Cloclo und Ich – Quand j’étais Cloclo

Als Tänzerinnen noch mit Bären und Boas in Bars auftraten.

Eine poetisch-lyrisch-essayistische Suche der Entwirrung eine unruhigen Kindheit mit einer Familie ständig auf der Flucht zwischen Villen am Lago di Maggiore und an der spanischen Mittelmeerküste (Bauboom und un sacco die belle case) – über die Sozialwohnung in Genf (Schmetterlingswohnblock mit der roten Säule Nr. 8) bis zur Wohnblockwohnung in einem Schweizer Dorf hoch oben in einem Tessiner Tal.

Die Familie Knuchel ist eine Familie von wahren Schwindlern, wie Vater und Sohn gegen Ende dieses Autobiopics des Filmemachers verschmitzt festestellen und dabei parallel einen Zigarettenverschwindtrick zum Besten geben.

Diese Charaktereigenschaft des Vaters hat das Leben der schließlich 5-köpfigen Familie bestimmt. Die Eltern genossen in den 60ern das Night-Clubleben im Tessin in vollen Zügen, in einer „Villa der Exzesse“ bis hin zum Schließmuskeltest; die Kinder identifizierten sich mit der Mondfahrt – es schien alles möglich.

Geld verdiente der Papa, indem er Häuser für 5’000 Franken kaufte und am nächsten Tag nach einigen kleinen Reparaturen für 55’000 Franken an betuchte Deutschschweizer im aufkommenden Nachkriegswohlstand weiterverkaufte.

Die Erinnungen an diese Zeit malt Knuchel mit Fotos, mit Filmausschniten à la Hollywood, mit verträumten Rekonstruktionen in Häusern von damals. Nach und nach treten weitere Familienmitglieder auf nicht nur im Material der Vergangenheit, das zeitgemäß teils Polaroidbilder oder Super8-Aufnahmen sind, Musik aus der Jukebox oder dem Walkman.

Die fitte Mutter, die immer gerne in Bars gearbeitet hat – hinter der Theke, sie sei nie betätschelt worden, sagt sie. Die ältere Schwester Antonella, die musste in der Jugend Majorette spielen, wenn Bruder Stefan, der Macher dieses Filmes, als Fan des verstorbenen Sängers Claude Francois dessen Nummern nachspielte. Daher sein Spitzname Cloclo.

Immer musste in der Familie das Notbündel gepackt sein, um allenfalls sofort abhauen zu können, nach dem Motto: lieber ausziehen als Miete bezahlen. Bis irgendwann der Vater ins Gefängnis wanderte, weil er Dinge verkauft hatte, die es gar nicht gab. So trennte sich die Familie.

Der Rückzugsort ist das kleine Dorf Sementina im Tessin, von woher die Mutter stammt und wo sie nach 20 Jahren Familie mit 500 Franc ankam und mit Null anfangen und ein neues Leben aufbauen musste.

Stefan Knuchel spürt mit seinem Film den Emotionen nach, den Hoffnungen, den Glücksgefühlen, die alle mit Musik, mit einzelnen Fotos manifest werden, speziell eines mit seinem älteren Bruder in Frankreich in einer Landschaft mit roter Erde in den 70ern, wo er hinter dem Horizont etwas spürt. Entstanden ist daraus ein kunstvoll-künstlerischer Bilderbogen, der seine Faszination gerade aus Knuchels Nicht-Begabung für die Realität, wie er an einer Stelle sagt, bezieht und einen unwiderstehlichen Sog entwickelt, ein Sog wie ein Time-Channel in die Vergangenheit dieser Familie, aus der der Vater über längere Zeit verschwunden ist.

Poetischer Lebenssinnrekonstruktionstext, strikt persönlich und gefühlvoll, aber nicht sentimental. Musik gegen sein Unglück. Und die schönsten drei Tage seines Lebens waren auf dem Rücksitz eines Citroens auf der Flucht. Flucht in die Träumerei – so eine schöne Träumerei.

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