Kommentar zu den Reviews vom 28. September 2017

Glücksverhältnisse: zwischen Queen Victoria und einem Inder, Töne und Sound dringen übers Ohr intim in uns rein – über einen deutschen Soundmagier, Glück in der Ekstase des Flamenco, Glück eines Jungen mit und trotz drogenabhängiger Mutter, Glück alter Autos gegen die sterile HighTech-Welt; glückliche Schweizer Senioren, kein Vaterglück zweier Halbbrüder auf Flussfahrt und deutsch-subventioniertes Kinoglück eines alten Sonderlings mit junger Pferdenärrin. Im TV gabs eine ansprechende Werbesendung für passiven Widerstand.

VICTORIA & ABDUL
Burka-Frauen in den intimsten Räumen des Buckingham-Palastes – das hört sich höchst aktuell an – oder nur schrullig-dekadent?

CONNY PLANK – THE POTENTIAL OF NOISE
In Wolperath wurde neue deutsche Musikgeschichte geschrieben.

MEIN LEBEN – EIN TANZ
Die Ekstase im Tanz von La Chana, die dem Flamenco das Zigeunerelement einflößte.

DIE BESTE ALLER WELTEN
Mutterliebe und Drogenabhängigkeit müssen sich nicht ausschließen; immerhin ist der Bub ein spannender Filmemacher geworden.

CARS 3
Die moderne Hight-Tech-Autowelt macht mechanischen Sportwagen schwer zu schaffen; aber sie besinnen sich auf ihre wahren Werte.

FALTEN
Menschen in ihren 70ern scheinen die glücklichsten Menschen der Welt zu sein und haben einiges zu erzählen.

STROMAUFWÄRTS
Der Tod ihres nicht oder kaum bekannten Vaters bringt zwei Brüder, die voneinander nicht wussten, auf einer Flussfahrt zusammen. Was hätte der Vater dazu gesagt?

ROCK MY HEART
Einer jener Filme, die es ohne die Rundfunkzwangsgebühr und die föderale Filmförderstruktur garantiert nicht gäbe und die niemand vermissen würde.

TV
DEMOKRATIE AUF UNGARISCH
Gewaltloser Widerstand gegen Unrechtsgesetzgebung.

Victoria & Abdul

Perfektes Ausschlachten eines großen Emotionsgehaltes.

Britische Spezialität, angekündigte Süßspeise, victorianische Romcom gekonnt durch und durch, die ihre Spannung und ihr Rührpotential meisterhaft und ohne jeden Kitsch aus der Einsamkeit einer Königin, der Ausdauerregentin Victoria (über 60 Thronjahre) in einem erstarrten, opportunistischen Hofsstaat und ihrer Begegnung mit einem einfachen jungen indischen Muslim, Abdul, bezieht.

Nach einer wahren Geschicht – ‚großenteils‘, wie es nach dem Titel heißt. Was die Geschichte nicht hergibt, wird vom Filmkonditor Stephen Frears (Florence Foster Jenkins, Lady Vegas) furios zu einem zwingenden Ganzen verbunden nach dem Drehbuch von Lee Hall nach den Aufzeichnungen von Shrabani Basu.

Frears arbeitet mit ausgesuchten Protagonisten, Judi Dench als Victoria und Ali Fazal als der junge Inder Abdul.

Victoria begegnen wir zuerst in einer recht ironischen Szene, ein Klumpen Mensch liegt in einem riesigen Bett unter einem Haufen Bettwäsche und Decken. Die Königin soll aufstehen. Wie die Queen von zwei Zofen aus der liegenden in die am Bettrand sitzende Position gehievt wird, ist so ein Detail, was in seiner mechanischen Komik sich einprägt.

Derweil geht Abdul in Agra in Indien, das seit 25 Jahren britische Kronkolonie ist, seiner Arbeit nach, leichten Ganges schwebt er im Gefängnis ein. Dort führt er Buch über die Arbeiter, die Teppiche knüpfen, ein gehobener Job. Ein Schreiberjob. Das wird bei einem der ersten Gespräche mit der Queen zu Klärungsbedarf führen, da sie versteht, er sei Autor.

Weil ein Teppich aus der Gefängnismanufaktur der Königin gefallen hat, soll eine Delegation aus zwei Mann nach Britannien fahren und der Königin einen Mohur, das ist eine Goldmünze, überreichen.

Frears erzählt leichthändig und zügig, die beschwerliche Schiffahrt nach Indien verkürzt er auf wenige Sekunden. Schon sind Abdul und sein Kollege in England angekommen und werden am Hof instruiert, wie sie die Münze zu überreichen haben.

Das nutzt Frears, um an Details die Denkweise an so einem Hof und auch die Missachtung indischer Eigenarten zu zeigen: die beiden Inder werden in faschingstaugliche Kostüme, die die Hofschneiderei eigens anfertigt, gesteckt, nach dem Geschmack des Hofes und nicht nach der Realität aus Indien.

Wobei der Film selbst sich bescheinigt, es damit auch nicht zu genau zu nehmen, sich Freiheiten zu erlauben, zum höheren Genusse der Geschichte und da es sich von der Erzählweise her eh um ein schier unglaubliches Märchen handelt, was das Märchen ja so eindrücklich macht, dass es immer nach einer wahren Begebenheit sei.

Hier ein Märchen nicht aus Tausenduneiner Nacht, eines, was noch viel sensationeller und unglaublicher ist, vom Hofe der strengen Königin Victoria, wobei es allein schon eine Wonne ist, Judi Dench bei der Darstellung zuzuschauen.

Dann die Übergabe und der verbotene Blick von Abdul zur Königin, die ihn wahrnimmt. Der Wunsch der Königin, Abdul und seinen Kollegen in der Nähe zu haben.

Das unglaubliche Märchen entwickelt sich. Bald wird Abdul Victorias Lehrer, ein Munshi, unterrichtet sie in arabischen Schriftzeichen, lehrt sie Hindu und Urdu, bringt ihr islamische Weisheiten bei, wohldosiert.

Als Gegengewicht gegen die sich stärkende Zuneigung, die victorianisch-puritanisch bleibt, entwickeln sich am Hofstaat im direkten Umfeld der Königin die Intrigen. Einmal sieht die Queen sich sogar einem Aufstand ihres Hauspersonals gegenüber, den sie resolut erstickt mit der Aufforderung, wer kündigen wolle, der solle es ihr ins Angesicht sagen.

Es sind die Details, die die Perfektion von Frears Kinoerzählung krönen, scharfsichtig-komisch, einmalig und zum glaubwürdigen Märchen machen.

Ein kleiner Erzählstrang ist ihre Auseinandersetzung mit dem Hofarzt, dem sie, wie um ihn zu beruhigen, kundtut, sie habe am Samstag Vormittag „verdaut“, da sie offenbar gelegentlich an Verstopfung litt. Zuckergusskino aus feinster Zuckerwatte. Beim Ferienaufenthalt in Florenz singt Puccini himself eine Arie aus Manon Lescaut über eine unmögliche Liebe. Das lässt die Queen nachdenklich zurück.

Stromaufwärts

Eine Kamera, die vom Licht, vom Grün, vom Karst und vom Wasser Kroatiens gleichermaßen angetan ist, begleitet zwei wenig gesprächige Männer durchschnittlichen Alters und durchschnittlicher Statur und Aussehens auf eine Fahrt mit Motorboot flussaufwärts.

Symbolisch betrachtet schwimmen sie gegen den Strom und bewegen sich in Richtung Quelle, in Richtung Ursprung. Beides trifft auf die beiden Männer zu.

Es sind dies Homer (Olivier Gourmet) und Joe (Sergi Lopez), die Marion Hänsel (Schwarzer Ozean), die mit Hubert Mingarelli auch das Drehbuch geschrieben hat, unbekannteweise auf dieser Bootsfahrt zusammenbringt.

Die Ausgangssituation lässt kurz an Brokeback-Mountain denken. Zwei nicht allzu redselige Männer, die sich nicht kennen, und die vor einer gemeinsamen Unternehmung in einer einsamen Gegend stehen.

Die Beweg- und Hintergründe sind hier allerdings unterschiedlich. Hänsels Thema ist in eine andere Richtung gestrickt. Es geht ihr nicht um die Überwindung der Einsamkeit durch Liebe.

Bei Hänsel geht es um die Identitätssuche eines Mannes im Hinblick auf das Verhältnis zum Vater. Denn der Vater, Ivan, den haben die beiden Männer, die sich bis jetzt nicht kannten, gemeinsam.

Joel, der Autor in Amerika ist und zehn Bücher geschrieben hat, hat diesen Vater gekannt, hat ihn als unangenehm cholerische und gewalttätige Figur kennengelernt, besonders, wenn er alkoholisiert war.

Homer hingegen weiß gar nichts über ihn. Er hat ein LKW-Geschäft mit 14 LKWs und 14 Fahrern, die für ihn unterwegs sind.

In nur ganz vorsichtig und ganz allmählich einsetzenden Gesprächen im Laufe der Flussfahrt, am Lagerfeuer, beim Campen, nachts oder beim Fischen, entsteht ein Bild von diesem Vater. Die Frage der Selbstbestimmung des Mannes; wie beide daran denken, was wäre, wenn dieser Vater, der in fragwürdigen Unternehmungen überall auf der Welt zugange war, wenn dieser Vater sehen und erfahren könnte, was seine Söhne jetzt tun. Dass der eine zehn Bücher geschrieben hat (der Vater habe keines davon gelesen) und dass der andere diese LKW-Firma betreibe.

Später wird die Frage als unwichtig abgetan. Wen interessiert das schon.

Marion Hänsel lässt den beiden in letzter Sekunde vor der Abfahrt von Kindern im Hafen einen Hund schenken. Einerseits ist die Hundesymbolik – und es ist einer mit großen Ohren und treuen Augen, so richtig sympathisch hündisch – ziemlich fett geraten.

Andererseits lenkt der Hund von einer Fixierung auf das Männeridentitätsproblem aus der Perspektive des Vaters willkommen ab. Verraten werden darf sicher noch, da es sehr früh im Film klar wird, dass das Ziel der Reise eine Einsiedelei oben am Fluss bei den Wasserfällen ist. Denn dort wurde der Vater erschossen aufgefunden.

So wird über eine kleine Wegstrecke, wenn der ‚Tierbeobachter‘ (Luchse, Wölfe) mit Gewehr Sean (John Lynch) zu ihnen stößt, die Möglichkeit einer Kriminalgeschichte virulent. Aber auch das wirkt mehr als ein Manöver um mit Irdischem (ebenso wie die physische Geschichte mit dem verstauchten Knöchel) von dieser männerphilosophischen Suche nach Sinn und Gewicht eines Vaters im Leben eines Mannes abzulenken, sie nicht mit zuviel Gewichtung schwer zu machen. Das deutet an, wie delikat das Thema ist.

Wozu ist das Leben eines Mannes gut, wenn der Vater es nicht sieht, es nicht sehen kann? Und was hat es mit dem Sich-Treiben-Lassen auf einem Fluss zu tun?

Homer ist der cholerische, Joel der humorvolle der beiden Brüder.

Wirkt ein Mann nicht merkwürdig verloren, wenn der Vater ihn nicht sehen kann?

Mein Leben – Ein Tanz / La Chana

Tanz als Ekstase aus tiefster Seele, als Eintauchen in die verborgensten inneren Wünsche, was sich als Irrgarten erweist. Wenn der Körper nur noch der Seele gehorcht. Das offenbart sich im Rhythmus, das sind seelengesteuerte Emotionen. Das Gesicht wirkt schmerzverzerrt in den Tanzaufnahmen, die zu diesen Äußerungen von La Chana, der spanischen Zigeuner-Flamencotänzerin, gezeigt werden.

Lucijs Stojevic nähert sich mit ihrem Film dieser berühmten Tänzerin. Sie besucht sie in ihrem herrschaftlichen Anwesen mit Pool, schweren Möbeln, Relaxsessel, Rosen, Wölfen im TV und ihrem Mann Felix.

Das war nicht immer so behaglich und ausgeglichen im Leben von La Chana, wie sie genannt wird. Der Name bedeutet, sie wisse viel. Über Tanz hat sie offenbar immer schon viel gewusst.

Sie erzählt, wie sie bei Familienfesten den Leuten beim Tanzen zugeschaut hat. Wie sie selber zu tanzen das Bedürfnis hatte. Wie sie mit 16 oder 17 zum Tanz gehen wollte. Aber der Vater war strikt dagegen. Und wenn der Vater in einer Zigeunerfamilie nicht will, dann geht es nicht.

Wenn da nicht noch ein Onkel ist, der hoch und heilig verspricht, auf die Tochter aufzupassen. So wird sie es später ausdrücken, dass bei ihnen der Mann der Meister, der Besitzer ist und die Frau die Sklavin. Das einzige Ventil scheint für La Chana der Tanz gewesen zu sein.

Mit ihrer unglaublichen, rasend schnellen Fußarbeit bereicherte und beschleunigte sie den Flamenco, erregte Aufsehen. Obwohl Proben nie ihr Ding gewesen sind. Sie liebte die Improvisation, sie verlässt sich auf den Rhythmus.

Nach Jahren des Tanzes hat sie ihren Durchbruch, gilt als Erneuerin des Flamenco. Sie tritt nach 6 Monaten Trauer um ihren Bruder und ohne zu tanzen und ohne zu proben in einer Life-Show am Fernsehen auf, als letzte und als die, die wie eine Bombe einschlägt.

Peter Sellers engagiert sie für seinen Film The Bobo. Bei IMDb taucht La Chana tatsächlich bei ‚Full Cast & Crew‘ unter „Music Department“ als Flamenco Dancer auf. Warum sie dann nicht nach Hollywood ging, die Gründe dafür wischt sie weg. Es kann sich nur um den familiären Bereich handeln. Ihr Mann hat sie nicht gut behandelt. Einmal ist sie mit zwei gebrochenen Rippen aufgetreten, die sie ihm zu verdanken hatte.

Wie sie 38 war und künstlerisch und karrieremäßig auf einem Höhepunkt, hat er sie verlassen, hat sie ohne irgendwas zurückgelassen. Sie fühlte sich sehr allein, weil sie nicht über ihre Tragödie sprechen konnte.

Sie hat sich aufgerappelt, hat eine zweite Karriere gestartet mit einer neuen Gruppe. Felix, der Fischverkäufer aus ihrem Heimatort, hat sie umschwärmt. Heute scheinen sie ein zufriedenes Paar zu sein. Ihr linkes Knie ist kaputt. Aber im Sitzen auf einem Stuhl kann sie nocht tanzen.

Theaterleute haben sie für einen Auftritt mit drei Sängern engagiert. Das bildet den emotionalen Höhe- und Schlusspunkt dieses ganz eigenen künstlerischen Biopics, von einer Künstlerin, über die es im deutschen Wikipedia nicht mal einen eigenen Eintrag gibt: Der Artikel „Antonia Santiago Amador“ existiert in der deutschsprachigen Wikipedia nicht. Es wäre höchste Zeit dafür.

Falten

Glückliches Alter.

Sie sind überwiegend in den 70ern, haben die ersten Rentnerjahre hinter sich, sind aber noch nicht im Greisenalter angelangt. Sie sind zufrieden, aktiv, kreativ, neugierig, arbeiten noch oder geben den Führerschein zurück. Sie haben immer wieder eigene Entscheide im Leben getroffen. Sie blicken milde zurück auf ein bewegtes Leben, das zu Kriegszeiten begonnen hat und in dem nicht alles so gelaufen ist, wie sie es vielleicht gerne gehabt hätten. So haben sie noch Wünsche und Träume. Es geht ihnen recht gut und das ist ihnen bewusst und sie wissen es auch zu schätzen.

Es sind 3 Single-Senioren (geschieden, verwitwet) und ein Paar, die Silvia Häselbarth Stolz ausfindig gemacht. Sie hat Vertrauen zu ihnen aufgebaut, hat sie über einen längeren Zeitraum begleitet. Sie lässt sie aus ihrem Leben erzählen (da gibt’s privates Footage dazu), beobachtet sie bei ihren Aktivitäten, lässt sie über das Altern philosophieren, über das Glück, darüber, ob sie Dinge bereuen.

Silvia Häselbarth Stolz hat wunderbare Protagonisten gefunden. Es sind dies Fredy Frey, der Weltenbummler, der alte Bauernhäuser neu kalkt und mit seiner Frau in einem Campingwagen wohnt. Es ist dies Urs Wydler, der immer selbständig sein wollte, der Kupferdrucker und Flohmarkttandler, der vor allem besonderes Spielzeug, Autos, Flugzeuge handelt und auf dem Flohmarkt seine sozialen Kontakte pflegt. Nach einem Hirnschlag hat er den Führerschein zurückgegeben, seinen Aktionsradius eingeschränkt. Es ist dies Monica von Rosen, die aktivste und unternehmungslustigste von allen, die spät Fotografin geworden ist, immer noch fotografiert und Ausstellungen organisiert. Sie ist aus einem großen Anwesen mit Garten in ein abgefucktes Mietshaus in Kreuzberg gezogen (hat aber ein Standbein in Luzern. wo alle andere Protagonisten leben) und es ist Rita Maeder-Kempf, die später eine wunderbare Pantomime über eine Story aus ihrem Leben, die mit einem englischen Lord zu tun hat, zeigen wird. Sie hatte eine Rhythmikschule besucht und nach dem Tod ihres Mannes die Freiheit gewählt. Sie gibt immer noch Gymnastikunterricht.

Es ist dies ein Film für Betrachter, ein Film mit gestochen scharfen und schönen Bildern von Kameramann Peter Appius, die nichts wegschummeln. Ein Film in einer Reihe von Altersfilmen, eine frühe Vorstufe vielleicht zu Ü 100 oder in der Nähe von Trockenschwimmen zu sehen, der vom Mut zum Schwimmenlernen im Alter ausgeht, der von seiner Art her auch in der Nähe der Reihe Lebenslinien des BR gesehen werden könnte.

A

Conny Plank – The Potential of Noise

Wolperath.

Wer kennt schon Wolperath, diese kleine Gemeinde irgendwo in der Nähe von Köln?

Ok, bis 1987 jedenfalls war die Ortschaft ein Begriff in der internationalen Rock- und Musikwelt. Kraftwerk, die Scorpions, Brain, D.A.F. , Neu, Killing Joke, Cluster, Freur, Underworld, Gianna Nannini, Ultravox, Can, Les Rita Mitsouko, Hupe & Humpe, Whodini und und und, sie alle gingen in Wolperath im Studio von Conny Plank ein und aus und schwärmen heute noch davon, so dass indirekt, der 1987 gestorbene Plank den Film beseelt, dieser Dokumentation seines Sohnes Stephan Plank, unterstützt von Reto Caduff und Ziska Riemann, ein für eine Dokumentation rares Leben einhaucht.

Stephan ist auf diesem zum Tonstudio umgebauten Hof aufgewachsen, auf dem eine familiäre Atmosphäre herrschte, war 13, wie sein Vater starb, war als Bub um all diese Musikgrößen herum mitten im Chaos am Hof, das seine Mutter Christa haushaltstechnisch zusammengehalten hat.

Aber der Vater hat für die Musik gelebt. Es wird in diesem begeisternden Film für einen Moment ganz ruhig, wenn ein Freund der Familie Stephan erzählt, dass dieser Vater zwar immer da war, aber eben auch nicht. Und Stephan kann sich gerade an eine gemeinsame Freizeit mit Zelten und Paddeln mit dem Vater erinnern.

Die Künstler, die Stephan heute aufsucht, beschreiben Conny Plank als einen außerordentlich inspirierenden Menschen. Ein Mensch, der sich als Mittler zwischen Musikern und Technik gesehen hat. Der versucht hat, das Beste aus den Instrumenten und Stimmen auf die Bänder zu bannen. Der die Künstler zum Experimentieren anhielt. Der genau spürte, wann der gewisse Moment da ist. Einer, der keine Regeln vorschrieb, der die Musiker nie unter Druck gesetzt hat, der dem kreativen Prozess den absoluten Vorrang eingeräumt hat.

Der gerade im deutschen Rock-, Punkrock inklusive der Nähe zu den Hippies oder Technoszene massgeblich und inspirativ beteiligt war, dass die Szene nach dem Krieg und aus dem Deutschland in Ruinen zu einem eigenen Stil fand. Wobei er sich nicht scheute, auch Sound vom Reichsparteitag beizumischen, ganz verrückte Dinge trieb. In Wolperath wurde Musikgeschichte geschrieben.

Er habe einen massgeblichen Beitrag dazu geleistet mit seiner Neugier – aber auch mit seinem bestens eingerichteten Studio, mit der Ruhe, die er den Musikern verordnete, mit der Möglichkeit der Konzentration. Der Ort war von ihm gewählt worden, dass einer einen Grund haben musste, die Reise dorthin zu unternehmen. Und sie kamen aus aller Welt.

Eine Rarität von Musikfilm (für manche vielleicht sogar eine Offenbarung) als wichtiges Ergänzungs-, ja sogar Entschlüsselungsmovie und ein Muss in die Sammlung von Filmen wie Kraftwerk, Forever and a Day, Denk ich an Deutschland in der Nacht.

Wobei die Suche nach dem Vater im Sinne eines persönlichen Verhältnisses zu ihm nicht so ergiebig ist. Es gibt Super-8-Acht-Aufnahmen, Fotos, Erinnerungen der Künstler.

Nebst den angregenden heutigen Begegnungen mit den Künstlern, Produzenten, Journalisten, Familienfreunden gibt es genügend Footage von Aufnahmen und auch Konzertmitschnitten und Sound. Und da das Auge mitisst: die Bilder der Kamera von Frank Griebe sind eine Show, gut zum Sehen und von klarem Narrativ.

Rock my Heart

Ohne unsere Zwangsgebühren würden solche Filme wohl niemals gedreht, denn hier entscheiden keine Geschäftsleute, die ein Einspielergebnis sehen möchten oder Mäzene, die in die Arbeit eines Regisseurs vernarrt sind, hier entscheiden Funktionäre, Fernsehredakteure nach nicht nachvollziehbaren Kriterien, warum so ein Film gemacht wird.

Hier im Film von Hanno Olderdissen (Die Einsamkeit des Killer vor dem Schuss, Eine Insel namens Udo) nach dem Drehbuch von Clemente Fernandez-Gil kommt es gleich doppelt dick mit einer Doppelpackung von Herzschmerz-Herzfehler- und noch dazu Pferdefilm und ist auch noch ein Dieter Hallervorden-Film, der zum Drahtzieher der Herz-Schmerz-Entwicklung wird und dabei eigene Fehler von früher seiner Tochter gegenüber sich eingestehen muss.

Hallervorden ist inzwischen in einem gesegneten Alter, in dem alle Figuren rund und irgendwie doch väterlich sind. Er war ein Rennstallbesitzer, hat schlecht gehaushaltet, hat noch ein schwer zu bändigendes Rennpferd. Ihm droht der Verlust des Hauses, wenn er nicht innert nützlicher Frist einen Kredit von 80′ 000 Euro zurückzahlen kann. Es ist ausgerechnet seine ihm entfremdete Tochter, die das – mit einer kleinen Schonfrist – verordnet.

Die Aussicht auf ein Pferderennen mit just der Gewinnsumme inspiriert ihn dazu, das herzkranke Mädchen Jana, das eines Tages bei ihm im Hof vorbeischaut und dessen Pferdeliebe er bemerkt, auf sein schwieriges Pferd anzusetzen und wieder flott fürs Rennen zu machen. Er wohnt in einer Gegend mit dem Autokennzeichen LK.

Die Geschichte haben die Autoren verblüffend einfach und schön geschrieben, fast zu klar, zu gezielt auf die Herzschmerz-Schiene für das Degeto-Publikum und sie belassen es auch bei einem halben Stinkefinger für die Schulmedizin, nicken aber schließlich vor ihr ein, indem die oft gerührt spielende Jana (Lena Klenke) nach dem Rennen, das sie schließlich mit dem schwarzen Pferd bestreitet, doch noch der bislang verweigerten Operation nach neuesten Erkenntnissen der Herzchirurgie zustimmt.

Wobei dieser Schluss doch biologisch auf wackligen Füssen steht, wie will jemand, der so herzkrank ist, wobei das Absetzen von Betablockern und anderer Medizin problemlos vonstatten geht, ein Trabrennen mit höchster Strapaze überleben und anschließend eine überlebenswichtige Herzoperation erst machen?

Ihren Freund Samy (ein geschniegelter Fernsehdarsteller: Emilio Sakraya), den segnet vorher schon das Zeitliche, seine Herzkrankheit war stärker, auch stärker als die Liebe zu Jana. Ziemlich eindimensional bös kommt die penetrante Mutter von Jana rüber und der Papa wirkt so, als stehe er immer in Unterhose da.

Dramaturgisch allerdings ist es plausibel, die Mutter als Verhinderin des Glücks und der Eigenwilligkeit ihrer Tochter darzustellen. Warum ich mir trotzdem kaum vorstellen kann, dass eine nennenswerte Zahl von Leuten den Film im Kino anschauen werden? Irgendwie fehlt dem Film die Begeisterung fürs Kino oder vor lauter Ambition nach Erzählseriosität, die zweifellos da ist, aber auch deutlich nach Schnell-Schnell-TV-Infomentalität ausschaut, ist der Blick aufs Ganze, auf die Kinokraft eines solchen Filmes verloren gegangen, der über eine zweckdienliche Inszenierung nicht hinauskommt.

Ertränkt wird der einfach gestrickte Stoff in überdosierter Ätz-Süß-Musik.
Ein Weisheitssatz, der sich in jedem Fernsehfilm gut macht und das Wohlwollen der Redakeure findet „Du kannst doch nicht immer weglaufen, wenns ernst wird.

Auch dieser Film lässt es nicht verantworten, dass Leute in einkommensschwachen Haushalten, um die Zwangsgebühr zu dessen Finanzierung aufzubringen, Kulturverzicht üben müssen oder gar Flaschen sammeln und die sich schon gar keinen Urlaub leisten können (das sei immerhin jeder 5. Bürger des Landes, habe ich kürzlich gelesen), daher:

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Die beste aller Welten

Verblüffender Einblick in eine nicht comme-il-faut Jugend.

Die Österreicher machen die besseren Filme als die Deutschen. Jetzt beweist es Adrian Goiginger, der seine eigene Jugendzeit in Salzburg zu Zeiten, als in Österreich noch der Schilling die Landeswährung war, intensiv, beeindruckend und mit einem trefflichen Cast glaubwürdig schildert.

Der Film fängt an mit einem sorglosen 7-jährigen Buben an einem Bergfluss, felsig, von Wald umrandet, stromschnell. Der Bub findet eine Eisenspitze wie für einen Speer. Damit ist seine Traumwelt angespitzt, die Welt der Dämonen, die er bewundert und fürchtet, Ronan der Barbar, aber auch die Welt der Abenteuer, ein Abenteurer möchte er werden – das sind Vorstellungen, die ihn tragen.

Der fröhliche Schein trügt. Adrian (ein großartiger Kindercast: Jeremy Miliker), wächst mit seiner drogenabhängigen Mutter Helga (eine beeindruckende Verena Altenberger) in einer Sozialwohnung auf. Unordnung wie man es sich vorstellt.

Wenn der Sozialarbeiter Huetter (mit Michael Fuith ein weiterer punktgenau passender Cast) auftaucht – angemeldet unangemeldet – dann ist Alarm im Haus, dann muss aufgeräumt und verräterische Gegenstände müssen schnell weggeräumt werden.

Dann sind wieder richtige Drogenparties mit mehreren abgefuckten Typen (auch alles spitzenmäßig besetzt und gespielt); Heroin wird gespritzt oder die Mutter bereitet aus Mohnsamen einen anrüchigen Saft. Für das Ritual, dem der Bub beiwohnt, wird für ihn etwas Harmloses aus einem Teebeutel gemixt.

Freund Michael (Michael Pink), der nicht immer willkommen ist, platzt über den Balkon kletternd herein, wenn der Sozialarbeiter da ist. Die Drohung liegt ständig in der Luft, den Buben Adrian in den Hort zu schicken, wenn die Mutter es nicht schafft. Denn sie hat ihren Job in einem Imbiss verloren. Dort sehen wir sie einmal arbeiten; Adrian hilft ihr.

Überhaupt ist das diese Seite, wofür man Adrian fast wiederum beneidet, denn das Leben ist Abenteuer und die Mutter steht zu ihm, obwohl er immer wieder Zeuge von unerfreulichen Auseinandersetzungen auch mit physischer Gewalt wird.

Aber Adrian schreibt schon als Bub eigene Geschichten vom Dämon, scheint die Dinge wach zu verarbeiten – und die Eindrücke sind kräftig, widersprüchlich.

Der Film nimmt eine gute Wendung. Ein früherer Junkie, der dank einer kirchlichen Institution clean geworden ist, möchte seine Freunde von früher überzeugen, auch auszusteigen, den Entzug zu wagen. Bis die Mutter das will, bedarf es vorher allerdings noch dramatisch-dramaturgischer Steigerung, wie sie nötig sind, damit das gute Ende glaubhaft wird.

Schöner Spruch über die Behörden: Die san arm genug, weil sie keine Seele haben.

Fasziniert von der Geschichte, ja richtiggehend angefixt, scheint die Kamera von Yoshi Heimrath und Paul Sprinz, als ob sie sich nichts entgehen lassen möchte von dem Geschehen, pirscht sie sich an dieses heran, umkreist es, möchte es aber auch nicht beeinflussen, und trägt so bei zur stimmigen Milieuschilderung aus der Randschicht.

Siehe auch den Film Schloss aus Glas, indem auch aus sogenannt asozialen Verhältnissen taugliche Menschen sich entwickeln – hier allerdings auf eher literarischer Ebene.

Cars 3

Generationenübergreifend familiär mit einem Schuss romantischer Melancholie lässt Brian Fee die Hybris von Hightech und Jugend in ihre Grenzen weisen.

Heute wird pausenlos über selbstfahrende Autos gesprochen. Ob die eine Seele haben? Eher nicht. Aber die Autos von Cars, die haben eine, die sind menschlicher als viele Menschen, ja sie suchen sogar Weisheit und können auch vernünftige, sachlich richtige Entscheidungen treffen bei dem ganz schwierigen Thema eines Karriereendes für Rennfahrer.

Lightning ist immer noch unser Star, aber die beste Zeit mit vielen Renngewinnen hat er hinter sich. Neue Konkurrenz zeigt sich auf den Rennstrecken, es sind die Hightech-Wagen, die unter Laborbedingungen Hight-Tech-Trainings absolvieren, ihr dominanter Repräsentant ist Jackson Storm.

Lightning mit seiner guten alten Schule wird zum „elder Statesman of the Sport“. Er hat sich auf Wüstenpisten ausgetobt gegen Wetter und Wind und mit einer motivierenden Crew sowie dem Mentor Doc Hudson, der aus Lebenserfahrung klug geworden ist, und hat so zu Profil, Chrakter und Stärke gefunden, die die Siege ermöglicht haben.

Aber erst mal macht Lightning die bittere Erfahrung in einem Rennen, dass er von so einem Neuling geschlagen wird. Er selbst scheidet ausgepowert aus. Reha, in sich gehen, die Kräfte wieder sammeln und sich eine neue Strategie überlegen.

Ein Sponsor hat andere Pläne für ihn. Sein Ruf soll mit Megamerchandising vermarktet werden, eine deprimierende Erfahrung.

Er jedoch macht sich in der mentalen Auseinandersetzung mit dem verstorbenen Mentor und dem erfrischenden Sparring mit der jungen Trainerin Cruz fit für neue Rennen, in denen er es dem High-Tech zeigen will.

Der Weg dahin ist unkonventionell, geht über Gespräche und Meinungsbildung, die Auseinandersetzung damit, dass das Leben kein Stillstand sei, dass man älter wird und da durchaus auch Sinnvolles tun kann, insofern handelt es sich um eine urmenschliche Geschichte, die genau so gut am Lagerfeuer erzählt werden könnte, die einen auch nicht zudeckelt mit pausenlosen Gags und Tricks und Jokes, auch wenn eine Episode mit einem Rennen in Thunder Hollow, bei dem Lightning inkognito mitfährt, nicht fehlen darf oder ein Training inmitten einer dichten Herde von Traktoren, um das „sneak through the window“ zu üben oder nachts ohne Scheinwerfer zu fahren, man könnte fast von einem ganzheitlichen Training sprechen im Gegensatz zur Laborsituation an Simulatoren.

Beim finalen Rennen in Florida kommt dazu noch die Psychologie – nebst Fahrerartistik – ins Spiel.
Siehe den italienischen Autorennfilm mit der jungen Fahrerin Giulias großes Rennen.