Kommentar zu den Reviews vom 13. Juli 2017

Drei verträumt/träumerisch/visionäre, bildvernarrte Filmbijous zu Beginn. Ein unheiliger, heiliger Antonius im portugiesischen Mythologie-Dschungel. Eine surreal US-ungarische Engelsmystik als Symbol der Pubertätsverpuppung. Eine verwegene italienisch-schweizerische Abenteuer- und Fluchtautobiographie. Unfertig-fertig ist der Film, während dessen Dreharbeiten River Phoenix gestorben ist. Überhaupt nicht gschamig sind die französischen Verführungsträume von Frau Coppola Senior. Ebenfalls aus Frankreich kommt eine knallbunte Farbenmixadoptionsstory. Der deutsche Zugriff auf das schwule Traumschiff schürzt sich mit Tiefenanspruch. Hollywood zerdehnt einen 3D-düstern Spiderman auf Überlänge. In Berlin fällt statt der Stadt das Drehbuch. In den USA gibt es eine Hochbegabtengeschichte für den Horizont von Normalos. Und dass das Gras auf der anderen Seite viel grüner ist, illustriert lediglich eine psychologische Banalität. Auf DVD gab es eine dänische Liebesgeschichte, die ihre Extrempositionen mit Kinofilmverweisen beschreibt.

DER ORNITHOLOGE
Das Kentern im Kajak führt den Ornithologen zu heftigeren, hautnah-emotionalen Erfahrungen, als nur Vögel mit dem Fernrohr zu beobachten.

FALLEN – ENGELSNACHT
Ein kühnes Rettungsgemälde für Pubertäre in Schwierigkeiten.

CLOCLO UND ICH
50 Adressen in 20 Jahren – welche Kindheit! -, weil umziehen besser sei als Miete bezahlen, so der Vater.

DARK BLOOD
Zwei Jahre vor seinem Tod hat Sluizer den Film, der nicht abgedreht werden konnte, als unvollendeten fertiggestellt; die Weißen sollen nicht glauben, sie könnten unbemerkt Atomwaffentests machen oder die Indianer unterdrücken.

PARIS KANN WARTEN
Mit Ohrensausen fängt die Verführung an und schlängelt sich umgehend über einen kulinarisch-kulturellen Road-Trip von der Cote d‘ Azur nach Paris.

ZUM VERWECHSELN ÄHNLICH
Die Vorurteile zwischen Schwarz und Weiß sind knallig. Dem muss mit einer entsprechenden Komödie begegnet werden.

DREAM BOAT
Bei aller Traumschiffschwulenschwelgerei muss dem Fernsehen zuliebe offenbar extra erklärt werden, dass Schwule auch Menschen sind.

SPIDERMAN: HOMECOMING
Mit „Alien Crap“ fängt das Übel an, das den blassen Peter Parker zum Super-Super-Helden vorm Green Screen im Computeranimationsunversum werden lässt.

BERLIN FALLING
Statt zu einer cineastischen Bombe reicht es nur zur Drehbuchimplosion.

BEGABT – DIE GLEICHUNG EINES LEBENS
Ein Wunderkind heizt die Normalitätsphantasien von Durchschnittsbegabten an.

AUF DER ANDEREN SEITE IST DAS GRAS VIEL GRÜNER
Dieses Gras taugt weder zum Verfüttern noch als Silage, dieses Gras wurde zertrampelt von Drehbuchdilettantismus und Regiescheinkontrolle.

DVD
HALT MICH FEST
Eine dänische Liebesgeschichte, die das Liebesthema und den Liebesbegriff exzessiv fordert.

Spiderman: Homecoming

Das Prinzip Spiderman beruhrt darauf, dass ein eher unauffälliger, braver gar etwas langweiliger Junge, Peter Parker, sich ab und an in den Spiderman verwandelt, der Gutes tut und der seinen Ruhm für sich behalten will.

Mit Tom Holland in der Rolle passt die Beschreibung exzellent auf die Figur, er ist so, dass die jugendliche Schönheit des Films Liz (Laura Harrier) – ihre Seinsbegründung scheint die Schönheit an und für sich zu sein -, sich überhaupt nicht für ihn interessiert. Erst wie sein dicker Freund Ned (Jacob Batalon) Spiderman-Andeutungen macht, ändert sich das.

In diesem-Marvel-ab-der-Stange-Konfektionsprodukt in einem viel zu dunklen 3D, so dass die Augen nach der Überlänge schmerzen, mussten die Schöpfer wieder gute Taten, die der Spiderman tun könnte, erfinden. Und sie sind erfunden und wirken auch so, als ginge es darum, das Spidermanprogramm mit viel Action und Computernaimation so sensationell wie möglich zu gestalten. Aber den Aktionen geht bald die Bodenhaftung ab. So geht auch der Charme der Story flöten.

Er muss es diesmal mit einem richtigen bösen Oberschurken aufnehmen. Das ist Michael Keaton als Adrian Toomes und Vulture (dieses ein mechanisches Vogelfluggerät). Toomes hat vor einiger Zeit aus „Alien-Crap“ sich einige Elemente gekapert und entwickelt damit gefährliche Waffen, die er an böse Menschen verkauft. Es geht mithin schon beinah um die Rettung der Welt und strapaziert somit die Spidermanfantasie.

Und weil die Finanzmanager der Filmproduktion ein eindrückliches Einnahmenergebnis am Startwochenende in den USA sich herbeisehnen, weil auch ein solches den Ruhm eines Filmes mitgestalten kann, haben sie die Macher (das sind Jon Watts als Regisseur und Jonathan Goldstein, John Francis Daley + 8 gedrängt) gezwungen, so vermute ich, einen überlangen Film und leider auch in Billig-3D zu produzieren.

So musste denn nach Eingreifen in einen Bankraub für einen Schulausflug eine Rettungsaktion aus einem hohen Turm erfunden werden, sämtliche Liftabsturz- und Fassadenkletterelemente aus der Filmgeschichte sollten dabei verwurstet werden, ziemlich sinnfrei, Action um der Action willen und sowieso dann der zähe und sich hinziehende Countdown (da musst auch noch eine Audi-Werbung platziert werden) mit dem Gegenspieler, der absurderweise auch noch der Vater von Schön-Liz ist.

Wobei wenig Augenmerk auf die Auswahl der Darsteller gelegt wurde, auch sie Konfektionsdarsteller bis vielleicht auf Michael Keaton, der aber hier auch nur seinen Bösewicht-Schuh runterzieht und auch die zwischenmenschlichen Szenen, es kommt noch die Familie von Peter Parker dazu, die Schule, strotzen nur so vor lieblosem Klischee. Ich komme mir vor wie Melkvieh der Filmindustrie.

Der Ornithologe

Wer sich dem Geiste nähert, wird seine Wärme spüren,
und sein Herz wird sich in neue Sphären erheben
“.
Aus einer Predigt des heiligen Antonius von Lissabon
anlässlich des Pfingstfestes 1222 in Forli, Italien.

„Manches muss man nicht versuchen zu verstehen, es geschieht einfach“ – der Satz aus dem Film von Jao Pedro Rodrigues kann gut auch für den Film selbst angewandt werden, der seine Spannung aus der Langsamkeit bezieht, nicht ein einziges Mal tv-kurzatmiger Zusammenschnitt einer Szene, nicht ein Schielen auf Zuschauerungeduld.

Wenn ein Mann (Paul Hamy als Protagonist Fernando) von einem Kajak auf einem grünen See in einer Felsschlucht mit dem Fernglas Steinadlerküken im Horst oder Gänsegeier boabacht, dagegen lässt sich nichts sagen.

Wenn dieser Mann am Ufer des Sees mit seinem Freund telefoniert, der ihn an die Einnahme der Tabletten erinnert, so lässt sich nichts dagegen sagen. Wenn dieser Mann vor lauter Vogelbeobachtung in eine Stromschnelle gerät und kentert, so lässt sich nichts dagegen sagen, nur hoffen, dass er überlebt.

Wenn zwei Chinesinnen mit Mundschutz, Rucksackgepäck und Walkingstöcken den Jakobsweg abpilgern, so lässt sich nichts dagegen sagen. Wenn sie vom Weg abkommen und sich im Dschungel verlieren, so lässt sich nichts dagegen sagen.

Alle diese Szenen wirken wie Wahrheiten, die da sind, die apodiktisch sind, die so hinzunehmen sind. Dass sich zwischen den Chinesinnen und dem Ornithologen eine Geschichte entwickelt, ist absehbar. Wie sie sich entwickelt, nicht unbedingt. Sie zeigt aber, dass der Filmemacher Jao Pedro Rodrigues nicht im Sinne hatte, einen Naturfilm zu machen, obwohl die Natur eine überwältigende Rolle spielt, von der zerklüfteten Gebirgslandschaft mit dem grünen See bis hin zur durch und durch verwachsenen, teils verwunschenen Dschungelgegend.

Die Bildelemente dessen, was sich hier abspielen wird, bezieht Rodrigues aus der Ikonographie der tief verwurzelten christlich-katholischen Kultur – samt einer guten Dosis des darin enthaltenen Männerkörperkultes im Sinne des Kreuzweges von Jesus oder des heiligen Sebastian (obwohl dieser namentlich keine Rolle spielt, hier wird auf den portugiesischen Nationalheiligen Antonius referiert) aber auch aus mythologischen Versatzstücken genaus so wie aus wilden, heidnischen, nächtlichen Mummenschanzritualen.

Fernando wird einen Leidensweg durchgehen im Dschungel, meist ohne Handykontakt zu seinem Freund. Er wird plötzlich ohne die Tabletten leben, deren Einnahme der Freund am Handy anmahnt. Er macht unerwartete Liebeserfahrungen oder begegnet jagenden Amazonen oder Überbleibsel wilder, nächtlicher Rituale, auch Ruinen wie aus der Romantik.

Er geht eine typischen mystischen Weg zum Coming-of-Age (obwohl er kein Teen mehr ist) als einem Coming-Out.

Ganz entfernt erinnert der Film an den Erstling von Bunuel, „Las Hurdes“, der in der Estremadura spielt; verbindend vielleicht die Suche nach Menschlichkeit und Liebe in einer menschenfeindlichen Gegend voll christlich-heidnischer wie religiös-mystischer Symbole und dem taubstummen Hirten Jesus (Xelo Cagiao). Vielleicht auch inspiriert durch das Werk von Alejandro Jodorowsky.

Man kann solche Filme, die aus dem Zauberhut der Mystik und des Mythos schöpfen gouttieren oder man muss sie bleiben lassen. Es ist alles, wie es ist im Film. Es ist vielleicht ein Bericht aus den Tiefen einer mystischen und auch quälenden wie am Ende erlösenden Traumwelt. Gegen Visionen sind keine Argumente gewachsen. Außer vielleicht, dass der Filmemacher am Ende selbst den Heiligen Antonius spielt, ein unheiliger Heiliger.

Durch dieses Coming-Out nimmt die Angelegenheit in Padua ein recht irdisches, recht heutiges Ende.

Mit enormer Kinoschriftsouveränität definiert Rodrigues die Bilder auf die Leinwand. Aus der christlichen Ikonographie leitet er allerdings nicht Zölibat oder Enthaltsamkeit ab sondern Erotik- und körperliche Liebeserlaubnis.

Dark Blood

Lässliche Sünden der Weißen.
Ein unvollendeter Film.

Regisseur George Sluizer hält eine kleine Vorrede. Dass River Phoenix 1993 während der Dreharbeiten zu Dark Blood gestorben ist. Und dass er jetzt, 2012, wo er selber ernsthaft krank werde, versuchen wolle, aus dem Material einen Film zu montieren. Dabei verhalte es sich wie bei einem Stuhl der nur aus zwei Beinen bestehe, er versuche wenigstens mit dieser Montage ein drittes Bein anzubringen – das vierte werde ewig fehlen.

Dieses fehlende dritte Bein wird ersetzt durch Drehbuchauszüge, wie es scheint, die der Regisseur selber liest, während er das Bild anhält. Es sind vor allem Szenen innerhalb der Hütte, in der Boy, River Phoenix, lebt. Er hat in seinen Adern das dunkle Blut durch seine 1/8-Abstammung von den Hopi Indianern, diese depressive Anlage.

Hier schlagen lässliche Sünden der Weißen nicht juristisch, nicht rational nachvollziehbar, sondern unerwartet dämonisch schicksalsungerecht zurück auf ein Ehepaar von Hollywoodstars, das mit seinem Bentley ein Erholungswochenende in der Wüste von Nevada verbringen möchte (Buffy und Harry, Judy Davis und Jonathan Pryce). Anfangs liest sie flachsend aus einem Drehbuch und meint, den Schmarren wolle sie nicht spielen, während er findet, das Geld stimme doch.

Wegen einem Problem mit ihrem Luxusauto stranden sie im Nirgendwo, werden aufgegabelt von Boy, der sie in seine einsame Hütte mitnimmt und verspricht, sie nach Saint John zu bringen, von wo aus der stehengebliebene Bentley geholt und repariert werden könne. Das zögert sich hinaus.

Stattdessen fängt das Schicksal in der Personifizierung des faszinierenden River Phoenix an zuzuschlagen. Er zitiert mit einer Härte, die keine Diskussion zulässt, diese Sünden der Weißen, die sie für lässlich halten, erst die Verdrängung der Indianer und dann die Atomtests in der Nähe, die sie aus ihren angestammten Dörfern vertrieben hat; ein verlassenes, verstrahltes Dorf (Boy spricht von Plutoniumflocken im Haar) wird auch Spielort für einige Szenen.

Außerdem ist Boy fasziniert von Bunny. Er hat sogar ein Bild aus ihrer Vorschauspielerzeit in Las Vegas, auf dem sie als Bunny posiert. Hier gehen die Gefühle schnell hoch und in Richtung zur Grenze des Kontrollverlustes. Aber auch von Todesmusik ist die Rede bei Boy. Indianische Drogen werden gereicht und Boy hat sich eine Atomschutzhöhle gebaut, die ausgestaltet ist wie eine Kapelle mit vielen Kerzen und mit indianischen Totemfiguren, die er selbst hingebungsvoll schnitzt.

Boy wird von Bunny als ein verstörter junger Mann beschrieben, was von der Erscheinung her zutrifft, von den Handlungen her scheint er doch zielbewusster mit diesen (grauenhaften) Sünden der Weißen im Hinterkopf präsent umzugehen.

Bunny ist für Boy attraktiv, aber auch sie ist fasziniert von ihm, während sie ihrem Ehemann vorwirft, er sei immer nur mit seiner Fassade beschäftigt (und mit seiner nächsten Rolle, wie er zu verstehen gibt).

Sluizer über Phoenix: Such a gentle and gifted actor.
Website des Filmes.

Cloclo und Ich – Quand j’étais Cloclo

Als Tänzerinnen noch mit Bären und Boas in Bars auftraten.

Eine poetisch-lyrisch-essayistische Suche der Entwirrung eine unruhigen Kindheit mit einer Familie ständig auf der Flucht zwischen Villen am Lago di Maggiore und an der spanischen Mittelmeerküste (Bauboom und un sacco die belle case) – über die Sozialwohnung in Genf (Schmetterlingswohnblock mit der roten Säule Nr. 8) bis zur Wohnblockwohnung in einem Schweizer Dorf hoch oben in einem Tessiner Tal.

Die Familie Knuchel ist eine Familie von wahren Schwindlern, wie Vater und Sohn gegen Ende dieses Autobiopics des Filmemachers verschmitzt festestellen und dabei parallel einen Zigarettenverschwindtrick zum Besten geben.

Diese Charaktereigenschaft des Vaters hat das Leben der schließlich 5-köpfigen Familie bestimmt. Die Eltern genossen in den 60ern das Night-Clubleben im Tessin in vollen Zügen, in einer „Villa der Exzesse“ bis hin zum Schließmuskeltest; die Kinder identifizierten sich mit der Mondfahrt – es schien alles möglich.

Geld verdiente der Papa, indem er Häuser für 5’000 Franken kaufte und am nächsten Tag nach einigen kleinen Reparaturen für 55’000 Franken an betuchte Deutschschweizer im aufkommenden Nachkriegswohlstand weiterverkaufte.

Die Erinnungen an diese Zeit malt Knuchel mit Fotos, mit Filmausschniten à la Hollywood, mit verträumten Rekonstruktionen in Häusern von damals. Nach und nach treten weitere Familienmitglieder auf nicht nur im Material der Vergangenheit, das zeitgemäß teils Polaroidbilder oder Super8-Aufnahmen sind, Musik aus der Jukebox oder dem Walkman.

Die fitte Mutter, die immer gerne in Bars gearbeitet hat – hinter der Theke, sie sei nie betätschelt worden, sagt sie. Die ältere Schwester Antonella, die musste in der Jugend Majorette spielen, wenn Bruder Stefan, der Macher dieses Filmes, als Fan des verstorbenen Sängers Claude Francois dessen Nummern nachspielte. Daher sein Spitzname Cloclo.

Immer musste in der Familie das Notbündel gepackt sein, um allenfalls sofort abhauen zu können, nach dem Motto: lieber ausziehen als Miete bezahlen. Bis irgendwann der Vater ins Gefängnis wanderte, weil er Dinge verkauft hatte, die es gar nicht gab. So trennte sich die Familie.

Der Rückzugsort ist das kleine Dorf Sementina im Tessin, von woher die Mutter stammt und wo sie nach 20 Jahren Familie mit 500 Franc ankam und mit Null anfangen und ein neues Leben aufbauen musste.

Stefan Knuchel spürt mit seinem Film den Emotionen nach, den Hoffnungen, den Glücksgefühlen, die alle mit Musik, mit einzelnen Fotos manifest werden, speziell eines mit seinem älteren Bruder in Frankreich in einer Landschaft mit roter Erde in den 70ern, wo er hinter dem Horizont etwas spürt. Entstanden ist daraus ein kunstvoll-künstlerischer Bilderbogen, der seine Faszination gerade aus Knuchels Nicht-Begabung für die Realität, wie er an einer Stelle sagt, bezieht und einen unwiderstehlichen Sog entwickelt, ein Sog wie ein Time-Channel in die Vergangenheit dieser Familie, aus der der Vater über längere Zeit verschwunden ist.

Poetischer Lebenssinnrekonstruktionstext, strikt persönlich und gefühlvoll, aber nicht sentimental. Musik gegen sein Unglück. Und die schönsten drei Tage seines Lebens waren auf dem Rücksitz eines Citroens auf der Flucht. Flucht in die Träumerei – so eine schöne Träumerei.

Zum Verwechseln ähnlich

Temperamentvoll grelle Einwandererklamotte aus Frankreich, die mit den Rassenvorurteilen spielt und diese ins Gegenteil verkehrt: statt dass weiße Eltern ein schwarzes Kind adoptieren, tun hier Schwarze solches mit einem Weißen und auf dieser engen Vorurteils-Klaviatur belässt es der Film auch grobmaschig aber zügig.

Die Eltern, das sind Herr und Frau Aioka, der Autor und Regisseur des Filmes in der Hauptrolle als Paul Aioka und Aissa Maiga als Salimata Aioka. Die beiden sind integriert in Frankreich, haben sich einen kleinen Wohlstand geschaffen, ein eigenes Häuschen und einen Blumenladen. Fehlt nur noch ein Kind.

Es sind rechtschaffene, ordentliche Leute. Sie erfüllen alle Voraussetzungen, um ein Kind adoptieren zu können. Es ist Benjamin, ein Bube. Nach kurzem Stutzen – denn es ist ein weißes Bübchen – entscheiden sie sich ohne langes Nachdenken für ihn. Womit sie sich ungeahnte Probleme einhandeln, vor allem in der eigenen Familie.

Speziell die Eltern von Alimata, die in der Nähe wohnen, kommen damit überhaupt nicht zurecht. Sie stammen aus dem Senegal. Was denken die Verwandten dort? Ein weißes Kind ist für Senegalesen mindestens so schlimm, wenn nicht noch schlimmer, als wenn es eines aus dem Kongo wäre.

Die besorgten und liebevollen Eltern haben zudem das Pech, dass die Verantwortliche vom Amt, Madame Mallet (Zabou Breitman) ihren Auftrag der Kontrolle sehr ernst nimmt und damit anfängt einen negativen Einfluss auf das Kindswohl zu nehmen.

Die Eltern werden durch die Zusatzbelastung zusehends gestresst, es muss ja auch das Haus noch fertig renoviert werden. So geraten die Dinge rasend schnell außer Kontrolle – und die Frage nach der Mutterliebe wird akut, wozu diese fähig ist. Zur Verschärfung der Lage tragen der unzuverlässige Kumpel von Paul, Manu (Vincent Elboz) und dessen Freundin Prune bei.

Lucien Jean-Baptiste inszeniert die Geschichte laut, schnell und schwungvoll, mit markanter physischer Präsenz der Darsteller und gewinnender Herzlichkeit, gerne mit einem Drall in Richtung Übertreibung im Spiel, wie ein wildes Wandgraffiti; vielleicht eher für den französischen Hausgebrauch. Trotzdem: herzerwärmende Patch-Workfamilie: er hat schon Deine Augen! – so lautet der Titel im Original (il a déjà tes yeux).

Paris kann warten

So geht Eroberung auf Französisch (Erotoschmonzette).

Kulinarisch-lukullisches Verführerkino als Liebeserklärung an die Liebe, ans Kino und an Frankreich. Die Kunst der Verführung. Die braucht ein bisschen Zeit, die muss sich die Zeit nehmen, sie kommt unangekündigt. Aber sie weiß vom ersten Moment an, was ihr Ziel ist, sowohl der Verführer Jacques (Arnaud Viard) als auch die zu verführende Anne (Diane Lane) und vermutlich sogar ihr sie vernachlässigende Ehemann und Filmproduzent Michael (Alec Baldwin).

Eleanor Coppola erfüllt sich und sicher vielen anderen längjährigen Ehefrauen mit diesem RomComVerführerFilm den Traum des Verführtwerdens aus abgestandener Ehe.

Anne und Michael sind beim Festival in Cannes zugange. Michael ist pausenlos am Telefon, ironisiert seine Rückenschmerzen, sie würden vom vielen Verbeugen kommen, mosert einen Produzenten an, für das Projekt in Marokko soll er bittschön Ziegen und nicht Kamele nehmen, die seien billiger und sie würden obendrein im Drehbuch stehen.

Michael muss dringend nach Budapest jetten. Anne soll selbstverständlich mit. Sie ist sein dekoratives Anhängsel, eine gepflegte, attraktive Frau in mittleren Jahren, die ihre erotische Vertrocknetheit professionell überspielt mit allen Mitteln, die besser gestellten Damen zur Verfügung stehen.

Geschäftsfreund Jacques, der nicht verheiratet ist, bringt das Paar zum Flughafen. Anne hat ein Ohrensausen. Kurz vorm Einsteigen in den Privat-Jet entscheidet sie sich, direkt nach Paris zu fahren, der Pilot hat ihr abgeraten, das Fliegen sei nicht gut für die Ohren.

Jacques, der daneben steht und das mitbekommt, bietet ihr spontan an, sie nach Paris zu fahren. Mit seinem alten, lottrigen Peugot, nicht ganz standesgemäß, umso mehr ein Zeichen für ein sich abzeichnendes Road-Movie der Verführung, einer kulinarisch-kulturell-erotischen Tour durch Frankreich.

Denn Paris muss jetzt warten. Jacques findet immer einen Grund, vom Weg abzuweichen, weil es da so schöne Rosen gibt, dort so feine Erdbeeren, hier einen ausgezeichneten Bäcker und nicht weit einen der besten Köche Frankreichs.

Anne macht das Verführerspiel mit. Sie tut so, als realisiere sie es gar nicht, obwohl sie es ironisch durchschaut. Sie leistet nicht allzu viel Widerstand. Sie findet Gefallen an den feinen Gerichten, die aufgefahren werden, an dem Berg, den Cezanne (Montagne Sainte-Victoire) gezeichnet hat, am römischen Äquadukt, am Textilmuseum in Lyon, an der römischen Kirche von Vezelay und an der Musik von Erik Satie. Und vor allem: an der in der Luft liegenden Erotik, am professionellen Zögern des bedenkenlosesn Verführers Jacques.

Er begegnet früheren Objekten seiner Begierede und seiner Verführungskunst. Die sind ihm gar nicht übel gesinnt, wie die russischstämmige Martine in Nyon beweist.

Ehemann Michael kapiert offenbar die Lektion. Die Verführung gewinnt an Fahrt bei Fragen zum glücklichsten Moment des Lebens als auch zum traurigsten; Fragen können zwei Menschen, erst recht, wenn sie andächtig in einer Kirche bei Kerzenlicht gestellt werden, emotional näher bringen, noch ohne jede Berührung.

Und Fotografieren kann auch viel erzählen. Alles Zutaten zu einem kulinarischen Kino vom Feinsten, Trüffelsaison für Kino- und Verführungsliebhaber im Garten des Epikur mit wildem Fenchel und Dorade Royale und wenn der alte Peugeut stehen bleibt, so hilft ein Damenstrumpf als Keilriemenersatz.

Fallen – Engelsnacht

Engel sind hier nichts Süßliches, sind keine kitschigen Barockputen. Sie sind handfest fleischlich mit Flügeln bewehrt und wehe wenn sie losgelassen werden und vorm computeranimierten, surrealen Himmel rumsausen, da wirken sie nicht minder gefährlich als große Raubvögel, Adler, Geyer.

Engel sind hier das Produkt religionsphilosophischer Erwägungen, sie sind dem Teufel näher als dem lieben Gott, aber sie sind nur Liebessehnsüchtige, ein Fixierbild, eine Materie gewordene Idee und Bebilderung vor mystizistisch surrealem Hintergrund der Umwälzungen des Coming of Age von Lucinda (Addison Timlin), des Verlangens, mit einem anderen Menschen eins zu werden, um so in den Kreislauf des Vergehens und Wiederkehrens, der Reinkarnation, der Wiedergeburt der Liebe einzuschwenken, in dem alles enthalten ist und auch noch in Konflikt kommt mit Déja Vues.

Alles bekannt und doch aufregend neu. Das Gedächtnis der Menschheit, auch in den Bildern der Religion oder der Ahnen und sowieso in Büchern. Auch dass der Kuss zum Traumman gefährlich ist. Küssen kommt vor dem Fall beim Engel.

Die Örtlichkeit, in der diese Gefühle und Bilder ungezügelt expandieren können, ist ein Internat, die „Swords & Cross Academy“. Hier sollen schwierige, nicht auf Anhieb in die Gesellschaft und ins Erwachsenenleben integrierbare Jugendliche Betreuung und Halt finden, Orientierung.

Regisseur Scott Hicks schildert das nach dem Buch von Michael Arlen Ross, Kathryn Price + 2 nach dem Roman von Lauren Kate nicht realistisch sondern stilisiert, symbolhaft aufregend gemäldehaft.

In Kunst, Religion und Kampf (Fechten) sollen die Engel ausgebildet werden. Die Figuren sind typisiert vom Schulleiter bis zur Religionslehrerin, aber keinesfalls billig klischeehaft. Es gibt die böse, dunkle Schülerin (Daisy Head als Ariane Alter), es gibt den blonden jugendlichen Helden (Jeremy Irvine als Daniel Grigori) und den dunkelhaarigen (Harrison Gilbertson als Cam Briel) und Lucindas ganz und gar menschliche Freundin Penn (Lola Kirke), die wegen mangelnder Fachkenntnise der Schulleitung Zugang zum Computersystem mit den Files über die Schüler und die Lehrer hat.

Es gibt nächtliche Aktivitäten in den Fluren und Zimmern, Partys im Freien oder in der Disco, wilde Motorradfahrten, es gibt einen Bibliothekbrand, einen Toten (Leo Suter als Trevor), eine großen, steinerne Engelsfigur, die vom Dach fällt. Und es gibt die Schatten, die Lucinda begleiten, quälen, beunruhigen.

Es gibt die Bibliothek, die nicht weniger surreal wirkt als alle anderen Settings auch. Dagegen gibt es die Konzentration auf die Hauptfigur, auf Lucinda, die mit eisernem Willen zu sich selber finden will und sich von keiner noch so cineastisch wirkungsvollen Verfremdung der Realität abbringen lässt, ihren Weg zu gehen, ihrer Bestimmung zu folgen.

Allerdings lässt die disziplinierte deutsche Routinesynchro keinerlei Schatten spüren, wirkt wie ein biederer Klotz TV-Realismus‘ inmitten dieses hochkünstlerischen, unwirklich ausgeleuchteten Filmgemäldes, dieser Bilderemanation eines mystischen Surrealismus‘.

Dream Boat

Gebremstes Schwelgen in Schwulenwonnen.

Vielleicht wollte sich Tristan Ferland Milewski einfach mal auf Zwangsgebührenzahlerskosten eine siebentägige Kreuzfahrt leisten.

Dem ZDF und arte hat er es dann wohl so verbraten, dass er zwar das bunte gay-paraden-ähnliche Treiben zeigen werde (es geht um eine Gay-Kreuzfahrt), dass er aber nicht ungezügelt darin schwelgen werde, sondern dass er mit seinem auf welchem Weg auch immer gefundenen, internationalen Cast an Protagonisten aus den verschiedensten Ländern in den Kajüten, an der Reeling oder beim Landgang ernsthafte Gespräche über das Schwulsein inszenieren werde, damit auch der nicht schwule Zuschauer mitgeteilt bekomme, dass schwule Männer ganz normale Menschen sein mit ganz normalen, alltäglichen Problemen des Anbandelns und der Traumbeziehung.

Die Gespräche sollen Themen streien wie Schwulsein, Liebe als tiefe Beziehung und der Unterschied zum schnellen (casual) Sex, über schwule Attraktivität, Outing in der Familie, im Heimatland und selbstverständlich muss das Thema AIDS behandelt werden.

Mit diesem moralisch einwandfreien Impetus (der im Grunde genommen die Schwulen bereits wieder diskriminiert als Menschen, über die man extra erklären müsse, dass sie ganz normale Menschen seien), hat Milewski wohl die Fernsehredakteure bezirzt und überzeugt. Den Kinobesucher dürfte er stattdessen eher vergraulen, und zwar nicht nur, weil er auf jegliche belastbaren Informationen über so eine Kreuzfahrt – auch im Vorfeld – verzichtet.

Er dürfte sowohl den schwulen Kinobesucher enttäuschen, weil er darin vielleicht nicht hemmungslos genug dem Enthusiasmus für das Gay-Fest frönen kann, der Nichtschwulen wiederum dürfte er eher mit einem Zuviel davon überfordert sein und keinen Zugang dazu finden, weil er mehr will als nur knapp bekleidetete und kostümierte Männerbodys, High-Heel-Rennen, knackige Pos, sexy Suspensorien, Travestie und andere Verkleidungen und vielleicht noch einen Blow-Job dazwischen.

Es ist ein wildes Zusammengeschnippele von Disco- und Decksszenen und den Rechtfertigungs-Dialogszenen, den inszenierten Gesprächen, dann noch Abendrot und Meer und Drohnenaufnahmen des Kreuzfahrtkolosses oder ein Landgang.

Schnell, schnell, billig, 7 Drehtage ohne große Vorbereitung, die Fernsehgage dem Zwangsgebührenzahler unterm Vorwand des Minderheitenbonus aus der Tasche gezogen, ohne ihm dafür den geringsten Mehrwert zu bieten nach dem billigen Strickmuster 5 ineinander geschnittene Protagonisten, da muss man sich mit keinem tiefer beschäftigen, was kein Substanzgewinn bedeutet und Recherche war schon mal grad gar nicht nötig. Einchecken, draufhalten, zusammenschneiden und kassieren.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Berlin Falling

Könnte ein hochbrisanter Film sein, wenn

sich Ken Duken und Norbert Kneissl beim Drehbuch mehr Zeit gelassen hätten und sie es vielleicht auch noch diesem oder jenem Urteilssicheren zum Lesen gegeben hätten.

Das Thema ist brisant, betrifft ein Stück unverdauter, jüngster deutscher Geschichte, die Bombardierung von Kundus mit vielen zivilen Opfern, das erste Mal seit der Hitlerzeit, dass Deutschland so ein Verbrechen begangen hat – und wir Deutschland zusehen können, wie es das aktiv zu verdrängen versucht.

Also: Chapeau vor Ken Duken, der als Mitproduzent auch die Regie führt und die Hauptrolle des Frank spielt, der als Soldat an einer wichtigen Schnittstelle dieser Bombardierung in Afghanistan gestanden hat.

Brisant ist das Thema umso mehr, als Afghanistan nach wie vor nicht zur Ruhe kommt, als es immer unsicherer wird, als der jetzige amerikanische Präsident Afghanistan als Bombenübungsplatz missbraucht mit dem Abwurf der MOAB, der größten aller Bomben nach den Atombomben.

Brisant ist das Thema auch, weil die Bundesregierung gnadenlos Leute nach Afghanistan abschiebt, behauptet, es sei ein sicherer Drittstaat, obwohl sie die eigenen Soldaten und das Botschaftspersonal kaum schützen kann, beim kürzlichen Anschlag auf die Botschaft wurde selbst deutsches Personal verletzt; die Botschaft sei jetzt eine Ruine, außer Betrieb, das Personal abgezogen; ein einziger Mitarbeiter noch in einem Hochsicherheitsort untergebracht.

Brisant ist das Thema des Filmes ferner, ja richtig ahnungsvoll, als es um einen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtszeit geht. Am Haubtbahnhof soll eine Bombe hochgehen als Antwort auf die Bomben von Kundus. Der Krieg soll nach Deutschland getragen werden. Und wie Frank mit seinem Entführer Andreas (Tom Wlaschiha), einer merkwürdigen Mischung aus Islamist und Rechtsextremem (und der verjudete Amerikaner gibt den Takt vor mit ihrem Neger als Präsidenten//Franz wird seine Schuld begleichen) fahren sie an der Gedächtniskirche vorbei, volle Weihnachtsbeleuchtungsstimmung, die großartig von Kameramann The Chau Ngo eingefangen wird, wie alle anderen Bilder auch, die oft traumhaft schöne Landschaften malen, ganz pastellen.

Immer wieder die beiden Protagonisten ganz nah im Bild, wodurch gelegentlich bessser zu sehen ist, dass sie spielen. Ken Duken spielt also einen ehemaligen Afghanistansoldaten, der ein mürrischer, vielleicht posttraumatisch gestörter, Exsoldat ist. Er soll dringend nach Berlin, um sich um sein Töchterchen zu kümmern. Im Telefongespräch mit seiner Ex, der Mutter, wird deutlich, dass er große Mühe mit dem Einhalten von Verabredungen hat.

Lange und aufwändig spielt er diesen fertigen Typen aus dem Landkreis Havelland (laut Autokennzeichen), dass der Eindruck entsteht, der Film soll für ihn selbst vor allem als Demoband zum Beweis seiner Genrefähigkeit herhalten, die Genresehnsucht hallt lautstark aus dem Film.

Von Geschichte, außer dass er nach Berlin muss, keine Spur. Irgendwann nimmt er den Tramper Andreas mit, bei dem auch nicht so ganz klar wird, was mit dem los ist und der schon gar nicht das vermuten lässt, was er wirklich ist, das kommt aus heiterem Himmel. Aber dass er nicht das ist, was er scheint, das wird bald klar.

Jetzt entsteht der Eindruck, dass Ken Duken sich für das Männergenre entscheidet, wobei das zwischendrin schwimmt, ob Mädchenfilm (das kleine Töchterchen) oder Männerfilm, da brauchts eine Pistole, da muss geschossen und gerangelt werden.

Bis nach einer Stunde das Kundus-Thema aufkommt. Aber da bin ich innerlich längst ausgestiegen. Schade, schade um all die Mühe. Wahrscheinlich wollte Ken Duken möglichst schnell drehen, im fehlenden Bewusstsein dessen, was die alles entscheidende Qualität für einen Film ist: das Buch, das Buch, das Buch. Hätte er sich länger rangehockt, sich von Fachleuten beraten lassen oder Feedbacks von anderen Unbeteiligten geholt, hätte er sich Zeit gelassen, die Geschichte spannend zu erzählen, er hätte mit demselben Drehaufwand und Personal eine cineastische Bombe platzen lassen können, gerade wegen der politischen Brisanz und der Entwicklungen nach dem Dreh. So aber: Chance vertan und damit es keine hört: eine saulaute Musik drüber geknallt. Erzählerisch wird der Esel vom Schwanz her aufgezäumt.