Waschmaschine, Bindungslosigkeit, Netzkultur und verringerte Hemmschwelle zum Schreiben, Identität, Heimat und Anpassung an die Zukunft.

Eine kleine Story im Film ist die Filmerei selbst, die in einem Ah-Erlebnis mit Drohnenflug kulminiert – die Drohne erhebt sich weg von der WG über die Stadt, vom Privaten zum Allgemeinen.

Die schönsten Zitate zum Berlin im rasanten Wandel finden sich um die 100 Jahre zurück, in den 20ern bei Robert Walser und Robert Musil.

Im Unterschied zu den 68ern, die Theoretiker von Rang hervorgebracht haben, gibt es heute, das fällt auf, offenbar keine Autoren, die über ihre Fachbereiche heraus eine gesellschaftliche Diskussion auslösen wie anno 68 Adorno oder Habermas; es scheint in unserer Zeit an solchen Autoritäten zu fehlen; damals aber sollen solche die Jugend innerhalb der Theorie gelähmt haben. So steht denn in der WG hinterm Sofa dick auf der Wand „KOMA“, der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis?

Interssant ist bei dieser Recherche von Irene von Alberti allerdings auch die gänzliche Abwesenheit der Nouvelle Vague, ihrer Praktiker und Theoretiker von Godard bis zu Bazin und den Cahiers du Cinéma. Geschichte kann auch vergessen oder übersehen werden. Denn das französische Kino war für das deutsche Kino der 68er ein Spiritus Rector der Sonderklasse.

Überleben in Neukölln

In Korbach ist kein Leben für sie, shoobie Dubai.

Darum landen sie in Neukölln an und bleiben hier, denn Neukölln ist nicht Korbach (wo man aus dem Fenster springt, wenn man nicht mehr kann) und Neukölln ist, zu Teilen mindestens, tolerant, nicht mehr so ganz, es gab die Rütli-Schule-Schlagzeilen und heute wird ein Schwuler auch schon mal blöd angemacht über die Straße.

Aber in Korbach ist kein Leben für einen Mann, der sich als Frau kleidet, der als Frau auftritt und mit einem Mann zusammenlebt, der Songs schreibt und eigenständig lustig-gefülvolle Bilder malt. Er, das ist Juwelia.

Mit Juwelia fängt Rosa von Praunheim (Co-Regie: Markus Tiarks) seinen Film über Grenzgänger, Paradiesvögel, Überlebenskünstler, Künstler, Flüchtlinge, Transen, Schwule, Lesben, Zuwanderer in Neukölln an, die sich dort wohl fühlen, die sich dort das Überleben (noch) leisten können. Menschen, die keine Karrieristen sind, die aber auch nicht wie die Eltern in Korbach auf dem Finanzamt oder in einem Buchhaltungsbüro arbeiten wollen.

Es sind Menschen, die zu ihren Gefühlen stehen und diese leben, die sich nicht wegen ihrer vielleicht von der Norm abweichenden Interessen, erniedrigen lassen wollen. Es sind keine Professoren, Börsengurus, Anwälte, Kapitalisten, Bundestagsmitglieder, Lobbyisten, Autohändler, Börsenspekulanten, Hausmeister oder Winkeladvokaten, die von Praunheim sich vorgenommen hat.

Es ist jene Art von Menschen, die Neukölln, das früher Rixdorf hieß – deshalb gibt es das Trio der Mütter, die sich Rixdorfer Perlen nennen – so lebenswert macht, auch wenn die Gentrifizierung an der Zerstörung dieses Rufes arbeitet.

Es sind Menschen, die ihren kleinen Überlebenskampf kämpfen als Künstler, Entertainer, als Aktivist mit dem Fahrrad oder als Rentner oder Rentnerin, die es einfach genießt. Es sind die Menschen, die Neukölln bunt und leider auch attraktiv machen und somit zum Ziel für Immobilienhaie und die „feinen“ Leute.

Durch die Auswahl der Leute ist für Musik-, Gesangs- und Tanzeinlagen gesorgt, für Transenauftritte. Aber auch ein Kameramann ist unter den Porträtierten, der immer wieder in Krisengebiete geht, Flüchtlinge aus Syrien, die als Sänger oder als Chorleiter aktiv sind, ein junger Galerist, der mit Bauklötzchenbildern seine große Liebe dokumentiert und diese Klötzchen zu Kunstobjekten macht, eine Künstlerin, die alle abstrakten Bilder in Schwarz-Weiß hält, einer, der als Sozialarbeiter wie auch als Performance-Künstler arbeitet.

Und man fragt sich, wieso all diese Menschen an vielen anderen Orten der Welt anecken und bösartige Reaktionen hervorrufen, wo sie doch unaggressiv sind, warum ein glückliches Leben für sie in Korbach (das Fachwerkstädtchen als Synonym für Engstirnigkeit genommen) nicht möglich sein soll.

Paddington 2

Ein Zusatzleben.

Das ist Paddingtons, des Bärs im grünen Duffelcoat und mit dem roten Hütchen, Devise: Er sieht die Welt positiv, ist zu allen freundlich, tut keinem etwas zuleide, ist überall beliebt. Er hat Grund dafür insofern, als er eigentlich schon dem Tod durch Hinabstürzen in einen riesigen Wasserfall in südlichen Gefilden bestimmt war.

Auf einem Stück Holz kann er sich vorm Ertrinken retten, aber die Wassermassen wälzen sich schnell dem Absturz zu. Wenn nicht … wenn nicht Bärin Lucie und ihr Mann auf einer waghalsigen Hängebrücke über dem Fluss picknicken würden und den kleinen Bären im Strom entdeckten.

Das ist Action genug, allein wie er gerettet wird. Lucie, die von London träumt, schickt Paddington dorthin zur Familie Brown (Vater: Hugh Bonneville, Mutter: Sally Hawkins). Hier lebt er und ist beliebt und nützlich. Ein integriertes Mitglied der Gesellschaft in der kleinen Straße.

Im Antiquariat von Mr. Gruber (Jim Broadbent) entdeckt er ein Aufklapp-Bilderbuch von London, ein uraltes. Dieses möchte er Tante Lucie schicken, da sie von London träumt. Es sei aber sehr teuer, sagt der Antiquar. Deshalb will Paddington Geld verdienen. Wie er sich dabei anstellt bei den verschiedensten Jobs und ungefähr falsch macht, was er falsch machen kann, das ist schon ein eigenes Unterhaltungskino in bewährter und frischer Manier in der Regie von Paul King nach dem Drehbuch von Simon Farnaby, Paul King, Jon Croker nach der Schöpfung von Michael Bond.

Allein die Nummer wie er einem, mit dem er es noch zu tun bekommen wird, die Haare unfreiwillig schneidet. Auf das Buch ist allerdings noch jemand scharf und der klaut es auch und Paddington wird Zeuge davon, wird aber stattdessen verdächtigt und kommt in den Knast für „Grand Theft“.

So verfährt die Gerechtigkeit der Welt mit einem Menschen, der nur das Gute im Menschen sehen will. Im Genom dieser wunderbaren Art britischen Erzählens sind Dickens genauso vorhanden wie Shakespeare und die entsprechende Schauspielerei.

Hugh Grant glänzt als Phoenix Buchanan, ein Schauspieler der berühmt ist, berühmt dafür, dass er in einer Werbung die Synchronstimme einer Nebenfigur ist; der aber auch den Rollen- und Kostümwechsel liebt. Und er hat andere Talente im wandernden Jahrmarkt, der mit dem Klappbilderbuch etwas zu tun hat.

Es gibt eine längere Knastsequenz, die voller verwunderlicher Wendungen ist. Hier freundet sich Paddington mit Knuckles an (Brendan Glesson), dem Koch, hier wird sein Talent, Confitüre herzustellen eine Rolle spielen.

Es sind lauter bekannte Erzählsituationen, hinzu kommt, um gegen das Ende hin noch kräftig eins draufzusetzen, eine halsbrecherische Bahnfahrt-Action-Verfolgungsjagd.

Aber wie Paul King die verschiedenen Arten einzelnen taktet und kombiniert, das dürfte eine selten geglückte Erzählmischung sein, die vor verrückten Wendungen und Einfällen so wenig zurückschreckt wie vor längst bekannten und vertrauten, die aber so gut und auch leicht gemacht sind, dass man sie genießt wie beim ersten Mal und dabei völlig vergisst, dass man den Film ja kritisieren wollte.

Operation Duval – Das Geheimprotokoll

In etwas hieningeraten.

Duval (Francois Cluzet) ist der einfache Versicherungsbeamte, der als Folge von Jobverlust wegen Alkoholproblemen und Arbeitslosgikeit in eine kafkaeske Noir-Welt hineingerät, in der jeder Fehltritt ein Absturz vom hohen Seil bedeutet.

Thomas Kruithof, der mit Yann Gozlan +2 auch das Drehbuch geschrieben hat, schildert diese Welt in kühlen, sterilen Kinobildern, die gerne die Architektur der Macht spiegeln oder fast leere Wohnungen sind, mit zweckmäßigen Minimalmöblierungen.

Er fängt die Geschichte kurz vor dem Jobverlust von Duval an. Dieser ist überfordert, soll für seinen Chef über Nacht noch eine Akte zusammenstellen. Die Putzkolonne entdeckt am frühen Morgen einen Duval, der fix und fertig ist, und das ganze Großraumbüro ist übersät mit Akten wie nach einem Orkan.

Zwei Jahre später ist Duval dank der Anonymen Alkoholiker trocken, aber einen Job findet er nicht. Eine gefährdete Existenz ohne Ziel und Zweck, anfällig für Angebote der nicht alltäglichen Art.

Er kann nicht ablehnen. Er soll für einen Herrn Clément (Denis Podalydès), der um außerordentliche Geheimhaltung in allen Bereichen bemüht ist, Tonbänder auf Schreibmaschine abtippen. Die Auflagen sind so streng, wie die an eine Maschine: absolute Zuverlässigkeit, entsprechende Verschwiegenheit, exakte Pünktlichkeit, genaue Anleitungen über den Zeitpunkt seines Arbeitsbeginnes und den Zeitpunkt des Verlassens der fast ausgeräumten Wohnung in einem Wohnhochhaus, Rauchverbot, Vorhänge auf und zu, penible Anleitung, wie mit den von ihm angefertigten Transskripten zu verfahren ist; sein Geld, 1500 Euro pro Woche, findet er jeweils in einem Couvert vor.

Parallel lernt Duval bei den Anonymen Alkoholikern Sara (Alba Rohrwacher) kennen, sie zieht es vor, weiterzutrinken. Ein Risiko für Duval.

Unvorhergesehenes passiert auch bei der Arbeit, ein Mitarbeiter von Clément taucht auf, Gerfaut (Simon Abkarian).

Der Inhalt der Abhörbänder bezieht sich auf eine Geiselentführung, auf Journalisten und Politiker. Duval wird in den Zeitungen mit den Themen konfrontiert, was ihm kein gutes Gefühl beschert und mit Gerfaut kommt in das ruhige, regelmäßige Arbeitsleben mit Kugelkopfmaschine eine ungeahnte Dynamik, die Duval in schier unlösbare Loyalitätskonflikte stürzt.

Duval ist in etwas hineingeraten, dem er nicht gewachsen ist. Ein Mensch wie ein Insekt in einem undurchschaubaren Spinnennetz, egal wie er zappelt, es wird nur noch schlimmer.

Es ist ein Film noch aus dem Frankreich von Francois Hollande. An der filmreifen Mechanik des Dunklen (so der Originaltitel: la mécanique de l’ombre) dürfte sich nicht allzuviel geändert haben.

Die Musik unterstützt das Dauergefühl von Gefahr, Absturzgefahr, Gefahr des Entdecktwerdens, Gefahr des Zermalmtwerdens zwischen verschiedenen Interessen mit beharrlich-besonnener Intensität und deutlich diskreter als die Zirkusband den Seiltänzer oder die Trapezkünstler unterstützt.

Es geht auch um die Berufsethik des Büromenschen: die Zuverlässigkeit, das exakte Befolgen von Vorschriften, Verschwiegenheit, Verlässlichkeit, Genauigkeit: die hervorragenden Eigenschaften im Anforderungsprofil so vieler Stellen. Ein Kafka-Noir-Thriller, blank wie aus Edelstahl.

Manifesto

Da muss ich mich erst schütteln wie der begossene Pudel von dem Wust an Theoremen, Philosophemen, On-Dits, Zitaten, Dogmen zum Thema Kunst, der von der Leinwand auf mich heruntergeprasselt ist.

Kein Film zum Mitschreiben, eher ein Film, der tunlichst ein Begleitheft zur Kinokarte mitgeben sollte mit all den Autoren, Künstlern, Denkern, Revolutionären, Theoretikern, Filmemachern, Cinéasten, die zitiert werden.

Welcher Künstler schafft sich nicht seine eigene Theorie, egal wie grau oder wie trocken (so wird die Dame unterm Regenschirm im Sprühregen angesprochen) sie ist. Es scheint, die Kunst im Allgemeinen wie im Konkreten leidet vor allem darunter, dass sie nichts Nützliches, nichts Brauchbares, nichts Gscheits herstellt, dass keiner so richtig weiß, was große und wichtige Kunst ist und was nur Fake, dass es ihr oft an Legitimation fehlt, an Anerkennung, weil sie immer auch subjektiv ist (Thema des Auges und der persönlichen Perzeption) oder gibt es eine verbindliche Kunst, eine festlegbare? So gehört zur Kunst das Theoretisieren und das Theoremproduzieren, das Manifest als zwingende Kompensation ihrer Inhaltslosigkeit/Identitätslosigkeit.

Die Künstler brauchen keine Namen, so unterrichtet die Lehrerin die Schüler, die ein Drehbuch schreiben sollen – das wäre ein eigenes trübes Gewässer, die Drehbuchanleitungsliteratur, die hier allerdings nicht im Vordergrund steht.

Im Vordergrund steht mit einer brillanten schauspielerischen Leistung in diesem von vielen üblichen verdächtigen deutschen Gremien geförderten Produkt von Julian Rosefeldt die Schauspielerin Cate Blanchett in vielen Facetten von Frauen oder als Penner, die den Theoriemix bebildern und auf verschiedene Trends der Kunst umlegen, auf Dadaismus, Futurismus Konzeptkunst und weiter siehe im nicht vorhandenen Begleitheft oder im Abspann, der auch zu schnell vorbeizieht, als dass man alle hier bemühten Strömungen zitieren könnte.

Jedenfalls hält Blanchett als treusorgliche Mutter am großbürgerlichen Mittagstisch vor ihren drei in sich zusammengesackten Söhnen und dem stummen Gatten Gebete als Thesen zur Kunst, eine Grabrede wird zum Kunstmanifest verfremdet, eine Nachrichtensprecherin liest statt News Thesen zur Kunst, eine Ballettchoreographin bellt mit grauenhaft russischem Akzent ihre Kunstlitaneien hinaus, die Lehrerin in der erwähnten Schreibanleitung, der Penner zeigt am Schluss den verbalen Stinkefinger hoch über Berlin.

Erkennbar wird, dass die Kunst immer glaubt zu wissen, was wahr und was falsch sei, was legitimiert und was nicht, sie glaubt auch zu wissen, dass es keine Originale gebe, sondern nur Authentizität und Godard wird zitiert, die Frage sei nicht, woher die Kunst zitiere, sondern wohin sie ziele damit.

Sicher sucht die Kunst die Freiheit, die Unangepasstheit. Und sicher könnte man auch sagen, es sind alles Gemeinplätze über die Kunst, wenn sie in so einem Verhau präsentiert werden.

Immerhin ist daraus solchermaßen eine Art unterhaltsamen, unlexikalischen Lexikons zum Thema Kunst und Kunsttheorie geworden. Ein kleines illustriertes Kompendium, ein Zusammentrag kunsttheoretischer Bemerkungen. Kino als ein Theoriespiel.

Ergänzt und illustriert wird dieses Spiel durch ein roboterhaftes Ballett. Gerade beim Ballett taucht die Frage der Perfektion und trotzdem Lebendigkeit von Kunst gerne auf. Die Kunst leidet unter der Differenz, dass sie nicht Natur ist, dass sie nicht natürliches Leben ist, aber so sein möchte, solches darstellen möchte, erfinden möchte.

Wenn Rosefeldt so ein Motto als Leitfaden für seine Untersuchung von Kunsttheorien und –manifesten genommen hätte, hätte womöglich eine spannende Pathologie der Kunsttheorie daraus werden können, gar eine Leidensgeschichte der Kunsttheorie.

Das Fazit des Filmes: Construction of a City – oder dekoriert sie sie nur?

Liebe zu Besuch

Das blubbert pausenlos in leichtem Konversationston in diesem Film von Hallie Meyers-Shyer über die Liebe und die Träume und die Kinoträume, parliert von makellos geschminkten und gedressten und sich so bewegenden jungen und jüngeren und älteren Darstellern, die sich alle dem Hollywood-Diktat willig beugen.

Drei Träume oder Stränge, die sich vermengen und vermischen. Alice (Reese Witherspoon) hat sich von ihrem Mann, dem Filmregisseur Austen (Michael Sheen) getrennt, ist von New York nach L.A. in die Villa ihres Vaters, der ein berühmter Filmregisseur und Oscar-Preisträger war, zurückgekehrt mit ihren zwei filmhübschen und filmdressierten Mädchen, die in eine neue Schule gehen müssen.

Sie stößt mit den Träumen von drei makellosen Nachwuchsdarstellern zusammen, die Filmträumer spielen, Harry (Pico Alexander), George (Jon Rudnitsky) und Teddy (Nat Wolff) und weil sie abgebrannt sind, dürfen sie in ihrem Gartenhaus unterkommen.

Die Bekanntschaft beginnt in einer Bar. Liebesträume lässt die Autorin zwischen Harry und Alice aufkeimen. Ihr kleine Tochter soll, das ist der dritte Traumstrang, in der Schule bei einem Theaterwettbewerb mitmachen. Und auch da ist klar, wie dieser Traum in einer schönen Vorstellung, die gerade in letzter Minute nicht platzt, seine Realisierung findet.

Es gibt noch einen Seitenstrang, wie Alice in einem anderen Haus „die Bitch“ spielt, um sich ein Geld zu verdienen, was sie in einer ungehörigen Begegnung in einem Restaurant lauthals hinausplärrt.

In die Traum- und Liebesspinnereien platzt unangemeldet Ehemann Austen hinein, der seine Familie vermisst hat. Das setzt ein Veilchen auf seinem Gesicht und am Ende sind sie alle vereint an einem Tisch im Garten und sind alle happy, dass sie diesen Film zu einem Ende gebracht haben, der nicht in einer Minute sich an irgend etwas Unerwartetes, Unartiges, Hollywoodsprengendes herantraut. Die andere Seite der Weinstein-Medaille?

Die Lebenden Reparieren – Réparer les Vivants

Ausschlachten eines romantischen Jünglings.

Simon (Gabin Verdet) ist ein bildhübscher 17-jähriger Jüngling, romantisch und verliebt in seine gewiss erste Freundin Juliette (Gallatea Bellugi). Fehlt nur, dass er Romeo heißt, ein blonder Romeo. Er darf schon bei ihr übernachten.

Hier fängt der Film an in einem Ruhemoment. Keine Sexaction. Die beiden liegen nur nebeneinander. Die Kamera geht nah ran an die entspannten, glücklichen Gesichter. Träumerisch. Und träumerisch verfolgt die Kamera Simon, wie er durch das Fenster das Zimmer verlässt, wie er sich nach Klettereien und Sprüngen unten auf der Straße das Fahrrad schnappt, die Kamera bleibt oben, weitet die Sicht auf eine Mittelstadt.

Dann ist die Kamera wieder bei ihm, wie er, wie Jungs es so tun, Fahrrad fährt, steile Straßen runter, rasant. Bald gesellt sich auf dem Skateboard ein Freund zu ihm. Der dritte Freund nimmt die beiden mit dem Auto mit. Ein große Bewegung führt in dieses Movie hinein. Sie fahren in die Nähe des Meeres, laufen über Dünen, haben ihre Surfbretter dabei.

Fast will es scheinen, als ob Katell Quillévéré, die auch das Drehbuch nach dem Roman von Maylis de Kerangal verfasst hat, sich jetzt auf einen Surffilm einlassen will mit einer Kamera, die Meer und Wellen und Wellenreiter verschlingt, und sich gar nicht mehr an den Strand zurückbegeben will.

Der Titel des Filmes kündigt aber ganz anderes an: die Lebenden reparieren ist eine Umschreibung für Organtransplantation. Wie findet Quillévéré jetzt nach diesem romantischen Anfang mit jungen Männern voller Gefühle und Einheit mit der Natur im Meer die Kurve zum Themenfilm? – Ok, ein Autounfall, kurz angedeutet. Vorbereitet mit einer Subjektiven der Kamera des Fahrers: wie in einer Fata Morgana fängt die Straße an zu verschwimmen.

Im Film kann jederzeit ein Schnitt oder kurzes Schwarzbild ein neues Kapitel ansagen. Die Literatur macht das nicht anders. Quillévéré kann ins Krankenhaus schneiden. Informationen über Hirntod von Simon den Eltern geben. Sie müssen viel weinen, die Eltern und werden vor eine schwierige Frage gestellt, ob sie die Organe von Simon freigeben wollen. Denn jemand muss die Einwilligung geben dafür.

Neues Kapitel. Anderer Schauplatz. Claire (Anne Dorval) besucht ihre beiden Söhne. Vom einen weiß sie nicht, ob er schwul ist. Sie leidet an einer degenerativen Herzinsuffizienz. Sie braucht ein Spenderherz.

Vergessen wird man so einen Mix aus Herzlichfilm und Herzkrankheitsfilm sicher nicht so schnell. Jetzt wird detailreich von der Herz-OP erzählt, aber wiederum nicht so, dass ein Lehrfilm daraus werden könnte. Es scheint der Filmemacherin um den Leinwandeffekt zu gehen, der stärker sein soll, wie sie vielleicht hofft, wenn der Zuschauer weiß, von wem das Herz stammt und wer der Empfänger oder die Empfängerin ist, um den Kamerablick direkt in das hinein- oder herauszuoperierende Herz hinein. Nicht jedermann erträgt das gut.

Auf jeden Fall ratsam: sich anzuschnallen beim Autofahren!

Von der Attitüde ihres Interesses her, einerseits Glück, Liebe, Leiden von Menschen zu zeichnen, andererseits von ihrem Interessse am Organischen im Hinblick auf Organtransplantation sehe ich die Filmemacherin in der Nähe jener mittelalterlichen Doctores, die bei der Autopsie nach dem Sitz der Seele gesucht haben.

Detroit

Auf vergangenes, kaum gesühntes, schreiendes Unrecht sensationsberichterstatterisch aufmerksam machen.

Dieses Kino von Kathryn Bigelow nach dem Drehbuch von Mark Boal will das Gerechtigkeitsgefühl des Menschen im Kern treffen und aufrühren, indem es die miese, mickrige, weiße Polizistenfigur Phil Krauss – Will Poulter ist so gut besetzt oder spielt das so gut, dass einem direkt Mordgedanken hochkommen könnten – zwei Stunden lang vollkommen unschuldige und musikalisch hochtalentierte schwarze Jungs quälen lässt. Auch mit Fake-Erschießungen und dann sogar richtigen wie aus dem Spiel ernst wird. Und nach zweieinhalb Stunden lässt Bigelow diese dreckige Kreatur von Polizisten und einige Mittäter ungeschoren davon kommen und von einer weißen Jury freisprechen.

Den Vorwand für diese schwer erträgliche Malträtierung von Zuschauers Gerechtigkeitszentrum liefert eine wahre Geschichte aus dem Jahre 1967 aus dem titelgebenden Detroit.

Die blühende Autoindustrie zieht viele Afroamerikaner aus dem Süden an. Der wirtschaftliche Aufschwung führt zu einem Umbau der Stadt. Die Weißen ziehen in Häuschen in den Vororten. Manche Innenstadtviertel werden immer mehr von Schwarzen bewohnt. Von der Polizei werden diese brutal behandelt. Die Stimmung ist angespannt.

Bigelow kommt ohne Umstände zur Sache, zu den Ereignissen um den 23. Juli 1967. Die Polizei führt in einem Schwarzenclub eine nicht ganz legale Razzia durch. Dagegen protestiert eine sich schnell vergrößernde Menge. Schon fliegt ein Molotowcocktail. Die Ausschreitungen kommen in Gang. Es gibt Plünderungen.

Gegen den Aufruhr werden die talentierten Jungs der Gesangsgruppe „The Dramatics“ geschnitten, hübsch, attraktiv und mit tollen Stimmen begabt.

Die filmische Erzählmethode von Bigelow ist in der Nähe der Sensationsreportage anzusiedeln, fast gewinnt man den Eindruck, eine verkappte Kriegsberichterstatterin sei am Werk. Die inszenierte Bewegung und Unruhe von Polizei, Schwarzen, Autos wird filmisch überhöht mit einer nervösen Handkamera, die mehr Bewegung auf die Leinwand bringt als ein ruhiger Betrachter vermutlich feststellen könnten. Auf diese Überhöhung wird noch auf der Tonspur eins draufgesetzt.

Es ist also nicht ein dokumentarisch-fiktionaler Erzählstil, sondern eher ein reißerischer, dem der Zuschauer nicht auskommen soll. Das wird zur Nervenstrapaze, besonders wenn sich der Schauplatz von den Straßenkämpfen ins Motel Algiers verlegt, wo die Sänger Larry (Algee Smith), Fred (Jacob Latimore) sich zurückziehen und erst mal in Sicherheit vor den Unruhen mit zwei Frauen aus Ohio anbandeln.

In einem Dachzimmer treffen sie sich mit Freunden. Einer erlaubt sich den Jux, mit einer Schreckschusspistole erst auf einen Freund zu schießen, der sich sofort tot stellt. Dann schießt er aus dem Dachzimmer in Richtung der weiter entfernten Polizei, die hysterisch reagiert aus Angst vor dem Heckenschützen und das Etablissement stürmt.

Sie wollen einen Täter haben, wie auch immer, diese Erpressung der Unschuldigen, die zelebriert Bigelow förmlich und verschont den Zuschauer nicht, so viel Gemeinheit, so viel Boshaftigkeit in einem Menschen. Fast möchte man vermuten, auch Bigelow sei nicht frei von Sadismus, dem Zuschauer das zuzumuten – und als finale Höllenqual – ebenfalls sensationsberichterstatterisch nur die Rosinen an Dreck aus dem Prozess gegen die Polizisten (es geht um dreifachen Mord) herauszupicken und draufzusetzen.

Fahrige Kamera soll Aufgeregtheit simulieren.

Battle of the Sexes

Der zweite Tennisfilm in kurzer Zeit nach Borg/McEnroe. Der zweite Tennis-Anekdotenfilm aus dem neueren Tenniszirkus. Wobei beide Filme Tennis als durchaus verwendbar fürs Kino ausweisen.

Während der Borg/McEnroe-Film sich gegen Ende in die sportliche Auseinandersetzung verbeißt, wendet dieser Film von Jonathan Dayton und Valerie Faris nach dem Drehbuch von Simon Beaufoy (Everst, Die Tribute von Panem: Catching Fire, Lachsfischen im Jemen, 127 Hours und Slumdog Milionär) sich zum zupackenden Votum für die Gleichberechtigung der Geschlechter, sowohl für gleiche Bezahlung als auch für den Rechtsstatus gleichgeschlechtlicher Liebe.

Beide Filme fangen ruhig an. Hier ist zuerst gar nicht so recht klar, in welcher Genreklasse man sich bewegt. Teils sind Szenenbild und Dialoge in der Nähe der Stilisierung zur Comedy. Aber auch der Handlungsfaden wird recht locker zurechtgeschlagen, garantiert nicht im Sinne eines Dramas, eher im Sinne guter Unterhaltung.

Emma Stone als Tennisqueen Billie Jean King – der Film spielt im Jahr 1972, Nixon hat Auftritte am Fernsehen – hat die Nase voll von den Lästereien des erklärten Chauvinisten Steve Carell als Bobby Riggs, ein eine Generation älterer Tennisspieler, weit über 55 und ein Zocker obendrein, ein ausgeprägter Chauvinist, ja ein richtiges Chauvinistenschwein, der es vollkommen in Ordnung findet, dass Männer beim Tennis die achtfache Gage der Frauen einstreichen – bei gleicher Leistung, bei gleich vollen Stadien.

Billie will sich das nicht mehr bieten lassen. Sie und andere Tennisspielerinnen boykottieren das nächste Turnier. Sie bauen ihre eigene Tour auf. Das ist nun ein Vorgang, der für den Film vollkommen uninteressant ist, die Details dazu, die werden übersprungen.

Schon sind die flotten Mädels am Start ihrer Reise. Kurz vor Abfahrt funkt es zwischen der verheirateten Billie und ihrer Frisöse Marilyn (Andrea Riseborough). Billie hat so etwas noch nicht erlebt. Die verheimlichte Geschichte rückt jetzt in den Fokus, während Bobby seine Machoreden schwingt und Billie zu einem Match herausfordern will mit der für damals beachtlichen Preissumme von 36’000 Dollar.

Die lässt Billie ins Wanken kommen. Aber vorher haut ihr die neue Liebe quer. Ihr Mann platzt unverhofft ins Hotel rein. Es kommen Gerüchte auf. Die Konzentration lässt nach. Das schildert der Film alles in schneller, süffiger Weise.

Und baut so langsam die Voraussetzungen für das Finale auf, das sagenhafte Match zwischen Bobby und Billie, das als Muttertagsmassacker in die Tennis- und Geschlechtergeschichte eingegangen ist, bei dem Bobby 100’000 $ versprochen hat und dem dieser Film sich als Hommage unterhaltsam widmet.

Unterlegt mit Musikakkorden, die Leichtigkeit erzählen.
Zum Herausstreichen der Kotzbrockigkeit von Bobby sind die anderen Figuren so richtig clean gezeichnet.