Jugend ohne Gott

Seicht-Humanismus

Alain Gsponer, dieser Hans-Dampf-in-allen-öffentlich-rechtlichen-Redaktionsgassen-Regisseur kann es nicht. Um das zu vertuschen, flüchtet er sich panisch in eine Kurzatmigkeit der Erzähl- und Schnittweise, die 10 Sekunden ein Bild ohne Schnitt bereits als Marathonlauf erscheinen lassen. Aus Angst, man könnte ihm auf die Schliche kommen, dass er überfordert ist, einen anspruchsvollen Inhalt wie den aus diesem 80-jährigen Romanstoff von Ödön-von-Horvath plausibel auf die Leinwand zu bringen.

Wobei unterschieden werden muss, was vorher schon die Drehbuchautoren Alex Buresch und Matthias Pacht mit dem Werk veranstaltet haben, das einmal für Furore gesorgt hat, das die Fassungslosigkeit eines Schullehrers beschreibt angesichts der Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges, dass er seinen Glauben an Gott verliert.

Unsere Autoren gehen von einer gespaltenen Gesellschaft aus, von denen die es schaffen, schaffen werden oder es geschafft haben und jenen, die rausfallen aus dem Wohlstand und in einer bettlerromantisierenden Bert-Brecht-Fundus-Kostüm-Welt landen. Was theatral wirkt, angesichts der echten Spaltung in unserer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen (wohlanständig gekleidete!) sich zum Flaschensammeln gezwungen sehen, auch wenn es nur darum geht, die Haushaltszwangsgebühr zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für solch geistig sülzende Werke aufzubringen.

Bei Betrachtung dieses Filmes erscheint es nicht als realistisch, dass Gsponer ein Bewusstsein dafür hat, wie das Geld für seine sicher nette Regiegage zusammenkommt. Sie tut nicht weh, diese arme Welt, die er zeichnet, sie bleibt ein Kostümfez, sie hat nichts mit unserer gesellschaftlichen Realität zu tun. Diese interessiert ihn wenig. Horvath hat sich mit seiner Welt auseinandergesetzt – Gsponer tut es nicht, er wirkt dagegen wie ein Hans-Guck-in-die-Luft.

Als erstes wird von den Autoren die jugendlich-idealistische These in den Film gestreut, wie eine Welt wohl wäre ohne Konflikte, ohne Rivalität, ohne Konkurrenzdenken, eine Welt von Chancengleichheit, in der niemand kämpfen muss – weltfremd idealistisch formuliert. Diese Utopie-Frage wird gegen die behauptete Verlogenheit und Kaltheit der gesellschaftlichen Realität gestellt.

Diese gesellschaftliche Realität illustrieren die Autoren in einem Camp, in welchem junge Menschen einerseits als Team, andererseits als Einzelkämpfer Punkte sammeln können, um unter totaler Bewachung inklusive Chip unter der Haut ein Selektionsverfahren zu durchlaufen, um einen der begehrten Ausbildungsplätze an der Rowland-Universität zu erhalten, was den beruflichen und gesellschaftlichen, mithin den Lebenserfolg garantiert. So simpel ist die Buresch-Pacht-Welt.

Auch dies eine Welt, die Regisseur Alain Gsponer nicht kennt: er kommt mit Antichambrieren bei den Zwangsgebührentreuhändern von Fernsehredakteuren und Filmförderern an seine Jobs – er kennt den Wettbewerb nicht, er ist in einem Gunst- und Günstlingsgewerbe tätig; wer nett und lustig ist und nicht aneckt, der bekommt die Gelder zum Drehen. Und so sehen die Filme denn auch aus.

Gsponer soll also hier zwei Welten plausibel bebildern, die nicht seine Welten sind. Das kann nur schief gehen, das erklärt die panische Kurzatmigkeit.

Der geneigte Zuschauer muss ganz mühsam nach dem geistigen Gehalt des Filmes fieseln, die Weltsicht erraten; herauskommt ein anpasserisch weichgespülter Humanismus in Form des Lehrers (Fahri Yardim), der nicht so strikt ist in der Durchsetzung und Befolgung der Regeln, wie sie die extrem harte – und also auch unnuancierte, maskenhafte Blondine vom Rawland-Camp praktiziert.

Auch die Konflikte unter den Schülern, die programmiert sind in so einer Situation, sind wenig plausibel, sie werden lediglich theoretisch behauptet, nicht aber vom Bild und der Szenenauflösung her glaubwürdig gemacht. Dass der eine Junge Zach (ein von der Regie verlassener Jannis Niewöhner) sich in ein Mädel von der verbotenen Gruppe der Waldmenschen verliebt und auch dass er Tagebuch führt.

Die Geschichten, die militärischen und paramilitärische Strukturen, die Sehnsucht darnach, formulieren sich in diesem Film. Aber alles von der Regie weggehuscht und nie plausibel erzählt. So dass letztlich Menschen geschildert werden, die sich mehr oder weniger in so einem System durchmogeln, den Aufstand wagen sie nicht, eine Radikalität, die dem Abschwören des Gottesglauben aus dem Original von Horvath gleichkommt, sucht man hier vergeblich. Propagierung eines Dimpfel-Humanismus, der garantiert nicht im Sinne Horvaths ist.

Wobei Gsponer es unterlässt, die Entstehung der Liebe von Zach zu Ewa (Emilia Schüle, auch sie von der Regie schnöselig vernachlässigt) nachvollziehbar zu inszenieren, womit der Zuschauer auch keine Empathie entwickeln kann. So ist es mit allen Figuren.

Fazit dieser Schwächen von Drehbuch und Regie ist, dass der Film einer sich durchlavierenden Menschlichkeit das Wort redet, was in etwa dem Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender diametral entgegensteht. Durchlavieren steht für diktatorische Syteme. Auseinandersetzung für ein demokratisches, dem die öffentlich-rechtlichen Sender das Wort reden sollen.

Die dichterische Freiheit eines Horvath, die immer für die Freiheit ist, die geht hier flöten. Weil Gsponer die Sache nicht im Griff hat. Er sollte vielleicht Naturfilme in steinigem Bergwald drehen, die Bilder kommen schön, wenn nur die Szenen nicht wären.

Gsponer schafft es nicht, die (später wiederholte) Szene mit der Aufgabe, den reißenden Bergbach zu überqueren, nachvollziehbar zu inszenieren – da wird schnell Treibgut an unglaubwürdiger Stelle hingeschummelt.

Gsponer schafft es nicht, einen Zeltaufbau plausibel zu zeigen. Er deutet immer nur an, hat Konkretheit und Verfugtheit der Handlungen nicht im Blick.

Billige Texte: Nadesh (Alicia von Rittberg): mach Dir keine Sorgen, wir schaffen das, ist super, dich in der Gruppe zu haben.“

Als weiteres Mittel, von der geistigen Dürre von Inszenierung und Buch abzulenken, haut ein Filmorchester drauf, was es draufhauen kann, viel verstehen vom Film muss und kann es eh nicht.

Manche der Darsteller wirken, als hätten sie sich aus einem TV-Film im Bergwald verlaufen.

Gsponer schafft es nicht, eine Kletterszene plausibel zu inszenieren, der Zuschauer muss selbst herausfinden, wo der Fehler für den Absturz liegt.

Gsponer schafft es nicht, die Figuren so zu etablieren, dass Empathieentwicklung zu ihnen möglich ist. Somit bleibt der Zuschauer bei deren Konflikten außen vor.

Gsponer schafft es nicht, plausibel zu inszenieren, dass zu kapieren ist, warum einer das Camp verlässt, nicht mal der Name ist auf Anhieb identifizierbar.

Gsponer schafft es nicht, das Problem, was Zach offenbar mit seinem verstorbenen Vater hat, emotional und empirisch nachvollziehbar zu inszenieren, es wird nur ständig davon geredet.

Gegen die Regie wollen Zach und der Lehrer Ansätze von differenzierten Figuren zeigen, haben aber keine Chance.

Gsponer schafft es auch nicht, den Satz „Das ist keine Gemeinschaft hier, das ist Kampf, jeder gegen jeden“, empirisch nachvollziehbar zu inszenieren. Der Satz bleibt graue Theorie.

Gsponer schafft es nicht, konkret den Ort für das Versteck des Tagebuches empirisch nachvollziehbar zu inszenieren – erst beim letzten Gebrauch kommt eine wenig plausible Lösung ins Bild, wie als nachgeschobene Entschuldigung für eine Regieunterlassung.

Gsponer ist durch und durch unpräzise in seiner Erzählart. Aus Panik, das könnte auffallen, schneidet er schnell Bild an Bild, es bewegt sich immer etwas, es sagt immer jemand was; aber nachvollziehbare Vorgänge gibt es so gut wie nicht. Gsponer kann nicht plausibel Film erzählen; das müssen die papierenen Texte liefern.

Satzbeispiel: Du bleibst hier und rühr dich nicht vom Platz, der Hubschrauber kommt in 20 Minuten. – Von Ödön von Horvath dürfte der Satz nicht abgeguckt sein.

Gsponer kann den Totschlag, der im Film vorkommt, nicht plausibel nachvollziehbar inszenieren, so dass der Zuschauer in der daraus resultierenden Gerichtsszene so belämmert da sitzt wie die Richterin – nur bittschön keinen Informationsvorsprung für den Zuschauer.

Gsponer schafft es nicht, die Liebe zwischen Zach und Ewa plausibel zu inszenieren. Irgendwann tauchen gegen Ende ex nihilo die Familienverhältnisse von Titus auf, ein Aha-Erlebnis der negativen Art, das hätte man dem Jüngelchen nun grad gar nicht gegeben, diesen Klischee-Superreichen-Hintergrund, weil Gsponer es nicht schafft, den Unterschied in der Verhaltensweise dieser Gesellschaftsschicht mit Titus zu inszenieren.

Horvaths Grundfrage wird hier radiakl reduziert auf nicht-radikale, systemkonforme kleine Gewissenskonflikte und Regelverstöße. Und da keine Empathie für die Figuren und ihre Konflikte aufkommt, interessieren auch die Rückblenden keinen Deut, erst recht, wenn eine Szene wie die mit der verlorenen (geklauten) Jacke des Lehrers gleich zweimal schlecht gespielt wird. So wird denn aus dem Horvath eine simple Mordgeschichte, die in TV-Gerichtsmanier pfuschig abgehandelt wird und die sich für Opportunismus ausspricht.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

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