The Book of Henry

Nicht wegschauen!,

das ist die Moral dieses Filmes von Colin Trevorrow (Jurassic World) nach dem Buch von Gregg Hurwitz. Denn Christina (Maddie Ziegler), die Stieftochter des Dreckskerls von Nachbarn Glenn Sickleman (Dean Norris), scheint zuhause Dinge zu erleben, die nicht in Ordnung sind.

Einzuschreiten oder wenigstens etwas zu unternehmen ist schwierig, noch dazu, da Gregg mit den lokalen Behörden und der Polizei bestens vernetzt ist. So jemand wird nicht so ohne weiteres amtlich behelligt.

Der das herausfindet, ist die Titelfigur im Film, der elf- oder auch zwölfjährige Henry (Jaeden Lieberher), ein Hoch- und Sonderbegabter, der druckreif spricht wie ein Jurist oder ein Professor. Er führt ein Tagebuch, das überquillt vor wissenschaftlichen Aufzeichnungen und Überlegungen und Formeln.

Henry organisiert auch den Haushalt. Denn seine Mutter Susan (Naomi Watts) ist dazu nicht fähig. Sie jobbt in einem Imbiss, raucht, trinkt und ist eine fanatische Videogamerin, Gewaltspiele selbstverständlich. Sie hängt gerne mit ihrer Berufskollegin Sheila (Sarah Silverman) ab. Die Kinder sind sich selbst überlassen.

Henry beaufsichtig auch den kleiner Bruder Peter (Jacob Tremblay), der darunter leidet von seiner Mutter als Nummer Zwei bezeichnet zu werden. Der hochintelligente Henry kann jedoch gut auf so einen Titel verzichten, genau so wie auf eine unachtsam aufbewahrte Sportmedaille.

Tüftler Henry hat ein großartiges Baumhaus für sich und seinen Bruder eingerichtet. Er beobachtet mit dem Feldstecher und nächtens Vorgänge im Nachbarhaus, die suspekt sind. Er macht seine Mutter darauf aufmerksam, dass es mitmenschliche Pflicht sei, vermuteten Missbrauch zur Anzeige zu bringen.

Die Geschichte, in die diese Moral verpackt wird, fährt nun allerdings einen merkwürdigen Parcours durch verschiedene Genres. Ihre Exposition ist die Schilderung der Lebenssituation von Henry, seiner Familie, der Schule. Sie wirkt wie ein ausgewalzter Kurzfilm oder wie eine überlange Filmeinführung.

Dann bekommt Henry gesundheitliche Problme. Der Film schwenkt kurzfristig ins Genre des Tumorfilmes. Es schmerzt, nach knapp einer Stunde Spielzeit den Protagonisten, und so einen attraktiven, klugen, altklugen und dazu humanistischen Jungen zu verlieren. Das hält der beste Film nicht aus, so dass er sich kurzentschlossen ins Doppelgenre flüchtet.

Einerseits hat die Aktion, die die Mutter mit der Stimme von Henry aus dem Jenseits, resp. dem Tonband, ausführen soll, etwas von einem Revengefilm, die Bestrafung des Kindsmissbrauchers. Erstaunlich ist allerdings, dass so ein kluger und gescheiter und vor allem humanistischer Mensch wie Henry die Erschießung eines Menschen vorschlägt und dafür prae mortem minutiös alles vorbereitet; Anleitung für Mom auf Tonband.

Andererseits wandelt sich der Film nach dem schnell und zügig skizzierten Beginn von der sympathischen Sozialromanze zum sozialrealistischen Drama, gar zum Moralfilm und bleibt irgendwie in diesen Seilen hängen.

Der Ineinanderschnitt von genau getakteter Racheaktion der Mutter und den Step- und Ballettnummern der Showabends an der Schule als Count-Down-Pas-de-Deux ist von wenig Erkenntnisgewinn, hilft kaum, Spannng zu erzeugen und kann keine Erleichterung verschaffen gegen die Moralschwere. Am schönsten ist dann doch das häufig zu sehende Neuengland-Herbstlaub. Die deutsche Synchro fügt sich prima in den Kontext.

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